OGH 3Ob114/18p

OGH3Ob114/18p27.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* P*, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in Lambach, gegen die beklagte Partei G*gesellschaft mbH, *, vertreten durch Holme und Weidinger Rechtsanwälte-OG in Wels, und der ihr beigetretenen Nebenintervenientin H* GmbH, *, vertreten durch Dr. Walter Müller und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen 25.981,69 EUR (Revisionsinteresse 6.042,40 EUR), über die Revision der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. Februar 2018, GZ 4 R 142/17f‑37, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 18. Juli 2017, GZ 5 Cg 109/16b‑33, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E122214

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Streitteile sind Eigentümer benachbarter Liegenschaften. Die Beklagte beauftragte im Dezember 2014 die Nebenintervenientin mit dem Abriss der auf ihrem Grundstück befindlichen Fabrikbauten (frühere Flachsspinnerei). Die Beklagte zeigte der Baubehörde den Abriss am 1. September 2014 an.

Die Abbrucharbeiten dauerten von Dezember 2014 bis Oktober 2015. Die Nebenintervenientin setzte ab Februar 2015 eine mobile Behandlungsanlage ein, über die ein Dritter eine abfallrechtliche Genehmigung aus 2007 verfügt. Der Nebenintervenientin selbst wurde die abfallwirtschaftliche Genehmigung für den Betrieb der Anlage auf der Liegenschaft der Beklagten erst per 17. Februar 2015 erteilt. Zu Beginn der Arbeiten mit der mobilen Brecheranlage/Schredder (9./10. Februar) kam es zu einer massiven, ortsunüblichen Staubentwicklung und Staubverfrachtung auf die Liegenschaft der Klägerin. Auch in der Folge kam es immer wieder zu starken Staubentwicklungen durch die Abbrucharbeiten.

Den massiven Immissionen lag zugrunde, dass die Brecheranlage aufgrund eines Defekts ohne (Wasser‑)Berieselung betrieben wurde. Die Nebenintervenientin hielt die behördlichen Vorgaben nicht ein (kein ausreichender Abstand zum Nachbargrundstück, keine Bewässerung des Staubs, keine weiteren Staubminderungsmaßnahmen, keine Dokumentation). Während der Arbeiten erfolgten mehrmalige Überprüfungen durch das Amt der Landesregierung, auch die Marktgemeinde wurde wegen Anrainerbeschwerden aktiv. Am 18. September 2015 erließ die zuständige Bezirkshauptmannschaft einen Bescheid, worin der Nebenintervenientin bestimmte Maßnahmen zum Schutz der Nachbarn aufgetragen wurden.

Die Klägerin begehrte – für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – den Ersatz des ihr entstandenen Aufwands (Reinigungskosten, Mehraufwand für Pool). Sie warf der Beklagten vor, dass die Abbrucharbeiten von der Nebenintervenientin unsachgemäß und in Verletzung der erteilten behördlichen Auflagen durchgeführt worden seien und die Nebenintervenientin von der Beklagten nicht ordnungsgemäß angeleitet worden sei. Die Klägerin stützte sich auf Schadenersatz und auf § 364a ABGB.

Die Beklagte wandte ua mangelnde Passivlegitimation ein. Die Abbrucharbeiten seien nicht von ihr, sondern von der Nebenintervenientin durchgeführt worden. Diese habe sämtliche behördlichen Auflagen eingehalten.

Die Nebenintervenientin brachte vor, dass die Arbeiten ordnungsgemäß erfüllt worden seien und keine behördlich genehmigte Anlage im Sinne des § 364a ABGB vorliege.

Das Erstgericht gab der Klage im Ausmaß von 7.042,40 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren rechtskräftig ab. Es bejahte eine analoge Anwendung des § 364a ABGB.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung im Umfang von 6.042,40 EUR sA und wies einen weiteren Klagsbetrag von 1.000 EUR rechtskräftig ab. Es stützte den Zuspruch auf § 364a ABGB analog und verwies dazu auf zahlreiche höchstgerichtliche Entscheidungen. Die analoge Anwendung der genannten Norm sei nicht auf bloß einmalige Ereignisse beschränkt.

Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich (§ 508 Abs 3 ZPO) zur Frage zu, ob § 364a ABGB analog nur für „Einmalereignisse“ anwendbar sei oder auch eine Haftungsgrundlage für mehrmalige Ereignisse, wie etwa wochenlange Staubimmissionen, bilden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Nebenintervenientin ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden –Zulassungsausspruchs mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinne von § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1.1 Dass das Rechtsmittel damit argumentiert, eine behördlich genehmigte Anlage im Sinne des § 364a ABGB habe nicht vorgelegen, kann die Zulässigkeit schon deshalb nicht begründen, weil die von den Vorinstanzen gebilligte Analogie zu § 364a ABGB nach der Rechtsprechung gerade keine echte (ihrem Gegenstand nach das nachbarliche Immissionsabwehrinteresse berücksichtigende) Anlagen-genehmigung im Sinn des § 364a ABGB voraussetzt, welche die beanstandete Immission rechtlich deckt (9 Ob 18/15k, RIS‑Justiz RS0037050, RS0010668 [T7, T8]).

1.2 Die ständige Rechtsprechung billigt einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch auch dann, wenn sich aus der Interessenlage ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergeben. Eine analoge Situation wird in Fällen angenommen, in denen durch eine behördliche Bewilligung der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Maßnahme hervorgerufen und dadurch die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch derart erschwert wird, dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss, also vor allem bei behördlich genehmigten Bau- und Abbruchsarbeiten (RIS‑Justiz RS0010668 [T1, T5, T7, T9, T11, T20]; 9 Ob 18/15k mwN).

1.3 Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Ausgleichsanspruch des § 364a ABGB (analog) auch solche Schäden umfasst, die typischerweise auf Baumaßnahmen zurückzuführen sind (1 Ob 2170/96s; RIS‑Justiz RS0106324 [T3]).

1.4 Ein Ausgleichsanspruch analog § 364a ABGB kann auch dann bestehen, wenn Baumaschinen bei genehmigten oder – im Fall einer bloßen Anzeigepflicht – nicht untersagten Abbrucharbeiten angrenzende Bauwerke auf dem Nachbargrund beschädigen. Auf die Frage, ob die Arbeiten fachgerecht durchgeführt wurden, kommt es dabei nicht an (RIS‑Justiz RS0126490).

2. Die Rechtsprechung hat die analoge Anwendung des § 364a ABGB in mehreren Entscheidungen auch nach Eintritt eines ersten schädigenden Eingriffs (5 Ob 3/99y [zweimaliges Abrutschen von Baumstämmen], 2 Ob 136/99k [unterschiedliche Schäden im Zuge mehrmaliger Straßenbauarbeiten]), bei Aufrechterhaltung eines Dauerzustands (8 Ob 523/92 [14‑monatige Bautätigkeit], 6 Ob 216/13b [erkennbare Gebäudeschäden während jahrelanger Bauarbeiten], 7 Ob 128/16y [jahrelange Staubimmissionen]) oder auch bei Erkennbarkeit eines zukünftigen Schadens (1 Ob 206/00a [für den Geschädigten vorhersehbares Verenden seiner Bienenvölker durch zukünftige Kanalarbeiten des Nachbarn]) bejaht.

3. Die angefochtene Entscheidung hält sich im Rahmen der aufgezeigten Judikatur. Im Übrigen bedarf die analoge Anwendung des § 364a ABGB auf den vorliegenden Fall schon deshalb keiner Korrektur, weil im Zuge der Abbrucharbeiten mehrere behördliche Überprüfungen stattfanden, aus denen vertretbar abzuleiten war, dass der Anschein der Gesetzmäßigkeit bis zum Ende der Abbrucharbeiten aufrecht blieb.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen. Da die unterlegene Nebenintervenientin nicht zum Kostenersatz herangezogen werden kann (RIS‑Justiz RS0035816), ist die Beklagte, der die Disposition über die Revision der Nebenintervenientin offengestanden wäre, zum Kostenersatz verpflichtet (RIS‑Justiz RS0036057; 1 Ob 98/17v).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte