OGH 8Ob32/18s

OGH8Ob32/18s23.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache des Schuldners D*****, vertreten durch Reinisch & Grössbauer Rechtsanwälte in Leibnitz, über den Revisionsrekurs der Gläubigerin R*****, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 22. Dezember 2017, GZ 4 R 332/17y‑43, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Leibnitz vom 6. November 2017, GZ 16 S 17/09z‑39, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00032.18S.0323.000

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs der Gläubigerin wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Antrag des Schuldners vom 3. 11. 2017 auf Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und Restschuldbefreiung abgewiesen wird.

2. Die Revisionsrekursbeantwortung des Schuldners wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Über das Vermögen des Schuldners wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 16. 10. 2009 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und am 15. 1. 2010 nach Scheitern des angebotenen Zahlungsplans das Abschöpfungsverfahren eingeleitet. Innerhalb der siebenjährigen Laufzeit der Abtretungserklärung erhielten die Gläubiger eine Quote von 3,07 % ihrer angemeldeten Forderungen.

Über Antrag des Schuldners erklärte das Erstgericht mit Beschluss vom 27. 9. 2017 das Abschöpfungsverfahren für beendet, setzte die Entscheidung über die Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 3 IO aF bis längstens 31. 1. 2020 aus und trug dem Schuldner auf, innerhalb der Aussetzungsfrist an näher bezeichnete Gläubiger, darunter den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, im Einzelnen angeführte Ergänzungszahlungen zu leisten.

Am 3. 11. 2017 stellte der Schuldner den Antrag auf Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung nach § 280 IO idF des IRÄG 2017.

Das Erstgericht wies diesen Antrag zurück. Da das Abschöpfungsverfahren bereits beendet und die Entscheidung über die Restschuldbefreiung bis 30. 1. 2020 ausgesetzt worden sei, sei der Antrag unzulässig.

Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel des Schuldners Folge und sprach aus, dass ihm die Restschuldbefreiung erteilt werde.

Die auf anhängige Abschöpfungsverfahren anzuwendende Übergangsbestimmung des § 280 IO idF IRÄG 2017 müsse unter Bedachtnahme auf die Zielsetzungen der Novelle schuldnerfreundlich dahin ausgelegt werden, dass es – auch wenn das Abschöpfungsverfahren schon beendetsei – nur auf den Ablauf der ursprünglichen Abtretungserklärung ankomme. Dem Schuldner könne daher auch im Zeitraum, für den ihm Ergänzungszahlungen aufgetragen worden seien, die Restschuldbefreiung erteilt werden.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe, ob die Restschuldbefreiung nach § 280 IO nF während eines Zeitraums erteilt werden könne, in dem dem Schuldner Ergänzungszahlungen gemäß § 213 Abs 3 IO aF auferlegt wurden.

Der Revisionsrekurs der Gläubigerin, der gemäß § 254 Abs 1 Z 6 IO keiner anwaltlichen Fertigung bedurfte, ist aus den vom Rekursgericht dargelegten Gründen zulässig und auch berechtigt.

1. Die für das Schuldenregulierungsverfahren maßgeblichen Änderungen der IO durch das IRÄG 2017 traten mit 1. 11. 2017 in Kraft. Sie sind grundsätzlich nur auf neue Verfahren anzuwenden, nämlich wenn das Insolvenzverfahren nach dem 31. 10. 2017 eröffnet wurde, oder wenn der Antrag auf Einleitung des Abschöpfungsverfahrens nach diesem Datum bei Gericht eingelangt ist.

Für Abschöpfungsverfahren, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits anhängig waren, gilt weiterhin die bisherige Rechtslage, allerdings mit der Maßgabe der Übergangsbestimmung des § 280 IO idF IRÄG 2017, welche lautet:

Nach Einleitung des Abschöpfungsverfahrens bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung ist auf Antrag des Schuldners das Abschöpfungsverfahren zu beenden, wenn die Abtretungserklärung abgelaufen ist oder seit dem 1. November 2017 fünf Jahre der Abtretungserklärung abgelaufen sind. § 213 Abs 1 zweiter bis vierter Satz in der vor dem IRÄG 2017 vorgesehenen Fassung sind anzuwenden.

2. Der erkennende Senat hat bereits jüngst in der Entscheidung 8 Ob 6/18t vom 26. 1. 2018 ausgesprochen, dass die wesentlichen Neuerungen des IRÄG 2017 im Bereich des Abschöpfungsverfahrens, nämlich die Verkürzung des Zeitraums der Abtretungserklärung von sieben auf fünf Jahre und der Entfall des Erfordernisses einer Mindestquote, nach § 280 IO, für anhängige Verfahren nur teilweise und in zeitlicher Abstufung wirksam werden. Während eine Mindestquote nach § 280 IO nF auch in sämtlichen bereits anhängigen Verfahren entfällt, in denen nach dem 31. 10. 2017 über die Erteilung einer Restschuldbefreiung zu entscheiden ist, kommt die Verkürzung des Abschöpfungszeitraums auf fünf Jahre in diesen alten Verfahren, wenn überhaupt, nur zeitverzögert und nicht in vollem Ausmaß zum Tragen.

In allen laufenden Verfahren, in denen die Abtretung vor dem 1. 11. 2015 wirksam wurde, bleibt es unverändert bei einer insgesamt siebenjährigen Laufzeit. Nur wenn der Abschöpfungszeitraum erst nach diesem Datum zu laufen begonnen hat, verringert sich nach § 280 IO nF die effektive Gesamtdauer sukzessive bis zum 1. 11. 2022. Ungeschmälert kommt die Verkürzung auf fünf Jahre erst jenen Schuldnern zugute, deren Abtretungszeitraum am 1. 11. 2017 oder später begonnen hat. § 280 IO sieht keine vorzeitige und damit privilegierende Verkürzung jener anhängigen Verfahren vor, die vor dem Stichtag wegen Nichterreichens der Mindestquote nach § 213 Abs 4 IO aF (anstelle der Beendigung ohne Restschuldbefreiung) bereits aus Billigkeitsgründen verlängert wurden. Ein Antrag nach § 280 IO ist hier nur unter der Voraussetzung zulässig, dass auch die Abtretungserklärung für das verlängerte Verfahren abgelaufen ist (8 Ob 6/18t; 8 Ob 5/18w; 8 Ob 20/18a).

3. Auf ein anhängiges Schuldenregulierungs-verfahren, in dem das Abschöpfungsverfahren nach § 213 Abs 3 IO aF für beendet erklärt wurde und die Entscheidung über die Restschuldbefreiung unter Auferlegung von bestimmten Ergänzungszahlungen ausgesetzt wurde, kommt eine unmittelbare Anwendung des § 280 IO nF wörtlich nicht in Frage. Eine wiederholte Beendigung desselben Abschöpfungsverfahrens ist begrifflich nicht möglich (vgl 8 Ob 6/18t).

Zwar fällt die Beendigung des Abschöpfungsverfahrens nach § 213 IO aF in der Regel mit der das Insolvenzverfahren beendenden Entscheidung über die Restschuldbefreiung zusammen, die Ausnahme bildet aber die Billigkeitsentscheidung nach § 213 Abs 3 IO. Hier findet während der Dauer der Aussetzung der Endentscheidung kein Abschöpfungsverfahren mehr statt.

Für eine einschränkende Interpretation des Wortlauts des § 280 IO im Sinne eines bloßen Antrags auf vorzeitige Restschuldbefreiung könnte sprechen, dass in den nach dem Übergangsrecht über Antrag des Schuldners getroffenen Entscheidungen nicht mehr auf eine Quotenerfüllung im Abschöpfungsverfahren Bedacht zu nehmen ist. Daraus könnte weiter abgeleitet werden, dass es auch auf die Erfüllung der rechtskräftig aufgetragenen Ergänzungszahlungen nicht mehr ankommt, weil das Verfahren jedenfalls mit Restschuldbefreiung zu beenden wäre.

Dagegen spricht zunächst, dass der Beschluss nach § 213 Abs 3 IO aF auch bereits eine bindende Entscheidung über das Ausmaß der Restschuldbefreiung enthält und lediglich deren Erteilung oder Versagung noch vorbehalten bleibt (8 Ob 57/13k).

Darüber hinaus sieht das IRÄG 2017 grundsätzlich keine Abänderung bereits rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidungen vor. Auch die Übergangsregelung des § 280 IO nF lässt nicht erkennen, dass damit ein Eingriff in die durch den Beschluss nach § 213 Abs 3 IO aF bereits vor dem 1. 11. 2017 rechtskräftig erworbene Rechtsposition jener Gläubiger beabsichtigt war, die noch Ergänzungszahlungen zu erhalten haben und in diesem Umfang auch zur Exekutionsführung berechtigt sind. (Mohr in Konecny/Schubert Insolvenzgesetze § 213 IO Rz 18).

Die Anwendung des § 280 IO nF auf Verfahren wie das hier vorliegende würde auch keine unsachliche Benachteiligung verhindern. Vielmehr wären dadurch in der maßgeblichen Vergleichsgruppe der Schuldner, denen im Übergangszeitraum eine Billigkeitsentscheidung nach § 213 Abs 3 IO gewährt wurde, ausgerechnet jene bevorzugt, die ihren auferlegten Ergänzungsverpflichtungen nicht nachgekommen sind, und diejenigen benachteiligt, die bereits Ergänzungsleistungen erbracht haben.

Es besteht keine mit dem Gesetzeszweck oder einer Gleichbehandlung der Schuldner zu begründende Notwendigkeit, die Übergangsregelung nicht ihrem Wortlaut entsprechend auszulegen, der die nach § 213 Abs 3 IO bereits beendeten Abschöpfungsverfahren vom Anwendungsbereich ausschließt. Es liegt in der Natur jeder Gesetzesänderung, dass Sachverhalte, die vor und nach dem Stichtag ihres Inkrafttretens verwirklicht wurden, einer unterschiedlichen rechtlichen Behandlung unterliegen können. Gemäß § 5 ABGB wirken Gesetze im Zweifel nicht zurück (RIS‑Justiz RS0008745). Vor dem Inkrafttreten eines Gesetzes abschließend verwirklichte Sachverhalte sind daher grundsätzlich nach altem Recht zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0008715, RS0008747). Die Beurteilung anspruchsbegründender Tatbestände, die bereits vollständig verwirklicht sind, hat prinzipiell nach der im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs geltenden Rechtslage zu erfolgen (5 Ob 98/94; 6 Ob 2094/96a; 9 Ob 35/01i). Der Gesetzgeber kann zwar eine ausnahmsweise Rückwirkung anordnen, sie muss sich jedoch aus dem Gesetz selbst ergeben (RIS‑Justiz RS0008713, RS0008694).

4. Dem Rekurs der Gläubigerin war sohin Folge zu geben. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts war der auf die Bestimmungen des IRÄG 2017 gestützte Antrag des Schuldners allerdings nicht unzulässig, sondern unberechtigt, weshalb er abzuweisen war.

5. Die Revisionsrekursbeantwortung des Schuldners war hier zurückzuweisen. Das Rechtsmittelverfahren in Insolvenzsachen ist mit Ausnahme des Eröffnungsverfahrens grundsätzlich einseitig (RIS‑Justiz RS0116129; 8 Ob 5/18w, 8 Ob 6/18t).

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