OGH 8ObA2/18d

OGH8ObA2/18d23.3.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Ingomar Stupar und Mag. Matthias Schachner in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** S*****, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei G***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, wegen 3.984,74 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. November 2017, GZ 7 Ra 78/16v‑22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00002.18D.0323.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

 

Begründung:

Die Beklagte transportiert behandlungsbedürftige Personen, die gar nicht oder schwer gehfähig sind, „von ihrem Wohnsitz zum Facharzt, zum Krankenhaus, vom Facharzt zum Krankenhaus, von Wohnung zu Wohnung und vom Pflegeheim zum Pflegeheim“. Sie setzt dabei handelsübliche Transporter mit einem Gesamtgewicht von maximal 3,5 Tonnen ein, die mit dem Führerschein der Klasse B zu lenken sind und eine spezielle Ausstattung aufweisen (Notfallrucksack, Schaufeltrage, Vakuummatratze, Defibrillator, Absauger, Sauerstoffflaschen). In Bezug auf die Kostenerstattung für die Krankentransporte steht die Beklagte in Vertragsbeziehung zur Steiermärkischen Gebietskrankenkasse.

Alle Mitarbeiter der Beklagten sind ausgebildete Rettungssanitäter. Der Kläger war für die Beklagte im Zeitraum 1. 1. 2015 bis 22. 9. 2015 regelmäßig für zumindest 45 Wochenstunden tätig.

Mit Verordnung des Bundeseinigungsamtes beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 6. 5. 2013 wurde der Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK‑Kollektivvertragsabschluss 2013) zur Satzung erklärt (BGBl II 120/2013).

Der Kläger erhebt mit dem wesentlichen Vorbringen, der gesatzte Kollektivvertrag des Roten Kreuzes sehe eine wöchentliche Normalarbeitszeit von 40 Stunden vor, restliche Arbeitnehmeransprüche.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, hier sei der Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen mit einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 45 Stunden anzuwenden. Der gesatzte Kollektivvertrag des Roten Kreuzes sei unanwendbar, da der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 4. 9. 2013, 2011/08/0230 dem Österreichischen Roten Kreuz die Kollektivvertragsfähigkeit „de facto“ aberkannt habe, sodass die Verordnung des Bundeseinigungsamtes „rechtswidrig und ungültig“ sei.

Das Erstgericht erachtete den gesatzten Kollektivvertrag des Roten Kreuzes für anwendbar und gab der Klage statt.

Der Verfassungsgerichtshof wies mit Erkenntnis vom 25. 9. 2017, V 70/2016, einen nach Vorliegen des Ersturteils von der Beklagten gestellten Antrag nach Art 139 Abs 1 Z 4 B‑VG, er möge die mit BGBl II 2013/120 kundgemachte Verordnung des Bundeseinigungsamtes, mit der der Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK‑Kollektivvertragsabschluss 2013) zur Satzung erklärt wird, zur Gänze als verfassungswidrig aufheben, ab.

Das Berufungsgericht bestätigte hierauf mit der angefochtenen Entscheidung das Ersturteil.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Revisionswerberin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. 

Satzungen gehen als „Surrogate zum Kollektivvertrag“ einem kraft Mitgliedschaft anzuwendenden Kollektivvertrag nach. Entscheidend ist daher, ob es einen „vorrangigen Kollektivvertrag“ gibt, der auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden wäre (9 ObA 70/11a; 9 ObA 8/13m [in Punkt III.1.] = DRdA 2013/54 [ Friedrich ] = RIS‑Justiz

RS0111618 [T5]).

2. Wieviel die Beklagte von der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse ersetzt bekommt, ob sie ein anerkannter Rettungsdienst im Sinne des Steiermärkischen Rettungsdienstgesetzes ist, ob sie einen Rettungsbeitrag im Sinne dieses Gesetzes erhält, ob ihre Transporte „nichts mit Eile, Blaulicht und Folgetonhorn“ zu tun haben und ob ihr Notärzte zur Verfügung stehen, ist für die Frage der Anwendbarkeit des Kollektivvertrags für das Personenbeförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen auf die durchgeführten Transporte ohne Belang. Jedenfalls transportiert die Beklagte ausschließlich gebrechliche oder kranke Personen unter Einsatz von Fahrzeugen mit spezieller medizinischer oder pflegerischer Ausstattung, wobei alle Mitarbeiter der Beklagten ihrer Ausbildung nach Rettungssanitäter sind. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in 9 ObA 8/13m festgehalten, dass eine solche, auf gesundheitliche Rettungsmaßnahmen abgestellte Ausrichtung der erbrachten Leistung die wesentliche Prägung gibt und dies dafür spricht, dass die – auch hier vorliegenden – Rettungs- und Krankentransporte nicht im Begriff des Mietwagengewerbes im Sinne des Kollektivvertrags für das Personenbeförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen erfasst sind. Unter einem hielt der Oberste Gerichtshof damals fest, dass ebenso eine Erfassung unter den Begriff des Taxigewerbes ausscheidet, weil – wie auch hier – die Fahrzeuge nicht zu jedermanns Gebrauch bereit gehalten werden, sondern die Krankentransporte – wie auch hier – im Rahmen einer Vereinbarung eines Verrechnungsvertrags mit der Sozialversicherung erfolgen. Der Oberste Gerichtshof kam in 9 ObA 8/13m zum Ergebnis, dass der genannte Kollektivvertrag schon nach seiner eigenen Definition seines fachlichen Anwendungsbereichs auf derartige Transporte unanwendbar ist (siehe Punkte III.4.2.1 bis III.5. der Entscheidung und RIS‑Justiz RS0128940). Diese Rechtsprechung wurde in 9 ObA 91/13t fortgeführt (Punkt I. der Entscheidung).

Nach gesicherter Rechtsprechung ist damit der Kollektivvertrag für das Personenbeförderungsgewerbe mit Personenkraftwagen auf Transporte, wie sie die Beklagte durchführt, nicht anwendbar.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom 4. 9. 2013, 2011/08/0230 = DRdA 2014/27 (Felten) = ZAS 2014/13 (Tomandl) dem Österreichischen Roten Kreuz die Kollektivvertragsfähigkeit gemäß § 5 Abs 3 ArbVG nicht aberkannt. Der Verwaltungsgerichtshof behob allein einen Bescheid, mit dem ein Antrag auf eine solche Aberkennung abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts (worauf auch der von der Beklagten angerufene Verfassungsgerichtshof in Punkt 2.4.5.3 seines Erkenntnisses ausdrücklich hinwies). Weil in der Folge abermals ein abweisender Bescheid erging, der sodann in Rechtskraft erwuchs (siehe erneut in Punkt 2.4.5.3 des VfGH‑Erkenntnisses), ist es letzten Endes auch unrichtig, dass der Verwaltungsgerichtshof dem Roten Kreuz „de facto“ die Kollektivvertragsfähigkeit aberkannt hätte. Von dieser Sachlage ausgehend wies der von der Beklagten in diesem Verfahren mittels eines Parteiantrags auf Normenkontrolle angerufene Verfassungsgerichtshof den Antrag, die in BGBl II 2013/120 kundgemachte Verordnung des Bundeseinigungsamtes zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben, mit der Begründung ab, die Bedenken der Beklagten beruhten auf der nicht zutreffenden Prämisse, das Österreichische Rote Kreuz habe seine Kollektivvertragsfähigkeit durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs 2011/08/0230 „de facto“ verloren (Punkt 2.5 des Erkenntnisses).

Die Vorinstanzen gingen damit zu Recht von dem gesatzten Kollektivvertrag des Österreichischen Roten Kreuzes aus.

4. Die Frage, ob auch ohne Aufhebung der Verordnung BGBl II 2013/120 durch den Verfassungsgerichtshof allein dadurch, dass dem Österreichischen Roten Kreuz die Kollektivvertragsfähigkeit vom Bundeseinigungsamt mittels Bescheids aberkannt wird, die Satzung des Kollektivvertrags ihre Geltung verliert (vgl insb Friedrich , ASoK 2013, 460 f), stellt sich nicht, weil kein solcher Bescheid vorliegt.

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