OGH 4Ob126/17h

OGH4Ob126/17h27.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. S***** R*****, geboren am ***** 2001, 2. K***** R*****, geboren am ***** 2006, vertreten durch das Land Steiermark als Kinder- und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Leibnitz, Leibnitz, Kadagasse 12), wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Mutter Melitta W*****, vertreten durch Dr. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwalt in Baden, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 5. April 2017, GZ 2 R 67/17p‑32, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leibnitz vom 8. Februar 2017, GZ 1 Pu 89/16t-28, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00126.17H.0727.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die Eltern der Minderjährigen sind geschieden, die Kinder werden im Haushalt des Vaters versorgt und betreut. Die Mutter lebt bei ihrem pflegebedürftigen (zweiten) Ehemann, der eine durchschnittliche monatliche Pension von rund 2.500 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen sowie ab 1. 10. 2015 Pflegegeld der Stufe 3 von monatlich 442,90 EUR (Anm: ab 1. 1. 2016: 451,80 EUR) bezieht. Die Mutter ist nicht erwerbstätig und erhält auch keine Unterstützung des Arbeitsmarktservices. Unter Hinweis auf den von ihr getätigten wöchentlichen Pflegeaufwand von mindestens 30 Stunden erachtet sie ihre Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt in den handelsüblichen Zeiten als nicht gegeben.

Die durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger vertretenen Minderjährigen stellten den Antrag, die Mutter ab 1. 6. 2016 zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 200 EUR (S*****) bzw 180 EUR (K*****) zu verpflichten. Die Mutter könne im Monat zumindest 1.000 EUR verdienen. Dem hielt die Mutter entgegen, dass es ihr nicht möglich sei, einer Vollbeschäftigung nachzugehen, weil sie ihren krebskranken Ehemann pflege. Das entsprechende Pflegegeld werde direkt an den Ehemann ausgezahlt. Die Kinder replizierten, dass die Mutter auch bei Berücksichtigung des ihr gegenüber ihrem Gatten bestehenden Unterhaltsanspruchs zuzüglich des Pflegegeldes in der Lage sei, die begehrten Beträge zu zahlen.

Die Vorinstanzen setzten die Unterhaltsverpflichtung der Mutter antragsgemäß fest. Das Erstgericht legte der Unterhaltsbemessung ein „durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen“ der Mutter von rund 1.268 EUR zugrunde (33 % der Pension ihres Ehemanns zusätzlich Pflegegeld). Das Rekursgericht erachtete das Pflegegeld als Eigeneinkommen der Mutter. Dieses sei unterhaltsrechtlich als eigenes Einkommen zu werten, auch wenn keine rechtserhebliche Absprache vorliege, weil ihr Einsatz als Pflegekraft für ihren Ehegatten offensichtlich auf Dauer angelegt sei. Der für die Bemessungsgrundlage bezüglich der Ansprüche der Kinder neben dem Eigeneinkommen auch maßgebliche Ehegattenunterhalt der Mutter bestimme sich allerdings mit 40 % des Nettofamilieneinkommens (Pension samt Pflegegeld), wovon das der Mutter als Eigeneinkommen anzurechnende Pflegegeld abzurechnen sei. Die begehrten Beträge fänden in der entsprechenden Bemessungsgrundlage von 1.177,16 EUR Deckung. Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob sich ein Unterhaltsberechtigter das Pflegegeld des von ihm gepflegten Angehörigen als Einkommen anrechnen lassen muss.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Mutter ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Das Rechtsmittel argumentiert ausschließlich mit jener Rechtsprechung, wonach das Pflegegeld in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht einzuziehen sei, weil damit der Sonderbedarf an krankheitsbedingtem Personalaufwand abgegolten sei.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits kurz nach Einführung des Pflegegeldes durch das BPGG klargestellt, dass das Pflegegeld – wie früher schon der Hilflosenzuschuss (3 Ob 540/91) – ausschließlich der pauschalierten Abgeltung des Sonderbedarfs pflegebedürftiger Personen dient, weshalb es insoweit bei der Unterhaltsbemessung zur Gänze außer Betracht zu bleiben hat (6 Ob 635/93), woran in ständiger Rechtsprechung festgehalten wurde (zB 6 Ob 591/95; 7 Ob 316/98s; 5 Ob 10/99b; 1 Ob 357/99b; 3 Ob 225/15g uva; RIS-Justiz RS0013251).

Dieser Judikatur liegt die Wertung zugrunde, dass das Pflegegeld gerade und nur dazu dient, den krankheitsbedingten Mehraufwand des Pflegebefohlenen, nicht aber dessen allgemeine Bedürfnisse abzugelten. Zur Vermeidung einer Pflegelücke muss es einem Unterhaltsberechtigten daher verwehrt sein, auf das Pflegegeld zu greifen.

Anders ist die Rechtslage allerdings dann zu beurteilen, wenn der Unterhaltsanspruch bzw die -pflicht jener Person zu beurteilen ist, die im Familienverband Pflegeleistungen für einen pflegebedürftigen Angehörigen erbringt. In einer solchen Situation erspart sich die zu pflegende Person die Beschäftigung einer externen Pflegerin. Bereits in der Entscheidung 10 ObS 121/07b hat der Oberste Gerichtshof die Rechtsmeinung vertreten, dass das vom pflegebedürftigen Angehörigen bezogene Pflegegeld bei der Unterhaltsbemessung als fiktives Eigeneinkommen der unterhaltsberechtigten Person anzurechnen ist, wenn diese im Familienverband Pflegeleistungen für den Angehörigen erbringt und das Pflegegeld nicht zur Abdeckung notwendiger Fremdleistungen in Anspruch genommen wird.

Entsprechendes wurde bei pflegenden Angehörigen bereits zum Hilflosenzuschuss vertreten (vgl 3 Ob 540/91: „Wenn aber der Hilflose den Hilflosenzuschuss einem Dritten als Entschädigung für dessen Pflegeleistungen zuwendet, dann kann diese Zuwendung zu einem Einkommen dieses Dritten werden.“).

Daran ist auch im hier zu beurteilenden Fall anzuknüpfen. Die für den Kindesunterhalt heranzuziehende Unterhaltsbemessungsgrundlage hat sich daher nicht nur auf den der Mutter zustehenden Anteil bezüglich der Pension ihres Ehegatten zu beschränken. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass hier auch dessen Pflegegeld (zur Gänze) zu berücksichtigen ist. Das Rekursgericht hat auch zutreffend damit argumentiert, dass es nicht zu Lasten der Kinder gehen kann, wenn es der Mutter wegen der von ihr erbrachten Pflegeleistungen nicht möglich ist, einer Arbeitstätigkeit nachzugehen. Die im Rechtsmittel zitierte Rechtsprechung hat gerade die hier vorliegende Situation, dass ein Unterhaltspflichtiger einen Angehörigen pflegt und deshalb nicht anderweitig erwerbstätig ist, nicht vor Augen.

Es kann dahinstehen, ob die vom Erstgericht gewählte rechnerische Methode (ausgehend von der 33%-Berechnung) oder jene des Rekursgerichts (unter Berücksichtigung der 40 %-Regel), zutrifft. Die geltend gemachten Ansprüche finden jedenfalls auch in der niedrigeren Bemessungsgrundlage Deckung, von der das Rekursgericht ausgegangen ist.

Aufgrund der zutreffenden Rechtsansicht im angefochtenen Beschluss war dem Rechtsmittel daher nicht Folge zu geben.

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