OGH 6Ob112/17i

OGH6Ob112/17i7.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz-Schreiner, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 26. April 2017, GZ 1 R 105/17v‑25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00112.17I.0707.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision zeigt eine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht auf.

1. Eine unheilbare Ehezerrüttung ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und damit die Grundlage der Ehe objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (RIS‑Justiz RS0056832 [T1]). Ob eine Ehe unheilbar zerrüttet ist, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen und eine Rechtsfrage, die Frage, ob ein Ehegatte die Ehe subjektiv als unheilbar zerrüttet ansieht, gehört hingegen zum Tatsachenbereich (RIS‑Justiz RS0043432 [T4]; RS0043423 [T10]).

Ob eine derartige Feststellung hinreichend deutlich getroffen wurde, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0118891). Nur wenn die

Auslegung der erstrichterlichen

Feststellungen durch die zweite Instanz eine unvertretbare Fehlbeurteilung darstellt, ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Korrektur zulässig (RIS‑Justiz RS0118891 [T5]).

Eine solche Fehlbeurteilung zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Das Erstgericht stellte fest, dass sich der Kläger im März 2014 „ob der für ihn untragbar gewordenen Lebensweise der Ehegatten“ entschloss, der Beklagten seinen Trennungswunsch mitzuteilen. In der Beweiswürdigung hielt es fest, der Kläger habe damit „unmissverständlich seinen Trennungswillen zum Ausdruck gebracht“. Damit hat das Erstgericht hinreichend deutlich die subjektive Zerrüttung der Ehe seitens des Klägers mit März 2014 festgestellt, wovon die Revisionswerberin ohnedies selbst ausgeht. Ein Rechtsfehler mangels Feststellungen liegt daher nicht vor.

2. Die Verschuldenszumessung bei der Scheidung erfolgt nach den Umständen des Einzelfalls und kann in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage begründen (RIS-Justiz RS0119414, RS0118125 [T1]), sofern keine krasse Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz vorliegt (RIS-Justiz RS0119414 [T1]). Die Gewichtung einzelner Eheverfehlungen hängt nicht von ihrem rein zahlenmäßigen Überwiegen ab (RIS-Justiz RS0056171 [T8]). Maßgeblich ist vielmehr das Gesamtverhalten und die besonderen Umstände des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0056171 [T6]), wozu insbesondere das Gewicht der Eheverfehlungen, ihre Reihenfolge und ihr Beitrag zur Ehezerrüttung in die Beurteilung miteinzubeziehen sind (RIS-Justiz RS0057223 [T2]; RS0056751). Bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sind alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen (RIS-Justiz RS0057303). Ein überwiegendes Verschulden ist nur dann auszusprechen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RIS-Justiz RS0057821; RS0057057), also das mindere Verschulden des einen Teils im Rahmen des maßgeblichen Gesamtverhaltens beider Ehegatten in seinem Zusammenhang fast völlig in den Hintergrund tritt (RIS-Justiz RS0057858 [T11]).

Es entspricht der Rechtsprechung, dass die übermäßige Hinwendung eines Ehegatten zu seinem Beruf eine schwere Eheverfehlung bilden kann (RIS-Justiz RS0123640). Die zum Wesen der Ehe gehörende Gemeinsamkeit der Lebensführung beschränkt sich keineswegs auf eine rein räumliche Gemeinsamkeit, sie erfordert auch ein geistig‑seelisches Miteinanderleben (RIS‑Justiz RS0056053 [T2]; 1 Ob 218/99m). Die Ehegatten sind daher verpflichtet, bei der Gestaltung der gemeinsamen Freizeit Kompromisse einzugehen (9 Ob 33/03y; vgl auch RIS-Justiz RS0056144).

Im vorliegenden Fall haben die Parteien vereinbart, dass die Beklagte zu Hause bleiben und sich um die Erziehung der gemeinsamen Kinder kümmern solle, während der Kläger aufgrund seines höheren Einkommens berufstätig blieb. Das Erstgericht stellte fest, dass die Beklagte wegen der übermäßigen Hinwendung zu den Kindern kein Interesse mehr am Kläger zeigte und es ablehnte, mit ihm gemeinsamen Aktivitäten nachzugehen. Dass für die übermäßige Hinwendung – etwa aufgrund spezieller Erfordernisse (vgl RIS-Justiz RS0056053[T8]) – eine zwingende Notwendigkeit bestand, wurde weder festgestellt noch behauptet.

Auch wenn der Beklagten das heimliche Kopieren von Einkommensunterlagen des Klägers nicht als schwere Eheverfehlung anzulasten wäre, weil die Zerrüttung bereits vorher eingetreten ist, wäre die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass nach den Umständen des Falls weder der Unterschied der Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt noch das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt, jedenfalls vertretbar. Die Entscheidung hängt daher davon nicht konkret ab und die Zulässigkeit der Revision kann darauf nicht gestützt werden (vgl 4 Ob 37/17w).

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