OGH 6Ob89/17g

OGH6Ob89/17g7.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragsteller 1. T***** M*****, geboren ***** 1997, 2. S***** M*****, geboren am ***** 1999, beide *****, vertreten durch Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Antragsgegner Dr. C***** M*****, vertreten durch Dr. Maria In der Maur-Koenne, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Februar 2017, GZ 45 R 559/16p‑193, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 18. Juli 2016, GZ 2 Pu 52/11w-177, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00089.17G.0707.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner ist schuldig, den Antragstellern die mit 1.379,02 EUR (darin 229,84 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Ermittlung der Bemessungsgrundlage eines selbstständig erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen bei Geltendmachung rückständigen Sonderunterhalts und zur (verneinten) notwendigen Qualifikation eines Auslandsschuljahrs in den USA als Sonderbedarf.

Beide Fragen sind jedoch im Ergebnis für die Entscheidung über den Revisionsrekurs des Antragsgegners nicht entscheidungsrelevant. Der Sonderbedarf für das Auslandsschuljahr wurde ohnehin abgewiesen; die vom Antragsgegner angestrebte Ermittlung der Bemessungsgrundlage ändert am Ergebnis nichts (RIS-Justiz RS0088931).

1. Die Vorinstanzen haben ihrer Beurteilung der Sonderunterhaltsbegehren der Antragsteller übereinstimmend eine Unterhaltsbemessungsgrundlage zugrunde gelegt, welche sie den Ausführungen der im Verfahren erster Instanz beigezogenen Sachverständigen in deren Ergänzungsgutachten ON 168 entnahmen. Die Sachverständige hatte für die Jahre 2011, 2012 und 2013 – dies sind jene Jahre, für welche die Sonderunterhaltsansprüche geltend gemacht werden – Nettomonatseinkommen des Antragsgegners von 37.164 EUR, -9.911 EUR und 778 EUR ermittelt (Tz 18 des Ergänzungsgutachtens), woraus die Vorinstanzen ein durchschnittliches Monatseinkommen für die genannten Jahre in Höhe von 9.344 EUR errechneten. Dieses setzte sich aus Einkünften aus unselbstständiger sowie selbstständiger Erwerbstätigkeit und aus „sonstige[n] Einkünften“ zusammen (Tz 11 und 12 des Ergänzungsgutachtens).

1.1. Dem Antragsgegner ist zuzugestehen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bei Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage selbstständig erwerbstätiger Unterhaltspflichtiger zwar das Durchschnittseinkommen aus den letzten drei, der Beschlussfassung vorangehenden Wirtschaftsjahren festzustellen ist, um die Unterhaltsbemessungsgrundlage verzerrende Einkommensschwankungen, die auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zurückzuführen sind, auszuschalten (vgl die Nachweise bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht³ [2015] Rz 200/1; RIS-Justiz RS0053251) – wobei nicht erkennbar wäre, warum dies im Regelfall bei gemischten Einkünften aus unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit anders sein sollte –, dass diese Vorgehensweise aber nur bei einem Zuspruch von Unterhalt für die Zukunft iSd § 406 Satz 2 ZPO Anwendung zu finden hat. Muss hingegen für konkrete vergangene Zeitabschnitte Unterhalt festgesetzt werden, dann ist die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen genau für diese Unterhaltsperioden zu ermitteln (vgl die Nachweise bei Gitschthaler aaO Rz 203/1 und 2; RIS-Justiz RS0053251 [T3]); maßgebend ist dabei der „jeweilige Zeitraum“ (4 Ob 94/99y; 4 Ob 102/99z; 1 Ob 156/06g), worunter regelmäßig das konkrete Kalenderjahr zu verstehen ist (vgl 3 Ob 144/99v; 7 Ob 30/12f iFamZ 2012/121 [Steiner]). Dies gilt auch für den Zuspruch eines für die Vergangenheit geltend gemachten Sonderunterhaltsbegehrens, weil auch in diesem Zusammenhang die konkrete wirtschaftliche Situation des Unterhaltspflichtigen im maßgeblichen Kalenderjahr zu beachten ist.

1.2. Für den Antragsgegner ist daraus jedoch nichts zu gewinnen: Das gegenüber den Jahren 2012 und 2013 von der Sachverständigen ermittelte weitaus höhere Monatseinkommen des Antragsgegners im Jahr 2011 resultierte aus der Veräußerung mehrerer Wohnungen, deren (Netto‑)Erlös die Sachverständige dem Einkommen des Antragsgegners hinzurechnete (Tz 11, 12 und 18 des Ergänzungsgutachtens). Diese Vorgehensweise würde zwar der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs widersprechen, wonach Verkaufserlöse der Unterhaltsbemessungsgrundlage grundsätzlich nicht hinzuzurechnen sind, weil es sich dabei lediglich um Vermögensumschichtungen handelt (1 Ob 98/03y; 1 Ob 14/04x; 4 Ob 236/14f; 3 Ob 96/15m EF-Z 2016/120 [Dummer] = iFamZ 2015/190 [Deixler-Hübner] = PSR 2015/34 [Burger-Scheidlin]; 7 Ob 186/16b EF‑Z 2017/36). Der Antragsgegner hat sich im Revisionsrekursverfahren jedoch ausdrücklich darauf berufen, er habe „die hohen Einnahmen des Jahres 2011 in den Jahren 2012 und 2013 zum Lebensaufwand verwendet“ und sie nicht bereits im Jahr 2011 zur Gänze aufgebraucht. Greift aber der Unterhaltspflichtige die Substanz seines Vermögens an, um damit die Kosten der von ihm gewählten Lebensführung zu decken, dann kann dieses Maß der Inanspruchnahme auch als Grundlage für die Bemessung von Unterhaltsansprüchen dienen (vgl die Nachweise bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht³ Rz 501/1; 1 Ob 156/06g); der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst in diesem Zusammenhang betont, dass dies (insbesondere) dann gilt, wenn den für die Lebensführung verwendeten Beträgen jeweils (zusätzliche) Einkommensfunktion für zuordenbare Perioden zukam (3 Ob 172/16i und 9 Ob 71/16f EF-Z 2017/55 [Gitschthaler]). Damit begegnet die Vorgehensweise der Vorinstanzen, das durchschnittliche „Einkommen“ des Antragsgegners für jenen Zeitraum unter Miteinbeziehung des Nettoverkaufserlöses zu ermitteln, in welchem der Antragsgegner den Erlös zur Lebensführung verwendete und die verfahrensgegenständlichen Sonderunterhaltsansprüche der Antragsteller entstanden, bei der hier vorliegenden Konstellation keinen Bedenken.

1.3. Dass die vom Antragsgegner im Zeitraum 2011 bis 2013 beschlussmäßig festgelegten und von ihm geleisteten Regelunterhaltszahlungen bei Zugrundelegung einer Unterhaltsbemessungsgrundlage von 9.344 EUR deutlich über dem sogenannten Unterhaltsstopp (dazu Gitschthaler, Unterhaltsrecht³ Rz 558 ff) lagen und damit die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners nicht voll ausgeschöpft war, bestreitet dieser im Revisionsrekursverfahren ebenso wenig wie die Annahme, dass die vom Rekursgericht zur Zahlung auferlegten Sonderunterhaltsansprüche von der Leistungsfähigkeit des Antragsgegners erfasst waren. Erhalten die Unterhaltsberechtigten lediglich deshalb nicht Unterhaltsbeiträge entsprechend der vollen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, weil dieser schon den Unterhaltsstopp erreicht hat, muss der Sonderbedarf zusätzlich zugesprochen werden (stRsp seit 2 Ob 89/03g; vgl die Nachweise bei Gitschthaler aaO Rz 614/2); die Überlegungen des Antragsgegners in seinem Revisionsrekurs zur sogenannten „Differenzjudikatur“ (dazu Gitschthaler aaO Rz 611 ff) gehen zu Unrecht von der Prämisse einer Leistung von gedeckeltem Regelunterhalt in den Jahren 2011 bis 2013 aus.

2. Der Antragsgegner wendet sich auch inhaltlich gegen den Zuspruch einzelner Sonderunterhaltsbegehren durch das Rekursgericht; er moniert dabei, die für die Antragsteller angekauften Laptops seien „zu teuer“ und nicht notwendig gewesen, die Zahnbehandlungen hätten „günstiger“ erfolgen können, ihre medizinische Indikation sei nicht nachgewiesen und es hätte auch „deutlich günstigere“ Englischsprachkurse in den Ferien in Wien (anstelle eines Auslandsaufenthalts in England) gegeben. Auch in diesem Zusammenhang ist jedoch die Entscheidung des Rekursgerichts durchaus vertretbar:

Zwar sind bei der Beurteilung, ob überhaupt ein Sonderbedarf vorliegt, die konkreten Lebensverhältnisse der Eltern zunächst nicht zu berücksichtigen (4 Ob 242/16s mwN). Es entspricht aber ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Frage, ob Sonderbedarf zu decken ist, auch davon abhängt, ob der Sonderbedarf dem Unterhaltspflichtigen angesichts dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse zumutbar ist (RIS-Justiz RS0107179) und ob in einer intakten Familie unter Berücksichtigung der konkreten Einkommens- und Vermögenssituation der gesamten Familie eine Deckung dieses konkreten Sonderbedarfs unter objektiven Gesichtspunkten in Betracht gezogen würde (RIS-Justiz RS0107182). Im vorliegenden Fall besteht im Revisionsrekursverfahren Übereinstimmung, dass die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners in den Jahren 2011 bis 2013 gegenüber beiden Antragstellern jeweils 16 % der maßgeblichen Bemessungsgrundlage betragen hätte, somit rund 1.500 EUR, womit sich gegenüber den gedeckelten Regelunterhaltsleistungen eine Minderzahlung von jedenfalls rund 600 EUR je Antragsteller ergab. Dem steht gegenüber, dass das Rekursgericht dem Erstantragsteller Sonderunterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 6.265,13 EUR und dem Zweitantragsteller solche in Höhe von 9.001,30 EUR zuerkannte, also monatlich 174,03 EUR bzw 250,04 EUR unter Zugrundelegung des gesamten Sonderunterhaltszeitraums von drei Jahren. Da somit der Antragsgegner über ein weit überdurchschnittliches Einkommen verfügt(e) und darüber hinaus seine Leistungsfähigkeit bei Weitem nicht ausgeschöpft war, kann unter Heranziehung des Vergleichsmaßstabs einer intakten Familie zwanglos davon ausgegangen werden, dass die Sonderunterhaltsbedürfnisse der Antragsteller in einer solchen gedeckt worden wären. Ob der Unterhaltspflichtige nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in der Lage ist, einen bestimmten Sonderbedarf mitzufinanzieren, lässt sich aber ohnehin nur durch eine in ihrer Bedeutung über den vorliegenden Einzelfall nicht hinausreichende Ermessensentscheidung klären (1 Ob 2015/96x; 1 Ob 2383/96i; 7 Ob 187/05h; 7 Ob 163/09k).

3. Die Vorinstanzen wiesen den Antrag des Antragsgegners, dessen Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Zweitantragsteller für den Zeitraum 1. 9. 2014 bis 30. 6. 2015 von 900 EUR auf 540 EUR monatlich herabzusetzen, ab. Dieser habe zwar in der genannten Zeit sein Auslandsschuljahr in den USA absolviert, nach Auffassung des Erstgerichts habe aber die Mutter eine „Fernbetreuung“ geleistet und das Kinderzimmer in ihrer Wohnung bereitgestellt; das Rekursgericht führte aus, infolge Abweisung des Sonderunterhaltsbegehrens betreffend die Kosten für dieses Auslandsschuljahr seien diese aus dem laufenden Unterhalt zu begleichen gewesen. Letzterem hält der Antragsgegner in seinem Revisionsrekurs lediglich entgegen, der Herabsetzungsantrag habe sich auf die geringere Betreuung des Zweitantragstellers durch dessen Mutter bezogen, die Argumentation des Rekursgerichts führe dazu, dass er die an sich nicht zu ersetzenden Kosten des Auslandsschuljahrs „über die Hintertür“ bezahlen müsste; eine Teilbetreuungsleistung durch die Mutter habe er ohnehin anerkannt, indem er nicht eine gänzliche Unterhaltsenthebung angestrebt habe.

Diese Argumentation ist nicht schlüssig, geht sie doch offenbar von der Vorstellung aus, dass der geldunterhaltspflichtige den anderen Elternteil für die Erbringung von Betreuungsleistungen bezahlt; tatsächlich handelt es sich aber um einen Anspruch des Kindes. Versteht man die Überlegungen des Antragsgegners dahin, der Zweitantragsteller sei in den USA von keinem Elternteil betreut worden, habe sich also in sogenannter Eigenpflege befunden, dann wären die Eltern verpflichtet gewesen, dessen tatsächlichen Gesamtunterhaltsbedarf im Verhältnis ihrer Einkommen zu decken (dazu Gitschthaler, Unterhaltsrecht³ Rz 53 ff). Der Antragsgegner gesteht in seinem Revisionsrekurs für das Jahr 2014 eine Bemessungsgrundlage von rund 6.000 EUR zu, die Mutter verfügte nach den Feststellungen über eine solche von rund 2.600 EUR; hievon ist nach der Vorabzugsmethode (Gitschthaler aaO Rz 55) jeweils das Unterhaltsexistenzminimum abzuziehen. Damit hätte der Antragsgegner den Unterhaltsbedarf des Zweitantragstellers zu rund 75 % zu decken gehabt, wobei zwanglos davon ausgegangen werden kann, dass der Gesamtunterhaltsbedarf des Zweitantragstellers in den USA bereits damals bei etwa 1.200 EUR monatlich lag; allein der doppelte Durchschnittsbedarfssatz, der bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen als Richtwert für den Gesamtunterhaltsbedarf eines in Eigenpflege lebenden Kindes herangezogen wird (vgl die Nachweise bei Gitschthaler aaO Rz 59/1), betrug damals knapp 900 EUR, wobei im vorliegenden Fall keinesfalls durchschnittliche, sondern deutlich überdurchschnittliche Lebensverhältnisse anzunehmen wären. Eine Unterhaltsherabsetzung für die Zeit des USA-Aufenthalts des Zweitantragstellers haben die Vorinstanzen somit im Ergebnis zutreffend abgelehnt.

4. Zuletzt wehrt sich der Antragsgegner in seinem Revisionsrekurs noch gegen die von den Vorinstanzen vorgenommene Verzinsung der Sonderunterhaltszusprüche ab jeweiliger Fälligkeit, also Anfall der Ansprüche. Er übersieht dabei aber, dass er in diesem Punkt in seinem Rekurs lediglich ausführte, „aus anwaltlicher Vorsicht [weise er] noch darauf hin, dass Zinsen jedenfalls erst ab Antragstellung, sohin frühestens ab 6. 11. 2015 (Einlangen der beiden Anträge auf zusätzlich 4 % Zinsen bei Gericht) zustehen würden“. Eine nähere Begründung enthält der Rekurs hierzu nicht, weshalb der Antragsgegner eine solche im Revisionsrekurs nicht mehr nachholen kann.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 78, 101 AußStrG. Die Antragsteller haben in der Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

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