European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:E118242
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Das durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger vertretene Kind beantragte am 22. 9. 2016 die Festsetzung eines monatlichen Unterhalts von 180 EUR ab 1. 7. 2016 sowie eines vorläufigen Unterhalts (§ 382a EO) von 119,60 EUR ab 1. 10. 2016. Der Vater (Unterhaltsschuldner) beziehe Rehabilitationsgeld und habe bisher keinen ausreichenden Unterhalt geleistet. Ein vollstreckbarer Unterhaltstitel bestehe nicht.
Der Vater wurde mit unbekämpft gebliebener, am 30. 9. 2016 zugestellter einstweiliger Verfügung vom 26. 9. 2016 ab 1. 10. 2016 zur Leistung eines vorläufigen Unterhalts von 119,60 EUR verpflichtet. Mit Beschluss vom 25. 10. 2016 wurde seine Unterhaltsverpflichtung ab 1. 7. 2016 mit 180 EUR festgesetzt. Die einstweilige Verfügung wurde mit Rechtskraft und Vollstreckbarkeit dieses Beschlusses aufgehoben. Dieser Beschluss wurde dem Vater und dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger am 31. 10. 2016 zugestellt und blieb ebenfalls unbekämpft.
Am 25. 11. 2016 beantragte das Kind aufgrund der einstweiligen Verfügung vom 26. 9. 2016 die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 119,60 EUR monatlich. Einige Tage später, noch im November 2016 beantragte es die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach dem nunmehr in Rechtskraft erwachsenen Unterhaltsbeschluss vom 25. 10. 2016.
Mit Beschluss vom 29. 11. 2016 gewährte das Erstgericht dem Kind von 1. 11. 2016 bis 31. 10. 2021 Unterhaltsvorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1 UVG von 180 EUR monatlich.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss sei nach ungenütztem Ablauf der 14‑tägigen Rechtsmittelfrist am 15. 11. 2016 rechtskräftig und vollstreckbar geworden. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz (29. 11. 2016) habe der Unterhaltsschuldner den laufenden Unterhalt nach Eintritt der Vollstreckbarkeit deshalb nicht vollständig geleistet, weil er bereits mit der Zahlung des einstweiligen Unterhalts laut der am 30. 9. 2016 vollstreckbaren einstweiligen Verfügung in Verzug gewesen sei. Der Oberste Gerichtshof fordere nach der Erhöhung eines Unterhaltsbetrags für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen auf Basis des neuen Titels keinen neuerlichen Verzug des Unterhaltsschuldners, wenn dieser die schon bisher festgesetzten geringeren Unterhaltsbeträge nicht vollständig und termingerecht geleistet habe.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer derartigen Fallkonstellation zu.
Rechtliche Beurteilung
Der – vom Kind beantwortete – Revisionsrekurs des Bundes ist zur Klarstellung zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
1. Die Vorschussgewährung setzt nach § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 voraus, dass der Unterhaltsschuldner „nach Eintritt der Vollstreckbarkeit“ den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet (RIS‑Justiz RS0126137). Dies gilt auch für die Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG (RIS‑Justiz RS0126138).
2. Der dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgende Fälligkeitstermin muss daher erfolglos verstrichen sein, damit ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach § 3 Z 2, § 4 Z 1 UVG entsteht (10 Ob 79/10f; 10 Ob 6/11x; Neumayr in Schwimann/Kodek I4 § 3 UVG Rz 25, § 4 UVG Rz 1). Das unterstreicht den Charakter der Vorschussleistung als Substitut für fehlende laufende Unterhaltsleistungen (10 Ob 39/10y; 10 Ob 50/16z ua). Rückstände sind einer Bevorschussung nach dem UVG hingegen nicht zugänglich (RIS‑Justiz RS0126137).
3. Geldunterhaltsansprüche sind nach § 1418 Satz 2 ABGB bereits am Monatsersten im Vorhinein fällig (10 Ob 50/16z mwN). Entscheidend ist somit, ob der Unterhalsschuldner am Ersten des Folgemonats nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels den laufenden monatlichen Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze leistet.
4. Nach der bereits vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 10 Ob 11/12h (RIS‑Justiz RS0127737; RS0126138 [T2]; RS0126137 [T1]) können Titelvorschüsse (§§ 3, 4 Z 1 UVG) nach Erhöhung des Unterhaltstitels (dort: Vergleich) auf Basis der gesamten neuen Titelhöhe auch für den Monat begehrt werden, in welchem die Vollstreckbarkeit der Erhöhung erst eintritt, wenn der Unterhaltsschuldner schon mit dem bisher festgesetzten Unterhalt im Rückstand war. Der Oberste Gerichtshof verwies dabei auf die mit § 19 Abs 2 UVG eingeräumte Möglichkeit, Vorschüsse auch ohne einen neuerlichen Verzug des Unterhaltsschuldners hinsichtlich des Erhöhungsbetrags zu erhöhen. Die dem Unterhaltsschuldner einzuräumende Chance, nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Titels den laufenden Unterhalt „freiwillig“ zu zahlen, dürfe nicht zu Lasten des Unterhaltsberechtigten gehen, wenn dieser aus verfahrensökonomischen Erwägungen erst mit dem erhöhten Titel die Vorschussgewährung beantrage. Der gegenteiligen, formalistischen Ansicht des Bundes, Vorschüsse könnten erst dann gewährt werden, wenn der bereits mit der Zahlung der bisherigen Unterhaltsleistung säumige Unterhaltsschuldner auch einen erhöhten Unterhalt nicht vollständig und termingerecht geleistet habe, könne daher nicht gefolgt werden.
5. Diese Kriterien gelten unabhängig von der Art des vorangegangenen Unterhaltstitels (Vergleich, Beschluss oder – wie hier – einstweilige Verfügung nach § 382a EO), wenn auf dessen Basis Titelvorschüsse gewährt werden können. Zufolge § 19 Abs 3 UVG sind nämlich Unterhaltsvorschüsse nach Erhöhung des Unterhaltsbetrags auch dann zu erhöhen, wenn die Vorschüsse zunächst aufgrund einer einstweiligen Verfügung gewährt werden und der Unterhaltsbeitrag erst danach endgültig festgesetzt wird. Die einstweilige Verfügung (monatlicher vorläufiger Unterhalt von 119,60 EUR ab 1. 10. 2016) wurde mit der Zustellung an den Unterhaltsschuldner am 30. 9. 2016 vollstreckbar und zu einem tauglichen Unterhaltstitel iSd § 3 Z 1 UVG (vgl RIS‑Justiz RS0123159). Die Gewährung von Titelvorschüssen aufgrund der einstweiligen Verfügung wäre zulässig gewesen, weil der Vater nach den – bei der Modifizierung des Antrags unverändert gebliebenen – Behauptungen des Kindes den laufenden monatlichen Provisiorialunterhaltsbetrag am 1. 11. 2016 nicht (vollständig) beglichen hatte. Dieser Verzug ermöglicht die noch im November 2016 beantragte und in erster Instanz beschlossene Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ab 1. 11. 2016 aufgrund des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses vom 25. 10. 2016 ungeachtet der Tatsache, dass dieser Unterhaltstitel erst nach ungenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist am 15. 11. 2016 vollstreckbar wurde.
6. Dem Revisionsrekurs des Bundes ist daher nicht Folge zu geben.
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