OGH 10Ob11/12h

OGH10Ob11/12h13.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen M*****, geboren am 31. Oktober 2000, vertreten durch das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt St. Pölten, Jugendwohlfahrt, 3100 St. Pölten, Heßstraße 6), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 16. November 2011, GZ 23 R 484/11s‑12, womit der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 23. September 2011, GZ 4 PU 108/11z‑5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der am 31. 10. 2000 geborene M***** ist der Sohn von J***** und W*****. Er lebt bei seiner Mutter.

In einer vor dem Jugendwohlfahrtsträger am 27. 3. 2009 abgeschlossenen Unterhaltsvereinbarung verpflichtete sich der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 230 EUR an den Minderjährigen. Mit Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 12. 8. 2011 wurde der Vater zu einem um 40 EUR erhöhten monatlichen Unterhalt von 270 EUR ab 1. 11. 2010 verpflichtet. Der Beschluss wurde dem Vater am 18. 8. 2011 zugestellt und erwuchs daher mit 1. 9. 2011 in Rechtskraft.

Am 22. 9. 2011 beantragte der Minderjährige, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG, wobei unter Hinweis auf den rechtskräftigen Unterhaltstitel vom 12. 8. 2011 und den beiliegenden Exekutionsantrag ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von 270 EUR begehrt wurde. In diesem Exekutionsantrag wurde zur Hereinbringung eines offenen Unterhalts von 670 EUR für die Zeit vom 1. 11. 2010 bis 30. 9. 2011 und des laufenden Unterhalts von 270 EUR monatlich ab 1. 10. 2011 die Forderungsexekution gegen den Vater begehrt.

Das Erstgericht bewilligte mit Beschluss vom 23. 9. 2011 dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für den Zeitraum vom 1. 9. 2011 bis 31. 8. 2016. Zur Begründung wurde angegeben, dass der Unterhaltsschuldner nach der am 1. 9. 2011 eingetretenen Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze geleistet habe.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes nicht Folge. Es verwies im Wesentlichen darauf, dass es sich im gegenständlichen Fall nicht um eine Vorschussgewährung aufgrund einer erstmaligen Festsetzung eines Unterhaltsbetrags oder eines vorläufigen Unterhalts nach § 382a EO, sondern um eine Vorschussgewährung aufgrund einer Erhöhung eines bereits zuvor bestehenden Unterhaltstitels handle. Seien bereits Vorschüsse gewährt worden, seien diese gemäß § 19 UVG mit dem auf das Wirksamwerden der Unterhaltserhöhung folgenden Monatsersten zu erhöhen. Ein (neuerlicher) Verzug (auch) mit dem Erhöhungsbetrag sei nicht erforderlich. Nichts anderes könne in dem hier vorliegenden Fall gelten, wenn der Unterhaltsschuldner die schon bisher festgesetzten geringeren Unterhaltsbeiträge nicht (fristgerecht) geleistet habe. Sei der Unterhaltsschuldner mit den bisher geschuldeten geringeren Unterhaltsbeiträgen in Verzug, sei kein Grund ersichtlich, warum hinsichtlich des Erhöhungsbetrags erst die Rechtskraft und der Ablauf der Leistungsfrist abgewartet werden müssten, um Unterhaltsvorschüsse ‑ in Höhe der erhöhten Unterhaltsbeiträge ‑ gewähren zu können.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der hier gegebenen Fallkonstellation zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag, die Unterhaltsvorschüsse erst ab 1. 10. 2011 zu gewähren. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Minderjährige, die Mutter und der Vater haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber verweist in seinen Ausführungen im Wesentlichen auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach Vorschüsse gemäß §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG nur dann zu gewähren seien, wenn der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leiste. Die bis zu diesem Zeitpunkt bereits fällig gewordenen Unterhaltsbeträge seien somit nicht zu beachten. Es sei daher auch unerheblich, ob der Unterhaltsschuldner mit früher fällig gewordenen Unterhaltsbeträgen in Verzug geraten sei. Im Übrigen finde der durch das Rekursgericht angenommene Verzug des Unterhaltsschuldners aus seiner sich bereits aus der vor dem Jugendwohlfahrtsträger abgeschlossenen Unterhaltsvereinbarung ergebenden Unterhaltsverpflichtung im Akteninhalt keine Deckung. Dem Akt lasse sich vielmehr nur entnehmen, dass der Unterhaltsschuldner zum Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz ausschließlich mit seiner Verpflichtung aus dem Erhöhungsbeschluss in Verzug gewesen sei. Da dieser Unterhaltserhöhungsbeschluss aufgrund der Zustellung an den Unterhaltsschuldner am 18. 8. 2011 erst im September 2011 vollstreckbar geworden sei, habe ein Verzug mit der laufenden Unterhaltsleistung erst ab Oktober 2011 eintreten können. Der Vorschussantrag des Minderjährigen für den Monat September 2011 sei daher nicht berechtigt.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Es trifft zu, dass nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die Vorschussgewährung nach § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 zur Voraussetzung hat, dass der Unterhaltsschuldner „nach Eintritt der Vollstreckbarkeit“ den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist ‑ neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels ‑ Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet (zuletzt 10 Ob 6/11x; RIS‑Justiz RS0126137, RS0126138). Die Festlegung dieser Voraussetzung beruht auf der Erwägung, dass der Unterhaltsschuldner die Chance haben muss, nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Titels den laufenden Unterhalt „freiwillig“ zu zahlen; ein Unterhaltsrückstand ist hier ohne Belang (vgl Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 3 UVG Rz 25 mwN). Damit soll der Charakter der Vorschussleistung als Substitut für fehlende laufende Unterhaltsleistungen zum Ausdruck kommen. Rückstände sind einer Bevorschussung nach dem UVG weiterhin nicht zugänglich.

2. Die bisherigen (in RIS‑Justiz RS0126137, RS0126138 angeführten) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs betrafen in erster Linie Vorschussgewährungen aufgrund erstmaliger Unterhaltsfestsetzungen oder eines mit einstweiliger Verfügung zuerkannten vorläufigen Unterhalts nach § 382a EO. Im vorliegenden Fall geht es hingegen um die Vorschussgewährung aufgrund eines bereits bestehenden und nunmehr erhöhten Unterhaltstitels.

3. Soweit der Rechtsmittelwerber geltend macht, im Antrag des Minderjährigen auf Unterhaltsvorschussgewährung nach §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG sei ausschließlich auf den Unterhaltserhöhungsbeschluss vom 12. 8. 2011 Bezug genommen worden, ist darauf hinzuweisen, dass die Gewährung des Unterhaltsvorschusses nicht nur unter Hinweis auf den Unterhaltserhöhungsbeschluss vom 12. 8. 2011, sondern auch unter Hinweis auf den beiliegenden Exekutionsantrag beantragt wurde. Aus diesem Exekutionsantrag ergibt sich, dass neben der Hereinbringung des laufenden (erhöhten) Unterhalts von 270 EUR monatlich ab 1. 10. 2011 auch eine Kapitalforderung von 670 EUR an offenem Unterhalt für den Zeitraum vom 1. 11. 2010 bis 30. 9. 2011 geltend gemacht wurde.

3.1 Nach § 11 Abs 1 UVG sind Vorschüsse nur auf Antrag zu gewähren. Nach der Rechtsprechung sind Vorschussanträge daher ‑ wenn auch kurz ‑ mittels substantiierter Tatsachenbehauptungen zu begründen, aus denen sich jedenfalls der in Anspruch genommene Vorschussgrund zumindest schlüssig ableiten lassen muss. Eine Antragsüberprüfung durch das Gericht ist nur ausnahmsweise vorgesehen, nämlich dann, wenn eine unvollständige Erklärung nicht ausreicht oder die an sich schlüssige Erklärung aufgrund der Aktenlage Zweifel erweckt. Fehlt es an einer Anführung der notwendigen rechtserzeugenden Tatsachen, ist im Hinblick auf den Stoffsammlungsgrundsatz nach § 16 AußStrG vom Gericht auf eine Substantiierung und Ergänzung des Vorbringens hinzuwirken, etwa indem ein Verbesserungsverfahren eingeleitet wird oder Akten beigeschafft werden (vgl Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 11 UVG Rz 2 und 4 mwN).

3.2 Im vorliegenden Fall ist dem Antragsvorbringen im Zusammenhalt mit dem beigelegten Exekutionsantrag noch hinreichend deutlich die Behauptung zu entnehmen, dass der Unterhaltsschuldner auch den bisher festgesetzten, noch nicht erhöhten Unterhaltsbetrag nicht vollständig und termingerecht geleistet hat.

4. Erfüllt der Unterhaltsschuldner nicht einmal den alten Unterhaltstitel vollständig, kann aufgrund des alten Titels die Vollstreckung eingeleitet und Unterhaltsvorschuss in voller Höhe des alten Titels beantragt werden. Es hätte daher im vorliegenden Fall infolge des Zahlungsverzugs des Unterhaltsschuldners die Vorschussgewährung für den Monat September 2011 bereits aufgrund des alten Unterhaltstitels (Unterhaltsvereinbarung vom 27. 3. 2009) beantragt werden können. In einem weiteren Beschluss wären dann die Unterhaltsvorschüsse unter Anwendung von § 19 Abs 2 UVG rückwirkend mit 1. 9. 2011 auf den neuen, höheren Unterhaltsbetrag anzuheben gewesen.

4.1 Bereits das Rekursgericht hat darauf hingewiesen, dass eine (auch für eine bereits abgelaufene Unterhaltsvorschussperiode zulässige) Erhöhung der Vorschüsse nach § 19 Abs 2 UVG einen (neuerlichen) Verzug des Unterhaltsschuldners (auch) mit dem Erhöhungsbetrag nicht voraussetzt. Nichts anderes kann aber nach ebenfalls zutreffender Rechtsansicht des Rekursgerichts für den hier vorliegenden Fall gelten, wenn der Unterhaltsschuldner die schon bisher festgesetzten geringeren Unterhaltsbeiträge nicht vollständig und termingerecht geleistet hat. Es darf daher auch vor dem Hintergrund des bereits erwähnten Zwecks der Regelung, dem Unterhaltsschuldner die Chance zu geben, nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Titels den laufenden Unterhalt „freiwillig“ zu zahlen, nicht zu Lasten des Unterhaltsberechtigten gehen, wenn dieser aus verfahrensökonomischen Erwägungen erst mit dem erhöhten Titel die Vorschussgewährung (bei bereits zuvor entstandenem Verzug des Unterhaltsschuldners mit den laufenden Unterhaltsleistungen aufgrund des bisherigen Unterhaltstitels) beantragt. Der gegenteiligen, eher formalistischen Ansicht des Rechtsmittelwerbers, Vorschüsse könnten erst dann gewährt werden, wenn der bereits mit der Zahlung der bisherigen Unterhaltsleistung säumige Unterhaltsschuldner auch einen erhöhten Unterhalt nicht vollständig und termingerecht geleistet habe, kann daher nicht gefolgt werden (vgl auch Neuhauser, Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels und Bevorschussungsfähigkeit nach dem UVG, iFamZ 2011, 9 ff).

4.2 Die vom erkennenden Senat hier vertretene Rechtsansicht steht auch nicht im Widerspruch zu der ebenfalls eine Vorschussgewährung aufgrund eines Unterhaltserhöhungsbeschlusses betreffenden Entscheidung 10 Ob 39/10y, weil die Frage der Verletzung der bereits bestehenden Unterhaltspflicht durch den Unterhaltsschuldner nicht Thema des damaligen Verfahrens war.

Dem Revisionsrekurs musste daher aus den dargelegten Erwägungen ein Erfolg versagt bleiben.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte