OGH 9ObA33/17v

OGH9ObA33/17v20.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei I***** P*****, vertreten durch Mag. Hannes Huber, Dr. Georg Lugert, Rechtsanwälte in Melk, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, *****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen 14.387,34 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Dezember 2016, GZ 10 Ra 1/16i‑21, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 15. April 2015, GZ 18 Cga 2/15t-9, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00033.17V.0420.000

 

Spruch:

Das Verfahren 9 ObA 33/17v wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 19. Dezember 2016 zu 9 ObA 141/15y gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung

Die Klägerin steht seit 2. 6. 2003 in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zur Beklagten, das dem Gesetz über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien (Vertragsbedienstetenordnung 1995 – VBO 1995) unterliegt. Die Klägerin begann ihre Tätigkeit bei der Beklagten als Pflegehelferin. Davor war sie von 1. 10. 1985 bis 31. 5. 2003 als Pflegehelferin bei der Krankenhaus der E***** GmbH beschäftigt gewesen. Die Beklagte rechnete der Klägerin zu Beginn des Dienstverhältnisses iSd § 14 Abs 2 der Dienstordnung (DO) 1994 aF den Zeitraum von 29. 1. 1987 bis 28. 1. 1990 zur Hälfte als Vordienstzeit an und stufte sie in das Schema IV K, Verwendungsgruppe K 6, Gehaltsstufe 1, mit Vorrückungsstichtag 2. 1. 2001 ein. Nach Absolvierung der Ausbildung zur Diplomkrankenschwester wurde die Klägerin ab 1. 4. 2010 in die Verwendungsgruppe K 4 eingestuft.

Mit Mahnklage vom 21. 1. 2015 begehrte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von Entgeltdifferenzen samt Sonderzahlungen für den Zeitraum Dezember 2011 bis 30. 11. 2014 in Höhe von 14.387,34 EUR sA, die sich bei korrekter Einstufung ergäben. Zusammengefasst ist sie unter Berufung auf die Entscheidung des EuGH Rs C‑514/12, Salzburger Landeskliniken, Art 45 AEUV, Art 7 Abs 1 der Verordnung Nr 492/2011 (Wanderarbeitnehmerverordnung), den Gleichheitsgrundsatz (Verbot der Inländerdiskriminierung, Art 2 StGG; Art 7 B‑VG) und die „Erwerbsausübungs- und Berufsausübungsfreiheit“ der Ansicht, dass die beschränkte Anrechnung ihrer Vordienstzeiten, bei denen sie bei einem anderen Dienstgeber als der Beklagten einschlägige Berufserfahrung gesammelt habe, diskriminierend sei. Tatsächlich hätte eine Anrechnung sämtlicher Vordienstzeiten, sohin von 16 Jahren und vier Monaten vorgenommen werden müssen, woraus sich als korrekter Vorrückungsstichtag der 1. 2. 1987 ergebe.

Die Beklagte bestritt die Klagebegehren unter Hinweis auf die Unionsrechts- und Verfassungskonformität der angewandten Bestimmungen. Vordienstzeiten, die ein Arbeitnehmer in Krankenanstalten im EWR-Ausland erworben habe, würden gemäß § 14 Abs 1 Z 11 DO 1994 zu denselben Bedingungen wie in Österreich erworbene Zeiten angerechnet. Eine Unterscheidung zwischen der Anrechnung von Vordienstzeiten aus Dienstverhältnissen bei einer (inländischen) Gebietskörperschaft und einem anderen Dienstgeber sei zulässig.

Das Erstgericht wies mit Urteil vom 15. April 2015 das Klagebegehren ab. Die vorgenommene Anrechnung entspreche § 14 Abs 1 und 2 der DO 1994. Im Hinblick auf Art 45 AEUV und Art 7 Abs 1 der VO EU Nr 492/2011 liege kein Migrationstatbestand vor. Im Hinblick auf die Entscheidung des VfGH vom 1. 6. 2010, B‑1427/08 ua, sei auch keine Verfassungswidrigkeit des § 14 DO 1994 gegeben. Bei Wegfall der Bestimmung bestünde keine gesetzliche Grundlage für die begehrte Anrechnung. Die mit der Wiener Dienstrechtsnovelle 2015, LGBl Wien 2015/28, auf Landesebene nach dem Vorbild des Bundes in Wien vorgenommene Neugestaltung der Vordienstzeitenanrechnung und des Besoldungssystems sei am (richtig:) 1. 8. 2015 in Kraft getreten. Nach der Übergangsbestimmung (§ 62j Abs 1 VBO 1995) seien die §§ 14 und 115f der DO 1994 in der vor dem Inkrafttreten der 38. Novelle zur Dienstordnung geltenden Fassung sowie in allen früheren Fassungen in laufenden und in künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden. Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens sei das Verfahren jedoch schon geschlossen gewesen.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin keine Folge. Unter Berufung auf seine Vorentscheidung 10 Ra 57/15y hielt es fest, die interessierenden Bestimmungen der Wiener Dienstrechtsnovelle 2015, LGBl Wien 2015/28, seien mit 1. 8. 2015 in Kraft getreten. Ein rückwirkendes In-Kraft-Treten sei nicht angeordnet. Jene Bestimmungen, die sich auf den Vorrückungsstichtag beziehen, jeweils in der vor In-Kraft-Treten der Novelle geltenden Fassung sowie in allen früheren Fassungen, seien in laufenden und in künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden (§ 62j VBO 1995, § 115o Abs 1 DO 1994, jeweils idF LGBl Wien 2015/28). Dass § 14 DO 1994 aF „nicht mehr anzuwenden“ sei, ändere jedoch nichts daran, dass die genannten Bestimmungen bis 31. 7. 2015 in Geltung gestanden seien, sodass für die Frage, ob bereits vor Inkrafttreten der Wiener Dienstrechtsnovelle 2015 eine auf die Klägerin anzuwendende unionsrechtskonforme Regelung bestanden habe, nur auf die bis zum Inkrafttreten der Novelle geltende Rechtslage abgestellt werden könne. Da die neuerliche Besoldungsreform für die Vergangenheit keine Regelung treffe, könnten diskriminierte Personen noch Differenzansprüche geltend machen. § 14 Abs 2 DO 1994 sei jedoch hinsichtlich des weiteren, nicht zu einer österreichischen oder einer EU‑mitgliedstaatlichen Gebietskörperschaft bestehenden Dienstverhältnisses weder unionsrechts- noch verfassungswidrig. Die Revision sei zur Anwendbarkeit der Übergangsbestimmung des § 62j VBO 1995 zulässig.

Ein gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG gestellter Antrag der Klägerin, die Verfassungswidrigkeit des § 14 DO 1994 aF auszusprechen, wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 13. 10. 2016, GZ 640‑641/2015‑11, zurückgewiesen.

Mit ihrer gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig.

Über ihre Berechtigung wird nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache des Obersten Gerichtshofs 9 ObA 141/15y zu entscheiden sein:

1. § 14 der Dienstordnung 1994, LGBl Wien 1994/56, in der bis 31. 7. 2015 geltenden Fassung lautete:

§ 14. („Anrechnung von Zeiten für die Vorrückung“)

(1) Folgende, dem Tag der Anstellung vorangegangene Zeiten sind dem Beamten für die Vorrückung zur Gänze anzurechnen:

1. die Zeit, die entweder in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft oder … zurückgelegt wurde;

2.–11. ...

(2) Die dem Tag der Anstellung vorangegangenen Zeiten, die nicht nach Abs 1 anzurechnen sind, sind

dem Beamten für die Vorrückung bis zu einem höchstens zu berücksichtigenden Ausmaß von drei Jahren zur Hälfte anzurechnen.

Die am 1. 8. 2015 mit der Dienstrechts-Novelle 2015, LGBl Wien 2015/28, in Kraft getretene Fassung des § 14 der Dienstordnung 1994 lautet:

§ 14. („Besoldungsdienstalter“)

(1) …

(2) Folgende, dem Tag der Anstellung vorangegangene Zeiten (Vordienstzeiten) sind auf das Besoldungsdienstalter anzurechnen:

1. die Zeit, die in einem Dienstverhältnis zu einer inländischen Gebietskörperschaft … zurückgelegt wurde;

2.–4. ...

(3) Über die in Abs 2 angeführten Zeiten hinaus sind Zeiten der Ausübung einer einschlägigen Berufstätigkeit oder eines einschlägigen Verwaltungspraktikums bis zum Ausmaß von insgesamt höchstens zehn Jahren als Vordienstzeiten anrechenbar. …

Die am 1. 8. 2015 mit der genannten Novelle in Kraft getretene Übergangsbestimmung des § 62j VBO 1995 lautet:

§ 62j. („Übergangsbestimmungen zur 46. Novelle zur Vertragsbedienstetenordnung 1995“)

(1) §§ 18 und 56 Abs 3 in der vor dem Inkraftftreten der 46. Novelle zur Vertragsbedienstetenordnung 1995 geltenden Fassung sowie in allen früheren Fassungen sowie §§ 14 und 115f der Dienstordnung 1994 in der vor dem Inkrafttreten der 38. Novelle zur Dienstordnung 1994 geltenden Fassung sowie in allen früheren Fassungen sind in laufenden und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden. …

2. Auf eine Änderung der Rechtslage hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Es ist daher grundsätzlich nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen, ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist (RIS-Justiz RS0031419).

3. Nach dem Wortlaut der Bestimmung des § 62j VBO 1995 idF der Dienstrechts-Novelle 2015 ist § 14 der DO 1994 in allen laufenden – sohin auch dem vorliegenden – und künftigen Verfahren nicht mehr anzuwenden. Es entspricht auch der Absicht des Landesgesetzgebers, dass mit dem Inkrafttreten der neuen Vordienstzeitenanrechnung zugleich auch die Bestimmungen über die bisherige Vordienstzeitenanrechnung und die Bestimmungen über den Vorrückungsstichtag außer Kraft gesetzt werden sollten (Beilage Nr 20/2015, LG – 02036-2015/0001).

4. Auch der der Entscheidung 9 ObA 2/16h zugrunde liegende Fall betraf die hier maßgeblichen Bestimmungen. Der dort ergangene Unterbrechungsbeschluss vom 26. 1. 2017, der sich auf die dort zitierte Entscheidung des Berufungsgerichts vom 28. 9. 2015, GZ 10 Ra 57/15y‑17, bezog, wurde wie folgt begründet:

„Im Verfahren 9 ObA 141/15y hat der Senat mit Beschluss vom 19. Dezember 2016 ein Ersuchen um Vorabentscheidung an den EuGH gerichtet. Die in diesem Ersuchen gestellten Rechtsfragen betreffend die Unionsrechtskonformität der Vordienstzeitenanrechnung nach dem Vertragsbedienstetengesetz (VBG) in den Fassungen der Besoldungsreform 2010 (BGBl 2010/28) und der Bundes-Besoldungsreform 2015 (BGBl 2015/32) sind entscheidungs-relevante Vorfragen für das gegenständliche Verfahren, in dem die inhaltsgleichen Bestimmungen zur Vordienstzeiten-anrechnung nach der Vertragsbedienstetenordnung 1995 (VBO 1995) iVm der Dienstordnung 1994 (DO 1994) in den jeweiligen Fassungen zur Anwendung gelangen. Ein Fragenkomplex betrifft die Vereinbarkeit des (rückwirkenden) Überleitungsregimes mit dem Unionsrecht, dessen faktischer Ausgangspunkt ein diskriminierendes Bezugssystem ist, ein anderer die Frage der Anrechenbarkeit von Vordienstzeiten in Dienstverhältnissen zu Gebietskörperschaften im Unterschied zur Anrechenbarkeit von sonstiger einschlägiger Berufstätigkeit. Insbesondere sollte nach den Gesetzes-materialien mit der Wiener Dienstrechts-Novelle 2015 (LGBl 2015/28) nach dem Vorbild der vom Bund mit der Bundes-Besoldungsreform 2015 (BGBl 2015/32) von Grund auf neu geregelten Vordienstzeitenanrechnung und des damit neu gestalteten Besoldungssystems auch in Wien die Vordienstzeitenanrechnung und das Besoldungssystem neu gestaltet werden (Beilage Nr 20/2015, LG – 02036‑2015/0001).

Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Ein späteres Verfahren, das – wie hier – dieselben Rechtsfragen betrifft, ist daher aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS-Justiz RS0110583).“

5. Auch im vorliegenden Fall sind diese Fragen entscheidungsrelevant, weil sich sowohl nach der alten als auch nach der neuen Fassung des § 14 der DO 1994 die Frage der Zulässigkeit einer von der Qualifizierung des Arbeitgebers als Gebietskörperschaft (uä) abhängigen Vordienstzeitenanrechnung stellt und die Zulässigkeit eines in der dargestellten Weise in laufende Verfahren eingreifenden Übergangsregimes auf dem Prüfstand steht.

Danach ist auch das vorliegende Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den zu 9 ObA 141/15y gestellten Antrag auf Vorabentscheidung zu unterbrechen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte