OGH 9ObA2/16h

OGH9ObA2/16h26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisions‑ und Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. D***** W*****, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Rechtsanwälte Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen 47.646,23 EUR brutto sA und Feststellung (11.000 EUR), über die Revisionen und Rekurse der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 42.409,37 EUR; Rekursinteresse: 5.000 EUR) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 5.236,86 EUR; Rekursinteresse: 6.000 EUR) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. September 2015, GZ 10 Ra 57/15y‑17, mit dem das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 10. April 2015, GZ 33 Cga 97/14x‑11, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00002.16H.0126.000

 

Spruch:

Das Verfahren 9 ObA 2/16h wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 19. Dezember 2016 zu 9 ObA 141/15y gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

Begründung

Die am ***** 4. 1961 geborene Klägerin steht seit 1. 2. 2011 als Vertragsbedienstete nach dem Gesetz über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien (Vertragsbedienstetenordnung 1995 – VBO 1995) in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zur Beklagten. Sie absolvierte ein Bundesrealgymnasium und maturierte am 6. 6. 1979. Bei der Berechnung ihres Vorrückungsstichtags wurden ihr Vordienstzeiten im Ausmaß von 18 Jahren, 6 Monaten und 20 Tagen für die Vorrückung angerechnet, sodass ihr Vorrückungsstichtag mit 12. 7. 2010 errechnet und im Dienstvertrag festgehalten wurde. Demgemäß wurde die Klägerin bei Dienstantritt in das Gehaltsschema IV KAV, Verwendungsgruppe A3, Gehaltsstufe 10, mit nächster Vorrückung am 1. 8. 2012, eingestuft. Aufgrund ihrer Ernennung zur Oberärztin rückte die Klägerin im Juli 2012 in die 11. Gehaltsstufe und im August 2012 in die 12. Gehaltsstufe vor.

Die Zeiten der Schulausbildung vor Vollendung des 18. Lebensjahres und Zeiten der (einschlägigen) Tätigkeit in der Privatwirtschaft wurden der Klägerin nicht angerechnet, Zeiten der Schulausbildung nach der Vollendung des 18. Lebensjahres und Zeiten der (einschlägigen) Tätigkeit für eine Gebietskörperschaft allerdings schon. Einen Antrag auf Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags stellte die Klägerin nicht.

Die Klägerin begehrt mit ihrem Leistungsbegehren (Punkt 1) 47.646,23 EUR brutto sA an Gehaltsdifferenzen für den Zeitraum 1. 2. 2011 bis 30. 11. 2014. Ihre Feststellungsbegehren beinhalten die Verpflichtung der Beklagten, zum einen der Klägerin auch weiterhin Bezüge in jener Höhe zu bezahlen, die sich daraus ergeben, dass im Rahmen des Vertragsbedienstetenverhältnisses alle Vordienstzeiten bestehend in Zeiten des Schulbesuchs, des Studiums und der Dienstverhältnisse nicht nur zu Gebietskörperschaften, sondern auch in der Privatwirtschaft ab 1. 7. 1976 voll angerechnet werden, dies dem obigen Leistungsbegehren entsprechend, und dass daran anknüpfend eine Vorrückung in die Gehaltsstufe 2 nach zwei Jahren in der Gehaltsstufe 1 zugrunde gelegt wird (Punkt 2) und zum anderen das Ausmaß des Erholungsurlaubs dem Punkt 2 entsprechend anzupassen (Punkt 3).

Ihre Begehren begründete sie damit, dass im Verhältnis zu Tätigkeiten bei Gebietskörperschaften gleichartige Tätigkeiten anzurechnen seien, weil diese gleichermaßen der Berufsvorbereitung dienten; ein Ausschluss der Anrechnung würde der Freizügigkeit widersprechen. Die Nicht-Anrechnung von Vordienstzeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres sei altersdiskriminierend.

Die Beklagte bestritt die Klagebegehrenunter Hinweis auf die Unionsrechtskonformität der angewandten Bestimmungen. Im Übrigen sei zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung die neue, durch das LGBl 2015/28 geänderte, Rechtslage anzuwenden, derzufolge alle vor dem 1. 8. 2015 eingetretenen Bediensteten der Beklagten mit diesem Zeitpunkt in das neue Besoldungssystem übergeleitet worden seien. Die Bestimmungen über die Vordienstzeitenanrechnung sei nicht mehr anzuwenden.

Das Erstgericht gab den Klagebegehren – nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 4. 3. 2015 – vollinhaltlich statt. Es beurteilte den Ausschluss der Anrechnung von Zeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahres im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Hütter als altersdiskriminierend. Die Novelle Wr LGBl 2011/10 enthalte zwar eine Neuregelung, begründe aber weiterhin eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung aufgrund des Alters und sei daher ebenfalls nicht anzuwenden. Im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache SALK liege in der unterschiedlichen Anrechnung von Dienstzeiten bei einer Gebietskörperschaft und anderen Dienstzeiten eine Ungleichbehandlung, die auch zur Anrechnung dieser anderen Dienstzeiten führe.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung teilweise Folge und bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts in Bezug auf das Zahlungsbegehren im Ausmaß von 5.236,86 EUR brutto sA und wies die Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 42.409,37 EUR brutto sA sowie auf Feststellung der Haftung der Beklagten für die Bezüge unter Berücksichtigung sämtlicher Vordienstzeiten der Klägerin, soweit es sich auf den Zeitraum ab 1. 8. 2015 bezieht, ab. Im Übrigen, also soweit sich das Feststellungsbegehren auf die Haftung der Beklagten für den Zeitraum bis 31. 7. 2015 und auf die Anpassung des Urlaubsanspruchs der Klägerin bezieht, hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache insoweit zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Auch das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, dass die bis zur Wiener Dienstrechtsnovelle (LGBl 2015/28) geltende Rechtslage altersdiskriminierend gewesen sei. Diese Neuregelung folge allerdings dem Beispiel des Bundes und sei am Vorbild des deutschen Modells ausgerichtet, das der EuGH im Ergebnis als unionsrechtskonform beurteilt habe. Mangels Anordnung einer Rückwirkung dieser Novelle seien der Klägerin daher bis zum Inkrafttreten derselben jene Vorteile zu gewähren, die sie bei diskriminierungsfreier Rechtslage im Hinblick auf die Berücksichtigung von Schulzeiten vor der Vollendung des 18. Lebensjahres erlangt hätte. Daher seien die Schulzeiten der Klägerin ab Erfüllung der Schulpflicht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres – 1. 7. 1976 bis 6. 4. 1979 – anzurechnen gewesen, also zusätzlich zwei Jahre, neun Monate und sechs Tage. Da nach Inkrafttreten der Neuregelung kein Anspruch auf Entlohnungsdifferenzen mehr bestehe, sei das sich auf Zeiträume danach beziehende Zahlungsbegehren abzuweisen. Mit diesem Tag sei auch das rechtliche Interesse der Klägerin an der Feststellung einer Verpflichtung zur Leistung von Differenzansprüchen weggefallen.

Die Berücksichtigung von Studienzeiten im höheren Ausmaß als dies von der Beklagten bereits geschehen sei, sei gesetzlich nicht vorgesehen. Das Feststellungsbegehren beziehe sich pauschal auf „alle Zeiten“ (ua) des Studiums, sodass es nicht erkennen lasse, für welchen Zeitraum die Klägerin über das von der Beklagten berücksichtigte Ausmaß hinaus die Anrechnung von Studienzeiten begehre, sodass eine Konkretisierung erforderlich sei.

Eine Benachteiligung von Wanderarbeitnehmern – und dadurch eine Beschränkung der Freizügigkeit – liege nicht vor, weil Dienstzeiten von EWR‑Bürgern in einem anderen Land des EWR gleichermaßen wie Dienstzeiten bei inländischen Gebietskörperschaften angerechnet würden. Eine Inländerdiskriminierung liege nicht vor, weil die Klägerin nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus der unterschiedlichen Berücksichtigung von Dienstzeiten bei einer Gebietskörperschaft und bei privaten Dienstgebern keine Ansprüche ableiten könne.

Das Berufungsgericht ließ sowohl die Revision als auch den Rekurs gegen die Berufungsentscheidung zu, weil Rechtsprechung zur Unionsrechtskonformität, zur Rechtswegzulässigkeit und zum Inkrafttreten der Novelle Wr LGBl 2015/28 nicht vorliege.

Mit ihrer gegen den klagsabweisenden Teil der Berufungsentscheidung gerichteten Revision und gegen den aufhebenden Teil der Berufungsentscheidung gerichteten Rekurs strebt die Klägerin die vollinhaltliche Klagsstattgabe an.

Die Beklagte ficht mit ihrer Revision den klagestattgebenden Teil der Berufungsentscheidung und mit ihrem Rekurs den aufhebenden Teil der Berufungsentscheidung an und begehrt dessen Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung.

Beide Parteien haben jeweils Rechtsmittelbeantwortungen zu den Rechtsmitteln des Gegners erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittel der Parteien sind zulässig.

Über ihre Berechtigung wird nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache des Obersten Gerichtshofs 9 ObA 141/15y zu entscheiden sein:

Im Verfahren 9 ObA 141/15y hat der Senat mit Beschluss vom 19. Dezember 2016 ein Ersuchen um Vorabentscheidung an den EuGH gerichtet. Die in diesem Ersuchen gestellten Rechtsfragen betreffend die Unionsrechtskonformität der Vordienstzeitenanrechnung nach dem Vertragsbedienstetengesetz (VBG) in den Fassungen der Besoldungsreform 2010 (BGBl 2010/28) und der Bundes-Besoldungsreform 2015 (BGBl 2015/32) sind entscheidungsrelevante Vorfragen für das gegenständliche Verfahren, in dem inhaltsgleiche Bestimmungen zur Vordienstzeitenanrechnung nach der Vertragsbedienstetenordnung 1995 (VBO 1995) iVm der Dienstordnung 1994 (DO 1994) in den jeweiligen Fassungen zur Anwendung gelangen. Ein Fragenkomplex betrifft die Vereinbarkeit des (rückwirkenden) Überleitungsregimes mit dem Unionsrecht, dessen faktischer Ausgangspunkt ein diskriminierendes Bezugssystem ist, ein anderer die Frage der Anrechenbarkeit von Vordienstzeiten in Dienstverhältnissen zu Gebietskörperschaften im Unterschied zur Anrechenbarkeit von sonstiger einschlägiger Berufstätigkeit. Insbesondere sollte nach den Gesetzesmaterialien mit der Wiener Dienstrechts‑Novelle 2015 (LGBl 2015/28) nach dem Vorbild der vom Bund mit der Bundes-Besoldungsreform 2015 (BGBl 2015/32) von Grund auf neu geregelten Vordienstzeitenanrechnung und des damit neu gestalteten Besoldungssystems auch in Wien die Vordienstzeitenanrechnung und das Besoldungssystem neu gestaltet werden (Beilage Nr 20/2015, LG – 02036‑2015/0001).

Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Ein späteres Verfahren, das – wie hier – dieselben Rechtsfragen betrifft, ist daher aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte