OGH 8Ob92/16m

OGH8Ob92/16m25.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers Dr. A* J*, vertreten durch PHH Prochaska Havranek Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider den Antragsgegner A* D*, vertreten durch Dr. Robert Steiner Rechtsanwalt GmbH in Spittal an der Drau, wegen Unterhalt, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 28. Juli 2016, GZ 3 R 112/16d‑29, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E116188

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts, der in seinem antragsstattgebenden Teil unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist, wird hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Juni 2014 bis 31. August 2014 dahin abgeändert, dass der Unterhaltsanspruch des Antragstellers in diesem Zeitraum erloschen ist.

Im Übrigen, also für die Zeit vom 1. Juni 2008 bis 30. Juni 2012 und vom 1. September 2012 bis 31. Juli 2013, wird der angefochtene Beschluss bestätigt.

Soweit sich der Revisionsrekurs gegen die Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses für die Zeit ab 1. September 2014 richtet, wird er zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Antragsteller ist als außerehelicher Vater des 1989 geborenen Antragsgegners aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 18. 10. 2007, GZ 2 P 1985/95m‑52, zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 750 EUR ab 1. 9. 2004 verpflichtet. Dieser Entscheidung lag eine monatliche Bemessungsgrundlage von 3.500 EUR zugrunde.

Der Antragsgegner absolvierte nach Ende der Pflichtschulzeit eine berufsbildende Privatschule mit dem Ausbildungsziel Informatik‑Kaufmann, die er im Juni 2007 mit Erfolg beendete. Im September 2007 begann er einen Aufbaulehrgang an einer Handelsakademie, den er im Oktober 2011 mit der Reifeprüfung abschloss. Anschließend absolvierte der Antragsgegner bis August 2012 den Zivildienst.

Im Oktober 2012 begann er ein Informatikstudium an der Universität Wien, das er nach dem zweiten Semester abbrach. Die für diesen Zeitraum bezogene Studienbeihilfe musste er mangels ausreichenden Studienerfolgs zurückzahlen.

Ab Juli 2013 bis Ende Mai 2014 war der Antragsgegner als Arbeiter im Unternehmen seiner Mutter mit einem durchschnittlichen monatlichen Einkommen von 1.232,57 EUR beschäftigt, vom 25. 6. 2014 bis 1. 9. 2014 bezog er Arbeitslosenunterstützung in Höhe von durchschnittlich 704,32 EUR monatlich. Seit Oktober 2014 belegt der Antragsgegner ein Fachhochschulstudium der Medizintechnik mit der vorgesehenen Dauer von drei Jahren.

Der Vater begehrt in seinem am 3. 7. 2015 beim Erstgericht eingelangten Antrag die Feststellung, dass der Unterhaltsanspruch seines Sohnes seit Juni 2008 wegen Selbsterhaltungsfähigkeit erloschen sei.

Der Antragsgegner wandte Verjährung ein, soweit die Enthebung von der Unterhaltspflicht für einen länger als drei Jahre zurückliegenden Zeitraum geltend gemacht wurde. Das Antragsvorbringen sei unrichtig, er betreibe sein derzeitiges Studium ernstlich und zielstrebig. Ein einmaliger Studienwechsel und die vorübergehende Berufstätigkeit, zu der er wegen jahrelanger Verletzung der Unterhaltspflicht des Antragstellers gezwungen gewesen sei, stünden dem aufrechten Unterhaltsanspruch nicht entgegen.

Das Erstgericht gab dem Antrag teilweise Folge. Für die Zeit vom 1. 7. 2012 bis 31. 8. 2012 und vom 1. 7. 2014 bis 31. 8. 2014 setzte es den vom Vater zu leistenden Unterhaltsbeitrag auf 235 EUR bzw 275 EUR monatlich herab, für den Zeitraum vom 1. 8. 2013 bis 31. 5. 2014 gab es dem Enthebungsantrag zur Gänze statt. Für den restlichen Zeitraum von Juni 2008 bis 30. 6. 2012 wies es das Begehren ab.

Der stattgebende Teil dieser Entscheidung ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.

Das Rekursgericht erklärte in teilweiser Stattgebung des Rekurses des Antragstellers den Unterhaltsanspruch auch für die Zeit vom 1. 7. 2012 bis 31. 8. 2012 (Zivildienst) für erloschen. Hinsichtlich des Zeitraums ab 1. 9. 2014 hob es den Beschluss des Erstgerichts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

In seiner Begründung bejahte das Rekursgericht die Möglichkeit des Wiederauflebens des Unterhaltsanspruchs während des Fachhochschulstudiums, weil davon ein besseres berufliches Fortkommen des Antragsgegners zu erwarten sei. In einer intakten Familie mit einem akademisch gebildeten Vater würde einem Kind diese Chance selbst nach einer zwischenzeitigen Berufstätigkeit ermöglicht. Allerdings bedürfe es noch weiterer Erhebungen darüber, ob der Antragsgegner das Fachhochschulstudium nunmehr tatsächlich ernsthaft und zielstrebig betreibt.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil zu den entscheidungswesentlichen Rechtsfragen bereits eine gefestigte höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe. Einen Ausspruch nach § 64 Abs 1 AußStrG fasste das Rekursgericht nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist, soweit er sich gegen den aufhebenden Teil der Rekursentscheidung wendet, absolut unzulässig.

Der Beschluss, mit dem das Rekursgericht einen Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen hat, ist gemäß § 64 Abs 1 AußStrG nur dann anfechtbar, wenn das Rekursgericht den Revisionsrekurs für zulässig erklärt hat. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor.

Der Revisionsrekurs ist aber zulässig, soweit er sich gegen den bestätigenden und abändernden Teil der Rekursentscheidung richtet, da der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteigt und die Entscheidungen der Vorinstanzen teilweise mit der ständigen Rechtsprechung im Widerspruch stehen.

Der Antragsgegner hat eine Rechtsmittelbeantwortung erstattet.

Der Revisionsrekurs ist im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang teilweise berechtigt.

1. Der Antragsteller vertritt weiterhin den Standpunkt, er habe ausschließlich ein Feststellungsbegehren erhoben, das als solches überhaupt nicht verjähren könne. Eine zeitliche Beschränkung der rückwirkenden Geltendmachung von Änderungen des Unterhaltsanspruchs bestehe nach der ständigen Rechtsprechung nur für Leistungsbegehren. Diese Ansicht ist aber nicht zu teilen.

Der Antragsteller verfolgt keineswegs nur ein abstraktes Feststellungsinteresse, sondern ein rechtsgestaltendes Begehren, mit dem der bestehende, rechtskräftige Unterhaltstitel aufgehoben und sein Unterhaltsbeitrag auf Null herabgesetzt werden soll.

Es entspricht seit der Entscheidung des verstärkten Senats 6 Ob 544/87 der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass eine gerichtlich festgesetzte Unterhaltsbemessung für die Vergangenheit wegen der ihr innewohnenden Umstandsklausel auch rückwirkend eingeschränkt oder aufgehoben werden darf, sofern sich die maßgeblichen Verhältnisse wesentlich geändert haben, allerdings nur im Rahmen der Verjährungsfrist des § 1480 ABGB (vgl RIS‑Justiz RS0053297; 1 Ob 122/97s). Da eine Unterhaltsforderung nur für einen bis zu drei Jahre zurückliegenden Zeitraum geltend gemacht werden kann, besteht kein Anlass, asymmetrisch dem Unterhaltspflichtigen einen längeren Zeitraum für die rückwirkende Geltendmachung seines Herabsetzungs‑ oder Enthebungsantrags einzuräumen. Vom Unterhaltspflichtigen bereits bezahlte Unterhaltsbeiträge könnten über den Dreijahreszeitraum wegen Verjährung ohnedies nicht rückgefordert werden. Auch der Berechtigte kann laufende Unterhaltsbeiträge immer nur für die letzten drei Jahre begehren. Mit dem vom Antragsteller vertretenen Standpunkt wäre höchstens einem jahrelang säumigen Unterhaltspflichtigen gedient, der einer exekutiven Geltendmachung der aufgelaufenen Rückstände entgehen will; eine Besserstellung desjenigen, der seine Unterhaltspflicht verletzt hat, gegenüber einem pflichtgetreuen Elternteil wäre aber nicht zu rechtfertigen.

2. Der Revisionsrekurs zweifelt auch die Eignung des Antragsgegners für ein Studium an, und zwar mit der Begründung, dieser habe bereits für die Ablegung der Matura zwei Jahre länger als notwendig benötigt. Dabei wird aber übergangen, dass die etwas längere Schulzeit auf den gewählten besonderen Ausbildungsweg (kaufmännisch‑technische Fachschule ohne Matura, kaufmännischer Aufbaulehrgang mit Matura) zurückzuführen war. Ein ungenügender schulischer Lernerfolg des Antragsgegners ergibt sich aus den Feststellungen nicht.

3. Ein Studium schiebt den Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit hinaus, wenn es einerseits den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen entspricht (RIS‑Justiz RS0047584; RS0107724), andererseits das Kind die hiefür erforderlichen Fähigkeiten besitzt und das Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt.

Die Vorinstanzen haben im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung berücksichtigt, dass der Antragsteller selbst Akademiker ist und es daher grundsätzlich seinen Lebensverhältnissen entspricht, auch dem Sohn zur Erhöhung seiner beruflichen Chancen ein Studium zu ermöglichen, selbst wenn dieser bereits über Abschlüsse zweier berufsbildender Schulen verfügt und vorübergehend auch eine die Selbsterhaltungsfähigkeit bewirkende Beschäftigung ausgeübt hat. Nicht bestritten ist, dass der vom Antragsgegner besuchte spezialisierte Fachhochschullehrgang grundsätzlich geeignet ist, ihm bessere berufliche Möglichkeiten zu eröffnen.

4. Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass einem Kind nach der Matura, vor der endgültigen Wahl eines seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Studiums oder einer sonstigen Berufsausbildung, eine Überlegungs‑ und Korrekturfrist zuzubilligen ist, die im Allgemeinen die Dauer eines Jahres nicht übersteigen soll (2 Ob 97/97x; 2 Ob 39/08m; RIS‑Justiz RS0047679).

Gelangt das Kind innerhalb einer angemessenen Frist zur Einsicht, dass es bei der Wahl des Studiums einem Irrtum unterlegen ist, führt dies noch nicht zum Verlust seines Unterhaltsanspruchs. Damit stimmt auch die Wertung des § 2 Abs 1 lit b FLAG überein, der die Gewährung der Familienbeihilfe für das erste Studienjahr nur an die Voraussetzung der Aufnahme des volljährigen Kindes als ordentlicher Hörer knüpft.

Ist die Überlegungsfrist des Kindes hinsichtlich des erstmaligen Studienwechsels noch angemessen, was hier bei einer Dauer von zwei Semestern von den Vorinstanzen jedenfalls vertretbar bejaht wurde, dann schadet es nicht, wenn das erste Studium bis zum Abbruch nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben wurde (RIS‑Justiz RS0047675).

Durch den Umstand, dass der Antragsgegner sein nunmehriges Fachhochschulstudium nicht unmittelbar im Anschluss an den Abbruch des Informatikstudiums begonnen hat, ist der Antragsteller nicht beschwert, weil er für den dazwischen liegenden Zeitraum ohnehin von seiner Verpflichtung zur Unterhaltsleistung befreit wurde und sich seine Gesamtbelastung durch die Unterbrechung des Studienwegs nicht erhöht.

5. Berechtigt ist der Revisionsrekurs jedoch, soweit er sich gegen die Abweisung des Enthebungsbegehrens für Juni 2014 und die Teilabweisung für den Zeitraum vom 1. 7. bis 31. 8. 2014 wendet.

In diesem Zeitraum war der Antragsgegner nach einer einjährigen, die Selbsterhaltungsfähigkeit bewirkenden Beschäftigung arbeitslos und berechtigt, Arbeitslosengeld in Anspruch zu nehmen. Der Umstand, dass die Höhe dieses öffentlich-rechtlichen Bezugs nach den Feststellungen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz bzw auch unter dem zuletzt festgesetzten Unterhaltsbeitrag lag, begründet für sich allein noch nicht das Wiederaufleben der erloschenen Unterhaltspflicht.

Eine einmal eingetretene Selbsterhaltungs‑fähigkeit kann etwa infolge längerfristiger Unmöglichkeit der Berufsausübung wegen Krankheit, unverschuldeter Arbeitslosigkeit bei Fehlen ausreichender sozialer Absicherung, gerechtfertigter beruflicher Weiterbildung oder aus ähnlichen Gründen wieder wegfallen (RIS‑Justiz RS0047533 [T1]). Über die Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurden keine Feststellungen getroffen, es liegen weder für eine Krankheit noch für unverschuldete Arbeitslosigkeit des Antragsgegners im fraglichen Zeitraum Behauptungen und Beweisergebnisse vor, ebensowenig ein Anhaltspunkt für eine insgesamt unzureichende soziale Absicherung.

Damit konnte frühestens die Aufnahme des Fachhochschulstudiums – sofern die im Sinne des Aufhebungsbeschlusses des Rekursgerichts noch festzustellenden Voraussetzungen bejaht werden – zum Wiederaufleben der Unterhaltspflicht des Antragstellers führen (10 Ob 10/15s).

Die im Revisionsrekurs angesprochene Frage, ob und inwieweit dem Antragsgegner eine eigene Erwerbstätigkeit neben dem Fachhochschulstudium zur Entlastung des Antragstellers zumutbar wäre, ist beim derzeitigen Verfahrensstand ebensowenig zu prüfen wie die Anrechnung eines tatsächlich erzielten Nebeneinkommens, weil das Erstgericht über den betroffenen Zeitraum neu zu entscheiden haben wird. Eine allgemeine Regel, dass sich ein Student auf die Möglichkeit eines berufsbegleitenden Studiums verweisen lassen müsste, gibt es nicht (8 Ob 43/11y).

Der Kostenvorbehalt bis zur vollständigen Erledigung der Sache stützt sich auf § 78 Abs 1 AußStrG.

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