OGH 10Ob10/15s

OGH10Ob10/15s24.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers M*****, geboren am *****, vertreten durch Alix Frank Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Antragsgegner W*****, vertreten durch Mag. Andrea Seidl, Rechtsanwältin in Großenzersdorf, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 8. Juli 2014, GZ 20 R 65/14w‑74, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 29. April 2014, GZ 5 Pu 9/13p‑68, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00010.15S.0324.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Außerstreitsache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Nach der Scheidung seiner Eltern im Dezember 1998 lebte der am 27. 9. 1994 geborenen Antragsteller bei seinem Vater (= Antragsgegner), dem die alleinige Obsorge zukam. Er besuchte 4 Jahre die Hauptschule und absolvierte das 9. Pflichtschuljahr an einer Tourismus- und Gastronomieschule. Von September 2010 bis Juli 2011 besuchte er die 1. Klasse der H***** in K*****. Es handelt sich um eine dreijährige Schule, optional kann auch ein fünfjähriger Besuch erfolgen und die Matura abgelegt werden. Nach Wiederholung der 1. Klasse von September 2011 bis Juni 2012 zog der Antragsteller am 29. 6. 2012 aus dem Haushalt seines Vaters aus, übersiedelte zu seiner Mutter und stellte einen Antrag auf Übertragung der Obsorge an die Mutter. Am 3. 9. 2012 bestand er die Wiederholungsprüfung im Fach „Deutsch“. Danach besuchte er weder eine Schule, noch verrichtete er eine Arbeitstätigkeit sondern befand sich in psychotherapeutischer Behandlung. Am 24. 6. 2013 meldete er sich in der Oberstufen- und Abendform des Gymnasiums H***** in ***** Wien mit dem Ziel an, in 4 Jahren die Matura abzulegen. Die Sommerferien dieses Gymnasiums dauerten von 29. 6. bis 31. 8. 2013 (Aktenvermerk auf AS 185). Am 2. 9. 2013 begann er eine Lehre als Informationstechnologie-Techniker und bezieht im 1. Lehrjahr ein Nettoeinkommen von 437,68 EUR (14 x im Jahr).

Der Antragsteller begehrt, seinen Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 468 EUR ab 1. 7. 2012 zu verpflichten. Er brachte zusammengefasst vor, die von ihm in Anspruch genommene psychotherapeutische Behandlung sei wegen diverser Geschehnisse der letzten Jahre erforderlich gewesen, die auf ihn traumatische Auswirkungen gehabt hätten. Wie sich aus einer Bestätigung seiner behandelnden Ärztin vom 15. 2. 2013 ergebe, sei er nicht erwerbsfähig. Sobald sein Gesundheitszustand es erlaube, werde er seine Schulausbildung umgehend weiterführen. Er plane nach Ablegung der Matura ein Hochschulstudium. Sein Vater habe ihn von der H***** abgemeldet. Da seiner Mutter damals die Obsorge nicht zugekommen sei (die Entscheidung auf Übertragung der Obsorge an sie sei erst knapp vor Eintritt der Volljährigkeit erfolgt), sei keine Schulanmeldung vorgenommen worden. Nach erfolgreicher Ablegung der Wiederholungsprüfung im September 2012 habe er sich beim Arbeitsmarktservice arbeitssuchend gemeldet. Man habe ihm aber dort am 20. 9. 2012 erklärt, dass er mit seiner bisherigen Ausbildung am Arbeitsmarkt chancenlos sei. Als er am 27. 9. 2012 volljährig geworden sei, sei es für eine Schulanmeldung zu spät gewesen. Über die Möglichkeit, sich vor Eintritt seiner Großjährigkeit selbst bei einer Schule anzumelden und die Zustimmung dazu durch einen gerichtlichen Antrag beschlussmäßig zu erhalten, sei er nicht aufgeklärt worden. Auf seinen an das Militärkommando Niederösterreich gerichteten Antrag vom 29. 1. 2013 hin sei er am 26. 2. 2013 neuerlich zur Stellung geladen worden, man habe ihn aber für untauglich befunden. Am 24. 6. 2013 habe er am Gymnasium H***** in Wien ***** inskribiert. Am 30. 8. 2013 habe er unerwarteterweise die Zusage für eine Lehrstelle erhalten.

Der Antragsgegner wendete im Wesentlichen ein, sein Sohn habe nach einem gemeinsamen Urlaub plötzlich jeden weiteren Kontakt grundlos verweigert und sei zur Mutter gezogen, obwohl diese zu ihm bis zum Jahr 2011 keinen Kontakt gepflogen hatte. Der Sohn habe die Unterhaltsberechtigung schuldhaft verwirkt, indem er die begonnene Schulausbildung abgebrochen habe, obwohl er zum Schulbesuch gesundheitlich in der Lage gewesen wäre. Er selbst habe ihn nicht von der Schule abgemeldet. Eine notwendige Unterschriftsleistung zur Schulanmeldung hätte er als gesetzlicher Vertreter jederzeit erbracht. Sein Sohn habe sich aber um einen Weiterbesuch der Schule oder um eine Anmeldung in einer anderen Schule gar nicht bemüht. Eine (psychische) Krankheit, die eine weitere Ausbildung oder eine Arbeitsaufnahme unmöglich mache, bestehe nicht.

Das Erstgericht wies den Unterhaltsfestsetzungsantrag (zur Gänze) ab.

Es traf über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus folgende weitere Feststellungen:

„Ein Besuch der zweiten Klasse der H***** wäre nach bestandener Wiederholungsprüfung für den Antragsteller grundsätzlich möglich gewesen. In der Schule ist jedoch keine Anmeldung eingegangen. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Antragsteller gegenüber dem Vater den Besuch der 2. Klasse mit den Worten 'Ich geh' dort sicher nicht mehr hin' abgelehnt hat oder nicht. Eine Abmeldung von der Schule ist nicht erfolgt.

Das neurologisch-psychiatrische Gutachten zur Arbeits- bzw Ausbildungsfähigkeit des Antragstellers seit 1. 9. 2012 erbrachte keinen Hinweis auf eine Reduktion der Arbeits- und Ausbildungsfähigkeit. Die vom Antragsteller angeführten Beschwerden sind von psychiatrischer Seite her als leicht zu bewerten. Eine schwere Depression liegt nicht vor. Auch dass der Antragsteller seinen Angaben nach zwei bis drei mal monatlich in psychotherapeutischer Behandlung stehe, bedeutet nicht, dass er nicht arbeits- bzw ausbildungsfähig sei. Selbst wenn man seinen Angaben vollständig folgen wollte, ist nur eine Anpassungsstörung mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen zu attestieren. Nur bei einer sehr schweren Anpassungsstörung kann die Arbeitsfähigkeit reduziert sein. Beim Antragsteller findet sich aber keine schwere Anpassungsstörung.

Der Vater des Antragstellers, der als Rettungssanitäter im Zeitraum 1. 10. 2011 bis 30. 9. 2012 ein Durchschnittseinkommen von 2.335,54 EUR netto inklusive anteiliger Sonderzahlungen bezog, leistete von September 2012 bis Mai 2013 monatlich 200 EUR an Unterhalt, obwohl eine gerichtliche Unterhaltsverpflichtung nicht bestand.“

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, das Vorgehen des Antragstellers könne nicht als zielgerichtetes Streben nach Selbsterhaltungsfähigkeit gesehen werden, sondern als ein schuldhaftes arbeits- und ausbildungsunwilliges Verhalten, sodass er ab 1. 7. 2012 als fiktiv (dauernd) selbsterhaltungsfähig anzusehen sei. Anzeichen für eine Reduktion seiner Ausbildungs- und Arbeitsfähigkeit seien nicht ersichtlich. Das Vorbringen des Antragstellers, er sei nicht über die Möglichkeit aufgeklärt worden, vor Eintritt seiner Großjährigkeit am 27. 9. 2012 sich selbst bei einer Schule anzumelden und die Zustimmung dazu durch einen gerichtlichen Antrag beschlussmäßig zu erhalten, entbinde ihn nicht von der Verpflichtung, seine Berufsausbildung zielstrebig zu betreiben. Die Grundgedanken der Anspannungstheorie seien im Ergebnis auch beim Antragsteller maßgeblich, wenngleich bei Unterhaltsberechtigten im Allgemeinen kein allzu strenger Maßstab anzulegen sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, es sei dauernd fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit eingetreten. Der Antragsteller habe ohne jeden ersichtlichen und nachvollziehbaren Grund seine Ausbildung an der Schule abgebrochen, fast ein Jahr lang keine andere Ausbildung in Angriff genommen und sich ‑ wie er selbst vorgebracht habe ‑ auch nicht um die Erlangung eines Arbeitsplatzes bemüht. Da ihm mangels entsprechender Bemühungen um den Erhalt eines Arbeitsplatzes kein konkreter Arbeitsplatz angeboten worden sei, habe er einen solchen auch nicht ausschlagen können. Daraus sei aber nicht abzuleiten, dass ihn kein Verschulden treffe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Zulassungsvorstellung und der ordentliche Revisionrekurs des Antragstellers aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Aktenwidrigkeit mit dem Antrag, den Vater zu einer monatlichen Unterhaltszahlung von 468 EUR zu verpflichten; eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Infolge Zulassungsvorstellung sprach das Rekursgericht in Abänderung des Zulassungsausspruchs aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei doch zulässig. Der Antragsteller mache erstmals in seinem Revisionsrekurs geltend, er habe sich nach dem Schulabbruch im September 2012 in einer mehrmonatigen Orientierungsphase befunden, sodass in dieser Zeit die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht gegeben gewesen sei. Es liege keine Rechtsprechung dazu vor, ob einem Schulabbrecher auch ohne konkrete Antragstellung im Verfahren erster Instanz „quasi automatisch“ eine Zeit zur Orientierung bzw Aufnahme einer Ausbildung von etwa sechs Monaten zuzubilligen sei.

Der Antragsgegner beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen bzw ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig. Die zu lösende Rechtsfrage, ob ein Kind seinen Unterhaltsanspruch verliert, weil es seine Schulausbildung nicht zielstrebig verfolgt, bzw die Rechtsfrage des Eintritts der fiktiven Selbsterhaltungsfähigkeit hängt zwar stets von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0008857 [T1]), die Vorinstanzen sind aber von der dazu bereits vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen. Der Revisionsrekurs ist deshalb im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber wiederholt zusammengefasst seinen Standpunkt, er sei nicht fiktiv selbsterhaltungsfähig, weil er weder arbeits- noch ausbildungsunwillig gewesen sei. Es sei ihm kein Verschulden daran anzulasten, dass er keiner Schul- oder Berufsausbildung nachgegangen sei. Es sei ihm bis zumindest April 2013 wegen seines attestierten psychisch beeinträchtigten Zustands nicht möglich gewesen, für sich selbst aufzukommen oder seine schulische Ausbildung voranzutreiben. Schon einem geistig gesunden Unterhaltsberechtigten werde eine angemessene Zeit für eine zielstrebige Grundausbildung und Arbeitsplatzsuche eingeräumt, umso mehr müsse dies für ihn gelten, der sich in einem psychisch beeinträchtigten Zustand befunden habe. Nach erfolgreicher Ablegung der Wiederholungsprüfung am 3. 9. 2012 habe er sich nach einer zehnmonatigen Orientierungsphase am 24. 6. 2013 für das 1. Semester der Abendschule zwecks Ablegung der Matura angemeldet und dann die sich ihm eröffnende Möglichkeit einer Lehre wahrgenommen. Dieser Lehrausbildung komme er fortlaufend und ordnungsgemäß bis zum heutigen Tag nach.

In der Revisionsrekursbeantwortung wird im Wesentlichen geltend gemacht, der Antragsteller habe im erstinstanzlichen Verfahren durchgehend den Standpunkt vertreten, er sei ausbildungs- und erwerbsunfähig, aber niemals behauptet, er kümmere sich um Ausbildungsalternativen oder sehe sich nach einer Lehrstelle um. Das ‑ erstmalig im Revisionsrekurs ‑ erstattete Vorbringen, es wäre ihm eine angemessene Zeit für eine ausbildungsmäßige bzw berufliche Neuorientierung zuzubilligen, verstoße daher gegen das Neuerungsverbot.

Dazu ist auszuführen:

1.1 Die im Revisionsrekurs gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor:

Der Oberste Gerichtshof ist auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz, weshalb Fragen der Beweiswürdigung nicht an ihn herangetragen werden dürfen (RIS-Justiz RS0007236 [T7]). Als Ersatz für eine im Revisionsrekursverfahren unzulässige Beweisrüge kann auch nicht der Revisionsrekursgrund der Aktenwidrigkeit herangezogen werden, indem etwa der Revisionsrekurswerber dem Rekursgericht ein unrichtiges Verständnis der Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen in dessen Gutachten unterstellt (RIS-Justiz RS0117019 [T1], RS0007236). Mit dem Vorbringen, dass bei richtiger Würdigung des Inhalts des psychiatrischen Sachverständigengutachens das Erstgericht nicht zu dem Ergebnis gelangen hätte dürfen, dass beim Antragsteller keine schwere Anpassungsstörung vorliege, sondern zwingend der Schluss hätte gezogen werden müssen, dass ihm „weder Verschulden noch Arbeits- und Ausbildungsunwilligkeit vorzuwerfen sei“, wird daher keine Aktenwidrigkeit aufgezeigt. Es hat bei der ‑ für den Obersten Gerichtshof bindenden ‑ Feststellung zu bleiben, dass beim Antragsteller ab 1. 9. 2012 (aus psychiatrischer Sicht) kein Hinweis auf eine Reduktion der Arbeits- und Ausbildungsfähigkeit bestand.

1.2 Auch durch die Erwähnung oder Nichterwähnung einer Parteienbehauptung wird eine Aktenwidrigkeit nicht verwirklicht, insbesondere nicht durch die Behauptung, das Rechtsmittelgericht habe sich nicht mit einer bestimmten Urkunde ausreichend auseinandergesetzt (RIS-Justiz RS0043402 [T4]).

2.1 Selbsterhaltungsfähig ist ein Kind dann, wenn es die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist (RIS-Justiz RS0047567 [T4]). Grundsätzlich muss jedem Kind zugebilligt werden, eine Berufsausbildung zu absolvieren, die höhere Einkommenschancen eröffnet. Die Selbsterhaltungsfähigkeit tritt daher grundsätzlich mit Abschluss einer Berufsausbildung ein (RIS-Justiz RS0047621). Nach Beendigung der Berufsausbildung ist dem Unterhaltsberechtigten noch ein angemessener Zeitraum für die zielstrebige Arbeitsplatzsuche einzuräumen (8 Ob 3/13v); dieser wurde in einer Dauer von 6 Monaten als angemessen erachtet (3 Ob 270/97w).

2.2 Im Allgemeinen schließt die Berufsausbildung erst an die Beendigung (den Abschluss oder Abbruch) der Schule an (RIS-Justiz RS0047527 [T3]). Daraus folgt, dass ein Schulabbruch allein noch nicht das Erlöschen des Unterhaltsanspruchs bewirkt. Da die Berufswahl prägend für das gesamte weitere Leben sein kann, ist dem Unterhaltsberechtigten auch eine nach den Umständen zumutbare Zeitspanne zuzubilligen, um eine zielstrebige Grundausbildung bzw einen Ausbildungsplatz in dem von ihm erwünschten Berufszweig zu erlangen. Wie der Oberste Gerichtshof klargestellt hat, ist einem Unterhaltsberechtigten in diesem Sinn eine gewisse Zeit der Neuorientierung zuzubilligen (8 Ob 3/13v; 7 Ob 640/92). Für Zeitabschnitte, in denen das Kind die (Schul‑)Ausbildung nicht ernsthaft oder zielstrebig betreibt, ist aber anerkannt, dass der Unterhaltspflichtige keinen Unterhalt leisten muss (vgl EFSlg 104.044), sofern am Arbeitsmarkt ein die Selbsterhaltungsfähigkeit vermittelndes Einkommen ‑ allen-falls auch im Bereich von Hilfsarbeitertätigkeiten ‑ erzielt werden kann. Kein Unterhaltsverlust tritt hingegen ein, solange noch begründete Aussicht auf einen Ausbildungsabschluss besteht oder dem Kind krankheitshalber bzw entwicklungsbedingt die Fähigkeit zur eigenen Bedarfsdeckung fehlt. Die Beurteilung des Eintritts der Selbsterhaltungsfähigkeit mangels zielstrebiger Verfolgung der Schulausbildung ist von den konkreten Bemühungen des Kindes abhängig, sich um eine geeignete Berufsausbildung umzusehen, weiters auch von der tatsächlichen Berufsausbildung, weshalb sich der angemessene Zeitraum für das Aufrechtbleiben des Unterhaltsanspruchs nach Beendigung der Schulausbildung nicht vorweg bestimmen lässt (8 Ob 3/13v). Eine Frist von sechs Monaten wird von der Rechtsprechung regelmäßig akzeptiert (EFSlg 138.464, EFSlg 138.465; 3 Ob 270/97w).

2.3 Fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit ist anzunehmen, wenn das unterhaltsberechtigte Kind nach Ende des Pflichtschulalters weder eine weitere zielstrebige Schulausbildung oder sonstige Berufsausbildung noch eine mögliche Erwerbstätigkeit betreibt, also arbeits- und ausbildungsunwillig ist, ohne dass krankheits- oder entwicklungsbedingt die Fähigkeiten fehlen, für sich selbst aufzukommen (RIS-Justiz RS0114658). Durch schuldhafte Ausbildungs- und Arbeitsverweigerung des Kindes kann auch eine dauernde fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit eintreten, sodass ein neues Unterhaltsbegehren als Rechtsmissbrauch zu werten ist. Voraussetzung der fiktiven Selbsterhaltungsfähigkeit ist aber, dass das Kind am Scheitern einer angemessenen Ausbildung oder Berufsausübung ein Verschulden trifft (RIS-Justiz RS0047605), etwa bei endgültigem Studienabbruch, bei grundloser Aufgabe des Lehrplatzes oder Lehrplatzverlust wegen schwerwiegenden Fehlverhaltens (Neuhauser in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 140 Rz 412), obwohl das Kind an sich zum Abschluss einer die Selbsterhaltungsfähigkeit bewirkenden Ausbildung in der Lage wäre. Bei Prüfung der Frage, ob im Hinblick auf das Unterbleiben einer Ausbildung bzw Erwerbstätigkeit Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen ist, kann aber nicht von einem objektiven Sachverhalt ausgegangen werden, sondern es sind die Gründe zu erheben, die dazu führten, dass eine Ausbildung oder Berufstätigkeit unterblieb. Nur auf dieser Grundlage kann entschieden werden, ob dem Kind ein Verschulden zur Last fällt (9 Ob 509/95). Nicht zum Unterhaltsverlust führt etwa der Umstand, dass der Misserfolg des Abbruchs der schulischen Ausbildung aus psychischer Belastung resultiert oder sich als krankheitsbedingt ‑ etwa durch psychische Krankheit ‑ erweist (EFSlg 134.157). Die Anspannung des Kindes auf ein erzielbares Einkommen mit der Konsequenz des gänzlichen Entfalls des Unterhaltsanspruchs erfolgt nach der Rechtsprechung grundsätzlich weniger streng als beim Unterhaltspflichtigen (4 Ob 13/01t).

3. Verwirken können Kinder ihren Unterhaltsanspruch nicht. Es könnte nur eine Beschränkung des gesetzlichen Unterhalts des Kindes auf das Maß des notdürftigen Unterhalts eintreten, wenn das Kind eine Handlung begeht, die die Entziehung des Pflichtteils rechtfertigt (RIS-Justiz RS0047642).

4. Für den vorliegenden Fall ergibt sich aus diesen Grundsätzen:

a) Für den Zeitraum 1. 7. 2012 bis 3. 9. 2012:

Nach den Feststellungen hat der Antragsteller bis 29. 6. 2012 (zum zweiten Mal) die 1. Klasse der H***** besucht und nach den Sommerferien am 3. 9. 2012 die Wiederholungsprüfung im Fach „Deutsch“ mit Erfolg bestanden. Infolge dieser schulischen Bemühungen ist bis 3. 9. 2012 keine schuldhafte „Ausbildungsunwilligkeit“ anzunehmen und kann es nicht zu einem Verlust des Unterhaltsanspruchs kommen. Es ist darauf hinzuweisen, dass der Unterhaltsschuldner für den Monat September 2012 eine „freiwillige“ Unterhaltsleistung in der Höhe von 200 EUR erbracht hat.

b) Für den Zeitraum 4. 9. 2012 bis 2. 9. 2013:

Wie bereits ausgeführt, hat die Anspannung des Kindes auf ein erzielbares Einkommen mit der Konsequenz des gänzlichen Entfalls des Unterhaltsanspruchs grundsätzlich weniger streng zu erfolgen als beim Unterhaltspflichtigen. Die Frage, ob dem Antragsteller im Zeitraum vom 4. 9. 2012 bis 2. 9. 2013 ein Verschulden am Unterbleiben einer weiteren Schul- oder Berufsausbildung oder der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Last zu legen ist, kann aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen noch nicht beurteilt werden, weil das Erstgericht zum Vorbringen des Antragstellers, er sei jedenfalls nach Ansicht der behandelnden Ärztin damals nicht erwerbsfähig gewesen bzw er habe sich beim Arbeitsmarktservice nach bestandener Wiederholungsprüfung im September 2012 arbeitslos gemeldet, keine Feststellungen getroffen hat. Ebenso blieb sein weiteres Vorbringen ungeprüft, man habe ihm beim Arbeitsmarktservice erklärt, „er sei mit seiner bisherigen Ausbildung am Arbeitsmarkt chancenlos“.

Eine (allfällige) Selbsterhaltungsfähigkeit infolge nachhaltigen Unterlassens zumutbarer Bemühungen um eine Ausbildung oder Berufstätigkeit wird jedenfalls nur anzunehmen sein, sofern am Arbeitsmarkt ein die Selbsterhaltungsfähigkeit vermittelndes Einkommen ‑ auch im Bereich von Hilfsarbeitertätigkeiten ‑ erzielt werden hätte können. Auch dazu werden (allenfalls) entsprechende Feststellungen zu treffen sein. Insbesondere wird festzustellen sein, ob die Vermittlung eines konkreten Arbeitsplatzes möglich gewesen wäre.

Zur „Orientierungsphase“:

Auch im Bereich des weithin vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahrens außer Streitsachen (§ 16 Abs 1 AußStrG) sind subjektive Behauptungs- und Beweislastregeln jedenfalls dann heranzuziehen, wenn über vermögensrechtliche (also auch unterhaltsrechtliche) Ansprüche, in denen einander die Parteien in verschiedenen Rollen gegenüberstehen, zu entscheiden ist (RIS-Justiz RS0006261). Der Unterhaltsschuldner hat die für seinen Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen ausreichend zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0106533, insbesondere jene Umstände, die seine Unterhaltsverpflichtung aufheben oder vermindern sollen (RIS-Justiz RS0111084). So trifft ihn ‑ als den bei Anspannung des Kindes auf ein (fiktiv) erzielbares Einkommen Begünstigten ‑ die Behauptungs- und Beweislast für die dafür erforderlichen Voraussetzungen. Umgekehrt trägt das Kind im Fall der Anspannung auf ein fiktives Einkommen die Behauptungs- und Beweislast für fehlendes Verschulden bzw mangelnde Fahrlässigkeit(Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht7 69 mwN; 2 Ob 141/11s; 6 Ob 11/99g). Es hat daher auch das Kind zu behaupten und zu beweisen, dass der Eintritt seiner fiktiven Selbsterhaltungsfähigkeit wegen einer notwendigen beruflichen Orientierungsphase hinausgeschoben ist. Dabei müssen die Tatsachen, auf die ein Antrag oder ein Gegenantrag gestützt werden soll, bereits in erster Instanz vorgebracht werden (RIS-Justiz RS0006790).

Sofern der Antragsteller die Zubilligung einer beruflichen Orientierungsphase begehrt, hat er demnach bereits im Verfahren erster Instanz die erforderlichen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, etwa dass er sich ‑ entweder schon parallel zu seiner psychotherapeutischen Behandlung oder im Anschluss daran ‑ konkret um Ausbildungsalternativen gekümmert oder sich um Lehrstellen umgesehen habe. Ob das bisherige erstinstanzliche Tatsachenvorbringen im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung für die Einräumung einer beruflichen Orientierungsphase ausreichend ist, wird ebenfalls im fortzusetzenden Verfahren zu beurteilen sein.

c) Für den Zeitraum ab 2. 9. 2013:

Selbst wenn sich der Antragsteller für einen gewissen Zeitraum wie ein Selbsterhaltungsfähiger behandeln lassen müsste, falls er sich aus seinem Verschulden nicht konkret um eine weitere Ausbildung oder Berufstätigkeit gekümmert haben sollte, kommt es mit dem Beginn der Lehre als Informationstechnologie-Techniker ab 2. 9. 2013 zum Wiederaufleben der Unterhaltspflicht des Vaters (RIS-Justiz RS0047533 [T7]). Auch eine bereits wegen Selbsterhaltungsfähigkeit oder angenommener Selbsterhaltungsfähigkeit erloschene Unterhaltspflicht kann wieder aufleben wenn etwa ein neues Ausbildungsziel (hier: Absolvierung der Lehre als Informationstechnologie-Techniker) ernstlich und strebsam verfolgt wird und dem unterhaltspflichtigen Elternteil die Finanzierung der neuen Ausbildungswünsche zumutbar ist. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen bei Entscheidungen eines in Berufsausbildung oder am Beginn der Berufsausübung stehenden Kindes für eine geänderte (weitere) Berufsausbildung Schuldzuweisungen mit der Rechtsfolge der bleibenden, hypothetischen Selbsterhaltungsfähigkeit keine maßgebliche Bedeutung haben. Vielmehr ist immer auch am Kindeswohl zu messen, ob solche Veränderungen in der Ausbildung oder am Beginn des Berufslebens eines Kindes dessen Lebensverhältnisse entscheidend verbessern können. Erst danach ist zu prüfen, ob dem - diesem Vorhaben widersprechenden - Unterhaltspflichtigen die Verlängerung oder das Wiederaufleben seiner Unterhaltsverpflichtung nach seinen Lebensverhältnissen zumutbar ist (6 Ob 85/08f).

Im vorliegenden Fall entspricht es dem Wohl des Antragstellers, eine Lehre zu beginnen, weil sich nach dem gewöhnlichem Lauf der Dinge seine Lebensverhältnisse durch eine abgeschlossene Lehrausbildung wesentlich verbessern. Dass die von ihm gewählte Ausbildung nicht seinen Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten entsprochen hätte und von vornherein nicht damit zu rechnen gewesen wäre, dass er die Ausbildung mit Erfolg bewältigen werde, wurde nicht behauptet. Die Tatsache der am 24. 6. 2013 erfolgten Anmeldung beim Abendgymnasium könnte hingegen das (allfällige) Aufleben der Unterhaltspflicht noch nicht bewirken, weil an diesem Gymnasium der Lehrbetrieb erst wieder nach den Sommerferien anfangs September 2013 aufgenommen wurde und erst dann mit dem Schulbesuch begonnen hätte werden können.

5. Die Höhe des Unterhaltsanspruchs wird im fortzusetzenden Verfahren nach Erörterung mit den Parteien festzusetzen sein. Dabei wird für den Zeitraum ab 2. 9. 2013 die Lehrlingsentschädigung als Eigeneinkommen zu berücksichtigen sein.

In Stattgebung des Revisionsrekurses waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung aufzuheben.

6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 AußStrG.

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