OGH 8ObA23/16i

OGH8ObA23/16i17.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann‑Prentner und Dr. Weixelbraun‑Mohr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Z*****, vertreten durch Dr. Clemens Pichler, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 70.000 EUR sA, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 14. Jänner 2016, GZ 7 Ra 61/15t‑29, mit dem das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 27. Mai 2015, GZ 36 Cga 166/13d‑25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00023.16I.0817.000

 

Spruch:

Beide Revisionen werden zurückgewiesen.

Die Rechtsmittelwerber haben die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils selbst zu tragen.

Begründung

Der 1951 geborene Kläger war seit 1982 Vertragspartner der Beklagten. Er führte zuletzt aufgrund des Tankstellenpachtvertrags vom 20. Oktober und 30. Dezember 2009 eine Tankstelle der Beklagten an einem neu eröffneten Standort.

Als der Kläger von der für ihn zuständigen Sozialversicherungsanstalt erfuhr, dass er ab 1. Oktober 2013 berechtigt sei, die Korridorpension in Anspruch zu nehmen, wollte er das Pachtverhältnis zur Beklagten unter Wahrung seines Ausgleichsanspruchs beenden und verfasste im März 2013 ein Schreiben, in dem er die Beklagte darüber informierte, dass er mit 1. Oktober 2013 in Pension gehen werde. Ein Fortführen seiner Tätigkeit über den 30. September 2013 hinaus sei ihm nicht zumutbar. Er ersuche um Zustimmung zu einer einvernehmlichen Beendigung per 30. September 2013. Der Kläger erhielt eine Antwort der Beklagten, in der die „Kündigung des Tankstellenvertrages [...] zur Kenntnis“ genommen wurde. Die Beklagte ersuchte den Kläger, mit der Geltendmachung allfälliger Ausgleichsansprüche, die erst nach Ende der Vertragsbeziehung entstehen könnten, zuzuwarten und sie neuerlich schriftlich zu kontaktieren, wobei er dann auch die Höhe der Ausgleichsforderung bekannt geben möge.

Vor Auflösung des Pachtvertrags hatte der Kläger gesundheitliche Probleme (insbesondere beim Stehen, starkes Anschwellen der Venen – vor allem im Sommer – und schwere Kreuzschmerzen), die ihm die Ausübung seiner Tätigkeit als Pächter erschwerten. Er arbeitete täglich zwischen 6:30 Uhr und 16:00, 17:00 oder 18:00 Uhr in der Tankstelle. Die Beklagte gab dem Kläger vor, die Tankstelle rund um die Uhr offen zu halten, obwohl in der Zeit zwischen 1:00 Uhr und 4:00 Uhr nur wenig bis keine Umsätze erzielt wurden. Der Kläger pflegte den persönlichen Kontakt zu seinen Kunden und er war bei ihnen wegen seiner Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft beliebt. Er hatte drei bis vier Beschäftigte in seinem Betrieb.

Der Kläger begehrt von der Beklagten 70.000 EUR sA. Er habe durch sein Schreiben vom März 2013 eine einvernehmliche Beendigung des Vertrags angestrebt und die Beklagte habe einer solchen Auflösung letztlich durch ihr Verhalten zugestimmt. Er sei aber auch zur anspruchswahrenden Kündigung des Vertrags berechtigt gewesen, denn die Tätigkeit als Tankstellenpächter sei ihm aufgrund seiner altersbedingten Beschwerden nicht mehr zumutbar gewesen. Der Kläger habe der Beklagten neue Kunden zugeführt und bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert; die Beklagte werde nach Auflösung des Vertrags dadurch noch erhebliche Vorteile erzielen. Auch für den Folgemarkt (Geschäft, Gastronomie, Waschgeschäft) stehe dem Kläger ein Ausgleichsanspruch analog § 24 HVertrG zu. Vorerst werde nur ein Teilbetrag des – näher aufgeschlüsselt errechneten – Ausgleichsanspruchs geltend gemacht.

Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, wegen seiner Eigenkündigung stehe dem Kläger kein Ausgleichsanspruch zu. Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Tätigkeit wegen Alters, Krankheit oder sonstiger Gebrechen liege nicht vor. Der Kläger sei bei der Kündigung noch mehr als zwei Jahre von der Vollendung des Regelpensionsalters entfernt gewesen. Außerdem seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Ausgleichsanspruchs nicht erfüllt.

Mit „ Zwischenurteil gemäß § 393 Abs 1 ZPO“ erkannte das Erstgericht das Klagebegehren im zweiten Rechtsgang als dem Grunde nach zu Recht bestehend. Das Berufungsgericht hatte im ersten Rechtsgang die Rechtsauffassung vertreten, dass keine einvernehmliche Auflösung des Tankstellenachtvertrags erfolgt sei, weil angesichts der beiderseitigen Erklärungen der Streitteile von einem Dissens auszugehen sei. Es wäre daher unter den gegebenen Umständen Sache des Klägers gewesen klarzustellen, dass er keine Selbstkündigung wolle. Eine nähere Erörterung sei aber entbehrlich, weil auch die Eigenkündigung des Klägers wegen Alters berechtigt und ausgleichsanspruchswahrend gewesen sei. Diese Rechtsauffassung legte das Erstgericht seiner nunmehrigen Entscheidung zugrunde. Dem Kläger, der seit Oktober 2013 eine Pension beziehe, sei die Fortsetzung der Tätigkeit als Tankstellenpächter wegen Alters und seiner gesundheitlichen Probleme nicht mehr zumutbar. Die Tankstelle werde weiterhin von Stammkunden frequentiert, die der Kläger geworben und gehalten habe; der Kläger erleide durch die Auflösung des Pachtvertrags Provisionsverluste. Zum Folgegeschäft seien die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch ebenfalls erfüllt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Dem Kläger sei wegen der konkret gegebenen Umstände, insbesondere aufgrund seines Alters, der außergewöhnlich hohen persönlichen Arbeitsleistung und der Verpflichtung, die Tankstelle rund um die Uhr offen zu halten, die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar gewesen, weshalb durch die Kündigung sein Ausgleichsanspruch nicht beseitigt worden sei.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Klärung der Frage zu, „ob einem im 63. Lebensjahr stehenden Korridorpensionsbezieher die Aufrechterhaltung seines Pachtvertrags nur dann nicht zumutbar sei, wenn eine Umorganisation des Betriebs bei entsprechender Reduktion der persönlichen Arbeitsleistung eine gewinnbringende Führung der Tankstelle nicht ermöglicht“.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung; sie beantragt die Abänderung in eine klagsabweisende Entscheidung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

In seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Auch der Kläger erhebt Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Begründung des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass von einer einvernehmlichen, hilfsweise von einer den Ausgleichsanspruch wahrenden Beendigung des Vertragsver‑ hältnisses ausgegangen werde.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Zur Revision der Beklagten:

Zur Auslegung des Kündigungsgrundes des „Alters“ hat der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 9 ObA 2/04s, 9 ObA 105/10x, 9 ObA 126/14s und 9 ObA 140/14z ausführlich Stellung genommen. Danach indiziert die Eigenkündigung des Handelsvertreters bei Vorliegen des Regelpensionsalters jedenfalls die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Vertreterverhältnisses. In allen übrigen Fällen der Eigenkündigung „wegen des Alters“ muss konkret dargelegt werden, weshalb dem Handelsvertreter wegen des Alters eine Fortsetzung der Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann. Die Unzumutbarkeit der Fortsetzung wegen des Alters ist daran zu messen, ob die konkret vereinbarten Tätigkeiten in zumutbarer Weise weiter ausgeübt werden können oder nicht. Es kommt daher – wie bei der Kündigung wegen Krankheit oder Gebrechen – auch beim Alter nicht auf eine generelle Erwerbsunfähigkeit als Handelsvertreter, sondern (insoweit ist der Beklagten beizupflichten) auf das konkrete Vertragsverhältnis und die Umstände des Einzelfalls an. Bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Fortsetzung wegen des Alters können beispielsweise Umstände wie das Ausmaß der Reisetätigkeit des Handelsvertreters, die Größe des Vertretungsgebiets und die Zahl der Kunden und Kundengespräche eine Rolle spielen (vgl Nocker , HVertrG 1993 § 24 Rz 321; 9 ObA 105/10x), ohne dass eine Krankheit oder ein Gebrechen vorliegen müsse. Dies bedeutet aber nicht, dass – wie die Revision meint – im Rahmen der Beurteilung der altersbedingten Unzumutbarkeit der weiteren Tätigkeit gesundheitliche Aspekte (insbesondere alterstypischer Art) überhaupt keine Rolle spielen dürfen. Entscheidend ist nur, dass dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen seines Alters nicht mehr zugemutet werden kann (9 ObA 105/10x; 9 ObA 140/14z).

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht umfangreiche Feststellungen zur vertraglichen Grundlage des Pachtverhältnisses sowie zur tatsächlichen Handhabung der Vertragsbeziehung getroffen und auch die konkrete Belastung und den (hier durchaus alterstypisch) beeinträchtigten Gesundheitszustand des im 63. Lebensjahr stehenden Klägers festgestellt. Ebenso wurde festgestellt, dass der Kläger die – von ihm neu eröffnete – Tankstelle „rund um die Uhr“ offen halten musste. Das Vorbringen des Klägers, die Tankstelle sei ohne seinen persönlichen Einsatz nicht betriebswirtschaftlich zu führen gewesen, hat die Beklagte in erster Instanz nie bestritten. Bestritten hat sie lediglich das Ausmaß der von ihm behaupteten Arbeitsleistung des Klägers, nicht aber das wirtschaftliche Erfordernis dieses persönlichen Einsatzes. Sie hat auch nicht behauptet, dass es dem Kläger möglich gewesen wäre, seine Tätigkeit im Betrieb zu reduzieren und seine Mitarbeiter anders einzusetzen, um dann allenfalls doch noch die Tankstelle zumutbar (und noch gewinnbringend) weiter führen zu können. Auf diesen erstmals im Rechtsmittelverfahren erhobenen Einwand ist daher wegen des Neuerungsverbots nicht einzugehen.

Das Berufungsgericht hat daher mit seiner Beurteilung, dem Kläger sei die Fortsetzung seiner Tätigkeit als Tankstellenpächter aufgrund seines Alters unter den gegebenen Umständen nicht zumutbar, den ihm bei derartigen Wertungsentscheidungen offenstehenden Spielraum nicht überschritten, sodass insoweit keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage zu beantworten ist.

Die vom Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung aufgeworfene Frage der „Grenzen der Zumutbarkeit der Umorganisation“ des Betriebs eines Tankstellenpächters stellt sich im Anlassfall aus dem schon oben dargelegten Grund nicht.

2. Zur Revision des Klägers:

Der Kläger wendet sich mit seiner Revision allein gegen die Begründung der Entscheidung des Berufungsgerichts, nach der eine – iSd § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG 1993 wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung – berechtigte Eigenkündigung vorliege. Der Kläger habe das Vertragsverhältnis nicht selbst gekündigt, weshalb ein Verlust des Ausgleichsanspruchs nicht eingetreten sein könne.

Allgemeine Voraussetzung der Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist ein Eingriff in die geschützte Rechtssphäre (RIS‑Justiz RS0006497), und zwar durch den Spruch der bekämpften Entscheidung (RIS‑Justiz RS0041848). Eine Beschwer bloß durch die Entscheidungsgründe kann bei einem Aufhebungsbeschluss (RIS‑Justiz RS0007094) oder einem Zwischenurteil (RIS‑Justiz RS0040958) vorliegen. Auch für im Zwischenurteil obsiegende Parteien ist aber für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels Voraussetzung, dass sie durch die Entscheidungsgründe tatsächlich beschwert wurden (RIS‑Justiz RS0040958 [T1, T6]), etwa weil diese auch für die Höhe des Anspruchs bindend sind und diese Fragen andernfalls nicht mehr aufgerollt werden könnten (RIS‑Justiz RS0040958 [T3, T4]).

Hier ist der Kläger durch das Zwischenurteil und die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht beschwert, weil – wie eben aus Anlass der Behandlung der Revision der Beklagten gezeigt wurde – auch die rechtliche Beurteilung der von den Parteien hier vorgenommenen Beendigung der Vertragsbeziehung als eine Eigenkündigung des Handelsvertreters gemäß § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG 1993 unter den gegebenen Umständen den Ausgleichsanspruch nicht ausschließt und auf die Höhe dieses Anspruchs keinen Einfluss hat.

3. Zur Kostenentscheidung:

Die Parteien haben jeweils in ihren Revisionsbeantwortungen auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen. Die jeweils dafür verzeichneten Kosten belaufen sich jedoch auf denselben Betrag, weshalb sich ein – je gleichlautender – Ersatzausspruch erübrigt.

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