OGH 6Ob130/16k

OGH6Ob130/16k20.7.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** K*****, vertreten durch Dr. Lukas Lorenz und Dr. Sebastian Strobl, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei L*****, vertreten durch Dr. Peter Lechner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 46.415,26 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 36.611,83 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Mai 2016, GZ 2 R 54/16g‑25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00130.16K.0720.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Anwendbarkeit des § 273 ZPO hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und hat daher keine über diesen hinausgehende Bedeutung (RIS‑Justiz RS0040494). Die Bestimmung ist nicht nur bei der Ermittlung von Schadenersatzansprüchen, sondern auch dann anzuwenden, wenn einer Partei der Ersatz des Interesses gebührt oder sie sonst eine Forderung zu stellen hat (RIS‑Justiz RS0040510).

1.2. Im vorliegenden Fall steht fest, dass ein – wenngleich nicht näher quantifizierbarer – Teil der Leistungen von Dr. F***** und DDr. F***** im gleichmäßigen Interesse aller aus der Privatstiftung „ausscheidenden“ Personen war.

1.3. Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage zu dem Ergebnis gelangte, dass hier der Beweis über die Zuordnung der Aufwendungen iSd § 273 Abs 1 ZPO „gar nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu erbringen ist“, dann ist darin keine im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Der vorliegende Fall ist auch mit dem der Entscheidung 2 Ob 605/86 zugrundeliegenden Sachverhalt, wo feststand, dass genaue Aufzeichnungen vorhanden waren, jedoch ohne Grund einfach nicht vorgelegt worden, nicht vergleichbar. Anders als in jenem Fall bestehen im vorliegenden Fall keine Hinweise auf eine „Beweisunwilligkeit“ der Beklagten, vielmehr hat der Revisionswerber offenbar selbst eine zur Aufklärung der Zuordnung der Leistungen dienliche Entbindung von Verschwiegenheitspflichten verweigert (AS 181, 191).

1.4. Die Festlegung der konkreten Beträge, die in Anwendung des § 273 ZPO geschätzt werden, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RIS‑Justiz RS0040364 [T6]). Dabei können nur gravierende, an die Grenzen des Missbrauchs gehende Fehler bei der Anwendung des richterlichen Ermessens an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RIS‑Justiz RS0007104 [T4]). Ein derartiger Fehler wird nicht behauptet; die Revision tritt der vom Berufungsgericht vorgenommenen konkreten Aufteilung nicht substanziiert entgegen.

2. Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe eine unzulässige Überraschungsentscheidung gefällt, geht ins Leere. Die Beklagte hat in ihrer Berufung ausdrücklich als Verfahrensmangel geltend gemacht, dass das Erstgericht zu Unrecht § 273 ZPO nicht angewendet habe. Der Kläger hat darauf in seiner Berufungsbeantwortung repliziert. Schon aus diesem Grund liegt keine überraschende Rechtsansicht vor (vgl RIS‑Justiz RS0120056 [T4]). Im Übrigen legt der Revisionswerber nicht konkret dar, welches zusätzliche oder andere Vorbringen er aufgrund der von ihm nicht beachteten neuen Rechtsansicht erstattet hätte (RIS‑Justiz RS0037300 [T48]).

3. Auch der Hinweis auf einen angeblichen Verstoß gegen das Doppelvertretungsverbot ist nicht stichhaltig. Der Kläger hat nicht dargetan, wieso ihm aus der angeblich unzulässigen Doppelvertretung ein Schaden entstanden sein sollte.

4.1. Zur Vorsteuerabzugsberechtigung der beklagten Partei hat das Erstgericht eine Negativfeststellung getroffen. Im Übrigen normiert Art XII Z 3 EGUStG, dass der Umstand, dass jemand, der Anspruch auf Schadenersatz hat, vorsteuerabzugsberechtigt ist, bei der Bemessung des Schadenersatzes nicht zu berücksichtigen ist. Dem Ersatzpflichtigen erwächst jedoch gegen den Ersatzberechtigten ein Rückersatzanspruch in der Höhe des Umsatzsteuerbetrags, sobald und soweit ihn der Ersatzberechtigte als Vorsteuer abziehen könnte (vgl RIS‑Justiz RS0038172, RS0037844).

4.2. Diese Bestimmung ist nicht nur im Schadenersatzrecht im engeren Sinn, sondern generell im „Ersatzrecht“ im weiteren Sinn anzuwenden (RIS‑Justiz RS0038172 [T4] = 4 Ob 2385/96f). Die Absicht des Gesetzgebers geht dahin, aus dem Prozess über den Ersatz einer Sache oder Leistung die Frage der Berechtigung zum Abzug der Vorsteuer und daraus ableitbare Ansprüche des Ersatzpflichtigen auszuklammern (RIS‑Justiz RS0038172 [T1]). Der Prozess soll durch Steuerfragen nicht erschwert oder verzögert werden (RIS‑Justiz RS0038172 [T5]). Damit hat für die strittigen Honoraraufwendungen „ersatzpflichtig“ im Sinne der dargelegten Rechtsprechung ist, jedenfalls Anspruch auf den vollen Bruttobetrag. Nimmt die Beklagte in der Folge einen Vorsteuerabzug tatsächlich vor (oder unterlässt sie ihn schuldhaft), so hätte der Kläger gegen die Beklagte einen Rückersatzanspruch in Höhe der Umsatzsteuer, der jedoch nur in einem allenfalls nachfolgenden zweiten Verfahren geklärt werden könnte (vgl 4 Ob 193/10a Erwägungsgrund 3.2 bis 3.4).

5. Zusammenfassend bringt die Revision im Ergebnis keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

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