OGH 10Ob52/15t

OGH10Ob52/15t7.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. A*****, vertreten durch Dr. Hanno Hofmann, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei K***** Errichtungs- und Vermietungs-GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Riedelsberger, Rechtsanwalt in Linz, wegen 13.698,70 EUR (Revisionsstreitwert 11.298,70 EUR), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. März 2015, GZ 14 R 213/14p‑13, womit das Teilurteil des Bezirksgerichts Urfahr vom 16. Oktober 2014, GZ 17 C 770/14y‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0100OB00052.15T.0607.000

 

Spruch:

 

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 768,24 EUR (darin 128,04 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Mit Kaufvertrag vom 31. Jänner 2012, einem beiderseitigen Unternehmergeschäft, erwarb der Kläger, ein Baumeister, von der beklagten GmbH eine Liegenschaft mit einem zur Gänze vermieteten Haus, in dem 31 Kleinwohnungen bestehen. Als Kaufpreis wurde in dem von einem Notar verfassten Kaufvertrag ein Betrag von 817.000 EUR zuzüglich 20 % Umsatzsteuer, insgesamt 980.400 EUR festgelegt.

Punkt III. des Kaufvertrags („Berichtigung des Kaufpreises“) lautet:

„Der Käufer verpflichtet sich, den Nettokaufpreis von € 817.000,--

(achthundertsiebzehntausend Euro) längstens binnen eines Monats ab beidseitiger Unterfertigung dieses Vertrages zu treuen Handen des Urkundenverfassers zu erlegen.

Auf die Wertsicherung und die Sicherstellung des Nettokaufpreises wird verzichtet. Ebenso wird – selbst für den Fall des Zahlungsverzuges, unbeschadet gesetzlicher Rücktrittsrechte – auf die Verzinsung des Nettokaufpreises, und zwar bis zum Ablauf von sieben Monaten ab beiderseitiger Vertragsunterfertigung ausdrücklich verzichtet.

Danach sind bei Zahlungsverzug die für unternehmensbezogene Geschäfte gesetzlichen Verzugszinsen von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu entrichten.

Mit dem Treuhanderlag hat der Käufer seine Kaufpreiszahlungsverpflichtung in Ansehung des Nettokaufpreises gegenüber der Verkäuferin erfüllt.

Die Berichtigung der für den Kaufpreis entfallenden Umsatzsteuer erfolgt vereinbarungsgemäß auf die Weise, dass der Käufer beim zuständigen Finanzamt die Überrechnung seines entsprechenden Vorsteuerguthabens von seinem Steuerkonto auf das Steuerkonto der Verkäuferin beantragt. (….)

Im übrigen wird auf den Treuhandauftrag verwiesen, welchen die Vertragsparteien dem Urkundenverfasser gesondert erteilen.“

In Punkt IV. („Übergabe und Übernahme“) verpflichtete sich die Verkäuferin, die mietvertraglich vereinbarte bzw den Vertragsgegenstand betreffende Kaution sogleich an den Käufer auszufolgen, nachdem der vereinbarte Nettokaufpreis von 817.000 EUR zu treuen Handen des Urkundenverfassers erlegt wurde und der Umsatzsteuerbetrag berichtigt wurde.

Als „Verrechnungsstichtag“ für Mieteinnahmen und Betriebskosten wurde in Punkt IV. der 1. Februar 2012 festgelegt.

Der Nettokaufpreis war am 29. Februar 2012 zur Zahlung fällig; beim Treuhänder erlegt wurde er erst am 16. April 2012. Nach Einlangen des Umsatzsteuerbetrags überwies die beklagte Partei die den Vertragsgegenstand betreffende Kaution in Höhe von 27.000 EUR, jedoch vermindert einerseits um Verzugszinsen in Höhe von 11.298,70 EUR für die verspätete Zahlung des Kaufpreises (8,88 % aus 817.000 EUR für 57 Tage) sowie andererseits um Anwaltskosten in Höhe von 2.400 EUR, die im Zusammenhang mit der verspäteten Umsatzsteuerüberrechnung angefallen waren. Diese beiden Beträge (insgesamt 13.698,70 EUR sA) werden vom Kläger mit seiner Klage geltend gemacht.

Mit Teilurteil vom 16. Oktober 2014 sprach das Erstgericht dem Kläger den Betrag von 11.298,70 EUR samt Zinsen von 8 % über dem Basiszinssatz seit 10. Mai 2014 zu. Aus der Wortinterpretation von Punkt III. des Kaufvertrags ergebe sich eindeutig, dass die Parteien selbst für den Fall des Zahlungsverzugs auf die Verzinsung des Nettokaufpreises bis zum Ablauf von sieben Monaten ab beiderseitiger Vertragsunterfertigung ausdrücklich verzichtet hätten. Dies sei weder gesetz- noch sittenwidrig. Der mit der Umsetzung der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011 (RL 2011/7/EU vom 16. Februar 2011) eingeführte und am 16. März 2013 in Kraft getretene § 459 Abs 1 UGB sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Das Berufungsgericht bestätigte das Teilurteil. Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB sei nur dann zu bejahen, wenn eine Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergebe oder wenn bei Interessenskollisionen ein grobes Missverhältnis zwischen den verletzten und den geförderten Interessen vorliege. Ein bewusst herbeigeführter Liquiditätsvorteil im Sinne des Erwägungsgrundes 19 der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000 sei im Zusammenhang mit der Erfüllung eines Liegenschaftskaufvertrags nicht erkennbar, zumal es sich dabei um eine einmalige größere Investition handle. Darüber hinaus erkläre auch der mit dem ZVG 2013 (BGBl I 2013/50) eingeführte und seit 16. März 2013 in Geltung stehende § 459 Abs 4 UGB lediglich den gänzlichen Ausschluss von Verzugszinsen als jedenfalls grob nachteilig gemäß Art 7 Abs 2 der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2011. Der in Punkt III. des Liegenschaftskaufvertrags vereinbarte Verzicht auf Verzugszinsen für einen Zeitraum von sieben Monaten sei daher selbst unter besonderer Berücksichtigung der Intentionen der Zahlungsverzugs-Richtlinie mangels Vorliegens einer groben Benachteiligung der Liegenschaftsverkäuferin nicht als sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB anzusehen.

Die Revision sei im Hinblick auf das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob ein vertraglich vereinbarter Verzicht auf Verzugszinsen für einen Zeitraum von sieben Monaten im Lichte der Intentionen der Zahlungsverzugs-Richtlinie 2000 bzw 2011 allenfalls als sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB anzusehen sei, zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klageabweisenden Sinn.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

In ihrer Revision stellt die beklagte Partei in den Vordergrund, dass Vereinbarungen, die eine längere als dreißigtägige Zahlungsfrist gewähren oder den Zinsenlauf nicht mit Ablauf der Zahlungsfrist beginnen lassen, nach § 879 Abs 1 ABGB nichtig sein können. Eine – einseitig die Verkäuferin gröblich benachteiligende – Zahlungsfrist von sieben Monaten sei nicht zu rechtfertigen und (teil-)nichtig. Ein Verzicht auf Verzugszinsen über eine Dauer von sieben Monaten komme faktisch einer Verlängerung der Zahlungsfrist gleich, wenn nicht sogar einem gänzlichen Ausschluss von Verzugszinsen. Dieser Schluss sei auch aus Art 7 Abs 2 der Richtlinie 2011/7/EU vom 16. Februar 2011 und aus der österreichischen Umsetzungsbestimmung in §§ 459 f UGB (samt den Gesetzesmaterialien dazu) zu ziehen. Darin, dass der Käufer keine Verzugszinsen zu zahlen gehabt habe, obwohl er bereits die Mieterträge aus dem Kaufobjekt lukriert habe, liege ein grobes Missverhältnis zu Lasten der Verkäuferin.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

1. Die hier zu beurteilende Vertragsklausel ist in einem am 31. Jänner 2012 abgeschlossenen Kaufvertrag enthalten.

1.1. Da die mit dem Zahlungsverzugsgesetz (ZVG, BGBl I 2013/50) für Rechtsgeschäfte zwischen Unternehmern eingeführten §§ 455 – 460 UGB gemäß § 906 Abs 25 Satz 2 UGB erst auf Verträge anzuwenden sind, die ab dem 16. März 2013 geschlossen wurden, sind auf den vorliegenden Kaufvertrag die vor dem Inkrafttreten des ZVG geltenden Bestimmungen anzuwenden (§ 906 Abs 25 Satz 3 UGB).

1.2. Das ZVG setzt unter anderem die Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl 2011 L 48/1 ff) in das innerstaatliche Recht um.

Art 12 Abs 4 dieser Richtlinie ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Verträge, die vor dem 16. März 2013 geschlossen worden sind, vom Anwendungsbereich auszunehmen; für diese Verträge gilt nach Art 13 Abs 1 Satz 2 der Richtlinie das Altrecht weiter. Da Österreich zulässigerweise von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, Altverträge von der Anwendung der Neuregelung auszunehmen, kann sich die beklagte Partei im Rahmen richtlinienkonformer Interpretation des innerstaatlichen Rechts nicht auf den Inhalt der „neuen“ Zahlungsverzugs‑RL berufen, auch nicht als Auslegungshilfe. Im Rahmen richtlinienkonformer Interpretation kann nur der Inhalt der Zahlungsverzugs‑RL 2000 herangezogen werden.

2. Die am 29. Juni 2000 erlassene Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Zahlungsverzugs‑RL, ABl 2000 L 200/35 ff) bezweckt die Bekämpfung unangemessen langer Zahlungsfristen sowie der mangelnden Zahlungsdisziplin von Unternehmen und öffentlichen Stellen ( Neumayr , Die Neufassung der Zahlungsverzugs-RL 2000/35/EG , Zak 2009/571, 352).

Erwägungsgrund 19 nimmt darauf Bezug, dass nach der Richtlinie der Missbrauch der Vertragsfreiheit zum Nachteil des Gläubigers verboten sein soll. „Falls eine Vereinbarung in erster Linie dem Zweck dient, dem Schuldner zusätzliche Liquidität auf Kosten des Gläubigers zu verschaffen, oder falls der Generalunternehmer seinen Lieferanten und Subunternehmern Zahlungsbedingungen aufzwingt, die auf der Grundlage der ihm selbst gewährten Bedingungen nicht gerechtfertigt sind, können diese Umstände als Faktoren gelten, die einen solchen Missbrauch darstellen. Innerstaatliche Vorschriften zur Regelung des Vertragsabschlusses oder der Gültigkeit von Vertragsbestimmungen, die für den Schuldner unbillig sind, bleiben von dieser Richtlinie unberührt.“

Eine zentrale Bestimmung der Richtlinie findet sich in ihrem Art 3 („Zinsen bei Zahlungsverzug“). Demnach sind Geldforderungen eines Gläubigers – sofern die Parteien nicht etwas Abweichendes vereinbart haben – mit einem vom Hauptrefinanzierungszinssatz der Europäischen Zentralbank abhängigen beweglichen Zinsfuß spätestens 30 Tage nach dem Eingang der Rechnung, nach dem Empfang der Sache oder Leistung oder nach einer Abnahme oder Überprüfung der Leistung zu verzinsen. Vereinbarungen, die mit diesem Regime nicht im Einklang stehen, können nach Art 3 Abs 3 der Richtlinie „grob nachteilig“ (und damit unwirksam) sein. Konkret lautet Art 3 Abs 3 der Zahlungsverzugs‑RL 2000:

„Die Mitgliedstaaten bestimmen, dass eine Vereinbarung über den Zahlungstermin oder die Folgen eines Zahlungsverzugs, die nicht im Einklang mit Absatz 1 Buchstaben b) bis d) und Absatz 2 steht, entweder nicht geltend gemacht werden kann oder einen Schadensersatzanspruch begründet, wenn sie bei Prüfung aller Umstände des Falles, einschließlich der guten Handelspraxis und der Art der Ware, als grob nachteilig für den Gläubiger anzusehen ist. Bei der Entscheidung darüber, ob eine Vereinbarung grob nachteilig für den Gläubiger ist, wird unter anderem berücksichtigt, ob der Schuldner einen objektiven Grund für die Abweichung von den Bestimmungen des Absatzes 1 Buchstaben b) bis d) und des Absatzes 2 hat. Wenn eine derartige Vereinbarung für grob nachteilig befunden wurde, sind die gesetzlichen Bestimmungen anzuwenden, es sei denn, die nationalen Gerichte legen andere, faire Bedingungen fest.“

3. Der österreichische Gesetzgeber hat die Zahlungsverzugs‑RL mit dem Zinsenrechts-Änderungsgesetz (ZinsRÄG, BGBl I 2002/118) umgesetzt (dazu Graf , Die Neuregelung der Rechtsfolgen des Zahlungsverzugs, Eine kritische Analyse des ZinsRÄG, wbl 2002, 437). Explizit zu keiner Umsetzungsvorschrift im österreichischen Recht führten die in Art 3 Abs 3 der Richtlinie genannten abweichenden Parteienvereinbarungen.

3.1. In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1167 BlgNR 21. GP 6 f) wird dazu ausgeführt:

„b. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie über die Unwirksamkeit grob nachteiliger Vereinbarungen, mit denen von der Zahlungsfrist oder den Zinsen nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie abgewichen wird, soll nicht eigens umgesetzt werden. Die Bestimmung entspricht nämlich weitgehend der Regelung des § 879 Abs. 3 ABGB. Die in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie angeführten Elemente (Handelspraxis, Art der Ware, Grund der vertraglichen Abweichung) sind bei der Prüfung der Unwirksamkeit einer Vertragsklausel zu berücksichtigen, ohne dass dies besonders bestimmt werden muss. Grob nachteilige vertragliche Vereinbarungen, die nicht in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern (auf die § 879 Abs. 3 ABGB abstellt) enthalten sind, können nach § 879 Abs. 1 ABGB nichtig sein. Zur Nichtigkeit kann es insbesondere dann kommen, wenn sich der Schuldner durch die Vereinbarung unfairer Zahlungsbedingungen „in erster Linie“ zusätzliche Liquidität auf Kosten des Gläubigers verschafft oder wenn er als Generalunternehmer seinen Lieferanten Bedingungen aufzwingt, die auf der Grundlage der ihm selbst gewährten Bedingungen nicht gerechtfertigt sind (siehe zu diesen Beispielen den Erwägungsgrund 19). Gemeint sind dabei vor allem Vereinbarungen, mit denen der Schuldner dem Gläubiger Zahlungsfristen aufoktroyiert, die erheblich von dem in der Richtlinie verkörperten Leitbild von 30 Tagen abweichen (etwa Fristen von drei oder vier Monaten, die sachlich nicht gerechtfertigt sind). Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang an die Vereinbarung niedriger Verzugszinsen zu denken, die den dem Gläubiger erwachsenden Nachteil nicht ausreichend widerspiegeln. Bei der Beurteilung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer Vereinbarung über die Zahlungsbedingungen wird auch darauf Bedacht zu nehmen sein, dass der Schuldner im Einzelfall auf Grund seiner wirtschaftlichen Überlegenheit in der Lage ist, den Gläubiger durch solche Bedingungen zu bedrängen. Dem Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung wird zudem durch die auf Grund der Zahlungsverzugs-Richtlinie bereits geänderte Bestimmung des § 35 Abs. 1 Z 1 Kartellgesetz vorgebeugt.“

3.2. Der hier angesprochenen Inhaltskontrolle nach § 879 ABGB unterliegen nicht nur Vereinbarungen über die Regelung des Umfangs des Schadenersatzanspruchs bei Schuldnerverzug, sondern auch Abreden über den Fälligkeitszeitpunkt selbst ( Graf , wbl 2002, 446). Insoweit hat allerdings der österreichische Gesetzgeber, der das Richtlinienmodell der grundsätzlich 30-tägigen Zahlungsfrist (Art 3 Abs 1 lit b der Richtlinie) nicht übernommen hat, in § 1334 Satz 2 ABGB europarechtlich zulässigerweise einen besseren Schutz des Gläubigers realisiert („Sofern die Parteien nicht anderes vereinbart haben, hat der Schuldner seine Leistung bei vertragsgemäßer Erbringung der Gegenleistung ohne unnötigen Aufschub nach der Erfüllung durch den Gläubiger oder, wenn die Parteien ein solches Verfahren vereinbart haben, nach der Abnahme oder Überprüfung der Leistung des Gläubigers oder, wenn die Forderung der Höhe nach noch nicht feststeht, nach dem Eingang der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung zu erbringen.“).

4. Gemäß § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Falls – wie im vorliegenden Fall (aufgrund der Disposivität von § 1333 Abs 1 ABGB bzw § 352 UGB aF) – ein gesetzliches Verbot fehlt, kommt Sittenwidrigkeit der Vereinbarung in Betracht. Eine solche kann allerdings nach der Rechtsprechung nur dann angenommen werden, wenn eine Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt (RIS-Justiz RS0045886). Letztlich geht es also im gegebenen Kontext um die Frage einer groben Äquivalenzstörung; eine solche kommt grundsätzlich auch bei Vereinbarungen über Verzugszinsen in Betracht (vgl RIS-Justiz RS0119802).

Das Sittenwidrigkeitskorrektiv ist im Hinblick auf die Vertragsfreiheit restriktiv einzusetzen (vgl RIS-Justiz RS0113654); aus einer Ungleichheit der beiderseitigen Vertragspflichten allein kann noch nicht auf eine Sittenwidrigkeit geschlossen werden (RIS-Justiz RS0016527 [T1]). Aus dem Ausnahmecharakter wird von der Rechtsprechung auch gefolgert, dass denjenigen, der sich auf Sittenwidrigkeit beruft, die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der die Sittenwidrigkeit begründenden Eigenschaften des Geschäfts trifft (siehe etwa zur sittenwidrigen Angehörigenbürgschaft RIS-Justiz RS0048300 [T37]).

5.1. Einen Hinweis darauf, welche Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Regelung von Zahlungsverzugsfolgen sittenwidrig sein können, gibt die Regelung des Art V ZinsRÄG, die die Möglichkeit der Verbandsklage schafft ( Graf , wbl 2002, 446 FN 58). Demnach kann mit Unterlassungsklage vorgegangen werden, wenn ein Unternehmer ohne sachliche Rechtfertigung grob nachteilige Zahlungsbedingungen verwendet, „indem er einem anderen unangemessen lange Zahlungsfristen oder wesentlich unter den gesetzlichen Zinsen liegende Verzugszinsen aufzwingt“.

Auch hier zeigt sich, dass für das Sittenwidrigkeitsurteil häufig mehrere Elemente zusammenspielen, etwa (als objektives Element) ein krasses Missverhältnis der beiderseitigen Verpflichtungen sowie (als subjektives Element) eine verdünnte Entscheidungsfreiheit auf einer Seite oder ein Ausnützen der Schwäche des Vertragspartners auf der anderen Seite.

5.2. Gerade bei einem „bewusst“ geschlossenen größeren Geschäft von Vertragspartnern, die sich „auf Augenhöhe“ begegnen (Hinweise auf eine generelle Ungleichgewichtslage finden sich nicht), reicht eine – im Vergleich zum dispositiven Gesetzesrecht – Bevorzugung einer Vertragspartei bei einer einzelnen Vertragsklausel regelmäßig nicht aus, um diese als teilnichtig qualifizieren zu können. Es ist durchaus denkbar, dass ein solcher Vorteil einen Ausgleich in einem anderen Teil des Vertragsinhalts gefunden hat, etwa bei der Preisbildung. Um die Anwendung der so genannten „Rosinentheorie“ zu vermeiden (dazu etwa RIS-Justiz RS0050688 [T1] und RS0050706), muss der Vertragsinhalt in einem breiteren Rahmen analysiert werden.

5.3. Wägt man die Interessen der Vertragsparteien ab, so kann sich die klagende Partei auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit und das Fehlen von Hinweisen auf eine generelle Ungleichgewichtslage zwischen den Parteien berufen, weiters auch darauf, dass der Beginn des Laufs der Verzugszinsen auf eine gewisse Zeit hinausgeschoben wurde, während andere aus einem Zahlungsverzug ableitbare Rechte (zB Rücktrittsrecht) nicht eingeschränkt wurden; auch ein Verzugszinsenanspruch wurde – anders als die beklagte Partei andeutet – nicht zur Gänze ausgeschlossen. Überdies war die beklagte Partei, trotz des Verrechnungsstichtags 1. Februar 2012, zur Herausgabe der bei ihr erliegenden Kaution erst nach Erlag des Kaufpreises verpflichtet.

Für eine Sittenwidrigkeit spricht im Wesentlichen die bei der Auslegung des § 879 Abs 1 ABGB im gegebenen Kontext zu berücksichtigende Intention der ZahlungsverzugsRL 2000, Zahlungsverzügen bei unternehmerischen Geschäften wirksam entgegenzuwirken und sicherzustellen, dass die Folgen des Zahlungsverzugs von der Überschreitung der Zahlungsfristen abschrecken (vgl etwa Erwägungsgrund 16 der RL 2000/35/EG ). Den in den Gesetzesmaterialien zum ZinsRÄG angeführten gegebenen Beispielen kommt auch der vorliegende Fall nahe.

5.4. Selbst unter Bedachtnahme auf die Notwendigkeit der richtlinienkonformen Interpretation des § 879 Abs 1 ABGB erreichen die für den Standpunkt der beklagten Partei sprechenden Aspekte nicht das Niveau, das eine Interessenabwägung in Bezug auf allein die Verzugszinsenregelung zu ihren Gunsten ausschlagen und eine auf die Verzugszinsenregelung bezogene Vertragskorrektur angebracht erscheinen ließe.

6. Der Revision der beklagten Partei kommt daher keine Berechtigung zu.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO (zum Zuspruch von Kostenersatz für die Revisionsbeantwortung, wenn das Erstgericht ein Teilurteil erlassen hat, siehe zuletzt etwa 7 Ob 30/15k und 6 Ob 71/15g).

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