OGH 9Ob25/16s

OGH9Ob25/16s25.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshof Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien W***** L***** und U***** L*****, vertreten durch Mag. Dieter Koch, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei J***** R*****, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen Entfernung (Streitwert: 10.000 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 17. Dezember 2015, GZ 1 R 229/15s‑71, mit dem der Berufung der klagenden Parteien gegen das Urteil des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 21. August 2015, GZ 4 C 1405/10b‑67, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0090OB00025.16S.0525.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Kläger sind seit 2002 Hälfteeigentümer einer Liegenschaft, der Beklagte ist – ebenfalls seit 2002 – Eigentümer einer angrenzenden Nachbarliegenschaft. Auf beiden Liegenschaften befindet sich jeweils ein Einfamilienhaus. Das Haus des Beklagten wurde bereits 1981 errichtet, die Kläger bauten ihr Haus 2005. An der gemeinsamen Grundstücksgrenze dieser Liegenschaften befindet sich ein kugelförmiger, max 9 m³ großer Tank, der unterirdisch 1,4 m – bzw in Bezug auf eine Fläche von 2,8 m² – in das Grundstück der Kläger ragt. Der oberirdisch sichtbare Kanaldeckel des Tanks ragt rund 54 cm in das Grundstück der Kläger, das in diesem Bereich als Wiese ausgestaltet ist. Der vom Rechtsvorgänger des Beklagten am 4. 8. 1981 errichtete Tank wurde seinerzeit als Öltank verwendet; der Beklagte nutzt ihn nun zum Auffangen der Oberflächenwasser. Die Kosten der Entfernung des Tanks betragen etwa 15.000 bis 20.000 EUR.

Im Jahr 2006 suchten die Kläger bei der Baubehörde um Bewilligung der Errichtung von Außenanlagen an. Dabei war auch eine Steinschlichtung an einem Teil der Grundstücksgrenze zur Liegenschaft des Beklagten vorgesehen. Nachdem aber die Baubehörde den Klägern bestimmte Aufträge in Bezug auf die Errichtung der Steinschlichtung, ua die Einbringung eines Statikgutachtens betreffend den Tank, erteilt hatte, entschieden sich die Kläger, die Gestaltung ihrer Außenanlage vorerst ohne diese Steinschlichtung durchzuführen.

Ob die Errichtung einer Steinschlichtung auf dem Grundstück der Kläger im Bereich des Tanks, allenfalls unter Aussparung des Tanks, möglich ist oder nicht, kann nicht festgestellt werden.

Die Kläger begehren mit der vorliegenden Klage vom Beklagten die Entfernung des Tanks in dem Ausmaß, in dem er über die Grundstücksgrenze auf ihre Liegenschaft ragt. Für diesen Grenzüberbau existiere kein Rechtstitel der Beklagten. Ihr Begehren sei nicht schikanös, weil sie nach wie vor beabsichtigen, eine Steinschlichtung zum Grundstück des Beklagten hin zu errichten, um vor ihrem Wohnhaus eine zusätzliche ebene Fläche zu schaffen. Dafür sei die Entfernung des Tanks aber eine unabdingbare Voraussetzung.

Der Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung aus mehreren Gründen, wobei nur der Schikaneeinwand revisionsgegenständlich ist. Die Rechtsausübung der Kläger sei schikanös, weil es den Klägern zum einen nur darum gehe, ihn zu schädigen, und zum anderen ein extrem krasses Missverhältnis zwischen den mit der Klage verfolgten Interessen der Kläger und den Interessen des Beklagten bestehe. Mit der Entfernung des Tanks sei zudem ein unzumutbarer wirtschaftlicher Aufwand verbunden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren aus sämtlichen vom Beklagten erhobenen Einwänden im zweiten Rechtsgang ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung in Ansehung des Schikaneeinwands. Schikane liege nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bilde, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis bestehe. Die Interessen des Beklagten lägen darin, den Tank weiterhin nutzen zu können und diesen nicht mit einem erheblichen Kostenaufwand entfernen zu müssen. Es sei zwar einleuchtend, und damit wohl auch als unstrittig anzusehen, dass die Kläger ein Interesse an der Vergrößerung einer ebenen Fläche im Bereich ihres Hauses hätten. Ob aber das konkrete Interesse der Kläger an der Errichtung einer Steinschlichtung, die zu einer größeren ebenen Fläche führe, durch den vorhandenen Tank behindert oder jedenfalls erschwert werde, könne nicht gesagt werden. Beweispflichtig für die Schikane bzw den Rechtsmissbrauch iSd zweiten Tatbestands des § 1295 Abs 2 ABGB sei zwar grundsätzlich derjenige, der sich auf diese Beschränkung des ausgeübten Rechts berufe. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung sei aber davon auszugehen, dass die jeweilige Partei die ihr obliegenden Interessen nachzuweisen habe. Insofern treffe die Kläger die Beweislast für die Negativfeststellung zur Frage, ob die Errichtung einer Steinschlichtung auf dem Grundstück der Kläger im Bereich des Tanks möglich ist oder nicht. Da bereits der Schikaneeinwand zur Abweisung des Klagebegehrens führe, müsse auf die in der Berufung der Kläger erhobenen Tatsachen- und Rechtsrüge zu den weiteren vom Beklagten gegen das Klagebegehren erhobenen und vom Erstgericht bejahten Einwänden nicht mehr eingegangen werden.

In ihrer dagegen gerichteten – nachträglich gemäß § 508 Abs 2 ZPO zugelassenen – Revision beantragen die Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag an das Berufungs- bzw Erstgericht gestellt.

Der Beklagte beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision der Kläger mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Beweislastregeln im Zusammenhang mit dem Einwand schikanöser Rechtsausübung unrichtig beurteilt hat; die Revision ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungs- und Rückverweisungsantrags an das Berufungsgericht auch berechtigt.

1. Schikane im Sinn des zweiten Tatbestands des § 1295 Abs 2 ABGB liegt, wie das Berufungsgericht insofern zutreffend ausführt, nicht nur dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des Anderen ein krasses Missverhältnis besteht (RIS-Justiz RS0026265; Karner in KBB4 § 1295 ABGB Rz 22; Wittwer in Schwimann, ABGB‑TaKom³ § 1295 Rz 53). Deshalb ist auch das Recht des Grundeigentümers, die Unterlassung von Eingriffen in sein Eigentumsrecht von einem Störer zu begehren (§ 354 ABGB; vgl RIS-Justiz RS0012040; RS0010388), durch das Verbot der rechtsmissbräuchlichen Rechtsausübung beschränkt (RIS‑Justiz RS0010395).

2. Beweispflichtig dafür, dass der Rechtsausübende kein anderes Interesse hat, als zu schädigen, oder dass doch der Schädigungszweck und unlautere Motive so augenscheinlich im Vordergrund stehen, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, ist der die Schikane Behauptende (RIS-Justiz RS0026205; RS0026265 [T2, T14]; RS0026271 [T21]; 5 Ob 169/15m ua). Dabei geben im Allgemeinen selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grundsätzlich zugestanden werden muss, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RIS‑Justiz RS0026205 [T4, T9]; RS0026265 [T29]; RS0026271 [T26]; RS0025230 [T8]). Nur wenn der Ablauf eines Geschehens die Vermutung der Schädigungsabsicht begründet, ist es Sache der anderen Partei, einen gerechtfertigten Beweggrund für ihr Verhalten zu behaupten und zu beweisen (RIS-Justiz RS0117937; zuletzt 4 Ob 2/16x).

3.1. Die unrichtige Beurteilung dieser der rechtlichen Beurteilung zuzuordnenden Beweislastregel (vgl RIS-Justiz RS0039911) durch das Berufungsgericht wird in der Revision der Kläger zutreffend aufgezeigt. Da der Beklagte, der der gegenständlichen Eigentumfreiheitsklage der Kläger den Einwand der schikanösen Rechtsausübung entgegen hält, für alle dafür sprechenden Umstände behauptungs- und beweispflichtig ist, trifft ihn auch die Beweislast für die im Zusammenhang mit der in Rede stehenden Negativfeststellung. Damit konnte der Beklagte aber gerade nicht nachweisen, dass die Kläger mit ihrem Beseitigungsbegehren kein anderes Interesse haben, als ihn zu schädigen. Zufolge der getroffenen negativen Feststellung und der den Beklagten treffenden Beweislast ist nämlich davon auszugehen, dass die Errichtung einer Steinschlichtung auf dem Grundstück der Kläger im Bereich des Tanks, allenfalls unter Aussparung des Tanks, nicht möglich ist. Insofern ist dem Beklagten aber auch nicht der Beweis gelungen, dass zwischen den mit der Klage verfolgten Interessen der Kläger und seinem Interesse, den Tank nicht mit einem, nicht unerheblichen finanziellen Aufwand entfernen (allenfalls ihn dabei sogar zerstören) zu müssen, ein krasses Missverhältnis besteht. Dass im vorliegenden Fall ein bestimmter Geschehensablauf vorliegt, der eine Schädigungsabsicht der Kläger vermuten ließe und eine andere Verteilung der Beweispflicht zur Folge hätte, wird vom Beklagten nicht behauptet. Für eine derartige Annahme liegen auch keine Anhaltspunkte vor.

3.2. Von einem bloß geringfügigen Grenzüberbau, der den Schikaneeinwand berechtigt erscheinen ließe, weil das Verhalten der Kläger weit überwiegend auf eine Schädigung des Beklagten abziele, und die Wahrung und Verfolgung der sich aus der Freiheit des Eigentums ergebenden Rechte deutlich in den Hintergrund trete (vgl RIS-Justiz RS0115858), kann hier – entgegen der Ansicht des Beklagten – schon deshalb nicht gesprochen werden, weil das Verhalten der Kläger, wie oben dargestellt, nicht auf eine Schädigung des Beklagten abzielt.

Der vom Berufungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogene Klageabweisungsgrund der Schikane ist somit nicht gegeben. Daher war der Revision der Kläger in Stattgebung des Aufhebungsantrags Folge zu geben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Kläger, in der es über die weiteren vom Beklagten erhobenen und vom Erstgericht als berechtigt angesehenen Einwände zu entscheiden haben wird, aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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