OGH 9ObA5/16z

OGH9ObA5/16z18.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. A*****, vertreten durch Dr. Alfons Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Gemeindeverband „H*****“, *****, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. November 2015, GZ 15 Ra 77/15h‑34, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00005.16Z.0318.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Zurückweisung einer Klage wegen Streitanhängigkeit nach § 233 ZPO setzt zwei nacheinander streitanhängig gewordene Prozesse sowie Identität der Parteien und der Ansprüche in diesen beiden Prozessen voraus (RIS‑Justiz RS0039473). Ob idente Ansprüche vorliegen, ist nach den Streitgegenständen der beiden Verfahren zu beurteilen. Diese werden nach herrschender Meinung durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vom Kläger vorgebrachten Tatsachen (rechtserzeugender Sachverhalt, Klagegrund) bestimmt (sogenannter zweigliedriger Streitgegenstand). Streitanhängigkeit liegt demnach dann vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt (RIS‑Justiz RS0039347).

Dem Begehren festzustellen, dass ein zwischen den Parteien bestehendes Arbeitsverhältnis ungeachtet einer Kündigung durch den Arbeitgeber über einen bestimmten Termin hinaus aufrecht besteht, liegt ein anderer Streitgegenstand zugrunde als dem Begehren festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis ungeachtet eines Entlassungsausspruchs über einen anderen Termin hinaus aufrecht besteht (vgl 9 ObA 222/91). Eine Streitanhängigkeit war daher vom Berufungsgericht richtiger Weise nicht aufzugreifen.

2. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0106298), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen, wovon im vorliegenden Fall nicht auszugehen ist.

3. Ob Vertrauensunwürdigkeit vorliegt ‑ hier im Sinne der unstrittig anzuwendenden Entlassungsbestimmung des § 96 Abs 2 lit b Tiroler G‑VBG 2012, die im Wesentlichen jener des § 34 Abs 2 lit b VBG entspricht ‑, hängt davon ab, ob für den Dienstgeber vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine Belange durch den Vertragsbediensteten gefährdet sind. Maßgebend ist, ob das Verhalten des Vertragsbediensteten das Vertrauen des Dienstgebers so schwer erschüttert hat, dass diesem die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Diesbezüglich entscheidet allerdings nicht das subjektive Empfinden des Dienstgebers, sondern ein objektiver Maßstab, der nach der Verkehrsauffassung unter Berücksichtigung des Umstands des Einzelfalls anzuwenden ist (RIS‑Justiz RS0108229).

4. Da dem leitenden Angestellten im Allgemeinen ein umfassenderer Einblick in die Betriebs- und Geschäftsstruktur gewährt und ihm damit vom Arbeitgeber mehr anvertraut wird als einem Angestellten in untergeordneter Position, sind an das Verhalten des Angestellten in leitender Stellung insoweit strengere Anforderungen zu stellen (RIS‑Justiz RS0029726).

5. Der Entlassungsgrund der Vertrauens-verwirkung kann nicht nur auf mit dem Dienstverhältnis unmittelbar zusammenhängende Handlungen des Angestellten gestützt werden. An das außerdienstliche Verhalten eines Dienstnehmers ist aber kein so strenger Maßstab anzulegen wie an das Verhalten im Dienst (RIS‑Justiz RS0029343). Solche Handlungen müssen, um eine Entlassung zu rechtfertigen, so beschaffen sein, dass sie das dienstliche oder geschäftliche Vertrauen des Arbeitgebers zu beeinflussen vermögen (RIS‑Justiz RS0080088 [T3]).

6. Soweit die Beklagte dem Kläger ein strafbares Verhalten vorwirft, ist es richtig, dass es nicht allein auf die Erfüllung eines bestimmten (Straf-)Tatbestands oder eine strafgerichtliche Verurteilung ankommt, vielmehr muss bei der Prüfung der Berechtigung einer Entlassung das Gesamtbild des Verhaltens des Dienstnehmers berücksichtigt werden (RIS‑Justiz RS0029790). Das Gesamtbild berücksichtigend, ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit im vorliegenden Fall trotz der leitenden Position des Klägers nicht verwirklicht wurde, nicht korrekturbedürftig.

7. Die außerordentliche Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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