OGH 1Ob222/15a

OGH1Ob222/15a22.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, Wien 6, Linke Wienzeile 18, vertreten durch die Kosesnik‑Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG, Wien, gegen die beklagte Partei A***** KG, *****, Deutschland, vertreten durch die Partnerschaft SCHUPPICH SPORN & WINISCHHOFER Rechtsanwälte (OG), Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. August 2015, GZ 1 R 88/15s‑14, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 7. April 2015, GZ 11 Cg 117/14i‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts, das in seinen Punkten 1. und 4. mangels Anfechtung bereits in Rechtskraft erwachsen ist und in seinem Punkt 2. unverändert bleibt, im Übrigen abgeändert wird, sodass Punkt 6. entfällt und die Punkte 3. und 5. wie folgt lauten:

„3. Die beklagte Partei ist schuldig, es im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Österreich in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrunde legt, und/oder hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klausel:

'Eine Barauszahlung des (Rest-)Guthabens eines Wertgutscheines ist nicht möglich.'

oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen; sie ist ferner schuldig, es zu unterlassen, sich auf die vorstehend genannte Klausel oder sinngleiche Klauseln zu berufen; dies binnen drei Monaten.

5. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.381,36 EUR (darin 242,56 EUR USt und 926 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 1.708,06 EUR (darin 194,01 EUR USt und 544 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei anteilige Barauslagen des Revisionsverfahrens von 681 EUR binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist ein zur Unterlassungsklage nach § 29 Abs 1 KSchG befugter Verein. Die in Deutschland ansässige beklagte Partei ist ein Flugunternehmen, das Verbrauchern in ganz Österreich Flugdienstleistungen und „Wertgutscheine“ ‑ auch „a***** Fluggutscheine“ genannt ‑ anbietet, mit denen Flugleistungen bezahlt werden können. Die Gutscheine weisen einen zu wählenden Wert von 10 EUR, 20 EUR, 30 EUR, 50 EUR, 100 EUR und 200 EUR auf und sind nur bei Buchungen entweder telefonisch über das „a***** Service-Center“ oder auf „www.a *****.com“ (jeweils unter zwingender Angabe des beim Kauf erhaltenen Gutschein-Codes und der zugehörigen PIN) einzulösen.

Das Erstgericht untersagte der beklagten Partei die Verwendung der oder die Berufung auf die Klausel: „Pro Buchung kann nur ein Gutschein eingelöst werden; das Zusammenführen mehrerer Gutscheine im Rahmen einer Buchung ist ausgeschlossen“ (Klausel 3) oder von/auf sinngleiche(n) Klauseln und erteilte dem Kläger die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung.

Das Begehren des Klägers, ihr auch die Verwendung von und die Berufung auf zwei weitere Klauseln („Sollte eine oder mehrere Klauseln dieser Geschäftsbedingungen unwirksam sein oder werden, wird hierdurch die Wirksamkeit der übrigen Klauseln nicht berührt.“ [Klausel 1] und „Eine Barauszahlung des (Rest-)Guthabens eines Wertgutscheines ist nicht möglich.“ [Klausel 2]) zu untersagen und „das sich darauf beziehende Veröffentlichungsbegehren“ wies es ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Die Vorinstanzen erachteten die Klausel 3 als überraschend und erheblich nachteilig. Die beklagte Partei weise selbst darauf hin, dass die von ihr angebotenen Gutscheine vorwiegend als Geschenk verwendet und von ihr auch dahingehend ausdrücklich beworben würden. Es werde somit regelmäßig dazu kommen, dass der Geschenkgeber nicht die gesamten Flugkosten des Beschenkten übernehmen, sondern einen Beitrag leisten wolle. Es sei keinerlei sachliche Rechtfertigung zu sehen, warum bei mehreren Geschenkgebern deren Gutscheine nicht für einen Flug verwendet werden dürften. Der Erwerber der Gutscheine werde damit auch nicht rechnen, sei es doch geradezu üblich, dass mehrere Personen sich in Form von Gutscheinen an einem Gesamtgeschenk beteiligen. Die Gesamtanzahl der gleichzeitig erstellbaren Fluggutscheine betrage nach der Auswahlmaske im Internet maximal neun, jedoch werde dort mit keinem Wort erwähnt oder auch nur angedeutet, dass für jeden einzelnen der erstellten Gutscheine eine eigene Buchung erfolgen müsse; erst der zweite von zwei kleinen roten Links am rechten Rand der Seite führe zu den „Gutscheinbedingungen“. Aus der Einladung zur Verwendung der Gutscheine als Geschenk erkenne man, dass (neben der Möglichkeit verschiedener Designs) redlicherweise eine Individualisierbarkeit des Geschenkwerts als Beitrag zum Gesamtgeschenk (Hochzeits-, Geburtstags-, Matura-, ...) „Reise“ erwartet werde. Nicht zuletzt nach der Gestaltung dieser Buchungsseite rechne kein Verbraucher damit, dass eine von der Maske ermöglichte, ja nahegelegte (Klein‑)Stückelung von Gutscheinen (etwa um eine erhöhte Flexibilität bei der Einlösung zu ermöglichen) dazu führe, dass ein Beschenkter jeweils nur einen der Gutscheine pro Buchung verwenden können werde, insbesondere wenn man sich nur bis zu einem Höchstbetrag von 200 EUR „zusammentun“ könne.

Die beiden übrigen Klauseln hielten die Vorinstanzen für zulässig: Klausel 1 deshalb, weil sie bloß eine richtige Wissenserklärung beinhalte; Klausel 2, weil ein Gutschein nur zum Bezug von Waren berechtige und nicht ersichtlich sei, worin eine gröbliche Benachteiligung liegen solle, wenn damit (innerhalb von dreißig Jahren) die Leistungen des „Gutscheinemittenten“, nicht aber Bargeld abgerufen werden könnten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Beurteilung bisher noch nicht geprüfter Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) grundsätzlich eine erhebliche Rechtsfrage darstelle, zumindest teilweise ähnliche AGB auch von anderen Unternehmen verwendet würden und zudem Stellungnahmen des Höchstgerichts zur Rechtslage „im Lichte der EuGH-Urteile 30. 4. 2014, C‑26/13, und 21. 1. 2015, C‑482/13 ua“ nicht vorlägen.

Gegen die Abweisung der Untersagung der Klauseln 1 und 2 wendet sich der Kläger in seiner von der beklagten Partei beantworteten Revision.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und auch teilweise berechtigt:

1. Vorangestellt sei, dass es ‑ anders als im Verfahren zu 2 Ob 204/14k ‑ keines Vorlageersuchens an den Europäischen Gerichtshof zur Frage des anzuwendenden Sachrechts bedarf. Beide Parteien haben sich übereinstimmend auf österreichisches Sachrecht berufen (vgl zur Möglichkeit der nachträglichen und schlüssigen Rechtswahl nach Art 3 Rom I‑VO bzw Art 14 Rom II‑VO im Verbandsprozess 1 Ob 67/15g mwN = RIS‑Justiz RS0040169 [T2] = RS0077082 [T3]).

2. Zu Klausel 1 (Sollte eine oder mehrere Klauseln dieser Geschäftsbedingungen unwirksam sein oder werden, wird hierdurch die Wirksamkeit der übrigen Klauseln nicht berührt.):

2.1. Die Nichtigkeit von Nebenabreden hat dann nicht die Ungültigkeit des Gesamtvertrags zur Folge, wenn der Vertrag auch ohne diese Nebenabreden bestehen könnte (9 ObA 2264/96y = RIS‑Justiz RS0016431 [T6]); dann sind nur diese Vertragsklauseln unwirksam (RIS‑Justiz RS0016420 [T2]) und der von der Sittenwidrigkeit nicht umfasste Restvertrag bleibt wirksam (vgl 1 Ob 144/04i = SZ 2004/123).

Riedler (in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 879 Rz 54) verweist dazu, dass der Restvertrag bei Nichtigkeit einer gröblich benachteiligenden Bestimmung nach § 879 Abs 3 ABGB im Zweifel gültig bleibe, auf § 878 S 2 ABGB („Ist Mögliches und Unmögliches zugleich bedungen, so bleibt der Vertrag in ersterem Teile gültig, wenn anders aus dem Vertrage nicht hervorgeht, daß kein Punkt von dem anderen abgesondert werden könne.“).

Krejci (in Rummel, ABGB4 § 879 ABGB Rz 255) meint, es sei Teilnichtigkeit angeordnet, weil § 879 Abs 3 ABGB von der Nichtigkeit einer Vertragsbestimmung spreche, schließt aber an, das Wertungsproblem Gesamt‑ oder Teilnichtigkeit bleibe bestehen.

Bollenberger (in KBB4 § 879 ABGB Rz 30 mwN) führt ganz grundsätzlich aus, Verstöße gegen § 879 Abs 3 ABGB oder § 6 KSchG bewirkten die Nichtigkeit nur der betroffenen Klausel; der Restvertrag bleibe bestehen.

Dieser im Regelfall zutreffende Grundsatz, wie er in der bekämpften Klausel zum Verhältnis von Klauseln untereinander festgehalten ist, kann bei der im Verbandsprozess gebotenen kundenfeindlichsten und für den Verbraucher ungünstigsten Auslegung (vgl RIS‑Justiz RS0016590 [T5, T6]; RS0038205 [T4, T11]) angesichts der hier vorliegenden Hervorhebung in den AGB auch als Anordnung einer bestimmten Rechtsfolge für den Fall der Unwirksamkeit (jeder) Klausel verstanden werden.

2.2. Der EuGH erläuterte in seinem Urteil vom 30. 5. 2013 in der Rechtssache „Erika Jőrös gegen Aegon Magyarország Hitel Zrt“ (Rs C‑397/11, ECLI:EU:C:2013:340, Rn 47) zu den Kriterien, anhand deren sich beurteilen lasse, ob ein Vertrag tatsächlich ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen könne, dass sowohl der Wortlaut von Art 6 Abs 1 der Richtlinie 93/13 [des Rates vom 5. 4. 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ‑ RL 93/13] als auch die Erfordernisse der Rechtssicherheit geschäftlicher Tätigkeiten für einen objektiven Ansatz bei der Auslegung dieser Bestimmung sprächen. Er schloss die Möglichkeit nicht aus, einen eine oder mehrere missbräuchliche Klauseln enthaltenden Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher im Einklang mit dem Unionsrecht in seiner Gesamtheit für nichtig zu erklären, wenn sich erweise, dass dadurch ein besserer Schutz des Verbrauchers gewährleistet werde, weil diese Richtlinie die nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf missbräuchliche Klauseln nur teilweise und minimal harmonisiert hätte.

Da die Ausnahme von der in § 879 Abs 3 ABGB verankerten Inhaltskontrolle ‑ die Festlegung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten ‑ möglichst eng zu verstehen ist, sodass vor allem auch die im dispositiven Recht geregelten Fragen bei der Hauptleistung, also vor allem Ort und Zeit der Vertragserfüllung, nicht unter diese Ausnahme fallen (RIS‑Justiz RS0016908), kann nicht ausgeschlossen werden, dass ‑ sollten mehrere Klauseln oder auch nur eine für das konkrete Rechtsgeschäft von tragender Bedeutung gewesene unwirksam sein ‑ der Vertrag als Ganzes nicht bestehen bleiben kann. Dem Verbraucher, der aus der Formulierung, dass durch die Unwirksamkeit einer Klausel die Wirksamkeit der übrigen Klauseln nicht berührt werde, den Größenschluss ziehen kann, dass ungeachtet der Unwirksamkeit einer ‑ gleich welcher ‑ Klausel der Vertrag in jedem Fall aufrecht bleibe, weil dies so vereinbart sei, würde damit die wahre Rechtslage verschleiert. Auch können inhaltlich aufeinander aufbauende Klauseln bei Unwirksamkeit einer Klausel sinnlos werden. Richtig macht zudem der Kläger geltend, dass bei Verweisen in einem Klauselwerk die Unzulässigkeit der Bestimmung, auf die verwiesen wird, zwingend zur Unzulässigkeit der verweisenden Bestimmung führt (RIS‑Justiz RS0122040).

2.3. Es sind daher Fälle denkmöglich, in denen die Nichtigkeit einer Klausel auch die Nichtigkeit des Restvertrags (und damit der übrigen Klauseln) bewirkt oder die Unwirksamkeit einer Klausel die Unwirksamkeit einer anderen Klausel nach sich zieht. Dem Kläger ist es aber für das hier zu prüfende Vertragswerk nicht gelungen, einen derartigen Fall anhand der konkreten Bestimmungen auch nur als denkmöglich darzulegen. Weder hat er eine Verweisungsbestimmung genannt, noch sonst aufgezeigt, dass der Wegfall einer der Klauseln dieser AGB den Bestand des gesamten Vertrags gefährden könnte.

2.4. Die Ausführungen in der Revision zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion und zur ergänzenden Vertragsauslegung unter Berufung auf Entscheidungen des EuGH lassen nicht erkennen, woraus sich für die hier in Zweifel gezogene Klausel eine Unzulässigkeit ergeben sollte. Diese ordnet weder den Ersatz einer anderen Klausel durch ergänzende Vertragsauslegung an, noch die Anwendung dispositiven Rechts bei Entfall einer Klausel. Sie beschäftigt sich alleine damit, dass die Unzulässigkeit einer Klausel die Wirksamkeit der übrigen Klauseln nicht berührt. Die vom Berufungsgericht angeführten Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen „Kásler und Káslerné Rábai gegen OTP Jelzálogbank Zrt(C-26/13 , ECLI:EU:C:2014:282) und „Unicaja Banco SA gegen José Hidalgo Rueda ua, Caixabank SA gegen Manuel María Rueda Ledesma ua“ (C‑482/13, C‑484/13, C‑485/13 und C‑487/13, ECLI:EU:C:2015:21) behandeln aber die Frage, wann bei Wegfall einer missbräuchlichen Klausel dispositives Recht herangezogen werden darf, so etwa, wenn die missbräuchliche Klausel derart wesentlich für den Vertrag war, dass dieser nach ihrem Wegfall objektiv nicht mehr durchführbar wäre und dies den Interessen des Verbrauchers widerstritte (vgl dazu Fidler, Unionsrechtliche Entwicklungen bei der richterlichen Vertragsergänzung, JBl 2014, 693; Geroldinger, „Kostenloses Rücktrittsrecht“ bei missbräuchlicher Stornogebühr?, Zak 2015, 67; Kurz, Rechtsfolgen missbräuchlicher Klauseln: (Un-)Anwendbarkeit dispositiven Rechts, VbR 2015/30; Leupold/Ramharter, Die ergänzende Auslegung von Verbraucherverträgen im Lichte des Europarechts, ÖBA 2015, 16; Rabl,Zur aktuellen Judikatur über die ergänzende Vertragsauslegung bei nichtigen Klauseln, ÖBA 2015, 246). Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausführte, wird die Fragestellung nach einem Ersatz des Regelungsgehalts einer Klausel von der hier angesprochenen Klausel nicht berührt. Die Vorinstanzen haben demnach der beklagten Partei zutreffend die Verwendung dieser Klausel nicht untersagt.

3. Zu Klausel 2 („Eine Barauszahlung des (Rest-)Guthabens eines Wertgutscheines ist nicht möglich“):

3.1. Durch die Bestimmung des § 879 Abs 3 ABGB wurde ein eine objektive Äquivalenzstörung und „verdünnte Willensfreiheit“ berücksichtigendes bewegliches System geschaffen (RIS‑Justiz RS0016914). § 879 Abs 3 ABGB wendet sich vor allem gegen den Missbrauch der Privatautonomie durch das Aufdrängen benachteiligender vertraglicher Nebenbestimmungen durch den typischerweise überlegenen Vertragspartner bei Verwendung von AGB und Vertragsformblättern. Das Motiv des Gesetzgebers, insbesondere auf AGB und Vertragsformblätter abzustellen, liegt in der zwischen den Verwendern von AGB und deren Vertragspartnern typischerweise anzutreffenden Ungleichgewichtslage. Der mit den AGB konfrontierte Vertragspartner ist in seiner Willensbildung eingeengt, muss er sich doch zumeist den AGB fügen oder in Kauf nehmen, dass ihm der Verwender den Vertragsabschluss verweigert (1 Ob 244/11f mwN; 1 Ob 105/14v).

Art 6 Abs 1 der RL 93/13 zielt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH darauf ab, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so ihre Gleichheit wiederherzustellen (EuGH C‑26/13, Kásler,ECLI:EU:C:2014:282, Rn 82 mwN).

3.2. Die von der beklagten Partei angebotenen Flugleistungen sind keine Leistungen der täglichen Bedarfsdeckung und umfassen ein breites Preisspektrum. Im Regelfall stellen sie für den hier angesprochenen Kreis der Gutscheinerwerber und ‑nutzer gerade keine alltägliche oder wertmäßig unbeachtliche Ausgabe dar, sondern werden überwiegend als besonderes Ereignis gebucht. Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob der gänzliche Ausschluss jedweden Restguthabens ohne Ober- oder Untergrenze der Anforderung nach materieller Ausgewogenheit entspricht oder ob ein solcher Gutschein angesichts des Gegenstands „Flugleistung“ einem abzurechnenden Vorschuss, dh einer Vorauszahlung für eine erst durch den Dritten (Beschenkten) abzurufende Leistung, gleichzuhalten wäre. Dies hätte zur Konsequenz, dass eine die Leistung übersteigende Vorauszahlung zurückzuzahlen wäre (vgl zum Vorschuss Griss in KBB4 § 983 ABGB Rz 9; Schubert in Rummel,ABGB³ § 984 Rz 7).

Zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung im Verfahren erster Instanz (vgl § 406 ZPO; RIS-Justiz RS0008698; RS0036969; RS0041116) waren sowohl Klausel 2 als auch Klausel 3 von der beklagten Partei verwendeter Bestandteil ihrer AGB. Es sind nach der Auswahlmaske im Internet (bis zu neun Stück gleichzeitig erstellbare) Gutscheine in Höhe von 10 EUR, 20 EUR, 30 EUR, 50 EUR, 100 EUR und 200 EUR erhältlich. Klausel 3 schreibt vor, dass pro Buchung nur ein Gutschein eingelöst werden darf. Damit konnten Verbraucher, die von der Wirksamkeit sämtlicher Klauseln ausgingen, in der Meinung verfangen sein, den Beschenkten werde es verwehrt sein, mehrere Gutscheine zu verwenden. Viele Flugleistungen der beklagten Partei liegen preislich ‑ wie allgemein bekannt ist ‑ über einem Betrag von 100 EUR. Beabsichtigte daher jemand einen Flug, der ca 120 EUR kostete, aber etwa zeitlich noch nicht genau fixiert war, zu schenken, und entschloss er sich zur Gutscheinvariante, musste er, wollte er eine Aufzahlung durch den Beschenkten vermeiden, zum höchsten wählbaren Betrag, nämlich 200 EUR greifen, weil von 100 EUR bis 200 EUR nach der Auswahlmaske keine Zwischenstufe mehr besteht, und ihm die Verwendung mehrerer Gutscheine verboten erschienen sein mag. So entstehen aber vorhersehbar und regelmäßig „Überhänge“ ohne sachlich gerechtfertigte Grundlage zulasten des Verbrauchers, der diese bei einem billigeren Flug nicht zur Gänze verbrauchen kann, und zugunsten der beklagten Partei, die dafür keine Gegenleistung erbringen muss. Es ist der Kunde damit regelmäßig dem Druck ausgesetzt, entweder eine weitere Leistung anzustreben, bloß um ein nicht unbeträchtliches Restguthaben nicht verfallen zu lassen oder eben auf den Restwert zu verzichten. Das Verbot, bei einer Buchung mehrere Gutscheine verwenden zu dürfen, bewirkt in Kombination mit der angebotenen eingeschränkten Abstufung der Beträge der Gutscheine regelmäßig die Konsequenz von den Verbraucher gröblich benachteiligenden ‑ weil nicht unbeträchtlichen ‑ Überzahlungen und somit ein Art 6 der RL widersprechendes materielles Missverhältnis.

Den von der beklagten Partei geäußerten Bedenken zu ihr erwachsenden Kosten oder zur Notwendigkeit des Bereithaltens einer größeren Menge von Bargeld „praktisch an jedem von ihr betriebenen Schalter“ kann durch die Verrechnung des Aufwands und der Beschränkung auf wenige Auszahlungsstellen begegnet werden. Geldwäsche wird bei Rückzahlung eines Restguthabens kaum in Betracht kommen.

3.3. Die Klausel „Eine Barauszahlung des (Rest-)Guthabens eines Wertgutscheines ist nicht möglich.“ ist daher gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB, wenn dem Verbraucher Gutscheine in Stückelungen von 10 EUR, 20 EUR, 30 EUR, 50 EUR, 100 EUR und 200 EUR angeboten werden und ihm verboten wird, pro Buchung einer Flugleistung mehrere Gutscheine einzulösen.

4. Eine Leistungsfrist von drei Monaten zur Umgestaltung des Klauselwerks ist grundsätzlich angemessen, muss man doch dem Unternehmer Zeit geben, in seiner Organisation die Voraussetzungen für die Umsetzung der Entscheidung zu schaffen (§ 409 ZPO; RIS‑Justiz RS0041265 [T5]).

5. Das Begehren des Klägers setzt zweifellos an einem Inlandsbezug an, also daran, dass die Interessen österreichischer Verbraucher betroffen sind: Der Kläger legt seiner Klagserzählung zugrunde, dass die beklagte Partei ihre Leistungen im gesamten österreichischen Bundesgebiet anbietet, leitet die inländische Gerichtsbarkeit daraus ab, dass sie ihre AGB auch gegenüber Verbrauchern in Österreich verwendet und sucht die Veröffentlichung des klagsstattgebenden Teils des Urteils (nur) österreichweit zu erreichen. Dass er einen Schutz auch für andere Staaten begehrt, hat er damit gerade nicht zum Ausdruck gebracht, womit davon auszugehen ist, dass er die Unterlassung nur für Österreich anstrebt (vgl RIS‑Justiz RS0076843). Insofern ist der Spruch im Sinn des vom Kläger ohnehin Gewollten zu präzisieren (RIS-Justiz RS0039357; RS0041254); eine Teilabweisung ist damit nicht verbunden (vgl etwa 17 Ob 20/08b = SZ 2008/136; 4 Ob 60/09s = SZ 2009/94).

6. Die Urteilsveröffentlichung hat im Klauselprozess den Zweck, das Unterlassungsgebot zu sichern und nicht nur eine schon bestehende unrichtige Meinung des Adressatenkreises zu unterbinden, sondern auch deren weiteres Umsichgreifen zu verhindern und das durch rechtswidrige Maßnahmen irregeführte Publikum aufzuklären (RIS-Justiz RS0079764).

Mit Rücksicht auf die von der beklagten Partei österreichweit angebotenen Leistungen ist die begehrte Veröffentlichung der zu unterlassenden Klauseln in einer bundesweit erscheinenden Tageszeitung angemessen. Dementsprechend ist das Veröffentlichungsinteresse zu bejahen. Punkt 4. umfasst nun auch die Ermächtigung zur Veröffentlichung hinsichtlich der Klausel 2.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO. Infolge Abänderung in der Hauptsache hatte auch eine Abänderung der Kostenentscheidung zu erfolgen. Der Kläger obsiegt mit zwei von drei Klagepunkten. Im Verfahren erster Instanz stehen ihm daher gemäß § 43 Abs 1 1. Satz (iVm § 50) ZPO ein Drittel seiner Vertretungskosten und gemäß § 43 Abs 1 3. Satz (iVm § 50) ZPO zwei Drittel der Gerichtsgebühren zu. Im Verfahren zweiter Instanz ist hinsichtlich der Berufung des Klägers von gleichteiligem Obsiegen auszugehen, weil er letztlich mit einem Klagepunkt von zwei Klagepunkten durchdrang. Die beklagte Partei ist mit ihrer Berufung zur Gänze unterlegen. Daraus ergibt sich die Pflicht der beklagten Partei zum Ersatz der Kosten der Berufungsbeantwortung des Klägers und der Hälfte der Pauschalgebühr für seine Berufung.

Ebenso ist im Revisionsverfahren von gleichteiligem Obsiegen der Streitteile auszugehen, sodass wiederum die Hälfte der Pauschalgebühr von der beklagten Partei zu ersetzen ist.

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