OGH 7Ob115/15k

OGH7Ob115/15k19.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. R***** T*****, vertreten durch Dr. Harald Vill und andere, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Mag. J***** T*****, vertreten durch Dr. Christian Margreiter, Rechtsanwalt in Hall in Tirol, wegen Unterhalt, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. April 2015, GZ 4 R 2/15w‑18, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 31. Oktober 2014, GZ 2 C 15/13y‑14, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00115.15K.1119.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden abgeändert, sodass die Entscheidung ‑ unter Einschluss der unangefochtenen Abweisungen ‑ insgesamt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei zu Handen des Klagevertreters an Unterhalt für den Zeitraum September 2011 bis Dezember 2011 monatlich je 900,68 EUR, für den Zeitraum Jänner 2012 bis Mai 2012 monatlich je 1.340,64 EUR, für Juni 2012 restlich 65,76 EUR, für den Zeitraum März 2013 bis April 2013 je 1.340,64 EUR, für den Zeitraum Mai 2013 bis März 2014 ‑ unter Berücksichtigung der geleisteten Teilzahlungen von 400 EUR pro Monat ‑ je restlich 940,64 EUR und ab 1. 4. 2014 ‑ zuzüglich zu dem laut Anerkenntnisurteil vom 3. 3. 2014 zu leistenden monatlichen Unterhaltsbetrag ‑ einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 940,64 EUR zu zahlen, und zwar den rückständigen Unterhalt binnen 14 Tagen, die laufenden Unterhaltsbeträge zum Ersten eines jeden Monats.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei an Unterhalt für Juli 2011 restlich 584,56 EUR, für August 2011 restlich 798,14 EUR, für den Zeitraum September 2011 bis Mai 2012 weitere 36,17 EUR, für Juni 2012 restlich 1.311,17 EUR, für den Zeitraum Juli 2012 bis Februar 2013 1.376,81 EUR, für den Zeitraum März 2013 bis April 2013 36,17 EUR, für den Zeitraum Mai 2013 bis März 2014 ‑ unter Berücksichtigung der geleisteten Teilzahlungen von 400 EUR pro Monat ‑ monatlich weitere 36,17 EUR und ab 1. 4. 2014 einen weiteren monatlichen Unterhaltsbetrag von 36,17 EUR zu zahlen, wird abgewiesen“.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 14. 10. 2005 zu 2 C 147/05y gemäß § 55a EheG geschieden.

Im dort abgeschlossenen Vergleich vereinbarten die Streitteile ‑ unter anderem ‑ wie folgt:

„5.) Der Erstantragsteller verpflichtet sich, der Zweitantragstellerin Unterhalt gemäß § 66 EheG zu leisten, wobei sich der Unterhaltsanspruch grundsätzlich wie folgt errechnet:

40 % des jeweiligen Familieneinkommens minus 2 % wegen der Sorgepflicht des Erstantragstellers für die mj A***** T***** = 38 % abzüglich des jeweiligen Eigeneinkommens der Zweitantragstellerin.

Derzeit errechnet sich damit ein Betrag von 310 EUR. ...“

Mit Schreiben vom 8. 9. 2011 und 10. 9. 2012 wurde der Beklagte aufgefordert, seine Einkommensverhältnisse zur Errechnung eines Unterhaltsanspruchs der Klägerin zur Verfügung zu stellen.

Mit Schreiben vom 30. 10. 2012 begehrte die Klägerin die Begleichung eines Unterhaltsrückstands von 29.049,94 EUR (10.252,92 EUR für 2010, 10.252,92 EUR für 2011 und 8.544,10 EUR für Jänner 2012 bis inklusive Oktober 2012) sowie die Zahlung eines laufenden Unterhalts von 854,41 EUR, beginnend mit November 2012.

Am 19. 2. 2013 akontierte der Beklagte für bekannt gegebene Unterhaltsrückstände einen Betrag von 12.000 EUR.

Mit Schreiben des Klagevertreters vom 10. 7. 2013 wurde der Beklagte schließlich zur Begleichung eines Unterhaltsrückstands per 25. 7. 2013 von 29.528,41 EUR (6.026,71 EUR für 2010, 11.242,26 EUR für 2011, 16.521,77 EUR für 2012 und 8.937,67 EUR für 1/2013 bis 7/2013 abzüglich geleisteter Zahlungen in Höhe von 13.200 EUR) sowie zur Zahlung eines laufenden Unterhalts von 1.376,81 EUR, beginnend mit August 2013 aufgefordert.

Mit der am 15. 10. 2013 beim Erstgericht eingelangten Klage hat die Klägerin (zuletzt) die Zahlung eines rückständigen Unterhalts von restlich 584,66 EUR für 7/2011, von monatlich je 936,85 EUR für den Zeitraum 8 bis 12/2011, von monatlich je 1.376,81 EUR für den Zeitraum 1/2012 bis 4/2013, von monatlich je restlich 976,81 EUR für den Zeitraum 5/2013 bis 3/2014 (unter Berücksichtigung in diesem Zeitraum regelmäßig geleisteter Teilzahlungen von monatlich 400 EUR) sowie von monatlich 1.376,81 EUR beginnend mit 1. 4. 2014 begehrt.

Sie habe den Beklagten mehrfach aufgefordert, für die Jahre 2009, 2010 und 2011 seine Einkommensverhältnisse offen zu legen. Am 30. 10. 2012 sei dem Beklagten, der seiner Offenlegungspflicht nur zögerlich und schleppend nachgekommen sei, ein beginnend mit dem Jahr 2010 aufgelaufener Unterhaltsrückstand von 29.049,94 EUR bekannt gegeben worden; nach umfangreicher Korrespondenz habe der Beklagte darauf 12.000 EUR akontiert und sich in der Folge verpflichtet, beginnend mit Mai 2013 eine auf den laufenden monatlichen Unterhalt anzurechnende Zahlung in Höhe von monatlich 400 EUR zu leisten. Bezogen auf die nunmehr lückenlos vorliegenden Einkommensnachweise für die Jahre 2010 bis Oktober 2013 ergebe sich aber dennoch zum Zeitpunkt der Klagseinbringung ein Unterhaltsrückstand von 33.158,84 EUR, dabei seien die ab Mai 2013 geleisteten Teilzahlungen widmungsgemäß für den jeweiligen Monat berücksichtigt und die Akontozahlung über 12.000 EUR auf die ältesten Unterhaltsforderungen angerechnet worden.

Der Beklagte anerkannte einen Unterhaltsanspruch der Klägerin von 28 % des Familieneinkommens abzüglich Eigeneinkommen, woraufhin in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 3. 3. 2014 ein Teilanerkenntnisurteil über monatlich 400 EUR beginnend mit dem 1. 4. 2014 erging.

Darüber hinaus bestritt der Beklagte das Klagebegehren. Die Klägerin habe ihre Unterhaltsansprüche unrichtig berechnet. Außerdem sei die Klägerin nicht berechtigt, Unterhalt für die Vergangenheit zu begehren; erst im Herbst 2012 sei vom Beklagten erstmals ein konkreter Unterhaltsbetrag gefordert worden. Die Bestimmung des § 72 EheG stehe daher einer Unterhaltsforderung vor diesem Zeitpunkt entgegen; der geleistete Betrag von 12.000 EUR sei nicht für einen Zeitraum davor, sondern erst danach zu berücksichtigen.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung monatlicher Unterhaltsbeträge von restlich 798,14 EUR für 8/2011, von monatlich je 900,68 EUR für den Zeitraum 9 bis 12/2011, von monatlich je 1.340,64 EUR für den Zeitraum 1/2012 bis 4/2013, von monatlich je restlich 940,64 EUR für den Zeitraum 5/2013 bis 3/2014 (unter Berücksichtigung der geleisteten Teilzahlungen von monatlich je 400 EUR) sowie von monatlich 940,64 EUR beginnend mit dem 1. 4. 2014 (zuzüglich zu dem laut Anerkenntnisurteil vom 3. 3. 2014 zu leistenden monatlichen Unterhaltsbetrag von 400 EUR). Das darüber hinausgehende Mehrbegehren (restlich 584,66 EUR für 7/2011, monatlich je 36,17 EUR beginnend mit 9/2011) wies es ab.

Der Unterhaltsanspruch der Klägerin belaufe sich auf 38 % des Familieneinkommens abzüglich ihres Eigeneinkommens. Entgegen der Ansicht des Beklagten sei die konkurrierende Sorgepflicht für die mj A***** nur mit 2 % zu veranschlagen; die Anrechnung eines fiktiven Mietwerts für die von der Klägerin bewohnte Eigentumswohnung finde nicht statt. Aufgrund der zwischen den Streitteilen schon seit dem 8. 9. 2011 geführten Korrespondenz stehe § 72 EheG dem geforderten rückständigen Unterhalt nicht entgegen; für den Zeitraum Mai 2013 bis zur Klagseinbringung hätten die Parteien keinen endgültigen, sondern nur einen vorläufigen Unterhalt von 400 EUR vereinbart.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahingehend ab, dass es auch den Unterhaltsanspruch für 8/2011 abwies. Der Beklagte sei erstmals mit Schreiben vom 8. 9. 2011 aufgefordert worden, seine Einkommensverhältnisse für die Jahre 2009 bis 2011 offen zu legen. Seit Erhalt dieses Forderungsschreibens sei der Beklagte in Verzug nach § 72 EheG. Die vom Beklagten am 19. 2. 2013 erbrachte Akontozahlung über 12.000 EUR sei nicht auf einen Zeitraum ab September 2011, sondern auf einen seinem Verzug vorangegangenen Zeitraum anzurechnen. Unbeschadet der Bestimmung des § 72 EheG müsse es einem Unterhaltspflichtigen unbenommen bleiben, auch für einen früheren Zeitraum freiwillig Unterhaltsleistungen zu erbringen. Diese Voraussetzungen lägen hier vor, wenn der Beklagte auf das Mahnschreiben vom 30. 10. 2012, aus dem eine Unterhaltsforderung beginnend mit Jänner 2010 klar hervorgehe, eine „Akontozahlung“ über 12.000 EUR leiste. Allerdings sei unberücksichtigt geblieben, dass diese Akontozahlung mit Ablauf des Juli 2011 und nach Anrechnung eines Teilbetrags von 102,54 EUR für August 2011 erschöpft gewesen sei.

Gegen dieses Urteil im Umfang eines Zuspruchs von 12.000 EUR wendet sich die Revision des Beklagten mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

1. Gemäß § 72 EheG kann der Berechtigte für die Vergangenheit Erfüllung erst von der Zeit an fordern, in der der Unterhaltspflichtige in Verzug geraten oder der Unterhaltsanspruch rechtsanhängig geworden ist.

1.1 Die Bestimmung des § 72 EheG gilt auch für einen nach § 55a EheG vertraglich geregelten Unterhalt, soweit er gemäß § 69a Abs 1 EheG einem gesetzlichen Unterhalt gleichzusetzen ist (RIS‑Justiz RS0118211). § 72 EheG ist auch auf ein Begehren auf Erhöhung des nach § 55a EheG vereinbarten Unterhalts anwendbar (RIS‑Justiz RS0118211 [T2]).

1.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Verzug des Unterhaltspflichtigen Anspruchsvoraussetzung des Unterhalts für die Vergangenheit. Schon die Wortinterpretation spricht für den Verzugstatbestand als Anspruchsvoraussetzung. Während beim Kindesunterhalt und beim Ehegattenunterhalt bei aufrechter Ehe eine Mahnung (das In‑den‑Verzug‑Setzen) wegen der besonderen familienrechtlichen Nahebeziehung entbehrlich ist, trifft dies auf den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach dem Wegfall der ehelichen Fürsorgepflicht nicht mehr zu (RIS‑Justiz RS0114142). Das Begehren eines geschiedenen Ehegatten auf Bezahlung von Unterhalt für die Vergangenheit setzt einen Verzug des Unterhaltspflichtigen voraus (RIS‑Justiz RS0106452 [T1]).

1.3 Ein Verzug des Unterhaltsschuldners im Sinn des § 72 EheG liegt vor, wenn er seine durch eine vertragliche Regelung betrags‑ und fälligkeitsmäßig genau bestimmte Unterhaltspflicht nicht vollständig erfüllt hat. Eine Einmahnung des dem Unterhaltsberechtigten vereinbarungsgemäß zustehenden Unterhalts bedarf es in diesem Fall nicht (RIS‑Justiz RS0120230).

1.4 Bei einer am Sinn der Regelung des § 72 EheG orientierten Auslegung kann aber der Unterhalt geschiedener Ehegatten bereits ab dem Zeitpunkt gefordert werden, zu dem der Unterhaltsberechtigte den Unterhaltspflichtigen berechtigterweise zur Auskunftserteilung zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aufgefordert hat. Diese Aufforderung zur Auskunftserteilung kommt in ihren Wirkungen dem durch eine Mahnung eintretenden Verzug gleich. Der Unterhaltsschuldner muss von diesem Zeitpunkt an in gleicher Weise wie bei einer Mahnung damit rechnen, dass er auf Unterhalt in Anspruch genommen wird und er gegebenenfalls entsprechende Rücklagen bilden muss. Er kann aber nach Treu und Glauben keinen Vorteil daraus ziehen, dass der Unterhaltsberechtigte ohne Auskunft den Unterhaltsanspruch nicht beziffern kann (RIS‑Justiz RS0122059).

1.5 Zutreffend gingen die Vorinstanzen davon aus, dass im vorliegenden Fall eine Mahnung erforderlich war, weil im Scheidungsvergleich der Unterhalt nicht betragsmäßig bestimmt wurde. Ebenfalls richtig ist, dass die Aufforderung der Klägerin zur Bekanntgabe der Einkommensverhältnisse vom 8. 9. 2011 dem durch Mahnung eingetretenen Verzug gleichzusetzen ist. Gegen diese Beurteilung wendet sich der Beklagte auch nicht.

2. Das Erstgericht stellte fest, dass der Beklagte am 19. 2. 2013 für die „ihm bekannt gegebenen Unterhaltsrückstände“ einen Betrag von 12.000 EUR akontierte. Dem Beklagten war mit Mahnschreiben vom 30. 10. 2012 ein Unterhaltsrückstand von 29.049,94 EUR (2010 10.252,92 EUR; 2011 10.252,92 EUR und 1 bis 10/2012 8.544,10 EUR) bekannt gegeben worden.

Fraglich ist, ob die Zahlung auf einen dem Verzug (8. 9. 2011) vorausgegangenen Zeitraum angerechnet werden kann.

2.1 Die §§ 1415 Satz 2 und 1416 ABGB stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Die Verrechnung nach der Dispositivbestimmung des § 1416 ABGB setzt voraus, dass Schuldposten desselben Schuldners an denselben Gläubiger in Frage stehen (RIS‑Justiz RS0033403).

Die Tilgungsregel des § 1416 ABGB greift erst ein, wenn keine Vereinbarung getroffen wurde, welche von mehreren Schuldposten getilgt werden soll (RIS‑Justiz RS0034703 [T1]). Bei fehlender oder zweifelhafter Widmungserklärung greift die gesetzliche Tilgungsfolge des § 1416 ABGB (RIS‑Justiz RS0034703 [T2]). Sofern Schuldner und Gläubiger keine Vereinbarung getroffen haben, welcher von mehreren Schuldposten getilgt werden soll, gilt jene Schuld als abgetragen, die der Schuldner (ausdrücklich oder schlüssig) bezeichnet, es sei denn, der Gläubiger würde dagegen Widerspruch erheben. Bei fehlender oder zweifelhafter Widmungserklärung greift die gesetzliche Tilgungsfolge des § 1416 ABGB ein (RIS‑Justiz RS0109835).

Auf die Beschwerlichkeit der einzelnen Schulden für den Schuldner ist erst in letzter Linie, nämlich dann wenn eine Reihung unter den Gesichtspunkten der bereits eingeforderten und dann der schon fälligen Schulden nicht möglich ist, Bedacht zu nehmen (RIS‑Justiz RS0033505). Tilgungspriorität kommt also jener Schuldpost zu, die der Gläubiger bereits eingefordert hat. Einforderung bedeutet gerichtliche oder außergerichtliche Geltendmachung, also das Drängen des Gläubigers auf Erfüllung auf einem dieser beiden Wege.

2.2 Wenn zur Hereinbringung rückständiger und laufender Unterhaltsbeträge eine Pfändung des Arbeitseinkommens erfolgt, sind die darauf geleisteten Zahlungen zunächst zur Deckung des festgesetzten laufenden Unterhalts zu verwenden und erst die Beträge, die über den laufenden zuerkannten Unterhalt hinausgehen auf den Rückstand zu verrechnen. § 1416 ABGB ist in diesem Fall nicht anwendbar (RIS‑Justiz RS0033447). Später fällige Unterhaltsverpflichtungen gelten vor früher fälligen als getilgt, weil das vom Unterhaltspflichtigen Geleistete stets dem nächstliegenden dringendsten Zweck zugeführt werden muss, um den laufenden Unterhalt sicherzustellen. Der Unterhaltsforderung ist in dieser Hinsicht die Forderung auf Zahlung des Arbeitsentgelts gleichzusetzen. Auch der laufende Lohn dient nämlich seiner Natur nach primär dazu, die Bedürfnisses des täglichen Lebens zu decken (RIS‑Justiz RS0028110; vgl auch Koziol in Koziol/Bydlinski/ Bollenberger ABGB4 § 1416 Rz 8, Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1416 Rz 29, Heidinger in Schwimann ABGB3 VI § 1416 Rz 17).  Nur wenn kein laufender Unterhalt offen ist, soll im Einklang mit den allgemeinen Regeln des § 1416 ABGB die frühere Fälligkeit entscheiden (Koziol aaO, Reischauer aaO).

3.1 Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, dass die Zahlung in Kenntnis des Mahnschreibens vom 30. 10. 2012, aus der die Unterhaltsforderung beginnend mit Jänner 2010 klar hervorgehe, widerspruchsfrei und ohne jeden Vorbehalt erbracht worden sei. Da es dem Unterhaltspflichtigen unbenommen sei, auch für einen früheren Zeitraum freiwillig Leistungen zu erbringen, stehe § 72 EheG der gewählten Anrechnung auf vor September 2011 liegende Rückstände nicht entgegen. Das Berufungsgericht geht hier wohl von einem (schlüssigen) Anerkenntnis dem Grunde nach auch für die vor September 2011 geltend gemachten Unterhaltsforderungen aus. Für ein derartiges Anerkenntnis fehlt Vorbringen und es liegt nach den Feststellungen auch nicht vor.

3.2 Der Beklagte erbrachte vielmehr eine Zahlung in Höhe von 12.000 EUR auf einen ‑ diesen Betrag weit übersteigenden ‑ von der Klägerin geforderten Rückstand, ohne eine Widmung dahin vorzunehmen, für welchen Unterhaltszeitraum er leistet. Zu berücksichtigen ist, dass nach den obigen Ausführungen ein Unterhaltsanspruch der Klägerin für einen Zeitraum vor September 2011 nicht bestand. Dem Beklagten kann nicht unterstellt werden, dass er eine nicht bestehende Forderung tilgen wollte, sodass ohne Vorliegen der Voraussetzungen eines Anerkenntnisses, eine Anrechnung seiner nicht gewidmeten Zahlung nur auf die überhaupt bestehenden Unterhaltsrückstände ab September 2011 denkbar ist.

4. Der Revision war daher Folge zu geben. Dahingestellt bleiben kann, ob hier eine Anrechnung auf die älteste Schuld im Sinn des § 1416 ABGB oder auf die später fällige Unterhaltsverpflichtung zu erfolgen hat, weil sich die Klägerin in der Revisionsbeantwortung nicht gegen die vom Beklagten letztlich vorgenommene Anrechnung seiner Zahlung auf den Zeitraum 6/2012 bis 2/2013 wendet.

5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO.

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