OGH 7Ob163/15v

OGH7Ob163/15v16.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** H*****, vertreten durch MMag. Dr. Franz Stefan Pechmann, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 900.000 EUR sA, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. Juli 2015, GZ 2 R 78/15b‑23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00163.15V.1016.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Der Kläger zeigt in seinem Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beklagte hat ihren Sitz unstrittig außerhalb des Sprengels des Erstgerichts. Der Kläger hat sich in seiner Klage zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts auf den Wahlgerichtsstand der Zweigniederlassung nach § 87 Abs 2 JN berufen. Dazu führte er einige Glücksspiellokale im Sprengel des Erstgerichts an, in denen er an in Automatenkammern aufgestellten Glücksspielautomaten Spielverluste erlitten habe, deren Rückersatz er nun begehrt. Dass die Beklagte an diesen Standorten tatsächlich eine Zweigniederlassung gehabt habe oder Betreiberin der Glücksspielautomaten gewesen sei, wird im Rechtsmittelverfahren nicht releviert.

2.1. Für eine (Zweig-)Niederlassung genügt das Bestehen einer nach ihrer äußeren Einrichtung auf Dauer berechneten, vom Sitz des Unternehmens örtlich getrennten Abteilung, die im Wesentlichen unter selbständiger Leitung steht, zu selbständigem Handeln im geschäftlichen Verkehr berechtigt ist und auf diese Weise, wenngleich häufig in nur sehr eingeschränktem Umfang, Mittelpunkt eines - größeren oder kleineren - Kreises von Rechtsbeziehungen des Unternehmens zu dritten Personen ist (RIS-Justiz RS0046694). Für den Bestand und die Voraussetzungen einer Zweigniederlassung sowie für den Umfang der bei diesem Gerichtsstand zulässigerweise einklagbaren Ansprüche gilt ebenfalls der zu § 87 Abs 1 JN entwickelte Anscheinsgrundsatz (RIS‑Justiz RS0116205). Erweckt demnach der Beklagte gegenüber dem Kläger den Eindruck, an einem Ort außerhalb seines Sitzes eine Niederlassung zu haben, ohne dass dem Kläger die Unrichtigkeit erkennbar war, wird dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, dort gemäß § 87 Abs 2 JN seine Klage einzubringen (vgl RIS‑Justiz RS0046750). Allerdings muss der Kläger auf diesen äußeren Tatbestand auch noch bei Klagseinbringung vertraut haben (4 Ob 538/94 = RIS‑Justiz RS0046750 [T2] mwN).

2.2. Der Kläger wendet sich im Revisionsrekurs nicht dagegen, im Zeitpunkt der Klagseinbringung nicht mehr auf den allfälligen äußeren Tatbestand vertraut zu haben; er räumt vielmehr ausdrücklich ein, dass er davor von seinem Rechtsvertreter auf die formalen Besonderheiten und auf die interne Organisation der Beklagten aufmerksam gemacht worden sei. Demnach war im Zeitpunkt der Klagseinbringung sein Vertrauen auf den allfälligen äußeren Tatbestand des Vorliegens von Zweigniederlassungen der Beklagten erschüttert. Davon ausgehend hat das Rekursgericht dem Kläger die Inanspruchnahme des Wahlgerichtsstands des § 87 Abs 2 JN verwehrt, was sich im Rahmen der Judikatur hält.

2.3. Bei der Zuständigkeitsprüfung ist trotz Gegenbehauptungen des Beklagten dann nur von den Klagebehauptungen auszugehen, wenn diese sowohl zuständigkeitsbegründend als auch Anspruchsvoraussetzung sind (sogenannte doppelrelevante Tatsachen ‑ RIS-Justiz RS0056159). Ob diese „doppelrelevanten Tatsachen“ zutreffen (und demnach eine Stattgebung des Klagebegehrens verhindern), ist nicht im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung des angerufenen Gerichts zu entscheiden, sondern der Sachentscheidung vorbehalten. Lassen sich die Behauptungen des Beklagten nicht verifizieren, erledigt sich die Unzuständigkeitseinrede von selbst; stimmen sie, hat dies zur Abweisung des Klagebegehrens zu führen (RIS‑Justiz RS0056159 [T2], RS0046201, RS0050455).

Die für die Prüfung des Wahlgerichtsstands nach § 87 Abs 2 JN maßgebliche Frage, ob der Kläger auch noch im Zeitpunkt der Klagseinbringung auf den äußeren Tatbestand des Vorliegens von Zweigniederlassungen der Beklagten vertraut hat, ist für die Klärung der Frage, mit wem der Kläger die einzelnen Glücksspielverträge abschloss ‑ hier kommt es in der Tat allein auf die Umstände im Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsabschlusses an ‑, nicht entscheidend. Damit besteht insofern kein untrennbarer Zusammenhang mit der Frage der Passivlegitimation.

3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

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