OGH 7Ob141/15h

OGH7Ob141/15h16.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I. ***** KG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Laimböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Z***** Versicherungs‑AG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 36.586,28 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. April 2014, GZ 4 R 116/14d‑55, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00141.15H.1016.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Beweisbelastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RIS‑Justiz RS0116978). Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RIS‑Justiz RS0081313 [T32]). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS‑Justiz RS0043728 [T4]). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RIS‑Justiz RS0116979). Nur wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“), ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Anspruch verwirkt (RIS‑Justiz RS0081253 [T10]; RS0109766). Nicht erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer geradezu und ausschließlich mit dem Ziel handelt, den Versicherer zu täuschen (Betrugsabsicht); es genügt, wenn er erkennt, dass die von ihm dargelegten oder unvollständig angegebenen Umstände, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, letzteren beeinträchtigen oder fehlleiten können und er sich damit abfindet. Täuschung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer einen Vermögensvorteil anstrebt, aber auch, wenn er durch die Angaben unrichtiger Tatsachen einen für berechtigt gehaltenen Anspruch durchsetzen oder einfach „Schwierigkeiten“ bei der Schadensfeststellung verhindern will (RIS‑Justiz RS0109766). Absichtlich unvollständig gemachte Angaben des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer, die sich erkennbar nicht darauf bezogen, diesen zu täuschen, sind nicht als „dolus coloratus“ zu werten und erlauben dem Versicherungsnehmer den Kausalitätsgegenbeweis (RIS‑Justiz RS0109767). Eine „Manipulation“ ist nur dann als Täuschung im Sinn der zitierten Bestimmung zu qualifizieren, wenn feststeht, dass damit der Versicherer in die Irre geführt werden sollte. „Manipulationen“, die sich schon von vornherein oder nach ihrer Richtigstellung (Aufklärung) als gar nicht „täuschungsgeeignet“ herausstellen, sollen von der Sanktion des Ausschlusses des Kausalitätsgegenbeweises ausgenommen sein (RIS‑Justiz RS0109767 [T2]). Die Frage, ob dem Versicherungsnehmer „dolus coloratus“ vorzuwerfen ist, ist primär eine Tatfrage (RIS‑Justiz RS0109766 [T10]).

2. Die Aufklärungsobliegenheit verpflichtet den Versicherten, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen und alles Zweckdienliche zur Aufklärung des Schadensereignisses selbst dann vorzunehmen, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereichen sollte (RIS‑Justiz RS0080972 [T1]). Die Aufklärungspflicht soll nicht nur die nötigen Feststellungen über den Ablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des erlittenen Schadens ermöglichen, sondern auch die Klarstellung aller Umstände gewährleisten, die für allfällige Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können (RIS‑Justiz RS0081010 [T2]). Eine in den wesentlichen Punkten nicht der Wahrheit entsprechende Darstellung des Schadensereignisses durch den Versicherungsnehmer stellt daher eine Verletzung der Aufklärungspflicht dar. Der Versicherer kann diejenigen Auskünfte verlangen, die er für notwendig hält, sofern sie für den Grund und Umfang seiner Leistung bedeutsam sein können. Dass er sich diese Auskünfte auch auf andere Weise verschaffen könnte, ist ohne Belang (7 Ob 232/02x; 7 Ob 34/12v, jeweils mwN). Bei der Angabe über den Ort des Pkw‑Diebstahls sowie über die Namhaftmachung von Personen, die die Richtigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers bestätigen können, handelt es sich um elementare Teile der Schadensanzeige, die vom Versicherungsnehmer mit besonderer Sorgfalt beantwortet werden müssen (RIS‑Justiz RS0117132).

3. Wahrheitswidrige Angaben über die Zeit des Kfz‑Diebstahls (wie sie hier feststehen) sind für die Leistungspflicht des Versicherers bedeutsam und stellen grundsätzlich einen Verstoß gegen die Aufklärungsobliegenheit (hier: nach den AKIB 2005) dar. Nach den getroffenen Feststellungen steht nur die („schlicht“) vorsätzliche Obliegenheitsverletzung durch den Komplementär der Klägerin fest, auch wenn das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung von einem „dolus coloratus“ ausging. Abgesehen davon, dass den erstgerichtlichen Ausführungen keine beweiswürdigenden Überlegungen zugrunde liegen, setzt ein „dolus coloratus“ (zumindest bedingten) Vorsatz voraus, wohingegen das Erstgericht bereits „zumindest grob fahrlässiges Verhalten“ genügen lassen will. „Grobe Fahrlässigkeit“ reicht aber für diesen qualifizierten Vorsatz nicht aus. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Klägerin kein „dolus coloratus“ vorzuwerfen sei, sei doch aus den Feststellungen ein solcher Vorsatz ihres unbeschränkt haftenden Gesellschafters nicht abzuleiten, ist nicht zu beanstanden. Es steht daher der Klägerin der Kausalitätsgegenbeweis offen.

Der Kausalitätsgegenbeweis ist „strikt“ zu führen und setzt voraus, dass ihm eine Beweislage zugrunde liegt, die jener gleichwertig ist, die der Versicherte durch seine unrichtigen Angaben zerstört oder eingeschränkt hat (RIS‑Justiz RS0079993; RS0081225 [T1]). Der Komplementär der Klägerin gab zwar in der Anzeige vor der Polizei (insbesondere aufgrund von Sprachproblemen) den Zeitpunkt des Diebstahls unrichtig mit 23:00 Uhr bis 23:50 Uhr an, wohingegen der Ort des versperrt abgestellten Fahrzeugs stimmte. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass dies die Beklagte ‑ entgegen ihrem erstmals eineinhalb Jahre nach Beginn des gegenständlichen Verfahrens erhobenen Einwand ‑ nicht daran hinderte, die wahre Sachlage festzustellen, ist gut vertretbar. Der tatsächliche Zeitraum des Diebstahls (zwischen 22:30 Uhr und 22:50 Uhr) ist mit der Schadensmeldung (zwischen 22:00 Uhr und 23:00 Uhr) leicht aufzuklären. Durch die gleichzeitig mit der Anzeige vorgelegte Schadensmeldung sind alle wesentlichen Umstände des Diebstahls in W***** objektiviert. Das (Teil‑)Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs hält sich daher im Rahmen der Rechtsprechung. Es werden keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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