OGH 7Ob34/12v

OGH7Ob34/12v19.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** GmbH *****, vertreten durch Karbiener Rechtsanwälte OG in Lambach, gegen die beklagte Partei G***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Berthold Garstenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 8.214,76 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 12. Oktober 2011, GZ 22 R 356/11y-15, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 25. Juli 2011, GZ 16 C 371/11f-10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht änderte seinen Ausspruch dahin ab, dass es die Revision doch für zulässig erklärte, weil zur grundsätzlichen Frage, ob bereits geringfügige Abweichungen in der Versicherungsmeldung (Diebstahlsort, Diebstahlszeit) eine Obliegenheitsverletzung begründeten, oberstgerichtliche Judikatur nicht bestehe.

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RIS-Justiz RS0116978). Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RIS-Justiz RS0081313). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RIS-Justiz RS0043728). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RIS-Justiz RS0116979). Nur der Versicherungsnehmer, der eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“), verwirkt den Anspruch, und es ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0081253, RS0109766). Nicht erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer geradezu und ausschließlich mit dem Ziel handelt, den Versicherer zu täuschen (Betrugsabsicht); es genügt, wenn er erkennt, dass die von ihm dargelegten oder unvollständig angegebenen Umstände, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, letztere beeinträchtigen oder fehlleiten können und er sich damit abfindet. Täuschung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer einen Vermögensvorteil anstrebt, aber auch, wenn er durch die Angaben unrichtiger Tatsachen einen für berechtigt gehaltenen Anspruch durchsetzen oder einfach „Schwierigkeiten“ bei der Schadensfeststellung verhindern will (RIS-Justiz RS0109766). Absichtlich unvollständig gemachte Angaben des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer, die sich erkennbar nicht darauf bezogen, diesen zu täuschen, sind nicht als dolus coloratus zu werten und erlauben dem Versicherungsnehmer den Kausalitätsgegenbeweis (RIS-Justiz RS0109767). Die Frage, ob dem Versicherungsnehmer dolus coloratus vorzuwerfen ist, ist primär eine Tatfrage.

Die Aufklärungsobliegenheit verpflichtet den Versicherten, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen und alles Zweckdienliche zur Aufklärung des Schadensereignisses selbst dann vorzunehmen, wenn es seinen eigenen Interessen zum Nachteil gereichen sollte (vgl RIS-Justiz RS0080972). Die Aufklärungspflicht soll nicht nur die nötigen Feststellungen über den Ablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umfang des erlittenen Schadens ermöglichen, sondern auch die Klarstellung aller Umstände gewährleisten, die für allfällige Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können (RIS-Justiz RS0081010). Eine in den wesentlichen Punkten nicht der Wahrheit entsprechende Darstellung des Schadensereignisses durch den Versicherungsnehmer stellt daher eine Verletzung der Aufklärungspflicht dar (7 Ob 276/01s, 7 Ob 232/02x mwN). Der Versicherer kann diejenigen Auskünfte verlangen, die er für notwendig hält, sofern sie für Grund und Umfang seiner Leistung bedeutsam sein können. Dass er sich diese Auskünfte auch auf andere Weise verschaffen könnte, ist ohne Belang (7 Ob 232/02x mwN). Bei der Angabe über den Ort des PKW-Diebstahls sowie über die Namhaftmachung von Personen, die die Richtigkeit der Angaben des Versicherungsnehmers bestätigen können, handelt es sich um elementare Teile der Schadensanzeige, die vom letzteren mit besonderer Sorgfalt beantwortet werden müssen (RIS-Justiz RS0117132).

Für eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung genügt bereits das allgemeine Bewusstsein des Versicherungsnehmers, dass er bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften aktiv mitwirken muss. Dieses Bewusstsein ist heute bei einem Versicherten in der Regel vorauszusetzen (RIS-Justiz RS0080477). Es kann daher nur der Nachweis besonderer entschuldigender Umstände den Vorsatz in Frage stellen (7 Ob 14/03i mwN).

Es ist der Revision zuzugeben, dass wahrheitswidrige Angaben über Zeit und Ort des KFZ-Diebstahls (wie sie hier feststehen) für die Leistungspflicht des Versicherers bedeutsam sind und falsche Angaben dazu grundsätzlich einen Verstoß gegen die Aufklärungsobliegenheit (hier: nach den AKKB 2008) darstellen. Dennoch hält sich die Entscheidung des Berufungsgerichts im Ergebnis im Rahmen der Judikatur:

Nach den - diesbezüglich von der Klägerin nicht gerügten - Feststellungen des Erstgerichts ist der Klägerin kein dolus coloratus vorzuwerfen. Ihr Geschäftsführer füllte nach den Feststellungen den Fragebogen nicht mit dem (auch nur bedingten) Vorsatz unrichtig aus, die Versicherungsleistung zu beeinflussen. Auch wenn man die bekämpfte (und vom Berufungsgericht nicht geprüfte) Feststellung zum psychischen Zustand des Geschäftsführers unberücksichtigt lässt, tat er dies aus Nachlässigkeit, weil er ohnehin gleichzeitig die Diebstahlsanzeige aus Prag vorlegte. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts (es verneinte zwar zu Unrecht auch das Vorliegen einer Obliegenheitsverletzung wegen seiner Meinung nach unbedeutender Unstimmigkeiten), dass der Klägerin kein dolus coloratus vorzuwerfen ist, hält sich im Rahmen der Judikatur. Es steht der Klägerin damit der Kausalitätsgegenbeweis zu, wie bereits das Erstgericht erkannt hat.

Der Kausalitätsgegenbeweis ist strikt zu führen und setzt voraus, dass ihm eine Beweislage zugrundeliegt, die jener gleichwertig ist, die der Versicherte durch seine unrichtigen Angaben zerstört oder eingeschränkt hat (RIS-Justiz RS0079993, RS0081225). Das Gericht muss auch ohne formellen Beweisantrag einen Mangel an Verschulden oder Kausalität berücksichtigen, wenn die Sachlage dazu Anlass bietet (RIS-Justiz RS0079990). Die Klägerin hat sich ohnehin schon im erstinstanzlichen Verfahren auf den Kausalitätsgegenbeweis gestützt.

Der Geschäftsführer gab zwar in der (unstrittigen, von der Beklagten vorgelegten) Schadensmeldung richtig an, dass das Fahrzeug im Diebstahlszeitpunkt nicht auf einem bewachten Parkplatz stand und auch keine Parkgebühren bezahlt wurden, auch wenn die Angabe über die Gründe des Abstellens nicht richtig waren. Die Ansicht, dass dies die Beklagte nicht daran hinderte, die wahre Sachlage festzustellen, ist nicht zu beanstanden. Die Zeit der An- und Abreise und des Diebstahls ist mit der Diebstahlsanzeige leicht aufzuklären. Durch die gleichzeitig mit der Schadensmeldung vorgelegte Diebstahlsanzeige sind alle wesentlichen Umstände des Diebstahls in Prag objektiviert. Die Klagsstattgebung hält sich daher im Rahmen der Judikatur. Es werden keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 40 ZPO. Die Klägerin wies in der Rechtsmittelbeantwortung nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hin, sodass der Schriftsatz nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung diente.

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