OGH 2Ob119/15m

OGH2Ob119/15m12.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin  Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann B*****, vertreten durch Dr. August Rogler, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, wider die beklagten Parteien 1. Ing. Martin K*****, und 2. O***** Versicherung AG, *****, beide vertreten durch WKG Korp-Grünbart Rechtsanwälte GmbH in Ried im Innkreis, wegen 5.595 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 15. April 2015, GZ 22 R 59/15f‑22, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 18. Dezember 2014, GZ 13 C 298/14w‑18, bestätigt wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00119.15M.1012.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden teilweise dahin abgeändert, dass sie einschließlich der rechtskräftigen Teile (Zuspruch von 520 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 7. 2013 und Abweisung des Mehrbegehrens von 1.047 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 7. 2013) folgendermaßen zu lauten haben:

„1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 3.778 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 7. 2013 zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien dem Kläger für sämtliche zukünftige Schäden, deren Nachteile oder nachteiligen Folgen aus dem Verkehrsunfall, der sich am 18. 6. 2013 auf der G***** Landesstraße beim km 3,42 im Gemeindegebiet von G***** ereignet hat, betreffend das Schmerzengeld zu drei Vierteln, ansonsten zur Gänze zur ungeteilten Hand haften, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der gesetzlichen oder allfälligen höheren vertraglichen Haftpflichtversicherungssumme begrenzt ist.

3. Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei weitere 1.817 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 7. 2013 zu bezahlen, wird ebenso abgewiesen wie das Begehren, es werde festgestellt, dass die beklagten Parteien dem Kläger für sämtliche zukünftige Schäden, deren Nachteile oder nachteiligen Folgen aus dem Verkehrsunfall, der sich am 18. 6. 2013 auf der G***** Landesstraße beim km 3,42 im Gemeindegebiet von G***** ereignet hat, betreffend das Schmerzengeld zu einem weiteren Viertel zur ungeteilten Hand haften, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei mit der gesetzlichen oder allfälligen höheren vertraglichen Haftpflichtversicherungssumme begrenzt ist.“

Die Kostenentscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die gesamten Verfahrenskosten aufgetragen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 18. 6. 2013 gegen 18:15 Uhr kam es im Ortsgebiet von ***** auf der G***** Landesstraße, Höhe Straßenkilometer 3,42, zu einem Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit dem Motorrad Honda VFR 750 und der vom Erstbeklagten gelenkte und bei der Zweitbeklagten zum Unfallszeitpunkt aufrecht haftpflichtversicherte PKW Alfa Romeo beteiligt waren. Der Verkehrsunfall kam dadurch zustande, dass der Kläger mit dem von ihm gelenkten Motorrad versuchte, das vor ihm fahrende Beklagtenfahrzeug zu überholen und es im Zuge dieses Überholvorgangs zu einer Kollision der Fahrzeuge und anschließend zum Sturz des Klägers kam. Das Alleinverschulden des Erstbeklagten am Unfall ist in dritter Instanz nicht mehr strittig.

Der Unfall ereignete sich auf einer Landesstraße im Freilandbereich, wo keine Geschwindigkeitsbeschränkung verfügt war. Am Unfallstag war der Kläger in Zeiling bei seinen Fischteichen. Als er mit seiner Arbeit fertig war, wollte er mit dem Motorrad nach Hause fahren. Weil er nur etwa fünf Kilometer zu fahren hatte, trug er lediglich ein kurzärmliges T-Shirt und eine kurze Hose, Arbeitsschuhe und einen Sturzhelm. Gegen 18:15 Uhr machte er sich auf den Nachhauseweg und stieß auf eine Kolonne, bestehend aus einem LKW, der als erster fuhr, gefolgt vom Fahrzeug von Katharina N***** und dem Beklagtenfahrzeug, die auf der G***** Landesstraße mit ca. 80 km/h fuhren. Katharina N***** versuchte, den vor ihr fahrenden LKW zu überholen. Der hinter ihr fahrende Erstbeklagte startete ebenfalls ein Überholmanöver. Als die beiden Fahrzeuglenker dies bemerkten, brachen beide den eingeleiteten Überholvorgang ab und reihten sich wieder im rechten Fahrstreifen ein. Kurz darauf entschloss sich der Kläger, da beide keinerlei Anzeichen machten, dass sie wieder überholen wollten, die Kolonne mit seinem Motorrad zu überholen. Er betätigte den linken Blinker, beschleunigte auf 90 bis 100 km/h und fuhr auf die Gegenfahrbahn. Zu diesem Zeitpunkt war bei beiden PKWs kein Blinker eingeschaltet. Als er etwa auf Höhe des Beklagtenfahrzeugs war, fuhr der Erstbeklagte plötzlich und für den Kläger völlig unerwartet auf die Gegenfahrbahn, sodass es zur Kollision kam. Durch die Kollision und insbesondere durch die Seitwärtsbewegung des Beklagtenfahrzeugs wurde der Sturz des Klägers ausgelöst. Im Zuge des Sturzes des Motorrads und des Klägers entstand auf der Fahrbahn bis zur Endlage eine 61 m lange Spur.

Der Kläger erlitt unfallkausal einen Bruch der Querfortsätze rechts des 2. bis 5. Lendenwirbelkörpers, einen Bruch der 12. Rippe rechts, tiefe Abschürfungen über dem rechten Kniegelenk und am linken Ellenbogengelenk mit Eröffnung und Verletzung des Schleimbeutels am linken Ellenhaken sowie mehrfache oberflächliche Abschürfungen. Damit waren gerafft zwei Tage starke Schmerzen, vier Tage Schmerzen mittleren Grades sowie acht Wochen Schmerzen leichten Grades verbunden.

Eine Pflegehilfe war eine Stunde täglich in den ersten drei Wochen nach dem gegenständlichen Unfall notwendig. Der Kläger, der in seiner Familie die Gartenarbeit immer selbst verrichtet, benötigte innerhalb der ersten sechs Wochen nach dem Unfall Hilfe bei der Verrichtung der Gartenarbeiten im Ausmaß von einer Stunde täglich.

Zum Unfallszeitpunkt waren die Aushebearbeiten und das Hineinsetzen des Pools beim Haus des Klägers bereits abgeschlossen. Da im Haushalt des Klägers fünf Kinder leben und der Sommer sehr heiß war, konnte der Kläger mit den Hinterfüllarbeiten beim Pool, die er ansonsten selbst verrichtet hätte, nicht mehr zuwarten. Er benötigte dafür Unterstützung im Ausmaß von 16 Stunden.

Ein Dauerschaden ist nur im Rahmen der erlittenen Abschürfungen festzustellen. Neben dem sehr dünnen Narbenareal über dem rechten Kniegelenk liegt am linken Ellenbogengelenk eine schmerzhafte Narbe im Bereich des Schleimbeutels vor. Spätschäden sind nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, diese sind ebenso den erlittenen Abschürfungen zuzuordnen.

Eine mit Protektoren hinterlegte Motorradschutzbekleidung aus Gore-Tex-Material hätte aus technischer Sicht die Rutschstrecke des Klägers am Asphalt sicher ausgehalten, sodass die Hautverletzungen des Klägers zumindest größtenteils unterblieben wären. Auch eine Lederkombi hätte diese Rutschstrecke vermutlich ausgehalten. Hätte der Kläger beim gegenständlichen Unfall eine adäquate Motorradschutzkleidung getragen, wären die dokumentierten Abschürfungen an den Armen, Beinen und am Rumpf allesamt nicht aufgetreten. Hierbei wären gerafft ein Tag starke Schmerzen, zwei Tage Schmerzen mittleren Grades und fünf Wochen Schmerzen leichten Grades entstanden.

Die Zweitbeklagte zahlte dem Kläger am 24. 4. 2014 4.996 EUR, und zwar 4.000 EUR an Schmerzengeld und 996 EUR an sonstigen Schäden (Sachschäden und Spesen).

Der Kläger begehrt nach Klagseinschränkung noch Zahlung von 5.595 EUR (restliches Schmerzengeld 4.500 EUR [angemessen sei ein Schmerzengeld von 8.500 EUR] und 1.095 EUR für Hilfskräfte) und die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aus dem Unfall.

Die Beklagten wandten ‑ soweit im Revisionsverfahren noch von Relevanz ‑ ein, der Kläger müsse es sich als Mitverschulden anrechnen lassen, dass er zwar feste Schuhe und einen Sturzhelm getragen habe, sonst aber lediglich mit kurzer Hose und kurzem Leibchen bekleidet gewesen sei. Hätte er die übliche Motorradbekleidung getragen, wären insbesondere die als besonders schmerzhaft beschriebenen Hautabschürfungen nicht eingetreten. Der Kläger habe in eigenen Angelegenheiten jene Sorgfalt außer Acht gelassen, die nach dem allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise von jedem Einsichtigen und Vernünftigen eingehalten worden wäre, um eine Schädigung zu verhindern. Es sei allgemein bekannt, dass beim Lenken von Motorrädern eine ausreichende Schutzkleidung regelrecht als „Pflicht“ angesehen werde. So werde beispielsweise bei Motorrad-Fahrprüfungen die Prüfung als negativ beurteilt, wenn der Prüfling keine ausreichende Schutzkleidung trage. Auch im Zuge der Führerscheinkurse werde seit Jahrzehnten allgemein vermittelt, dass Motorradschutzkleidung unumgänglich sei, um Verletzungen infolge von Stürzen zu reduzieren bzw zu verhindern. Jeder nur durchschnittlich einsichtige und vernünftige Motorradfahrer wisse, dass selbst bei kurzen Fahrten das Tragen von Schutzkleidung nicht nur sinnvoll, sondern notwendig sei, um Verletzungen hintanzuhalten. Die aufgrund des Mitverschuldens des Klägers noch berechtigten Ansprüche seien bereits durch die Zahlung vom 24. 4. 2014 bereinigt worden. Das Feststellungsbegehren sei abzuweisen, weil die Hautdefekte nicht eingetreten wären, wenn der Kläger eine ausreichende Schutzkleidung getragen hätte.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren im Umfang von 4.548 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 7. 2013 und dem Feststellungsbegehren statt und wies das Zahlungsmehrbegehren von 1.047 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 7. 2013 (rechtskräftig) ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, die österreichische Rechtsordnung kenne ‑ anders als bei der Gurtenanlege- und der Helmpflicht (§ 106 Abs 2 und 7 KFG) ‑ keine allgemeine Pflicht zum Tragen von Motorradschutzkleidung. Eine analoge Anwendung der zitierten Normen, die ein Mitverschulden des Geschädigten bei Nichtanlegen des Gurtes bzw Nichttragen des Sturzhelms normierten, auf das Nichttragen von Motorradschutzkleidung komme nicht ohne weiteres in Betracht. Die Lebenserfahrung zeige, dass Motorradfahrer immer wieder kurze Strecken ohne Motorradschutzkleidung zurücklegten. Dem Kläger könne wegen des Nichttragens von Motorradschutzkleidung keine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten angelastet werden. Für die erlittenen Schmerzen sei ein Schmerzengeld von 7.700 EUR angemessen, wovon die Zweitbeklagte bereits 4.000 EUR bezahlt habe. Die Bekleidungsschäden (inklusive Helm), Fahrtkosten und Spesen, welche insgesamt 896 EUR ausmachten, seien von der Zweitbeklagten mit den weiteren 996 EUR, die geleistet worden seien, bereits abgegolten. Daneben habe der Kläger Aufwendungen für Hilfskräfte gehabt, und zwar im Ausmaß von 21 Stunden für Pflege, 42 Stunden für Gartenarbeit und 16 Stunden für die Hinterfüllarbeiten beim Pool. Das ergebe bei einem angemessenen Stundensatz von 12 EUR insgesamt 948 EUR.

Das nur von den Beklagten hinsichtlich des Teilzuspruchs von 4.028 EUR (3.080 EUR Schmerzengeld, 948 EUR für die Hilfskräfte) samt 4 % Zinsen seit 15. 7. 2013 und hinsichtlich des Feststellungsbegehrens angerufene Berufungsgericht bestätigte insoweit das Urteil des Erstgerichts. Der Umstand, dass es keine gesetzliche Verpflichtung zum Tragen von Motorradschutzbekleidung gebe, schließe die Annahme eines Mitverschuldens noch nicht aus. Bei Unterlassen von Schutzmaßnahmen zur eigenen Sicherheit sei der Vorwurf des Mitverschuldens begründet, wenn sich bereits ein allgemeines Bewusstsein der beteiligten Kreise dahin gebildet habe, dass jeder Einsichtige und Vernünftige solche Schutzmaßnahmen anzuwenden pflege. Dafür reiche es aber nicht aus, dass eine bestimmte Maßnahme bekanntermaßen effektiv den Selbstschutz erhöhe. Vielmehr müsse sich aus einem solchen allgemeinen Wissen eine soziale Norm herausbilden, wonach jeder Vernünftige und Einsichtige diese Maßnahme ergreifen würde. Der Kläger sei im vorliegenden Fall bis zum Unfall weder sportlich ambitioniert noch mit außergewöhnlich hoher Geschwindigkeit gefahren. Er habe auch bloß eine relativ kurze Strecke von rund 5 km fahren wollen. Für derartige Fahrten habe sich nach Ansicht des Berufungsgerichts noch keine soziale Norm herausgebildet, wonach jeder Vernünftige und Einsichtige derartige Fahrten nur nach Anlegung einer Schutzkleidung zurücklegen würde.

Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil noch keine oberstgerichtliche Judikatur zur Frage vorliege, ob und unter welchen Voraussetzungen das Nichttragen einer Motorradschutzkleidung ein Mitverschulden des bei einem Unfall verletzten Motorradfahrers begründen könne.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung des Berufungsurteils dahin, dass ein weiterer Betrag von 4.028 EUR sowie das Feststellungsbegehren zur Gänze abzuweisen seien; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagten bringen vor, es bestehe im beteiligten Verkehrskreis die Einsicht, dass Motorradfahren schon an sich mit besonderen Risiken verbunden sei und dass auch eine „soziale Norm“ unter Motorradfahrern zum Tragen von Schutzkleidung auch für die konkrete zwar kurze Strecke, jedoch verbunden mit einer Geschwindigkeit von 90 bis 100 km/h, jedenfalls bestehe.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben; außerdem bestreitet er die Zulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage (ohne jedoch damit einen separaten Zurückweisungsantrag zu verbinden). Er bestreitet für den vorliegenden Sachverhalt, dass sich ein allgemeines Bewusstsein unter Motorradfahrern gebildet habe, dass Motorradschutzbekleidung zu tragen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist teilweise auch berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat Folgendes erwogen:

1. Gänzlich einschlägige oberstgerichtliche oder zweitinstanzliche Rechtsprechung liegt nicht vor. Teilweise mit dem vorliegenden Fall vergleichbare Entscheidungen sind folgende:

1.1.1. Das Oberlandesgericht Innsbruck vertrat in seiner Entscheidung 1 R 56/06d (= ZVR 2006/226 [zust Danzl]) die Ansicht, mangels gegenteiliger gesetzlicher Anordnung begründe das Nichttragen einer Motorradschutzkleidung jedenfalls im Stadtverkehr (der im hier vorliegenden Fall nicht vorliegt) kein anspruchskürzendes Mitverschulden eines gestürzten und dabei verletzten Motorradfahrers.

1.1.2. Danzl führte in seiner Glosse zu dieser Entscheidung aus, der Gesetzgeber habe sich hinsichtlich einer Unfallfolgen zweifellos mindern könnenden Schutzkleidung bisher nicht aufgerufen erachtet, eine entsprechende Pflicht zum Tragen anzuordnen, sodass der Entscheidung zuzustimmen sei.

1.2. In einer weiteren Entscheidung (4 R 200/10h = ZVR 2012/131) erachtete es das Oberlandesgericht Innsbruck als Mitverschulden eines Beifahrers auf einem Motorfahrrad, dass dieser keine Schuhe trug, weil die Gefahr von Verletzungen bei einem Hineingeraten des nackten Fußes in das Hinterrad des Fahrzeugs geradezu evident sei und die Verletzung des Klägers beim Tragen von Schuhwerk nicht eingetreten wäre.

1.3. In Deutschland ist die Rechtsprechung zu einem allfälligen Mitverschulden durch Nichttragen von Motorradschutzkleidung nicht ganz einheitlich.

1.3.1. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (I‑1 U 137/05 = BeckRS 2006, 11671) wertete es bei einem zwischen 30 und 60 km/h schnellen Motorradfahrer, der beim Unfall vom Motorrad stürzte und über die Straße rutschte, als das Schmerzensgeld anspruchsmindernd, weil er keine geeignete Schutzkleidung getragen hatte.

1.3.2. Das Oberlandesgericht Brandenburg (12 U 29/09 = DAR 2009, 649 [zust Miller]) sprach aus, ein Mitverschulden eines bei einem Unfall verletzten Motorradfahrers sei in gewissem Umfang insoweit anzunehmen, als er an den Beinen keine Schutzkleidung getragen habe, sondern lediglich mit einer Stoffhose bekleidet gewesen sei. Es existierten zwar keine entsprechenden gesetzlichen Vorschriften, ein Mitverschulden des Verletzten sei aber bereits dann anzunehmen, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lasse, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflege. Die meisten Motorradfahrer empfänden es heutzutage als eine persönliche Verpflichtung, mit Schutzkleidung zu fahren. Jeder wisse, dass das Fahren ohne Schutzkleidung ein um ein Vielfaches höheres Verletzungsrisiko in sich berge. Es komme „auch nicht entscheidend darauf an, zu welchen Leistungen das Motorrad letztlich in der Lage ist. Auch für 'kleine Maschinen’ kann auf Schutzkleidung zur Vermeidung schwerer Verletzungen nicht verzichtet werden.“ Das genannte Oberlandesgericht verwies dabei auch ausdrücklich darauf, dass „sämtliche maßgeblichen Verbände, die sich ua mit der Sicherheit und im Besonderen auch mit der Motorradsicherheit befassen, einen Schutz bei jeder Fahrt mit sicherer Motorradbekleidung empfehlen, … zB beim ADAC und beim Institut für Zweiradsicherheit (ifz), das zudem eine Statistik veröffentlicht hat, wonach die Verletzungshäufigkeit gerade im Bereich der Beine bei etwa 80 % liegt, sowie des Deutschen Verkehrssicherheitsrates e. V. Letztgenannter hat im Jahre 2008 beschlossen, an die Motorradfahrer zu appellieren, Schutzkleidung einschließlich Protektoren zu tragen. Die meisten Motorradfahrer empfinden es heutzutage als eine persönliche Verpflichtung, mit Schutzkleidung zu fahren. Jeder weiß, dass das Fahren ohne Schutzkleidung ein um ein vielfaches höheres Verletzungsrisiko in sich birgt, wobei natürlich nicht verkannt werden soll, dass auch mit dem Tragen von Motorradschutzkleidung nicht jeglichen Verletzungsgefahren entgegengewirkt werden kann.“

1.3.3. Das Oberlandesgericht Nürnberg (3 U 1897/12, NZV 2013, 556 = DAR 2013, 332 [Hauser]) sprach aus, es gäbe derzeit kein allgemeines Verkehrsbewusstsein, dass das Tragen von Motorradschuhen zum eigenen Schutz eines Motorradfahrers erforderlich sei, sodass ein Mitverschulden eines Motorradfahrers, der im Unfallzeitpunkt lediglich Sportschuhe getragen hatte, verneint wurde (allerdings trug dieser neben einem Helm auch eine Motorradjacke und Motorradschuhe, an den Beinen allerdings nur eine Arbeitshose).

1.3.4. Mangels „ursächlicher Auswirkung“ auf die eingetretenen Unfallverletzungen offen gelassen wurde die Frage eines anspruchsmindernden Mitverschuldens vom Landgericht Köln zu 18 O 148/08 (DAR 2013, 382) bei einem Motorradfahrer, der statt Schutzbekleidung an den Beinen und spezieller Motorradstiefel nur mit Jeanshose und „normalen“ Straßenschuhen bekleidet war; trotzdem wurde jedoch dieses Verhalten des Klägers ausdrücklich als „objektiver Sorgfaltsverstoß“ bezeichnet. Hauser hat in einer Glosse beide Entscheidungen (DAR 2013, 384 f) als nicht überzeugend abgelehnt: Es sei „kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb vom Motorradfahrer/der Motorradfahrerin bei einer Sorglosigkeit im Umgang mit Schutzkleidung ‑ sei es Helm, Hose, Stiefel etc ‑ kein Mitverschulden anzurechnen sein soll“, wobei es „auf die Frage, ob das Tragen von Schutzkleidung vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist, … nicht ankommen kann, … sondern sich die einzuhaltende Sorgfaltspflicht an denjenigen Sorgfaltsanforderungen bemesse, die ein verständiger und ordentlicher Mensch zur Vermeidung eines Schadens generell anzuwenden pflegt ... Das Nichttragen von zweiradtypischer Schutzkleidung muss daher zu einem Mitverschulden führen, da die eigene und leicht vermeidbare Sorglosigkeit gegen sich selbst jedenfalls nicht zu Lasten des Unfallgegners gehen kann.“

1.3.5. Das Landgericht Heidelberg (2 O 203/13, NZV 2014, 466 = VersR 2015, 907) vertrat die Auffassung, einen Leichtkraftradfahrer (Motorroller) treffe generell keine Obliegenheit zum Tragen vom Protektorenschutzkleidung. Eine Verkehrsauffassung dahin, dass es geboten sei, bei Innerortsfahrten auf einem Leichtkraftrad Schutzkleidung zu tragen, sei nicht festzustellen.

1.3.6. Weitere Entscheidungsnachweise erst- und zweitinstanzlicher deutscher Urteile finden sich in den Glossen von Miller und Hauser zu den bereits zitierten Entscheidungen des OLG Brandenburg in DAR 2009, 650 (1.3.2.) bzw LG Köln in DAR 2013, 384 (1.3.4.) sowie bei Rebler, Schadensersatzrechtliche Auswirkungen des Nichttragens von Schutzkleidung bei Motorradunfällen, MDR 2014, 1187 (1188 ff). Letzterer führt als „Fazit“ aus (aaO 1189), dass ‑ um eine Mithaftung wegen des Nichttragens von Motorradschutzkleidung zu begründen ‑ „festzustellen ist, ob Schutzkleidung (und welche Komponenten) nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich ist. Allein mit dem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon lässt sich ein verkehrsgerechtes Verhalten … nicht begründen. Auch der heutige Erkenntnisstand hinsichtlich der Möglichkeiten, dem Verletzungsrisiko durch Schutzmaßnahmen zu begegnen, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass sich jemand nicht verkehrsgerecht verhält, wenn er nicht die optimalen Schutzvorkehrungen ergreift.“

1.4. Hinsichtlich der (für erwachsene Radfahrer gesetzlich nicht ausdrücklich vorgeschriebenen) Verpflichtung zum Tragen von Fahrradhelmenverneinte der Oberste Gerichtshof mangels gesetzlicher Verpflichtung zum Helmtragen ein Mitverschulden für Unfälle, die sich im Jahr 2000 (2 Ob 135/04y = ZVR 2006/33 [zust Schoditsch/Griehser]) bzw 2006 (2 Ob 42/12h) ereigneten.

1.5.1. Jüngst hingegen sprach der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 99/14v (= ZVR 2014/218 [zust Karner] = EvBl 2015/37 [Rohrer] = HAVE/REAS 2015, 163 [Ch. Huber]; vgl zu dieser Entscheidung auch Kaltenegger, Frisurenzerdrücker oder Lebensretter, ZVR 2015/68; Pepelnik, Nicht mehr Radhelme bringen Sicherheit, sondern mehr Radfahrer! ZVR 2015/69; Kraus, Helmpflicht für Rad[renn]fahrer? ZVR 2015/103) aus, bei Fahrten unter rennmäßigen Bedingungen sei auch schon für das Jahr 2008 von einem allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise in Österreich auszugehen, dass der Einsichtige und Vernünftige wegen der erhöhten Eigengefährdung einen Radhelm trage. Im damals zu beurteilenden Fall waren der Kläger und sein Begleiter mit ihren Fahrrädern mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h unterwegs gewesen, wobei der Kläger im Windschatten seines Begleiters mit minimalem Tiefenabstand gefahren war, sodass sie sich sportlich ambitioniert betätigt und dabei einem besonderen Risiko ausgesetzt hatten. Den Kläger habe daher die Obliegenheit zum Tragen eines Radhelms getroffen, wobei die Verletzung dieser Obliegenheit auch für seine schweren Kopfverletzungen und die daraus resultierenden Dauer- und Spätfolgen kausal gewesen sei. Dieses Mitverschulden führe jedoch in analoger Anwendung der Bestimmungen des § 106 Abs 2 und 7 KFG nur zu einer Kürzung des Schmerzengeldanspruchs hinsichtlich jener Verletzungen, die beim Tragen des Helms vermeidbar gewesen wären. Das Mitverschulden hinsichtlich dieses Schmerzengeldteils sei in der Regel mit 25 % zu bewerten.

1.5.2. Karner führt in seiner Glosse zu dieser Entscheidung aus, es ginge nicht an, dem Einzelnen zwar immer strengere Sorgfaltspflichten gegenüber anderen aufzuerlegen, die Obliegenheit, Sorgfalt gegenüber seinen eigenen Gütern anzuwenden, hingegen zunehmend abzubauen. Auch aus dieser Perspektive erscheine es deshalb gerechtfertigt, die Nichtverwendung eines Fahrradhelms zumindest bei Vorliegen besonderer Gefahrenmomente als Mitverschulden anzusehen. Entsprechendes habe auch in anderen vergleichbaren Konstellationen zu gelten, so wenn ein Reiter keine Reitkappe trage, ein Skifahrer keinen Helm oder ein Motorradfahrer bei Hochgeschwindigkeitsfahrten keine Schutzkleidung (ZVR 2014, 395 [397]).

2. Folgerungen:

2.1. Da es derzeit keine gesetzliche Norm gibt, die beim Motorradfahren das Tragen von Schutzkleidung (abgesehen vom Sturzhelm, vgl § 106 Abs 7 KFG) vorschreibt, kann nach den Grundsätzen der Entscheidung 2 Ob 99/14v ein Mitverschulden des Klägers nur dann bejaht werden, wenn sich ein allgemeines Bewusstsein der beteiligten Kreise in Österreich gebildet hat, dass (hier: [auch] bei kurzen Überlandfahrten) ein einsichtiger und vernünftiger Motorradfahrer wegen der erhöhten Eigengefährdung entsprechende Motorradschutzkleidung trägt. Dies ist bei lebensnaher Einschätzung jedenfalls zu bejahen, wird doch ein solcher Motorradfahrer schon aus Selbstschutz dann, wenn er vor Antritt der Fahrt in Kauf nimmt, während dieser ‑ unabhängig von ihrer Länge und Dauer ‑ auch mit hohen Geschwindigkeiten (wie hier um die 100 km/h oder etwa auf einer Autobahn mit 130 km/h) zu fahren, Motorradschutzkleidung tragen. Hingewiesen sei darauf, dass nach einer Onlinebefragung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KfV) vom September 2008 (abrufbar unter http://www.researchgate.net/publication/281406308_Analysebericht_Motorradschutzbekleidung ; siehe auch http://www.1000ps.at/member/cms_extended.asp?id=1197 & member_id=310839&gruppen_id=69) im Erhebungszeitraum 14. 7. bis 25. 8. 2008 nur 17,6 % der Motorradlenker keine Form einer Schutzbekleidung trugen (vgl hiezu auch die Statistiken im Bericht des EU‑Projekts SARTRE [Sozial Attitudes to Road Traffic Risk in Europe] http://eprints ioe.ac.uk/14430/1/SARTRE_4_REPORT.pdf Seiten 193 ff: „Use of other safety devices“).

2.2. Es ist daher sachgerecht, auch bei Kurzfahrten mit einem Motorrad, bei denen (zulässigerweise) mit (sehr) hohen Geschwindigkeiten gefahren wird bzw ‑ wie im Ausgangsfall ‑ solche erreicht werden, von einem „allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise“ in Österreich auszugehen, dass ein „einsichtiger und vernünftiger“ Fahrer wegen der erhöhten Eigengefährdung auch eine adäquate Schutzkleidung trägt.Dieses Bewusstsein bestand auch schon 2013, als sich der verfahrensgegenständliche Unfall ereignete. Diese Nachlässigkeit ist dem Kläger daher auch unter den konkreten Umständen, dass er von der Arbeitsstätte nach Hause nur 5 km zurückzulegen hatte, als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten vorzuwerfen (§ 1304 ABGB), was zu einer Kürzung seines ‑ allerdings nur das Schmerzengeld betreffenden ‑ Anspruchs führt. Das „Motorradschutz-bekleidungsmitverschulden“ ist - in analoger Anwendung der Rechtsprechung zum Gurt- und Helmmitverschulden nach § 106 Abs 2 und 7 KFG ‑ im Ausmaß von 25 % zu berücksichtigen (vgl dazu 2 Ob 99/14v sowie die von Rohrer in EvBl 2015/37 gegebene Berechnungshilfe zum Spruch über das Feststellungsbegehren; RIS-Justiz RS0110803; RS0123817; RS0038930; RS0029030; RS0029844).

2.3. Dass dem Kläger für das Gesamtbild seiner Unfallverletzungen ein Globalschmerzengeld von 7.700 EUR zusteht, wird in der Revision der Höhe nach ebenso nicht in Frage gestellt wie die Höhe des fiktiven Schmerzengeldes für die Verletzungen, die bei Tragen einer Motorradschutzbekleidung entstanden wären, mit 4.620 EUR. Nach der Berechnungsmethode der zitierten Judikatur ist zunächst die Differenz zwischen dem höheren Schmerzengeld für die erlittenen Verletzungen (7.700 EUR) und demjenigen für die fiktiv erlittenen Verletzungen (4.620 EUR) zu bilden; diese beträgt 3.080 EUR. Von diesem Betrag errechnet sich das „Motorradschutzbekleidungsmitverschulden“ in Höhe von einem Viertel, sohin mit 770 EUR; der Schmerzengeldzuspruch ist daher um diesen Betrag zu kürzen. 7.700 EUR minus 770 EUR machen 6.930 EUR aus, von denen die Zweitbeklagte 4.000 EUR bezahlt hat; somit verbleiben noch 2.930 EUR an restlichem Schmerzengeld. Unter Berücksichtigung der übrigen in dritter Instanz nicht mehr strittigen Positionen ergibt sich der spruchgemäße Zuspruch bzw die spruchgemäße Abweisung.

2.4. Im Sinn der vorstehenden Ausführungen, wonach es nur zu einer Kürzung des Schmerzengeldes um ein Viertel kommt, ist das Feststellungsbegehren ebenfalls nur im spruchgemäßen Umfang berechtigt.

3. Im Hinblick auf die wegen der Änderung der Sachentscheidung notwendig werdende Berechnung der Kostenentscheidung wird diese in sinngemäßer Anwendung des § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO dem Berufungsgericht übertragen (RIS‑Justiz RS0124588, zuletzt 2 Ob 108/15v).

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