OGH 2Ob99/14v

OGH2Ob99/14v27.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** S*****, vertreten durch Bründl, Reischl & Partner OG Rechtsanwälte in Straßwalchen, gegen die beklagte Partei A***** M*****, vertreten durch Heiss & Heiss Rechtsanwälte OG in Innsbruck, wegen 23.932,96 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 2.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. April 2014, GZ 1 R 7/14a‑40, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Wels vom 30. Oktober 2013, GZ 26 Cg 219/11a‑36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00099.14V.0827.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 16.570,60 EUR samt 4 % Zinsen aus 11.844,73 EUR vom 10. 8. 2011 bis 3. 2. 2012, aus 10.990,71 EUR vom 4. 2. 2012 bis 7. 12. 2012, aus 14.906,46 EUR vom 8. 12. 2012 bis 9. 10. 2013 und aus 16.570,60 EUR seit 10. 10. 2013 binnen 14 Tagen zu bezahlen.

2. Das auf Zahlung weiterer 7.362,36 EUR gerichtete Mehrbegehren wird ebenso wie das Zinsenmehrbegehren abgewiesen.

3. Es wird mit Wirkung zwischen den Parteien festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei zu zwei Drittel für künftige kausale Schäden aus dem Unfall vom 15. 6. 2008 zu haften hat, hinsichtlich künftiger Schmerzengeldansprüche jedoch nur zur Hälfte.

4. Das auf die Feststellung der Haftung zu einem weiteren Sechstel für künftige Schmerzengeldansprüche gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 5.073,85 EUR (darin 681,55 EUR USt und 984,58 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 15. 6. 2008 ereignete sich gegen 11:40 Uhr auf der Bundesstraße B 151 im Ortsgebiet von Attersee ein Verkehrsunfall.

Die 1923 geborene Beklagte wollte auf Höhe des Hauses Mühlbach 18 als Fußgängerin die 5,8 m breite Fahrbahn der B 151 überqueren. Sie musste zuerst zwei von links kommende Fahrzeuge abwarten. Von rechts kamen zwei (Renn-)Radfahrer, die für die Beklagte bereits erkennbar waren, als sie die Fahrbahn betrat. Infolge einer Fehleinschätzung dachte sie, dass sie die Fahrbahn noch vor den Radfahrern überqueren könne. Sie ging los, wobei sie eine „leicht schräge Gehlinie“ einhielt und eine Gehgeschwindigkeit von 7 km/h erreichte.

Die beiden Radfahrer näherten sich mit einer Geschwindigkeit von ca 35 km/h. Der Kläger fuhr im Windschatten seines mit ihm befreundeten Vordermanns J***** H*****. Der Tiefenabstand betrug ca 1,5 m, was einer Zeitspanne von 0,15 sec entsprach. Ein solcher „Nachfahrabstand“ bedeutet, dass es bei einer starken Bremsung des Vordermanns zu einem Auffahrunfall kommen muss. Beide Radfahrer trugen keinen Radhelm. J***** H***** konnte aus einer Entfernung von 117 m erkennen, dass auf dem ‑ aus seiner Sicht ‑ links von der Fahrbahn befindlichen Gehsteig eine Person (die Beklagte) stand. Als die Beklagte die Fahrbahn betrat, reagierte J***** H***** mit einer starken Bremsung. Die Bremsverzögerung lag zwischen 3,5 und 5 m/sec² (eine Bremsverzögerung von 5 m/sec² bedeutet für ein Rennrad eine Vollbremsung). Bei Beginn der Abwehrhandlung war er noch ca 25 m bzw 2,5 sec von der Gehlinie der Beklagten entfernt.

Der Kläger fuhr auf das Fahrrad seines Vordermanns auf und kam ‑ im Gegensatz zu diesem ‑ zu Sturz. Bei einem „Halbsekunden- oder Sekundenabstand“ wäre der Sturz vermeidbar gewesen. Ein solcher Abstand hätte aber nicht mehr einem „Windschattenfahren“ entsprochen.

Der Kläger zog sich bei diesem Sturz neben einer Abschürfung im Bereich der linken Kniescheibe vor allem schwere Schädelverletzungen zu. Er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma III mit Bruch des linken Scheitelbeins, Blutungen innerhalb und außerhalb der harten Hirnhaut sowie Quetschungsverletzungen des Hirngewebes. Während der instensivmedizinischen Behandlungsphase entwickelte sich ferner eine Lungenentzündung, eine eitrige Nasennebenhöhlenentzündung, ein septisches Zustandsbild sowie eine Polymyoneuropathie.

Insgesamt litt der Kläger 30 Tage an starken, drei Wochen an mittleren und acht Wochen an leichten Schmerzen. Dazu kommen künftig (gerafft) weitere vier Monate an leichten Schmerzen, weil der Kläger eine Neigung zu migräneartigem Kopfschmerz entwickelt hat. Außerdem leidet er nun an Epilepsie, auch wenn der Kläger seit 2009 anfallfrei ist. Aufgrund seiner Kopfverletzungen leidet er unter Dauerfolgen, Spätfolgen sind nicht auszuschließen.

Hätte der Kläger einen Helm getragen, wäre die Schädelfraktur unterblieben. Er hätte zwar eine Gehirnerschütterung erlitten, die schweren traumatischen Hirnverletzungen und deren Folgen wären aber ausgeblieben. In diesem Fall hätte der Kläger zwei Tage mittlere und sieben bis zehn Tage leichte Schmerzen gehabt. Dauer- und Spätfolgen wären nicht zu erwarten gewesen.

Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Frankenmarkt vom 24. 8. 2009 wurde die Beklagte des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung für schuldig erkannt.

Der Kläger begehrte zuletzt Schadenersatz in Höhe von 23.932,96 EUR sA sowie die Feststellung, dass ihm die Beklagte für alle künftigen Schäden aus dem Unfall vom 15. 6. 2008 im Ausmaß von zwei Drittel hafte. Seinen ungekürzten Anspruch auf Schadenersatz bezifferte der Kläger mit 44.677,97 EUR (Schmerzengeld: 36.800 EUR; Fahrtkosten und Parkplatzgebühren: 7.438,76 EUR; Spesen: 50 EUR; Rezeptgebühren: 134,40 EUR; Selbstbehalt: 41,62 EUR Verdienstentgang: 213,19 EUR). Davon begehrte er nach Anerkennung eines ‑ nicht näher konkretisierten ‑ Mitverschuldens von einem Drittel 29.785,31 EUR, was abzüglich geleisteter Zahlungen von 5.000 EUR (auf Schmerzengeld) und 854,02 EUR eine restliche Forderung von (rechnerisch richtig) 23.931,29 EUR ergab. Die Beklagte habe unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt die Fahrbahn der B 151 überquert. Das Nichttragen eines Fahrradhelms verstoße gegen keine gesetzliche Verpflichtung und begründe kein Mitverschulden iSd § 1304 ABGB.

Die Beklagte wandte ein, den Kläger treffe das überwiegende Verschulden am Zustandekommen des Unfalls. Er habe einen zu geringen Tiefenabstand zu seinem Vordermann eingehalten und das Gebot des Fahrens auf Sicht verletzt. Die schweren Verletzungen wären bei Verwendung eines Fahrradhelms unterblieben, das Feststellungsbegehren bestehe nicht zu Recht. Es sei von einer Verschuldensteilung im Verhältnis 3:1 zu Lasten des Klägers auszugehen.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit 21.970,59 EUR sA und dem Feststellungsbegehren zur Gänze statt. Das Leistungsmehrbegehren von 1.962,37 EUR sA wurde (rechtskräftig) abgewiesen.

Das Erstgericht ging im Wesentlichen vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt aus und teilte das Verschulden 2:1 zu Lasten der Beklagten. Es vertrat die Ansicht, der Kläger wäre zur Beobachtung der vor ihm liegenden Fahrbahn verpflichtet gewesen, woran er durch das Windschattenfahren gehindert gewesen sei. Die Beklagte habe die Fahrbahn überquert, ohne sich ausreichend vergewissert zu haben, ob dies ohne Gefährdung anderer Straßenbenützer möglich sei. Sie habe auch nicht den kürzesten Weg gewählt, sondern eine schräge Gehlinie eingehalten. Das Nichttragen eines Helms begründe kein weiteres Mitverschulden des Klägers. Die Verletzungen und deren Folgen rechtfertigten ein (ungekürztes) Schmerzengeld von 34.000 EUR, davon stünden dem Kläger zwei Drittel, demnach 22.666,66 EUR zu. Abzüglich der geleisteten 5.854,02 EUR verbleibe noch ein Anspruch von 16.812,64 EUR.

Die weiteren Zusprüche (insgesamt 5.157,95 EUR) erfolgten auf die übrigen Schadenspositionen. Die Berechtigung des Feststellungsbegehrens wurde damit begründet, dass Dauerfolgen bestünden und Spätfolgen nicht auszuschließen seien.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht erörterte, dass für erwachsene Radfahrer keine gesetzliche Helmpflicht bestehe. Dennoch könne sich eine Mithaftung des Radfahrers ergeben, wenn aus dem allgemeinen Gebot zumutbarer Schadensvorsorge die Obliegenheit des Geschädigten, bei der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr einen Fahrradhelm zu tragen, ableitbar sei. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei bei der Unterlassung von Schutzmaßnahmen zur eigenen Sicherheit der Vorwurf des Mitverschuldens begründet, wenn sich bereits ein allgemeines Bewusstsein der beteiligten Kreise dahin gebildet habe, dass jeder Einsichtige und Vernünftige solche Schutzmaßnahmen anzuwenden pflege. Zwar habe der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 2 Ob 135/04y und 2 Ob 42/12h zu Unfällen in den Jahren 2000 und 2006 die Ansicht vertreten, dass das Nichttragen eines Fahrradhelms kein Mitverschulden begründe. Jedoch sei nicht ersichtlich, dass diese Entscheidungen einen Rennradfahrer betroffen hätten.

Die deutsche Rechtsprechung differenziere danach, ob der Radfahrer das Fahrrad als schlichtes Fortbewegungsmittel im Alltagsverkehr oder als Sportgerät benütze. Bei Radfahrern, die das Radfahren ‑ und sei es auch nur hobbymäßig außerhalb eines Vereins ‑ als Sport betreiben, stehe die Erzielung hoher Geschwindigkeiten im Vordergrund, mit der naturgemäß ein gesteigertes Unfallrisiko und damit auch eine beträchtliche Steigerung der Eigengefährdung verbunden sei. Daher werde hier ‑ auch unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten im professionellen Radsport, wo der Radsportweltverband 2004 eine allgemeine Helmpflicht eingeführt habe ‑ das Tragen eines Fahrradhelms aus Gründen des Selbstschutzes als geboten angesehen. Hingegen werde dem herkömmlichen Freizeitradfahrer mangels entsprechender allgemeiner Übung eine derartige Obliegenheit nicht auferlegt.

Die deutsche Judikatur bestätige also den Standpunkt der Beklagten, dass ein vernünftiger Rennradfahrer wegen der höheren Geschwindigkeiten und des höheren Unfallrisikos zur eigenen Sicherheit einen Schutzhelm tragen würde. Zudem habe sie nachweisen können, dass die schweren Kopfverletzungen des Klägers nicht eingetreten wären, wenn er einen Helm getragen hätte.

Allerdings halte der Kläger der Beklagten zutreffend entgegen, dass sie das überwiegende Verschulden treffe, weil sie das unfalleinleitende Verhalten gesetzt habe. Der Kläger habe sich ein Eigenverschulden von immerhin einem Drittel angerechnet. Obwohl § 68 Abs 1 und 2 StVO Ausnahmen für Trainingsfahrten vorsehe, sei das Windschattenfahren nicht erlaubt (§ 18 Abs 1 StVO). Eine erweiternde bzw analoge Auslegung der Ausnahmebestimmungen komme mangels echter Regelungslücke nicht in Betracht. Es sei daher davon auszugehen, dass dem Kläger der zu geringe Tiefenabstand bzw das Windschattenfahren grundsätzlich vorzuwerfen sei und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine „Trainingsfahrt“ oder eine bloße Vergnügungsfahrt gehandelt habe.

Dennoch stelle das Windschattenfahren eine übliche Fahrweise bei Straßenradrennen dar und werde demgemäß auch bei Trainingsfahrten mehrerer Radsportler praktiziert, sodass es eine Art des Trainings darstelle und das Verschulden des Klägers bzw der Verstoß gegen § 18 Abs 1 StVO in Relation zum Verstoß der Beklagten gegen § 76 Abs 4 StVO relativ gering wiege. Schadensauslösend sei immerhin das Betreten der Fahrbahn durch die Beklagte so knapp vor den zwei Radfahrern gewesen, dass der vordere Radfahrer zu einer starken Bremsung gezwungen gewesen sei.

Das Berufungsgericht komme daher zum Ergebnis, dass der Kläger mit der Anrechnung eines Eigenverschuldens von insgesamt einem Drittel seine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten jedenfalls ausreichend berücksichtigt habe. Selbst eine Mithaftung wegen des Nichttragens eines Fahrradhelms würde daher zu keiner weiteren Anspruchskürzung führen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der diese primär die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung anstrebt. Hilfsweise begehrt sie deren Abänderung im Sinne einer Abweisung des restlichen Klagebegehrens.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof zur Helmpflicht von unter rennmäßigen Bedingungen fahrenden Radfahrern bisher noch nicht geäußert hat. Das Rechtsmittel ist im Sinne des Abänderungsantrags auch teilweise berechtigt.

Die Beklagte macht geltend, den Kläger treffe ein „massives Mitverschulden“, weil er durch das Nichttragen eines Fahrradhelms grob fahrlässig seine eigene Sicherheit gefährdet habe und gerade hieraus die Schwere seiner Verletzungen mit Dauerfolgen resultiere.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

1. Zur Helmpflicht für Radfahrer (allgemein):

1.1 Die österreichische Rechtsordnung kennt keine allgemeine Helmpflicht für Radfahrer. Mit der 23. StVO-Novelle, BGBl I 2011/34, wurde in § 68 Abs 6 StVO die Radhelmpflicht für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr auf öffentlichen Straßen eingeführt. Adressat der entsprechenden Verhaltensnorm ist derjenige, der das Kind beaufsichtigt, mitführt oder transportiert. Ein Verstoß gegen diese Anordnung bleibt sowohl verwaltungsstrafrechtlich (§ 99 Abs 6 lit e StVO) als auch ‑ jedenfalls für das Kind ‑ zivilrechtlich (gemäß § 68 Abs 6 letzter Satz StVO begründet im Falle eines Verkehrsunfalls das Nichttragen des Helms kein Mitverschulden iSd § 1304 ABGB) ohne Sanktion (vgl Steiner/Bauer/Salamon/Robatsch, Einführung der Radhelmpflicht für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr, ZVR 2011/154, 265; Stowasser, Kinderradhelmpflicht und Haftung im Zivil- und Strafrecht, ZVR 2011/192, 322; Hoffer/Stowasser, Die 23. StVO-Novelle, ÖAMTC-FI 2011/10, 1 [4 ff]; vgl auch Schürz, Helmpflicht beim Wintersport, ZVR 2013/4, 10 [14]).

Für den vorliegenden Sachverhalt ist aus dieser Sonderregelung für Kinder unter 12 Jahren, die der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung zu seinen Gunsten ins Treffen führt, nichts zu gewinnen, zumal sich der gegenständliche Unfall bereits im Jahr 2008, also lange vor dem Inkrafttreten der 23. StVO-Novelle ereignet hat.

1.2 Das Mitverschulden iSd § 1304 ABGB setzt kein Verschulden im technischen Sinn voraus. Schon Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern führt dazu, dass der Geschädigte weniger schutzwürdig erscheint, weshalb dem Schädiger nicht mehr der Ersatz des gesamten Schadens aufzuerlegen ist. Bei Unterlassung von Schutzmaßnahmen zur eigenen Sicherheit ist der Vorwurf des Mitverschuldens begründet, wenn sich bereits ein allgemeines Bewusstsein der beteiligten Kreise dahin gebildet hat, dass jeder Einsichtige und Vernünftige solche Schutzmaßnahmen anzuwenden pflegt (2 Ob 86/06w mwN; RIS-Justiz RS0026828).

In der Entscheidung 2 Ob 135/04y = ZVR 2006/33, 159 (Schoditsch/Griehser), die ein Unfallgeschehen aus dem Jahr 2000 zum Gegenstand hatte, hielt der Oberste Gerichtshof fest, es sei nicht hervorgekommen, dass sich bereits ein allgemeines Bewusstsein gebildet habe, auf Radwegen Fahrradhelme zu tragen. Dem (im Unfallszeitpunkt 13-jährigen) Kläger konnte daher die Nichtbenützung eines Fahrradhelms nicht als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten vorgeworfen werden.

Die (dort) zweitinstanzliche Beurteilung, dass diese Aussagen auch noch für das Jahr 2006 Gültigkeit hätten, hielt der erkennende Senat in der eine außerordentliche Revision zurückweisenden Entscheidung 2 Ob 42/12h für vertretbar, zumal die Helmtragequote der Österreicher im Jahr 2006 (nur) 22 % betragen habe.

1.3 Dieser Rechtsprechung entspricht im Grundsätzlichen auch jene in Deutschland, wo der Bundesgerichtshof (BGH) in einer aktuellen Entscheidung (BGH 17. 6. 2014, VI ZR 281/13), die abweichende Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Schleswig (7 U 11/12 = r + s 2013, 353) korrigierte. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, so der BGH, sei mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der überwiegenden Literatur daran festzuhalten, dass Schadenersatzansprüche eines Radfahrers, der im Straßenverkehr Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, jedenfalls bei Unfallereignissen bis zum Jahr 2011 grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens zu mindern seien (vgl weiters die Zitate bei Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld10 83 FN 96). Inwieweit allerdings in Fällen sportlicher Betätigung des Radfahrers das Nichttragen eines Schutzhelms ein Mitverschulden begründen könnte, wurde in dieser Entscheidung ausdrücklich offen gelassen.

1.4 Der zuletzt erwähnte Vorbehalt bezieht sich auf die nach dem Zweck der Fahrt differenzierende Rechtsprechung deutscher Obergerichte, die sich aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Jahr 2007 (1 U 182/06 = NZV 2007, 619) ‑ ungeachtet der teils heftigen Kritik in der Lehre (vgl Kettler, Neues zum Verschulden gegen sich selbst, NZV 2007, 603; zust hingegen Oetker in MünchKomm BGB6 [2012] § 254 Rn 42; vgl ferner Scholten, Mithaftung ohne Fahrradhelm?, SVR 2012, 162) ‑ entwickelt hat. Danach ist ein Radfahrer aus Eigenschutzgesichtspunkten nur dann gehalten, einen Schutzhelm zu tragen, wenn er sich als sportlich ambitionierter Fahrer auch außerhalb von Rennsportveranstaltungen besonderen Risiken aussetzt oder infolge seiner persönlichen Disposition ‑ etwa aufgrund von Unerfahrenheit im Umgang mit dem Rad oder den Gefahren des Straßenverkehrs ‑ ein gesteigertes Gefährdungspotential besteht (vgl OLG Saarbrücken, NZV 2008, 202; OLG München, BeckRS 2012, 18086; OLG Celle, NZV 2014, 305; vgl auch Schürz, Helmpflicht beim Wintersport, ZVR 2013/4, 10 [14]; Rebler, Fahrräder im öffentlichen Straßenverkehr, DAR 2009, 12 [19]). Die Differenzierung zwischen „normalen“ und „sportlich ambitionierten“ Radfahrern werde trotz der auftretenden Abgrenzungsschwierigkeiten den tatsächlichen Verhältnissen im Straßenverkehr am Besten gerecht (so zuletzt OLG Celle aaO). Dabei werden als Kriterien für eine „sportlich ambitionierte“ Fahrt etwa die Benützung eines Rennrads, das Tragen von Rennfahrerbekleidung und hohe Fahrgeschwindigkeit in Verbindung mit dem Eingehen besonderer Risiken genannt.

2. Zur Helmpflicht des Klägers:

2.1 Während das Erstgericht in seinen Feststellungen nur von „Radfahrern“ sprach (nur bei der vom Vordermann des Klägers erzielten bzw erzielbaren Bremsverzögerung stellte es auf ein „Rennrad“ ab), verwendete das Berufungsgericht auch hinsichtlich des Klägers schon bei der einleitenden Wiedergabe der erstinstanzlichen Feststellungen den Terminus „Rennradfahrer“. Das blieb in der Revisionsbeantwortung unbeanstandet und entspricht auch der ‑ insoweit unstrittigen ‑ Aktenlage, wonach die beiden Radfahrer mit Rennfahrrädern fuhren und mit einem Rennraddress bekleidet waren (vgl die im angeschlossenen und erörterten Strafakt enthaltenen Unfalldaten). Im Zusammenhang damit liefern die Feststellungen über die Bremsausgangsgeschwindigkeit von 35 km/h und das „Windschattenfahren“ mit minimalem Tiefenabstand einen ausreichenden Beleg dafür, dass sich der Kläger und sein Vordermann im Sinne der deutschen Rechtsprechung „sportlich ambitioniert“ betätigten und sich der Kläger dabei einem besonderen Risiko, nämlich des Auffahrens auf seinen Vordermann, ausgesetzt hat.

2.2 Der Senat hält die in der Rechtsprechung deutscher Obergerichte bejahte Helmpflicht für „sportlich ambitionierte“ Radfahrer, die sich dabei besonderen Risiken aussetzen, für sachgerecht:

Zum einen hat schon das Berufungsgericht in Anlehnung an die deutsche Rechtsprechung zutreffend dargelegt, dass die Fahrweise dieser Gruppe von Radfahrern, bei der die Erzielung hoher Geschwindigkeiten im Vordergrund steht, naturgemäß ein gesteigertes Unfallrisiko und damit eine beträchtliche Steigerung der Eigengefährdung, insbesondere die Gefahr schwerer Kopfverletzungen der Radfahrer in sich birgt.

Zum anderen ist unabhängig davon, ob eine Trainingsfahrt iSd § 68 Abs 1 und 2 StVO vorliegt ‑ diese Qualifikation ist nur für die dort genannten Ausnahmeregeln von Bedeutung ‑ bei Fahrten unter rennmäßigen Bedingungen auch schon für das Jahr 2008, in dem sich der gegenständliche Unfall ereignet hat, von einem „allgemeinen Bewusstsein der beteiligten Kreise“ in Österreich auszugehen, dass der „Einsichtige und Vernünftige“ wegen der erhöhten Eigengefährdung einen Radhelm trägt (idS jüngst auch Fluch, Die Rechte und Pflichten der (Renn-)Radfahrer, Zak 2013, 167 [168 f]). Haben doch bei einer Umfrage des Kuratoriums für Verkehrssicherheit im Jahr 2006 bereits 93 % der befragten Radfahrer das Tragen eines Helms bei Radsportlern als wichtig erkannt (Furian/Hnatek‑Petrak, Was bringt die Einführung einer gesetzlichen Radhelmpflicht?, ZVR 2006/168, 427 [430]).

2.3 Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass den Kläger die Obliegenheit zum Tragen eines Radhelms traf. Die Verletzung dieser Obliegenheit war für seine schweren Kopfverletzungen und die daraus resultierenden Dauer- und Spätfolgen kausal. Nach den Feststellungen hätte er bei Tragen eines Radhelms nur eine Gehirnerschütterung ohne Dauerfolgen erlitten. Das Nichttragen eines Fahrradhelms ist ihm daher unter den konkreten Umständen als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten vorzuwerfen, was zu einer ‑ im Folgenden näher darzustellenden ‑ Kürzung seines Ersatzanspruchs führt.

3. Zur Verschuldensteilung:

3.1 Das Berufungsgericht hat bei seiner Entscheidung nicht zwischen dem sogenannten Auslösungsmitverschulden und jenem Mitverschulden unterschieden, das sich aus dem Nichttragen des Radhelms ergibt. Es hat vielmehr angenommen, dass das vom Kläger anerkannte Drittel Mitverschulden jedenfalls beides decken würde. Diese Vorgangsweise widerspricht jedoch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Gurten- und Helmmitverschulden nach § 106 Abs 2 und 7 KFG, die hier analog anzuwenden ist. Danach sind zunächst alle Anspruchspositionen um das Auslösungsmitverschulden zu kürzen, ehe (nur) der verbleibende Schmerzengeldanspruch noch einmal um das Gurten- bzw Helmmitverschulden zu kürzen ist (2 Ob 220/02w; RIS-Justiz RS0123817). Diese weitere Kürzung kommt nur bei jenen Verletzungen in Betracht, die (hier) bei Tragen des Helms vermeidbar gewesen wären. Wären die Verletzungsfolgen geringer ausgefallen, so sind einander die konkreten und die hypothetischen Unfallfolgen gegenüber zu stellen; die (weitere) Kürzung betrifft nur den Differenzbetrag. Der Anspruch des Geschädigten errechnet sich sodann aus der Summe des gekürzten Schmerzengeldes für die vermeidbaren Folgen und des fiktiven Schmerzengeldes für die unvermeidbaren Folgen des Unfalls (2 Ob 246/98k; 2 Ob 190/07s; RIS-Justiz RS0110803; Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2a § 1304 Rz 28).

3.2 Der Kläger hat sich in der Klage zunächst auf das Alleinverschulden der Beklagten gestützt und nur „aus prozessualer Vorsicht“ zwei Drittel seines Schadens geltend gemacht. Im weiteren Verlauf des Verfahrens hat er ohne nähere Begründung ein Mitverschulden von einem Drittel „ausdrücklich anerkannt“. Aus dem Gesamtzusammenhang seines Vorbringens ergibt sich ohne Zweifel, dass er damit (nur) das Auslösungsmitverschulden meinte, hat er doch sämtliche Anspruchspositionen und auch das Feststellungsbegehren undifferenziert um jeweils ein Drittel gekürzt. Zudem vertrat er mit Hinweis auf die Entscheidung 2 Ob 135/04y von Beginn an den Standpunkt, dass die Nichtbenützung eines Fahrradhelms kein Mitverschulden begründe (AS 13), ohne diese Rechtsansicht später zu revidieren.

3.3 Mit der Anerkennung eines Mitverschuldens hat der Kläger, wie dies nun auch in seiner Revisionsbeantwortung zum Ausdruck kommt, dem ‑ nach § 18 Abs 1 StVO verbotenen ‑ „Windschattenfahren“ Rechnung getragen. Mag auch zwischen den beiden Radfahrern ein Konsens über das „Windschattenfahren“ vorgelegen haben und die Regelung über den ausreichenden Sicherheitsabstand beim Hintereinanderfahren dadurch „außer Kraft“ gesetzt worden sein (2 Ob 338/98i; RIS-Justiz RS0111575), so wäre ein solcher „Trainingskonsens“ im Verhältnis zu dritten Verkehrsteilnehmern, so auch zur Beklagten, jedenfalls bedeutungslos (vgl auch Kaltenegger, Der Radrennfahrer in der StVO, ZVR 2002, 67 [69 f]).

Hat aber der Kläger ein Auslösungsmitverschulden von einem Drittel zugestanden, so können auch die Überlegungen des Berufungsgerichts zu einem allenfalls geringeren Verschuldensanteil des Klägers auf sich beruhen.

3.4 Die Revision der Beklagten enthält keine Ausführungen, die Anlass zu einer für sie günstigeren Gewichtung des beiderseitigen Auslösungsverschuldens geben könnten. Dieses ist daher der weiteren Berechnung mit 2:1 zu Lasten der Beklagten zugrunde zu legen. Deren Rechtsrüge beschränkt sich auf die zusätzliche Berücksichtigung jenes Mitverschuldens des Klägers, das sich aus dem Nichttragen eines Radhelms ergibt. Dieses ist ‑ wie in der Regel die Verletzung der Gurtenanlegepflicht (vgl 2 Ob 62/05i mwN; 2 Ob 13/06k; 2 Ob 190/07s; RIS‑Justiz RS0029844 [T6]) ‑ mit 25 % zu bewerten.

3.5 Nach der oben dargelegten Berechnungsmethode hat dies auf den Schmerzengeldanspruch des Klägers folgende Auswirkungen (die Schürfwunde an der linken Kniescheibe kann vernachlässigt werden):

Das Erstgericht hat ein konkretes Schmerzengeld von 34.000 EUR ausgemittelt, dessen Höhe in dritter Instanz nicht mehr strittig ist. Diesem Schmerzengeld ist das fiktive Schmerzengeld für die auch bei Tragen eines Radhelms unvermeidbaren Folgen einer Gehirnerschütterung gegenüberzustellen, wofür ein Betrag von 1.600 EUR angemessen ist. Sowohl das konkrete als auch das fiktive Schmerzengeld sind zunächst um das Auslösungsmitverschulden von einem Drittel zu kürzen, sodass ein Anspruch von 22.666,67 EUR bzw von 1.066,67 EUR verbleibt. Die Differenz zwischen konkretem und fiktivem Anspruch beträgt 21.600 EUR. Kürzt man diesen Betrag um 25 %, verbleibt ein Schmerzengeldanspruch von 16.200 EUR für die vermeidbaren Schmerzen, zu welchem der fiktive Anspruch für die unvermeidbaren Schmerzen zu addieren ist. Das ergibt einen Anspruch von 17.266,67 EUR, von welchem jedenfalls die auf das Schmerzengeld gewidmete vorprozessuale Teilzahlung von 5.000 EUR abzuziehen ist. Die offenbar ungewidmete weitere Zahlung von 854,02 EUR wurde vom Erstgericht ebenfalls auf den Schmerzengeldanspruch angerechnet, was im Rechtsmittelverfahren unbekämpft blieb. Nach dieser Berechnung ergibt sich somit ein restlicher Schmerzengeldanspruch des Klägers von 11.412,65 EUR.

3.6 Die weiteren Ersatzansprüche bleiben von der zusätzlichen Kürzung infolge des Helmmitverschuldens unberührt. Die Beklagte geht in ihrem Rechtsmittel auf die Höhe dieser Schadenspositionen (in Summe 5.157,95 EUR) nicht mehr ein. Insgesamt resultiert daraus ein Zuspruch von 16.570,60 EUR an den Kläger.

3.7 Schließlich ist die zusätzliche Kürzung des Schmerzengeldanspruchs auch im Spruch über das Feststellungsbegehren zum Ausdruck zu bringen. Fiktive künftige Schmerzen sind dabei nicht zu berücksichtigen.

3.8 Auch die Entscheidung über das Zinsenbegehren war entsprechend zu korrigieren, wobei ‑ abgesehen vom Schmerzengeld ‑ den in den einzelnen Verfahrensabschnitten geltend gemachten Beträgen die jeweiligen Zusprüche des Erstgerichts gegenüberzustellen waren.

4. Ergebnis und Kosten:

4.1 In teilweiser Stattgebung der Revision der Beklagten sind die Entscheidungen der Vorinstanzen wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

4.2 Die neu zu fassende Kostenentscheidung des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs 1 und 2 zweiter Fall ZPO, die Kostenentscheidung des Rechtsmittelverfahrens auf § 43 Abs 1 ZPO.

4.2.1 In erster Instanz hat der Kläger in den beiden ersten Verfahrensabschnitten mit rund zwei Drittel, in den beiden weiteren Verfahrensabschnitten mit rund drei Viertel obsiegt, sodass ihm der Ersatz von einem Drittel bzw der Hälfte seiner auf die jeweiligen Abschnitte entfallenden Kosten gebührt. Im vierten Abschnitt war infolge der geringfügigen Überklagung des Schmerzengeldes, die jedoch einen Tarifsprung verursachte, der fiktive Streitwert als Bemessungsgrundlage heranzuziehen.

Entgegen den gegen das Kostenverzeichnis erhobenen Einwendungen der Beklagten war auch der bestimmende Schriftsatz vom 2. 10. 2013 zu honorieren. Dem Kläger kann nämlich ein Interesse an der Klagsausdehnung mittels Schriftsatzes nicht abgesprochen werden. Abgesehen davon, dass er dadurch die Verjährungsfrist wahrte, ermöglichte er dadurch dem Gericht und der Beklagten, die auf den Schriftsatz auch replizierte, sich rechtzeitig auf die Änderung des Begehrens einzustellen (6 Ob 91/12v).

Die nach den Obsiegensanteilen des Klägers und der Beklagten zuzusprechenden Barauslagen (Pauschalgebühr, Sachverständigenkosten) wurden in jenen Verfahrensabschnitten berücksichtigt, in denen diese Auslagen angefallen sind (der Sachverständige tätig wurde).

4.2.2 Im Rechtsmittelverfahren hat der Kläger mit rund drei Viertel obsiegt, sodass ihm die Hälfte seiner Kosten zu ersetzen sind. Der Anspruch der Beklagten auf Ersatz der ihrem Obsiegensanteil entsprechenden Pauschalgebühren wurde mit dem erstinstanzlichen Anspruch des Klägers auf Ersatz seiner Barauslagen saldiert.

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