European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0060OB00085.15S.0831.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung
Am 4. Februar 2012 um ca 6:00 Uhr ereignete sich in L***** im Bereich der Fußgängerbrücke nach O***** (Unterführung der S*****piste „S*****“) ein Unfall, bei dem der 2,10 m große und 115 kg schwere Kläger von der Fußgängerbrücke auf die darunter liegende Trasse der S*****-Piste stürzte und sich schwer verletzte.
Die Brücke, von der der Kläger stürzte, wurde von der Rechtsvorgängerin der Nebenintervenientin im Jahr 1976 errichtet. An beiden Seiten der Brücke befindet sich ein Holzgeländer mit einer Höhe von 101 cm, das zum Unfallzeitpunkt aufgrund einer Schneeauflage auf der Brücke von rund 40 cm nur etwa 60 cm hoch war. Das Geländer war bescheidgemäß und den einschlägigen Vorschriften entsprechend ausgeführt.
Am bergwärts Richtung O***** gesehen rechten Eck der Brücke blieb der Kläger mit seiner Begleitung stehen, um sich umzudrehen und nach den anderen beiden Personen zu sehen. Um auf die beiden Nachfolgenden zu warten, wollte er sich am Brückengeländer anlehnen. Er bewegte einen Arm nach hinten, um sich am Geländer abzustützen, den anderen Arm hatte er seitlich. Beide Arme waren nicht in den Hosentaschen. Nicht festgestellt werden kann, welchen genauen Abstand zum Geländer der Kläger vor Beginn des „Anlehnvorgangs“ einhielt. Während dieses „Anlehnvorgangs“ rutschten ihm die Füße weg und er fiel über das zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Schneeauftrags nur ca 60 cm hohe Brückengeländer nach hinten. Der Kläger hatte zuvor nicht zurück geblickt, um die Höhe des Geländers festzustellen. Er stürzte etwa 3,20 m auf die darunterliegende Pistentrasse ab und verletzte sich schwer.
Es steht nicht fest, dass der Kläger auch bei einer (faktischen) Geländerhöhe von einem Meter über das Geländer gestürzt wäre.
Unstrittig ist, dass die beklagte Gemeinde Halterin des gegenständlichen Wegs ist und dass die Brücke samt Geländer zu diesem Weg gehört (vgl RIS‑Justiz RS0107590).
Die Vorinstanzen bejahten die für die Haftung nach § 1319a ABGB erforderliche grobe Fahrlässigkeit der beklagten Partei, wobei dem Kläger das halbe Mitverschulden zugemessen wurde. Das Berufungsgericht führte dazu aus, die beklagte Gemeinde liege zwar im Gebirge, der Unglücksort sei aber in Zentrumsnähe. Es handle sich um eine der führenden und bekanntesten Fremdenverkehrsgemeinden Österreichs im Wintertourismus. Der Unfallort befinde sich im Bereich eines frequentierten Winterwanderwegs. Es möge zwar aus touristischen Gründen ein Interesse an einem „weißen Ortsbild“ bestehen. Dies wäre aber bei einer Räumung der Brücke vom Schneeauftrag, womit im Wesentlichen eine faktische Geländerhöhe von ca 1 m hergestellt hätte werden können, nicht in Frage gestellt worden. Ein Abgrund von mehr als 3 m im freien Fall zur darunter liegenden Piste stelle jedenfalls eine eminente Gefahrenquelle dar, die bei einer faktischen Geländerhöhe von ca 60 cm als keinesfalls hinreichend abgesichert angesehen werden könne. Die Beklagte behaupte auch nicht, dass diese Gefahrensituation erst unmittelbar vor dem gegenständlichen Unfall ‑ durch starke Schneefälle ‑ geschaffen worden wäre. Offensichtlich habe die Beklagte auch nicht beabsichtigt, auf der Brücke noch Räumungsarbeiten durchzuführen. Es sei evident, dass von einer Fußgängerbrücke, die über einen mehr als 3 m hohen Abgrund führe und lediglich mit einem ‑ faktisch ‑ 60 cm hohem Brückengeländer abgesichert sei, eine erhebliche Gefährdung des Fußgängerverkehrs ausgehe. Unter diesen Voraussetzungen sei von einem grob fahrlässigen Verhalten der Beklagten als Wegehalterin auszugehen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist unzulässig.
1. Das Berufungsgericht hat im ersten Rechtsgang das Urteil des Erstgerichts aufgehoben, weil zum von der Beklagten erhobenen Einwand, der Unfall wäre auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten der Beklagten (Geländerhöhe 1 m) passiert, Feststellungen fehlten.
Die Bindung an eine in einem Aufhebungsbeschluss eines Rechtsmittelgerichts ausgeführte Rechtsansicht besteht zwar nur insoweit, als diese Ausführungen für die Aufhebung maßgebend waren (RIS‑Justiz RS0110248; vgl auch RS0042271). Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist aber nur dann entscheidungswesentlich, wenn die Wegehalterhaftung der beklagten Partei grundsätzlich zu bejahen ist, was gemäß § 1319a ABGB grobe Fahrlässigkeit voraussetzt. Das Erstgericht war daher auch an diese rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts gebunden.
2. Davon abgesehen ist im Revisionsverfahren nur mehr strittig, ob der Beklagten grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.
2.1. Die Revisionswerberin argumentiert mit Entscheidungen zur Verkehrssicherungspflicht (1 Ob 142/13h; 8 Ob 114/04d; 6 Ob 71/01m; 4 Ob 280/00f; 7 Ob 720/87). Alle diese Entscheidungen hatten aber nicht die Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB zum Gegenstand. Im Anwendungsbereich der ‑ hier maßgeblichen ‑ besonderen Verkehrssicherungspflicht des Wegehalters gemäß 1319a ABGB bleibt für die Annahme allgemeiner Verkehrssicherungspflichten kein Raum (RIS‑Justiz RS0111360).
2.2. Das versuchte Greifen mit der Hand nach einem an sich ohne Schneeauflage 1 m hohen Geländer durch den Kläger zum Zweck des Anlehnens stellt entgegen der Ansicht der Beklagten durchaus eine für einen Fußgänger typische und auch nicht widmungswidrige Handlung bzw Benutzung eines Geländers dar; mit einer derartigen Benützung musste die Beklagte rechnen.
2.3. Die Beurteilung des
Verschuldensgrads unter Anwendung der richtig dargestellten Grundsätze, ohne dass ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorläge, und das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten können wegen ihrer Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RIS‑Justiz RS0087606). Ob der Beklagten leichte oder grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, ist nach den konkreten Umständen des Falls zu beurteilen und bildet daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigieren wäre (RIS‑Justiz RS0087606 [T8]).
Die Erwägungen des Berufungsgerichts betreffend den Verschuldensgrad stellen keine krasse Fehlbeurteilung dar (vgl auch RIS‑Justiz RS0030644 [T17], wo die Nichtanbringung eines Geländers an einer gemeindeeigenen Kläranlage als grob fahrlässig beurteilt wurde. Eine faktisch bloß 60 cm hohe Abgrenzung zum Abgrund entspricht nicht dem, was man allgemein als „Geländer“ bezeichnet.
2.4. Die Revisionswerberin stützt sich für ihren Standpunkt, es liege bei ihr keine grobe Fahrlässigkeit vor, auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck zu 4 R 208/14s: Dort habe der Wegehalter entlang einem Verkehrsweg zu einem angrenzenden, mehrere Meter tiefen Bachbett überhaupt keine Abzäunung und somit Absicherung vorgenommen. Es habe nur einen Betonsockel von maximal drei cm gegeben. Das Oberlandesgericht Innsbruck habe grobe Fahrlässigkeit des Wegehalters verneint (Revision vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen [2 Ob 62/15d]).
Der zitierte Fall ist mit dem vorliegenden insofern nicht vergleichbar, als dort die betreffende Verkehrsfläche als Parkplatz verwendet wurde und keine auch dem Fußgängerverkehr gewidmete Brücke war, für den Parkplatz war eine entsprechende Absicherung ‑ Geländer ‑ auch nicht behördlich vorgeschrieben.
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