Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Die Klägerin war vom 22. 5. 2013 bis 15. 4. 2014 bei der Beklagten beschäftigt und dabei in der Verwendungsgruppe II des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrags für Angestellte des Metallgewerbes (KV) eingestuft.
Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin nach Einschränkung die Zahlung von 7.497,43 EUR brutto sA und die Ausstellung eines Dienstzeugnisses. Sie brachte, soweit für das Rekursverfahren von Bedeutung, vor, dass sie 13 Jahre und ein Monat an Vordienstzeiten erbracht habe, die gemäß § 17 Abs 8 KV im Höchstausmaß von 12 Verwendungsgruppenjahren anzurechnen gewesen wären.
Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Klägerin weder Vorkenntnisse noch Verwendungsgruppenjahre aufzuweisen gehabt habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses statt. In diesem Umfang erwuchs seine Entscheidung mangels Anfechtung in Rechtskraft. Es wies hingegen das Zahlungsbegehren ab. Anrechenbare Vordienstzeiten der Klägerin seien nicht zu berücksichtigen, weil die Klägerin keine entsprechende Prozessbehauptung aufgestellt habe.
Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen den klageabweisenden Teil des Ersturteils erhobenen Berufung teilweise statt. Es wies mit Teilurteil das Zahlungsbegehren in Höhe von 4.580,56 EUR brutto samt Zinsen ab. Im Umfang dieser Entscheidung erwuchs sein Teilurteil mangels Anfechtung in Rechtskraft. Im Umfang des weiteren Zahlungsbegehrens von 2.916,87 EUR brutto samt Zinsen hob das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts mit Beschluss auf und verwies die Rechtssache insoweit zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Soweit für das Rekursverfahren von Bedeutung, führte es aus, dass die Klägerin entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts die Anrechnung von Vordienstzeiten mit ausreichender Deutlichkeit geltend gemacht habe. § 17 Abs 8 KV definiere Verwendungsgruppenjahre als „Zeiten, die ein Dienstnehmer in einer bestimmten Verwendungsgruppe bzw vor Wirksamkeitsbeginn dieses Kollektivvertrags mit der einer bestimmten Verwendungsgruppe entsprechenden Tätigkeit als Angestellter verbracht hat.“ Der zweite Teil dieses Satzes habe offenbar seine Bedeutung dadurch verloren, dass er gemäß § 21 KV nur für Arbeiten relevant sein könnte, die vor November 1949 erbracht worden seien. Gerade vor diesem Hintergrund ergebe sich aus der Formulierung „eine bestimmte Verwendungsgruppe“ aber die Absicht der Kollektivvertragsparteien, die Anrechenbarkeit auf in diesem Kollektivvertrag geregelte, daher nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag erbrachte Tätigkeiten zu beschränken. Dabei seien auch solche Vordienstzeiten zu berücksichtigen, die in einer höheren Verwendungsgruppe zurückgelegt wurden. Das erstgerichtliche Verfahren sei daher zur Beurteilung der Frage zu ergänzen, ob anrechenbare Vordienstzeiten der Klägerin, also Vortätigkeiten, auf die der Kollektivvertrag anzuwenden gewesen sei, vorlägen.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil der Auslegung des § 17 Abs 8 KV erhebliche Bedeutung „im Sinn des § 46 Abs 1 ASGG“ (gemeint: § 502 Abs 1 ZPO) zukomme.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der von der Beklagten beantwortete Rekurs der Klägerin.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs, der sich nur gegen jenen Teil der Begründung des Aufhebungsbeschlusses richtet, wonach nur solche Vordienstzeiten gemäß § 17 Abs 8 KV anzurechnen seien, die nach dem hier anzuwendenden Kollektivvertrag erbracht worden seien, ist zulässig (RIS‑Justiz RS0007094). Er ist auch inhaltlich, nicht aber im Ergebnis berechtigt.
1. Die dem normativen Teil eines Kollektivvertrags angehörenden Bestimmungen sind nach den Regeln der §§ 6, 7 ABGB, nach ihrem objektiven Inhalt auszulegen. Maßgeblich ist daher, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS‑Justiz RS0008782; RS0010088). Dabei ist im Zweifel zu unterstellen, dass die Vertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (vgl RIS‑Justiz RS0008897; RS0008828). In der Rechtsprechung ist auch anerkannt, dass bei der Auslegung von Kollektivvertragsbestimmungen auch ein „Blick über den Kollektivvertragsrand“ als zusätzliches Auslegungskriterium herangezogen werden kann (9 ObA 81/13x mwH; 8 ObA 2105/96h).
2. § 17 KV trägt die Überschrift „Verwendungsgruppen und Mindestgrundgehälter“. Der hier relevante Abs 8 Satz 2 KV lautet:
„Als Verwendungsgruppenjahre gelten jene Zeiten, die ein Dienstnehmer in einer bestimmten Verwendungsgruppe bzw vor Wirksamkeitsbeginn dieses Kollektivvertrags mit der einer bestimmten Verwendungsgruppe entsprechenden Tätigkeit als Angestellter verbracht hat.“
3. Die Formulierung in § 17 Abs 8 Satz 2 KV „Zeiten, die ein Dienstnehmer in einer bestimmten Verwendungsgruppe … verbracht hat“ umfasst nach ihrem Wortlaut jedenfalls (auch) solche Vordienstzeiten, die ein Arbeitnehmer in einem dem KV unterliegenden Arbeitsverhältnis zurückgelegt hat. Allerdings kann weder aus der Formulierung des ersten, noch aus jener des zweiten Teils dieses Satzes die enge, vom Berufungsgericht vorgenommene Bedeutung geschlossen werden, dass damit nur gleichwertige Tätigkeiten erfasst wären, die vor November 1949 erbracht worden wären. Dies ergibt sich schon daraus, dass der „Wirksamkeitsbeginn“ des Kollektivvertrags (vgl § 11 Abs 2 ArbVG) nicht in der vom Berufungsgericht herangezogenen Schlussbestimmung des § 21 Abs 1 KV geregelt ist. Diese Bestimmung ordnet lediglich an, dass dieser Kollektivvertrag „eine Ergänzung und Wiederveröffentlichung des Kollektivvertrages vom 1. November 1949“ ist. Der Wirksamkeitsbeginn des (jährlich neu vereinbarten) Kollektivvertrags ist vielmehr (regelmäßig) in § 3 KV geregelt. Danach trat der zu Beginn des Arbeitsverhältnisses der Klägerin anwendbare Rahmenkollektivvertrag gemäß § 3 Abs 1 KV mit 1. 1. 2013 in Kraft, sodass die bis dahin zurückgelegten Vordienstzeiten schon nach dieser Bestimmung auch Zeiten der einer Verwendungsgruppe nach dem KV (bloß) entsprechenden Angestelltentätigkeit sein können.
4. Darüber hinaus hatte sich der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach mit den § 17 Abs 8 Satz 2 KV vergleichbaren Anrechnungsbestimmungen in anderen Kollektivverträgen auseinanderzusetzen:
4.1 Eine mit § 17 Abs 8 Satz 2 KV nahezu wortidente Anrechnungsbestimmung enthält beispielsweise § 15 Abs 4 Satz 1 des Rahmenkollektivvertrags für Angestellte der Industrie. Zu dieser Bestimmung nahm der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 40/76 (Arb 9486, damals: § 15 Abs 6 des Kollektivvertrags für Angestellte der Industrie) Stellung. Er führte aus, dass Verwendungsgruppenjahre im Gegensatz zu den im Kollektivvertrag für Angestellte der Industrie auch geregelten Praxisjahren nicht den Angestelltentätigkeiten schlechthin gleichgestellt werden könnten. Für ihre Anrechnung sei vielmehr Voraussetzung, dass der Angestellte während der anzurechnenden Zeit bereits in die betreffende Verwendungsgruppe eingestuft war oder eine dieser Verwendungsgruppe entsprechende Tätigkeit ausübte. Unter einer „bestimmten Verwendungsgruppe“ im Sinn dieser Bestimmung könne nur eine Verwendungsgruppe nach dem Kollektivvertrag für Angestellte der Industrie verstanden werden. Für die damalige Klägerin, die Vordienstzeiten im Anwendungsbereich des Kollektivvertrags für Angestellte des Gewerbes hatte, kam eine Anrechnung dieser Vordienstzeiten daher nur unter der Voraussetzung in Frage, dass sie diese mit einer der begehrten Verwendungsgruppe „entsprechenden Tätigkeit“ verbracht hatte.
4.2 Der Kollektivvertrag für Angestellte im Handwerk und Gewerbe enthält in seinem § 17 Abs 8 Satz 2 eine mit der hier anzuwendenden idente Bestimmung. Mit dieser Bestimmung (damals: § 17 Abs 9 Satz 3 des Kollektivvertrags für die Angestellten des Gewerbes) hatte sich der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 8 ObA 2105/96h und 9 ObA 2106/96p auseinanderzusetzen. Er gelangte in beiden Fällen zu dem Ergebnis, dass auch dann, wenn ausländische Vordienstzeiten (in 8 ObA 2105/96h auch ausländische Hochschulzeiten) nicht ausdrücklich im Kollektivvertrag erwähnt sind, solche Zeiten für die Frage der Anrechnung im Zweifel dann zu berücksichtigen sind, wenn sie in gleicher Weise wie die entsprechenden Tätigkeiten bei einem inländischen Arbeitgeber zum Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten im Beruf geeignet sind (RIS‑Justiz RS0102950; RS0029298; vgl auch 9 ObA 39/09i zu der vom Wortlaut allerdings nicht direkt vergleichbaren Bestimmung des § 10 Z 2 des Kollektivvertrags für Angestellte des Baugewerbes und der Bauindustrie). Dies begründete der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 ObA 2105/96h auch mit dem sich aus Art 7 B‑VG, Art 2 StGG ergebenden Sachlichkeitsgebot, das auch für Normen der kollektiven Rechtsgestaltung gilt und gebietet, für gleiche Arbeit das gleiche Entgelt zu zahlen (vgl 9 ObA 125/98f; RIS‑Justiz RS0038765).
5. Auch Goricnik vertritt zu § 17 Abs 8 des Kollektivvertrags für Angestellte im Handwerk und Gewerbe (Goricnik/S. Mayer/Priewasser/Stadler, Gewerbe‑KV 2014, 347), dass das aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz abgeleitete Sachlichkeitsgebot die Anrechnung von Vordienstzeiten gebiete, wenn und soweit sie zum Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten für die nunmehrige Verwendung zum Nutzen des Arbeitgebers geeignet waren (vgl 9 ObA 39/09i).
6. Aus diesen Gründen ist auch § 17 Abs 8 Satz 2 KV dahin auszulegen, dass nicht nur solche Vordienstzeiten bis zu dem in § 17 Abs 8 Satz 4 KV vorgesehenen Höchstausmaß anzurechnen sind, die die Klägerin in einer bestimmten Verwendungsgruppe des KV zurückgelegt hat, sondern auch solche Vordienstzeiten, die die Klägerin als Angestellte bei einem oder verschiedenen Arbeitgebern (§ 17 Abs 8 Satz 3 KV) mit der einer bestimmten (allenfalls auch höheren) Verwendungsgruppe entsprechenden Tätigkeit verbracht hat (9 ObA 39/09i).
7. Damit erweist sich der Rekurs inhaltlich als berechtigt, weil die von der Rekurswerberin bekämpfte Begründung des Berufungsgerichts sich als unzutreffend erwiesen hat.
Zweck des Rekurses gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist nur die Überprüfung der Rechtsansicht des Berufungsgerichts durch den Obersten Gerichtshof (E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 519 Rz 26). Im Rekursverfahren gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts gilt das Verschlechterungsverbot nicht (RIS‑Justiz RS0043939), wobei auch Ausführungen in der Rekursbeantwortung die Verschlechterung veranlassen können (8 Ob 502/93; Zechner in Fasching/Konecny²IV/1 § 519 Rz 109). Die Klägerin hat bereits in der Klage vorgebracht, dass sie nicht nur Arbeiten einer kaufmännischen Angestellten nach Verwendungsgruppe III des KV erbracht habe, sondern zudem zum Zeitpunkt ihres Dienstantritts bereits 14 Verwendungsgruppenjahre vorzuweisen gehabt habe. Vor diesem Hintergrund zeigt die Beklagte in der Rekursbeantwortung aber keine Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts auf, das das Vorbringen zur Anrechnung von Vordienstzeiten anders als das Erstgericht als ausreichend angesehen hat.
8. Die Rekurswerberin erkennt selbst, dass das Verfahren jedenfalls ergänzungsbedürftig ist. Dem Rekurs war daher, obwohl er sich inhaltlich in Bezug auf die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts als berechtigt erweist, im Ergebnis in Bezug auf die Aufhebung und Zurückverweisung nicht Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf die §§ 50, 52 ZPO iVm § 2 ASGG.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)