OGH 15Os53/15f

OGH15Os53/15f29.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. April 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ableidinger als Schriftführerin in der Medienrechtssache der Antragstellerin Mia A***** G***** gegen die Antragsgegnerinnen Me***** D***** GmbH (numehr: o***** GmbH) und M***** „Ö*****“ GmbH wegen §§ 7 Abs 1, 7a Abs 1 MedienG, AZ 93 Hv 179/12t des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des genannten Gerichts vom 4. April 2013, GZ 93 Hv 179/12t‑12, und gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. September 2013, AZ 17 Bs 232/13m, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, sowie der Vertreterin der Antragstellerin Dr. Windhager zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00053.15F.0429.000

 

Spruch:

In der Medienrechtssache der Antragstellerin Mia A***** G***** gegen die Antragsgegnerinnen Me***** D***** GmbH (nunmehr: o***** GmbH) und M***** „Ö*****“ GmbH wegen §§ 7 Abs 1, 7a Abs 1 MedienG, verletzen

1./ das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. April 2013, GZ 93 Hv 179/12t‑12, und

2./ das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. September 2013, AZ 17 Bs 232/13m,

§ 7 Abs 1 MedienG.

Gründe:

In der Medienrechtssache der Antragstellerin Mia A***** G***** gegen die Antragsgegnerinnen Me***** D***** GmbH (nunmehr: o***** GmbH) und M***** „Ö*****“ GmbH wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 4. April 2013, GZ 93 Hv 179/12t‑12, ausgesprochen, dass wegen der auf der Internetseite www.o *****.at seit 8. Februar [richtig: Juli] 2012 mit dem Titel „Von Mann erstochen ‑ Trennung war ihr Todesurteil“, seit 15. Juli 2012 mit dem Titel „Beziehungs-Drama in Wien ‑ Brutaler Mord: Rock‑Star erstach Charlotte“, seit 16. Juli 2012 mit dem Titel „Wien‑Rocker‑Mord: Das irre Motiv“ sowie im periodischen Druckwerk „Ö*****“ am 9. Juli 2012 mit dem Titel „Trennung war ihr Todesurteil“, am 10. Juli 2012 mit dem Titel „Trauer um junge Mama Charlotte“ und am 16. Juli 2012 mit dem Titel „Rocker‑Mord: Das irre Motiv“ veröffentlichten Artikel, in welchen die Reaktionen und die Betreuung der Antragstellerin infolge des mutmaßlichen Mordes an ihrer Mutter durch ihren Vater dargestellt wurden (US 6 ff), in Bezug auf die Antragstellerin als Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung ihr Name, ihr Bild und andere Angaben veröffentlicht wurden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden ihrer Identität zu führen, und hiedurch schutzwürdige Interessen verletzt wurden, ohne dass wegen ihrer Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhanges mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat. Die Antragsgegnerinnen wurden deshalb nach § 7a Abs 1 Z 1 MedienG zur Zahlung näher bezeichneter Entschädigungen an die Antragstellerin sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen (US 6‑9) zum Bedeutungsinhalt der genannten Artikel aus dem angesprochenen „grundsätzlich breit gestreuten“ Leserkreis, welcher über spektakuläre Mordfälle informiert und durch diese unterhalten werden möchte, wurde darüber berichtet, dass der Vater der Antragstellerin deren Mutter mit unzähligen Messerstichen getötet haben soll und nach dem Mord aus dem Fenster gesprungen sei, aber überlebt habe. Die Antragstellerin habe als vierjähriges Kleinkind diese grausame und bestialische Tat mitansehen müssen, dabei geschrien und geweint sowie gestammelt, der „Papa habe die Mama tot gemacht“, werde nun aber ausreichend sozial und psychologisch betreut, sodass es ihr einigermaßen gut gehe. Den Artikeln waren Fotos der Antragstellerin im Arm ihrer Mutter beigefügt, wobei auf einigen das Gesicht der Antragstellerin nicht verpixelt war.

Die inkriminierten Veröffentlichungen seien dazu geeignet, beim angesprochenen Leser Mitleid hinsichtlich der Antragstellerin zu erzeugen und diese als Tochter eines (mutmaßlichen) Mörders in ihrem weiteren privaten und beruflichen Leben zu stigmatisieren. Die Antragstellerin sei in sämtlichen genannten Veröffentlichungen für ihr näheres soziales Umfeld, insbesondere Verwandte, Bekannte der Familie und Nachbarn erkennbar.

In rechtlicher Hinsicht (US 10 ff) verneinte das Erstgericht eine Anspruchsverwirklichung nach § 7 Abs 1 MedienG, weil durch die inkriminierte Berichterstattung der höchstpersönliche Lebensbereich der Antragstellerin nicht verletzt worden sei. Werde nämlich zwar über ihre Anwesenheit bei einer innerhalb des Familienverbands geschehenen Straftat sowie über ihre Wahrnehmungen und ihre Lebenssituation danach berichtet, so stelle Mord ein Offizialdelikt dar, welches iSd § 229 Abs 1 StPO und der Entscheidung des Gesetzgebers, Geschworene darüber urteilen zu lassen, grundsätzlich der Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit zugänglich sein solle. Der Bericht über den Aufenthalt der Antragstellerin in einem Krisenzentrum nach der Straftat entspreche einer Schilderung der gewöhnlichen Vorgangsweise der Behörden.

Hingegen sei der Entschädigungstatbestand nach § 7a Abs 1 Z 1 MedienG verwirklicht. Die Antragstellerin sei nämlich demgemäß als Opfer anspruchslegitimiert, weil § 8a Abs 1 MedienG auf die Bestimmungen für das strafgerichtliche Verfahren aufgrund einer Privatanklage verweise und gemäß der solcherart anzuwendenden Bestimmung des § 65 Z 1 lit b StPO, Opfer (ua auch) Verwandte in gerader Linie einer Person sind, deren Tod durch eine Straftat herbeigeführt worden sein könnte.

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Antragsgegnerinnen wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO iVm § 489 Abs 1 StPO und § 41 Abs 1 MedienG) gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 25. September 2013, AZ 17 Bs 232/13m (ON 19 des Hv‑Akts), Folge, hob das angefochtene Urteil auf und erkannte in der Sache selbst dahin zu Recht, dass der Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegnerinnen wegen der eingangs genannten Veröffentlichungen jeweils Entschädigungen nach den §§ 7 Abs 1, 7a Abs 1 Z 1 MedienG zur Zahlung an die Antragstellerin aufzutragen, unter Ausspruch deren Kostenersatzpflicht gemäß den §§ 390 Abs 1, 390a Abs 1 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG abgewiesen wird.

Zur Begründung führte das Berufungsgericht ‑ insoweit zutreffend ‑ aus, dass (im Einklang mit den Materialien zur Mediengesetznovelle 1992 [BGBl 1993/20; ErläutRV 503 BlgNR 18. GP 12]) Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung iSd § 7a Abs 1 Z 1 MedienG derjenige ist, dessen Rechte durch einen Straftatbestand geschützt werden und in die durch die Verwirklichung eines Tatbestands eingegriffen wird, mithin nur der durch die strafbare Handlung unmittelbar Verletzte, nicht hingegen bloß indirekt Betroffene, wie insbesondere Angehörige des Verletzten. Der dem in Rede stehenden (materiellen) Entschädigungs-tatbestand somit zugrunde liegende materielle Opferbegriff werde solcherart durch die ‑ auch (näher bezeichnete) Angehörige eines Getöteten erfassende ‑ (auch) nach den Gesetzesmaterialien zum Strafprozessreformgesetz (BGBl I 2004/19; ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 92 f) aus-schließlich verfahrensrechtsbezogene Definition des Opfers in § 65 Z 1 lit b StPO nicht erweitert (vgl Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, Praxiskommentar MedienG3 § 7a Rz 8, 10; Rami in WK² MedienG § 7a Rz 11c).

Die Antragstellerin sei daher nach § 7a Abs 1 Z 1 MedienG nicht anspruchslegitimiert. Ihr stehe aber auch ein vom Erstgericht verneinter Entschädigungsanspruch nach § 7 Abs 1 MedienG auf der Grundlage dessen ‑ in Betreff der folgenden Annahme einer öffentlich begangenen Straftat jedoch nicht entscheidungskonform referierten - Urteilsfeststellungen aus folgenden Erwägungen nicht zu:

Der Gegenstand der inkriminierten Veröffentlichungen, wonach die Mutter der Antragstellerin „auf offener Straße“ [eine derartige Feststellung findet sich im erstgerichtlichen Urteil nicht] vor ihren Augen von ihrem Vater getötet wurde, betreffe nicht das dem höchstpersönlichen Lebensbereich (§ 7 Abs 1 MedienG) zuzuordnende „Leben in der Familie“, sondern werde damit vielmehr eine „öffentlich begangene“ schwere Straftat beschrieben, wobei zu den wesentlichen Tatumständen die Tatbegehung vor den Augen des eigenen erst vierjährigen Kindes gehöre. Ein derartiger Bericht müsse iSd Art 10 MRK zulässig sein, würde doch die Unterstellung derartiger Details unter den in Rede stehenden Entschädigungstatbestand die Pressefreiheit in einem unerträglichen Maße einschränken. Mit der weiteren Schilderung, wonach die Antragstellerin nunmehr in einem Krisenzentrum untergebracht sei und beim Mitansehen der Tat geweint und geschrien sowie gestammelt habe, der „Papa habe die Mama tot gemacht“, sei keine Bloßstellung der Antragstellerin verbunden gewesen, weil damit bloß die angesichts einer solchen Tat „völlig übliche“ Reaktion eines Kleinkindes sowie die normale Vorgangsweise der Behörden in einem solchen Fall geschildert werde. Schließlich sei auch mit der Beifügung von Lichtbildern, welche die Antragstellerin „glücklich mit ihrer getöteten Mutter“ zeigten, kein Eingriff in deren höchstpersönlichen Lebensbereich verbunden gewesen.

Die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht stehen ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeits-beschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

Wird in einem Medium der höchstpersönliche Lebensbereich eines Menschen in einer Weise erörtert oder dargestellt, die geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen, so hat der Betroffene nach § 7 Abs 1 MedienG gegen den Medieninhaber einen Anspruch auf Entschädigung.

Der höchstpersönliche Lebensbereich umfasst (nur) Angelegenheiten, deren Kenntnisnahme durch Außenstehende die persönliche Integrität im besonderen Maß berührt. Zu diesen zählt neben der Gesundheit, dem Sexualleben und Kontakten mit engsten Vertrauten auch das Leben in und mit der Familie (RIS‑Justiz RS0122148; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7 Rz 6 ff; Rami in WK² MedienG § 7 Rz 4 jeweils mwN).

Die Beziehung von Ehegatten zueinander, insbesondere ihre mitunter konfliktbeladene Kommunikation im häuslichen Bereich (15 Os 5/09p), ist ebenso wie ein durch eine bevorstehende Trennung motivierter Mordanschlag eines Ehegatten gegen den anderen in der Ehewohnung vor den Augen der gemeinsamen Kinder (vgl 15 Os 116/11i) nicht nur dem höchstpersönlichen Lebensbereich, sondern sogar dem engsten Kernbereich der Privatsphäre (der intimsten Sphäre) zuzuordnen. Berichte darüber betreffen aber nicht nur den höchstpersönlichen Lebensbereich der (unmittelbar beteiligten) Ehegatten, sondern können auch in jenen eines minderjährigen Kindes eingreifen, das den Auseinandersetzungen seiner Eltern (hilflos) ausgesetzt ist (15 Os 28/15d).

Das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Bloßstellung in der Öffentlichkeit beschreibt die Gefahr einer mit dem medialen Eindringen in eine schutzwürdige Privatsphäre verbundenen Beschädigung der persönlichen Integrität. Bloßstellend wirken insbesondere jene Erörterungen und Darstellungen, die dem Einzelnen die Chance auf Selbstbestimmung über das der Umwelt eröffnete Persönlichkeitsbild nehmen (RIS‑Justiz RS0124514 [T12 und T13]; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7 Rz 19). Während bei Angelegenheiten der intimsten Sphäre jede Informationsteilhabe durch Außenstehende eine Verletzung der persönlichen Integrität bedeutet, mithin die mediale Indiskretion als solche bloßstellend wirkt, spielen in den übrigen Fällen bei der Prüfung der Eignung zur Bloßstellung auch das Erscheinungsbild und der Ton einer Publikation eine Rolle, ist also der betroffene private Bereich im Verhältnis zur Darstellung zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0124514 [T5, T7, T11]; 11 Os 144/07x, 15 Os 175/08m, 15 Os 121/11z; 15 Os 28/15d; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7 Rz 8 und 19 f; Rami in WK² MedienG § 7 Rz 5e).

Daraus folgt im vorliegenden Fall, dass durch die Berichte, wonach (zusammengefasst) der Kindesvater die Kindesmutter vor den Augen der gemeinsamen (minderjährigen, im Kindergartenalter befindlichen) Tochter tötete, (auch) der höchstpersönliche Lebensbereich Letzterer erörtert wurde.

Die Eignung zur Bloßstellung in der Öffentlichkeit ist gegenständlich ‑ unabhängig von der Art der Darstellung ‑ schon deshalb zu bejahen, weil die Berichte über die familiäre Tragödie dem engsten Kernbereich der Privatsphäre der Antragstellerin zuzuordnen sind, somit die mediale Indiskretion als solche geeignet ist, bloßstellend zu wirken und die Antragstellerin zu zwingen, sich mit öffentlicher Neugier, unerwünschter Anteilnahme oder ungebetenem Mitleid in einer Angelegenheit ihrer intimsten Sphäre auseinanderzusetzen (15 Os 28/15d; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7 Rz 19).

Entgegen der Rechtsansicht der befasst gewesenen Gerichte ändert der Umstand, dass vorliegend eine schwere Straftat, nämlich ein schweres Kapitalverbrechen beschrieben wurde, daran nichts:

Der Schutz des Privatlebens durch Art 8 MRK sowie des (engeren; vgl Berka aaO § 7 Rz 7 f) höchstpersönlichen Lebensbereichs (auch) durch § 7 Abs 1 MedienG ist Ausdruck der Anerkennung eines Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen über das der Umwelt eröffnete Persönlichkeitsbild. Mit einem explizit an die mediale Öffentlichkeit adressierten Verhalten entfernt der Schutzberechtigte dieses solcherart selbst aus seinem höchstpersönlichen Lebensbereich (vgl 15 Os 81/09i mwN = RIS‑Justiz RS0125179 [T2]). Diesem Gedanken folgend wird der höchstpersönliche Lebensbereich nicht nur bei einem an die Öffentlichkeit adressierten Verhalten, sondern auch dann verlassen, wenn der Betroffene aufgrund einer Handlung mit starkem Sozialbezug die Teilhabe fremder Personen an der an sich dem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzuordnenden Angelegenheit in Kauf nehmen muss.

Solcherart ist die Folgerung konsequent, dass auch der Umstand, dass jemand eine Straftat begangen hat oder einer solchen verdächtigt wird, außerhalb des höchstpersönlichen Lebensbereichs liegt (Berka aaO § 7 Rz 14 mwN). Doch trifft dies nach dem zuvor Gesagten stets nur auf diejenige Person zu, die mit ihrem jeweiligen Verhalten über ihr Selbstbestimmungsrecht über das sozial vermittelte Persönlichkeitsbild disponiert; nicht aber auch auf Personen, die ‑ wie hier ‑ als an einer Straftat gänzlich unbeteiligte Angehörige des Opfers dazu in keinerlei Bezug stehen (vgl dazu Berka aaO § 7 Rz 15), weil der Straftäter durch sein Verhalten über deren in Rede stehendes Selbstbestimmungsrecht über den Schutz von Angelegenheiten des höchstpersönlichen Lebensbereichs nicht disponieren kann. Dies trifft umso mehr zu, wenn ‑ wie vorliegend ‑ der Persönlichkeitsschutz eines nicht dispositionsfähigen vierjährigen Kindes in Rede steht.

Mit dem Argument einer durch das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gebotenen Berichterstattung über den „wesentlichen Tatumstand der Tatbegehung vor den Augen des eigenen erst vierjährigen Kindes“ verkennt das Berufungsgericht, dass zum einen eine nicht identifizierende Berichterstattung ohnedies nicht anspruchsbegründend nach § 7 Abs 1 MedienG ist (vgl Berka aaO Vor §§ 6‑8a Rz 26) und zum anderen die Berichterstattung über die Anwesenheit des Kleinkindes bei der Straftat und dessen Reaktion darauf in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben steht (§ 7 Abs 2 Z 2 MedienG), an der identifizierenden Berichterstattung somit kein öffentliches Informationsinteresse besteht (vgl EGMR, Krone Verlag GmbH gegen Österreich, Urteil vom 19. Juni 2012, Bsw Nr 27306/07 [1593/06] = NL 2012, 187).

Die genannten Auslegungskriterien verkennt das Berufungsgericht mit den Erwägungen, die Berichterstattung über die Unterbringung der Antragstellerin in einem Krisenzentrum und ihre oben referierte Reaktion auf die Tat („Papa hat die Mama tot gemacht“) vermittle dem Leser bloß eine angesichts einer solchen Tat völlig übliche Reaktion eines Kleinkindes und normale Vorgangsweise der Behörden in einem solchen Fall, sowie mit der weiteren Argumentation, die den Artikeln beigefügten Lichtbilder, welche die Antragstellerin glücklich mit ihrer getöteten Mutter zeigten, berührten deren persönliche Integrität nicht im besonderen Maß. Denn die Bloßstellungseignung nach § 7 Abs 1 MedienG setzt keine „kompromittierende“ Wirkung der Berichterstattung für den Betroffenen voraus.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien und das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht haben somit die grundsätzliche Verwirklichung des Entschädigungsanspruchs nach § 7 Abs 1 MedienG ‑ freilich zum Vorteil der Antragsgegnerinnen als Medieninhaberinnen, denen die Rechte der Angeklagten zukommen (§ 41 Abs 6 zweiter Satz MedienG; § 292 letzter Satz StPO) ‑ zu Unrecht verneint, sodass es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden zu haben hat.

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