Spruch:
Im Medienrechtsverfahren der Antragstellerinnen Elisabeth F***** und Kerstin F***** gegen die Antragsgegnerin V***** GmbH & Co KG wegen §§ 7, 7a MedienG, AZ 93 Hv 110/08i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Februar 2011, AZ 18 Bs 330/09z, § 7 Abs 2 Z 2 und § 7a Abs 1 Z 1 MedienG.
Text
Gründe:
Der Medienrechtssache der Antragstellerinnen Elisabeth F***** und Kerstin F***** gegen die Antragsgegnerin V***** GmbH & Co KG wegen §§ 7, 7a MedienG, AZ 93 Hv 110/08i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, lagen auf der Internet-Website ***** erfolgte Veröffentlichungen zu Grunde, und zwar die seit 27. April 2008 unter der Überschrift „DNA-Test bestätigt Vaterschaft“, seit 30. April 2008 unter der Überschrift „Polizei: F***** hatte keine Helfer“, seit 5. Mai 2008 unter der Überschrift „F***** baute Kellerverlies zur 'Festung' aus“ und seit 11. Juni 2008 unter der Überschrift „F*****-Tochter wieder im Kreis der Familie“ einsehbaren Artikel.
Mit Urteil vom 15. Mai 2009 (ON 16) verpflichtete die Erstrichterin die Antragsgegnerin als Medieninhaberin der Internet-Website ***** gemäß den § 7 Abs 1 und § 7a Abs 1 MedienG zur Zahlung von Entschädigungsbeträgen an die Antragstellerinnen.
Zum Bedeutungsinhalt der Veröffentlichungen, die im Volltext zu einem integrierenden Bestandteil des Urteils erklärt wurden, traf das Erstgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen:
Die Medienkonsumenten gewannen durch die vier Berichte den Eindruck, dass die heute 42-jährige Elisabeth F***** als junge Frau von ihrem Vater gegen ihren Willen in ein kleines Kellerverlies unter seinem Haus gesperrt worden sei, wo er sie die nächsten Jahrzehnte über gefangen hielt und sexuell missbrauchte, wobei dieser Verbindung mehrere Kinder entstammen. Die 19-jährige Tochter von Elisabeth F*****, Kerstin F*****, sei seit ihrer Geburt ebenfalls im Verlies gefangen gehalten worden und zuletzt lebensbedrohlich erkrankt, weshalb sie ins Krankenhaus gebracht werden musste.
Durch den seit 27. April 2008 abrufbaren Artikel erfuhren die Leser darüber hinaus, dass eines der im Verlies gezeugten Kinder kurz nach der Geburt verstorben und von Josef F***** im Heizkessel verbrannt worden sei.
Seit 30. April 2008 wurde den Medienkonsumenten zusätzlich mitgeteilt, dass das Verlies, dessen Öffnung nur einen Meter mal sechzig Zentimeter groß gewesen sei, ursprünglich nur aus einem Raum bestanden habe, dann jedoch mit diversen Elektrogeräten ausgestattet worden sei, wodurch die Eingesperrten wochenlang ohne Versorgung von außen ausharren konnten, während Josef F***** beispielsweise in Thailand Urlaub gemacht hatte.
Dem seit 5. Mai 2008 abrufbaren Artikel entnahmen die Rezipienten, dass das Verlies mit einer 500 Kilogramm schweren Betontür gesichert gewesen sei, sämtliche Opfer nach deren Befreiung in einer von der Außenwelt abgeschirmten Wohnung einquartiert und psychologisch betreut worden seien sowie dass sie durch die langjährige Gefangenschaft äußerst lichtempfindlich seien und keinen normalen Sinn für räumliche Orientierung haben.
Mit dem seit 11. Juni 2008 abrufbaren Artikel wurde den Lesern vermittelt, dass Kerstin F***** bei ihrer Einlieferung in das Krankenhaus Amstetten bleich und kaum ansprechbar gewesen und in Lebensgefahr geschwebt sei, weil sie an einem Versagen lebenswichtiger Organe gelitten habe; sie sei deshalb wochenlang in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt worden.
In rechtlicher Hinsicht folgerte die Einzelrichterin, durch die inkriminierten Veröffentlichungen, insbesondere den Bericht über die jahrelange Gefangenschaft, die vom eigenen Vater erzwungenen Sexualkontakte und die dadurch entstandenen Nachkommen sowie durch die Schilderung des Verlustes eines neugeborenen Kindes und des Verbrennens dessen Leichnams sei der höchstpersönliche Lebensbereich der Antragstellerin Elisabeth F*****, die durch die Nennung ihres Vor- und Zunamens sowie die Angabe ihres Alters erkennbar gewesen sei, in bloßstellender Art und Weise erörtert und dadurch der Tatbestand des § 7 Abs 1 MedienG erfüllt worden.
In Ansehung der Antragstellerin Kerstin F***** sei in einer ebensolchen Art und Weise in den höchstpersönlichen Lebensbereich eingegriffen worden, nämlich indem vermittelt wurde, sie sei auf gewaltsame und inzestuöse Art und Weise gezeugt worden, ihr Vater zugleich ihr Großvater und ihre physische und psychische Konstitution in vieler Hinsicht bedenklich. Auch ihre Person betreffend sei der Tatbestand des § 7 Abs 1 MedienG erfüllt.
Das Vorliegen der Voraussetzungen des Ausschlussgrundes des § 7 Abs 2 Z 2 MedienG verneinte das Erstgericht, weil die Antragstellerinnen gerade nicht am öffentlichen Leben teilgenommen haben und die identifizierend berichteten Details aus ihrer Privatsphäre nicht dazu geeignet seien, die auf den öffentlichen Lebensbereich bezogenen Informationsinteressen der Medienöffentlichkeit zu befriedigen.
Den Ausschlussgrund des § 7 Abs 2 Z 3 MedienG erachtete die Erstrichterin ebenfalls als nicht gegeben.
Unter einem wurde aber auch auf eine Verwirklichung des Tatbestands des § 7a MedienG erkannt, weil beide Antragstellerinnen Opfer von Verbrechen geworden seien und die Berichterstattung ihre schutzwürdigen Interessen insofern verletzte, als sie einen Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich der Opfer darstelle bzw eine Bloßstellung derselben herbeizuführen geeignet sei, wobei weder aus der Stellung der Antragstellerinnen in der Öffentlichkeit noch wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein die schutzwürdigenden Anonymitätsinteressen der Antragstellerinnen überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Bekanntgabe der identifizierenden Angaben bestanden habe.
Mit Urteil vom 21. Februar 2011, AZ 18 Bs 330/09z (ON 23), gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht der Berufung der Antragsgegnerin Folge, hob das angefochtene Urteil auf und wies die Anträge der Antragstellerinnen auf Zuerkennung von Entschädigungen nach den §§ 7 Abs 1, 7a Abs 1 MedienG ab.
Das Oberlandesgericht vermeinte, das angefochtene Urteil sei mit dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO iVm § 489 Abs 1 StPO behaftet, weil das Erstgericht zu Unrecht den Ausschlussgrund des § 7 Abs 2 Z 2 MedienG als nicht erfüllt angesehen habe. Begründend führte es dazu aus:
„Der hier maßgebliche Ausschlussgrund der Z 2 des § 7 Abs 2 MedienG verlangt, dass die Veröffentlichung wahr ist und in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben steht.
Nachdem sich, wie aus der rechtskräftigen Verurteilung des Josef F***** erhellt, die inkriminierten Veröffentlichungen als wahr erwiesen haben, kommt der Interpretation des Begriffes 'unmittelbarer Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben' entscheidende Bedeutung zu.
Abzuwägen ist einerseits das Interesse der Antragstellerinnen auf Wahrung ihres höchstpersönlichen Lebensbereiches und andererseits jenes der Medien an Berichterstattung über Aufsehen erregende Kriminalfälle.
Ein Vorrang eines der solcherart konkurrierenden Grundrechte des Privat- und Familienlebens des Artikel 8 MRK oder der Freiheit der Meinungsäußerung des Artikel 10 MRK ist insbesondere an zwei Kriterien zu messen.
Zum einen muss es sich um eine spektakuläre Straftat handeln, die weit über die Dimension eines herkömmlichen, wenig aufsehenerregenden Kriminalfall(s) hinausgeht und diese Straftat muss aus sozialen, kriminal- und gesellschaftspolitischen sowie präventiven wie erzieherischen Gründen das solcherart berechtigte Interesse der Bevölkerung tief berühren.
Der vom Erstgericht richtig dargestellte Kriminalfall Josef F***** erfüllt diese Kriterien.
Wie kaum ein Strafverfahren zuvor, stellt es nicht nur Abgründe der Täterseele zur Diskussion, sondern ebenso die Frage, wie an staatlichen, insbesondere dem Schutz (erg: der) Kinder dienenden Behörden und Institutionen aber auch am sozialen Umfeld vorbei über Jahrzehnte hindurch derart gravierende Taten geschehen konnten.
Eine mediale Berichterstattung darüber muss insbesondere dazu dienen, vergangene Missstände zur Verhinderung künftiger aufzuzeigen, just auch um der Rolle der Medien als sog. 'public watch dog' gerecht zu werden.
Das zweite Kriterium ist jenes der Art der Berichterstattung.
Der durch das erstgenannte Kriterium fallbezogene Vorrang des Grundrechts der Freiheit der Meinungsäußerung des Artikel 10 Abs 1 MRK währt nämlich nur so lange, als die Berichterstattung zum Verständnis der Tat und deren Umstände notwendige Schilderungen enthält.
Medien soll es folglich erlaubt sein, die in Frage kommenden Tatbestände und die - für die Erfassung der relevanten Straftaten ebenso wesentlichen - Auswirkungen auf die Tatopfer verständlich zu schildern.
Jedenfalls verwehrt ist eine ausufernde, die Sensationslust der Leser ansprechende Berichterstattung, die die Intimsphäre der Opfer in unangemessener Weise ausbreitet.
Die inkriminierten Artikel werden den Anforderungen des Zulässigen aber gerecht.
Jener vom 27. April 2008 beschreibt unter Namensnennung des Täters und der Antragstellerinnen als Opfer in kürzest möglicher Form die Art, die Dauer und den Ort der Verbrechen sowie die - ebenso kurz umschriebener - Auswirkungen der Tat auf die Antragstellerinnen.
Der Artikel vom 30. April 2008 beschreibt darüber hinaus detaillierter die Einrichtung des Kellerverlieses und dessen Zugang, den lebensbedrohlichen Gesundheitszustand der Kerstin F***** sowie die Unverfrorenheit des derweilen in Thailand weilenden Josef F*****.
Auch der Artikel vom 5. Mai 2008 enthält zusätzlich Informationen darüber, dass Elisabeth F***** nunmehr in einer von der Außenwelt abgeschirmten Wohnung mit ihren zwei Kindern aus dem Verlies und den drei Kindern, die ihr Josef F***** weggenommen hätte, wohnte, sie psychologische Betreuung erhalte, nicht mehr so lichtempfindlich sei und wieder einen normalisierten Sinn für räumliche Orientierung habe, während Kerstin F***** noch immer lebensbedrohlich erkrankt sei.
Ebenso enthält der Artikel vom 11. Juni 2008 kurze Hinweise zu den Josef F***** vorgeworfenen Taten sowie die gesundheitliche Beschaffenheit des Opfers Kerstin F*****.
Mit dieser Art der Darstellung bemüht die Antragsgegnerin einen - zumindest was die vorgeworfenen Taten anbelangt - sehr kurzen und prägnanten, Einzelheiten der Straftaten gar nicht ausbreitenden und damit auch nicht ausufernden oder unnotwendigerweise bloßstellenden Stil.
Auch die Auswirkungen auf die Opfer sind in einem Maß gehalten, das das verständliche öffentliche Interesse an der Befindlichkeit der Tatopfer ausgewogen befriedigt.“
Darüber hinaus erkannte das Berufungsgericht, dass dem Urteil der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhafte, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7a Abs 1 Z 1 MedienG nicht erfüllt seien:
„Wenn auch fallbezogen … die die Antragstellerinnen identifizierenden Angaben geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden deren Identität zu führen, so bestand doch ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung der identifizierenden Angaben.
Die Dimension gegenständlicher Verbrechen und die damit zusammenhängende Notwendigkeit der öffentlichen Auseinandersetzung mit deren konkreten Umständen - insbesondere, wie diese gravierenden Verbrechen unter jahrzehntelanger Geheimhaltung gegenüber staatlichen Institutionen, ja geradezu unter Förderung durch diese durch Bewilligung von Obsorge und Adoption, und engstem sozialem Umfeld in der heutigen zivilisierten Gemeinschaft überhaupt geschehen konnten (siehe dazu auch die Ausführungen zu § 7 Abs 2 Z 2 MedienG) - bringt das Erfordernis der namentlichen Nennung auch der Tatopfer und der erst solcherart möglichen Erfassung aller an diesem Verbrechensszenario allenfalls Mitschuld bzw Verantwortung tragenden staatlichen Institutionen und Organe bzw Organwalter in sachlicher und örtlicher Zuständigkeit mit sich.
Letztlich darf nicht übersehen werden, dass der Ausnahmecharakter der Josef F***** vorgeworfenen Verbrechen eine gesellschaftspolitische Dimension aufweist, die es den Medien unmöglich machte, auch in bloß sachlicher und keinesfalls ausufernder Weise über die Taten und deren Folgen zu berichten, weil auch mit Blick auf die 'Unteilbarkeit des Identitätsschutzes' schon die - jedenfalls für zulässig anzusehenden - täterbezogenen Angaben einen unvermeidlichen Rückschluss auf die Identität der Opfer der strafbaren Handlungen - auch ohne deren konkrete Namensnennung - zumindest für einen größeren Personenkreis zuließen. Wollte man von Medien in diesem Zusammenhang verlangen, unter Anführung nur solcher, damit letztlich aber nur bruchstückhaften, Tatumstände zu berichten, aus denen verlässlich keine Rückschlüsse auf die Identität der Opfer zu ziehen wären, könnten die Medien ihrer so maßgeblichen Rolle eines 'public watch dog' in der fallbezogen einen wirklichen Ausnahmecharakter darstellenden Strafsache nicht hinreichend nachkommen.“
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht mit dem Gesetz nicht in Einklang:
1./ Wird in einem Medium der höchstpersönliche Lebensbereich eines Menschen in einer Weise erörtert oder dargestellt, die geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen, so hat der Betroffene nach § 7 Abs 1 MedienG gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung.
Das Tatbestandsmerkmal des höchstpersönlichen Lebensbereichs umfasst vor allem das Leben in der Familie, die Gesundheitssphäre und das Sexualleben (Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG² § 7 Rz 6 f und 9).
Das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Bloßstellung beschreibt die Gefahr einer mit dem medialen Eindringen in eine schutzwürdige Privatsphäre verbundenen Beschädigung der persönlichen Integrität (vgl Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG² § 7 Rz 17). Bezogen auf das Schutzgut der Privatsphäre wirken insbesondere jene Erörterungen und Darstellungen bloßstellend, die dem Einzelnen die Chance auf Selbstbestimmung über das der Umwelt eröffnete Persönlichkeitsbild nehmen.
Bei Angelegenheiten der intimsten Sphäre verletzt jede Informationsteilhabe durch Außenstehende die private Identität, weil sensible Informationen vor einer weder eingrenzbaren noch beherrschbaren Öffentlichkeit ausgebreitet werden. In solchen Fällen wirkt also bereits die mediale Indiskretion als solche bloßstellend und braucht eine weitere nachteilige Auswirkung nicht besonders nachgewiesen werden (vgl RIS-Justiz RS0124514).
Dass die inkriminierte Berichterstattung den höchstpersönlichen Lebensbereich der Antragstellerinnen in bloßstellender Weise zum Gegenstand hatte, hat auch das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt. Im gegenständlichen Fall ist die Bloßstellungseignung unabhängig von der Art der Darstellung zu bejahen, weil sich die Berichterstattung auf intimste Bereiche bezog, nämlich auf sexuelle Übergriffe auf eine Frau durch den eigenen Vater während einer von diesem herbeigeführten und aufrechterhaltenen Gefangenschaft in einem unterirdischen Verlies, auf die Abstammung der von ihr geborenen Kinder und auf die Lebensverhältnisse derselben, auf den Verlust eines Neugeborenen sowie die Entsorgung dessen Leichnams und auf die zuletzt prekäre gesundheitliche Verfassung eines der Kinder.
Zu Unrecht ging das Rechtsmittelgericht jedoch vom Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 7 Abs 2 Z 2 MedienG aus:
Nach dieser Bestimmung besteht der Anspruch nach Abs 1 leg cit nicht, wenn die Veröffentlichung wahr ist und in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben steht.
Der Begriff des öffentlichen Lebens im Sinn dieser Bestimmung bezeichnet grundsätzlich den Bereich des öffentlichen Handelns in gemeinschaftswichtigen Angelegenheiten. Dazu gehören jedenfalls der staatliche Bereich, dh das Handeln der Organwalter in Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit, ferner das politische Leben einschließlich der Tätigkeit politischer Parteien, die Aktivitäten von Interessenvertretungen, von volkswirtschaftlich bedeutsamen Unternehmungen und von Massenmedien; Tätigkeiten in „staatsfernen“ Bereichen wie jenen der Kunst und des (Leistungs-)Sports werden auch zum öffentlichen Leben gerechnet.
Steht ein Mensch in einem Handlungsbezug zu einem solchen Bereich, so darf wahrheitsgetreu auch über Angelegenheiten seines höchstpersönlichen Lebensbereichs berichtet werden, allerdings nur so weit, als ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben besteht. Die Berichtserstattung ist also in dem Umfang und in der Intensität zulässig, wie sie notwendig ist, um die auf den öffentlichen Bereich bezogenen Informationsinteressen sachgerecht zu befriedigen (vgl 15 Os 98/10s, 15 Os 122/10w; Berka in Berka/Höhne/Noll/Polley, MedienG² § 7 Rz 26 f).
Unstrittig ist, dass sich die gegenständliche Berichterstattung auf einen hinsichtlich des Deliktszeitraums, der Anzahl der Tatopfer und der Intensität des diesen wiederholt und anhaltend zugefügten Unrechts einzigartigen Kriminalfall bezog. Unstrittig ist ebenso, dass dieser Fall zahlreiche Fragen aufwirft, die zum einen das Verhalten der bereits im Tatzeitraum involvierten Behörden, zum anderen den Zustand der Gesellschaft betreffen, innerhalb derer solche Verbrechen über einen derart langen Zeitraum nicht ans Licht kommen.
In einer Demokratie ist es auch Aufgabe der Medien, diese Fragen zu stellen und zu diskutieren. Dazu bedarf es durchaus der Berichterstattung über den - keineswegs per se zu einer Erkennbarkeit der Opfer führenden - Hergang des Verbrechens in seinen wesentlichen Zügen. Die objektive Erörterung von Umständen aus dem Privat- und Familienleben der Tatopfer, im vorliegenden Fall sogar aus dem intimsten Bereich, ist dabei soweit unvermeidlich, als diese mit der Tatbegehung untrennbar verbunden sind.
Nicht erforderlich ist hingegen die Preisgabe der Identität der durch diese Verbrechen in ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich zutiefst betroffenen Tatopfer durch Nennung deren Vor- und Nachnamens. Die Namen der Opfer sind nämlich unbeschadet dessen, dass diese den Nachnamen des bis dahin weithin unbekannten, insbesondere nicht im öffentlichen Leben stehenden - seinerzeit mutmaßlichen - Täters tragen, in keiner Weise geeignet, zur gesellschaftlichen Aufarbeitung einschließlich der Kontrolle der (Un-)Tätigkeit der staatlichen Behörden beizutragen (vgl MR 1997, 17; 15 Os 98/10s, 4 Ob 155/09m, 15 Os 122/10w). Die Tatopfer verlieren ihren Anspruch auf Wahrung ihrer Privatsphäre also nicht dadurch, dass sie Opfer eines in vieler Hinsicht „spektakulären“ Kriminalfalls geworden sind. Der angesprochene Ausschlussgrund liegt demnach nicht vor.
2./ Nach § 7a Abs 1 MedienG hat der Betroffene gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung, wenn in einem Medium der Name, das Bild oder andere Angaben veröffentlicht werden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden der Identität einer Person zu führen, die Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung geworden ist (Z 1) oder die einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist oder wegen einer solchen verurteilt wurde (Z 2), und hiedurch schutzwürdigende Interessen dieser Person verletzt werden, ohne dass wegen deren Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen werden jedenfalls verletzt, wenn die Veröffentlichung im Fall des Abs 1 leg cit geeignet ist, einen Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich oder eine Bloßstellung des Opfers herbeizuführen.
Der Entscheidung des Berufungsgerichts zuwider liegen fallbezogen auch diesbezüglich die Anspruchsvoraussetzungen vor (zur Konkurrenzfrage s Rami in WK2 MedienG § 7 Rz 1c):
Zur Berichterstattung über Tatsachen aus dem Sexual- und Familienleben der Betroffenen, die geeignet sind, einen Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich oder eine Bloßstellung der Opfer herbeizuführen, sowie zum berechtigten öffentlichen Interesse an einer Berichterstattung über einen einzigartigen Kriminalfall einschließlich der Involvierung staatlicher Behörden ist auf die obigen Ausführungen zu § 7 Abs 1, Abs 2 Z 2 MedienG zu verweisen.
In Ansehung der Nennung der Namen der Tatopfer gilt ebenfalls das bisher Gesagte. Hinzuzufügen ist nur, dass auch der Umstand, dass dem Verdächtigen mangels das berechtigte öffentliche Interesse überwiegender schutzwürdiger Interessen seiner Person - isoliert betrachtet - kein Identitätsschutz zukäme, nichts an einem solchen der - nachnamensgleichen - Opfer zu ändern vermag.
Unabhängig davon ist unter dem Aspekt des Identitätsschutzes der Opfer zu prüfen, ob an einer Nennung des Nachnamens des Verdächtigen und der Opfer sowie der Vornamen der Opfer mit Blick auf die Stellung aller Betroffenen in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit bestanden hat. Dies ist im vorliegenden Fall aus den bereits zu § 7 Abs 2 Z 2 MedienG genannten Gründen zu verneinen.
Das gegenständliche Urteil des Oberlandesgerichts Wien gereicht der Antragsgegnerin, der in diesem Verfahren nach dem Mediengesetz gemäß § 41 Abs 6 zweiter Satz MedienG die Rechte der Angeklagten zukommen, nicht zum Nachteil, weshalb die Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzungen mit keiner konkreten Wirkung zu verbinden war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)