OGH 15Os28/15d

OGH15Os28/15d25.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. März 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Romig als Schriftführerin in der Medienrechtssache der Antragstellerin Mia G***** gegen die Antragsgegnerin K***** KG, wegen § 7 Abs 1 MedienG, AZ 92 Hv 166/12y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. September 2013, AZ 17 Bs 226/13d, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleitner, sowie der Vertreterin der Antragstellerin, Dr. Windhager, und des Vertreters der Antragsgegnerin, Dr. Korn, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Medienrechtssache der Antragstellerin Mia G***** gegen die Antragsgegnerin K***** KG wegen § 7 Abs 1 MedienG, AZ 92 Hv 166/12y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. September 2013, AZ 17 Bs 226/13d, § 7 Abs 1 MedienG.

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. Februar 2013, GZ 92 Hv 166/12y‑11, wurde die Antragsgegnerin K***** KG als Medieninhaberin nach § 7 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung an die Antragstellerin Mia G***** verurteilt, weil in drei in der Tageszeitung „K*****“ am 8., 9. und 11. Juli 2012 unter den Überschriften „Mord an Mutter vor den Augen der Tochter (4)“, „Wie aus der großen Liebe Hass wurde!“ und „Wir wollen Juan nie mehr wieder sehen“ veröffentlichten Artikeln des Inhalts, die Tochter (= Antragstellerin) habe die Ermordung der Mutter mitansehen müssen und werde - den Artikeln vom 9. und 11. Juli 2012 zufolge - in einem Krisenzentrum betreut, der höchstpersönliche Lebensbereich der Antragstellerin in einer Weise erörtert wurde, die geeignet war, sie in der Öffentlichkeit bloßzustellen (vgl US 2 und 8 f).

Soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes relevant, war die Antragstellerin nach den erstrichterlichen - und der Berufungsentscheidung zugrunde liegenden - Feststellungen in den inkriminierten Artikeln jeweils anhand mehrerer (im Urteil angeführter) identifizierender Merkmale erkennbar (ON 11 S 7). Im Artikel vom 8. Juli 2012 war das Haus abgebildet, in dem die Antragstellerin bis zur Tat lebte, und wurde als Adresse die D*****gasse in W***** angegeben; dem Artikel war ein Bild beigefügt, unter dem die Kindesmutter mit dem Namen „Charlotte B.“ sowie der Kindesvater mit dem Namen „Juan“ genannt wurden und die Antragstellerin verpixelt, die Kindesmutter nicht verpixelt und der Kindesvater mit einem schwarzen Balken im Augenbereich abgebildet wurden. Im Artikel vom 9. Juli 2012 wurde die Mutter der Antragstellerin als „Charlotte B.“ bezeichnet und unverpixelt abgebildet; der Kindesvater als „Juan A.“ bezeichnet und die Antragstellerin verpixelt auf einem Foto abgebildet sowie ihr Alter mit vier Jahren angegeben. Dem Artikel vom 11. Juli 2012 waren drei Bilder beigefügt, die unverpixelt die Antragstellerin sowie ihre Mutter zeigten, wobei Letztere mit dem Namen „Charlotte B.“ und der Altersangabe (28) und die Antragstellerin - unter Hinweis auf die Namensänderung - mit dem Namen „Petra“ bezeichnet wurden.

Zum

Bedeutungsinhalt der Veröffentlichungen stellte das Erstgericht fest, der Leser entnehme dem Artikel vom 8. Juli 2012, „dass die minderjährige Antragstellerin jede Sekunde der Vorfälle, im Zuge derer der Kindesvater die Kindesmutter getötet habe, ansehen musste, der Kindesvater habe vor den Augen der Antragstellerin, die selbst noch in den Kindergarten geht, immer wieder auf die Kindesmutter eingestochen“. Den Artikel vom 9. Juli 2012 verstehe der Leser dahin, „der Kindesvater habe die Kindesmutter vor den Augen der Tochter getötet, die Antragstellerin werde (wohl ob der traumatischen Vorfälle) nunmehr im Krisenzentrum betreut, wo sie fröhlich mit den anderen Kindern spiele“. Dem Artikel vom 11. Juli 2012 entnehme der Leser, „dass die Kindesmutter vor den Augen des Kindes erstochen wurde und die Tochter jetzt (wohl ob der traumatischen Vorfälle) in einem Krisenzentrum betreut werde“ (US 6 f).

In rechtlicher Hinsicht sah das Erstgericht den Tatbestand des § 7 Abs 1 MedienG als verwirklicht an, weil bereits ein Bericht über das Ableben naher Angehöriger dem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzuordnen sei, sodass dies umso mehr für die Berichterstattung über „die Tötung eines nahen Angehörigen durch einen nahen Angehörigen, insbesondere im Beisein der (direkt verwandten) Antragstellerin“ gelte. Mit den inkriminierten Berichten sei eine Bloßstellung verbunden, weil die bei der Tat anwesende Antragstellerin gezwungen werde, sich mit öffentlicher Neugierde, nicht gewünschter Anteilnahme oder ungebetenem Mitleid in einer Angelegenheit ihrer Intimsphäre auseinanderzusetzen.

Das Oberlandesgericht Wien gab der dagegen (unter anderem) erhobenen Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe mit Urteil vom 25. September 2013, AZ 17 Bs 226/13d (ON 21), Folge, hob das angefochtene Urteil aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO auf und wies den Antrag der Antragstellerin auf Zuerkennung einer Entschädigung wegen der in Rede stehenden Artikel ab.

Soweit hier von Relevanz führte das Berufungsgericht in Bezug auf § 7 Abs 1 MedienG (unter anderem) aus, dass die gegenständlichen Berichterstattungen keinen zum höchstpersönlichen Lebensbereich gehörenden Umstand tangieren würden, weil in diesen nicht schon durch den Bericht über den Tod eines nahen Angehörigen, sondern erst durch einen solchen über den Umgang (hier: der Antragstellerin) mit diesem Tod eingegriffen werde. Der Bericht über die Tötung der Mutter der Antragstellerin vor deren Augen und durch deren Vater betreffe nicht das „Leben in der Familie“, sondern beschreibe eine „öffentlich begangene schwere Straftat“, zu deren wesentlichen Tatumständen die Tatbegehung vor den Augen des eigenen (erst vierjährigen) Kindes gehöre. Ein derartiger Bericht müsse „iSd Art 10 MRK zulässig sein, würde doch die Unterstellung derartiger Details unter den Entschädigungstatbestand des § 7 MedienG die Pressefreiheit in einem unerträglichen Maße einschränken“.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Oberlandesgerichts Wien steht ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Wird in einem Medium der höchstpersönliche Lebensbereich eines Menschen in einer Weise erörtert oder dargestellt, die geeignet ist, ihn in der Öffentlichkeit bloßzustellen, so hat der Betroffene nach § 7 Abs 1 MedienG gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung.

Der höchstpersönliche Lebensbereich umfasst (nur) Angelegenheiten, deren Kenntnisnahme durch Außenstehende die persönliche Integrität im besonderen Maß berührt. Zu diesen zählt neben der Gesundheit, dem Sexualleben und Kontakten mit engsten Vertrauten auch das Leben in und mit der Familie (RIS-Justiz RS0122148; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7 Rz 6 ff; Rami in WK² MedienG § 7 Rz 4 jeweils mwN).

Die Beziehung von Ehegatten zueinander, insbesondere ihre mitunter konfliktbeladene Kommunikation im häuslichen Bereich (15 Os 5/09p), ist ebenso wie ein durch eine bevorstehende Trennung motivierter Mordanschlag eines Ehegatten gegen den anderen in der Ehewohnung vor den Augen der gemeinsamen Kinder (vgl 15 Os 116/11i) nicht nur dem höchstpersönlichen Lebensbereich, sondern sogar dem engsten Kernbereich der Privatsphäre (der intimsten Sphäre) zuzuordnen. Berichte darüber betreffen aber nicht nur den höchstpersönlichen Lebensbereich der (unmittelbar beteiligten) Ehegatten, sondern können auch in jenen eines minderjährigen Kindes eingreifen, das den Auseinandersetzungen seiner Eltern (hilflos) ausgesetzt ist.

Das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Bloßstellung in der Öffentlichkeit beschreibt die Gefahr einer mit dem medialen Eindringen in eine schutzwürdige Privatsphäre verbundenen Beschädigung der persönlichen Integrität. Bloßstellend wirken insbesondere jene Erörterungen und Darstellungen, die dem Einzelnen die Chance auf Selbstbestimmung über das der Umwelt eröffnete Persönlichkeitsbild nehmen (RIS-Justiz RS0124514 [T12 und T13]; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7 Rz 19). Während bei Angelegenheiten der intimsten Sphäre jede Informationsteilhabe durch Außenstehende eine Verletzung der persönlichen Integrität bedeutet, mithin die mediale Indiskretion als solche bloßstellend wirkt, spielen in den übrigen Fällen bei der Prüfung der Eignung zur Bloßstellung auch das Erscheinungsbild und der Ton einer Publikation eine Rolle, ist also der betroffene private Bereich im Verhältnis zur Darstellung zu beurteilen (RIS-Justiz RS0124514 [T5, T7, T11]; 11 Os 144/07x, 15 Os 175/08m, 15 Os 121/11z; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7 Rz 8 und 19 f; Rami in WK² MedienG § 7 Rz 5e).

Daraus folgt im vorliegenden Fall, dass - wie vom Einzelrichter des Landesgerichts zutreffend dargestellt - durch die Berichte, wonach (zusammengefasst) der Kindesvater die Kindesmutter vor den Augen der gemeinsamen (minderjährigen, im Kindergartenalter befindlichen) Tochter tötete, (auch) der höchstpersönliche Lebensbereich Letzterer erörtert wurde.

Die Eignung zur Bloßstellung in der Öffentlichkeit ist gegenständlich - unabhängig von der Art der Darstellung - schon deshalb zu bejahen, weil die Berichte über die familiäre Tragödie dem engsten Kernbereich der Privatsphäre der Antragstellerin zuzuordnen sind, somit die mediale Indiskretion als solche geeignet ist, bloßstellend zu wirken und die Antragstellerin zu zwingen, sich mit öffentlicher Neugier, unerwünschter Anteilnahme oder ungebetenem Mitleid in einer Angelegenheit ihrer intimsten Sphäre auseinanderzusetzen (vgl Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7 Rz 19).

Soweit das Berufungsgericht behauptet, die Berichterstattung über eine derartige „öffentlich begangene schwere Straftat“ (siehe aber Seite 4 des Ersturteils, wonach die Tat in der Ehewohnung stattfand), zu deren wesentlichen Tatumständen die Tatbegehung vor den Augen des eigenen (erst vierjährigen) Kindes gehöre, müsse zulässig sein, weil sonst die Pressefreiheit in einem unerträglichen Maß eingeschränkt würde, übersieht es, dass eine nicht identifizierende Berichterstattung über die Straftat unter dem Aspekt des § 7 MedienG jedenfalls zulässig ist. Zwar liegt der (bloße) Umstand, dass jemand eine Straftat begangen hat oder einer solchen verdächtigt wird, außerhalb des höchstpersönlichen Lebensbereichs (vgl Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7 Rz 14), die Straftat selbst kann aber den höchstpersönlichen Lebensbereich eines Menschen betreffen und eine identifizierende Berichterstattung über diese kann daher - soweit kein Ausschlussgrund nach § 7 Abs 2 MedienG vorliegt - anspruchsbegründend iSd § 7 Abs 1 MedienG sein (vgl 15 Os 121/11z, 15 Os 116/11i).

Ein Ausschlussgrund nach § 7 Abs 2 (insbesondere Z 2) MedienG wurde vorliegend nicht behauptet.

Das die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 MedienG verneinende Urteil des Oberlandesgerichts Wien gereicht der Antragsgegnerin, der im Verfahren nach dem MedienG gemäß § 41 Abs 6 zweiter Satz MedienG die Rechte der Angeklagten zukommen, nicht zum Nachteil, sodass es mit der Feststellung der aufgezeigten Gesetzesverletzung sein Bewenden hat.

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