OGH 10Nc9/15b

OGH10Nc9/15b9.3.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der beim Landesgericht Linz zu AZ 1 Cg 193/14v anhängigen Rechtssache der klagenden Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Prof. Haslinger & Partner Rechtsanwälte in Linz, wegen 174.624,53 EUR sA, über den Delegierungsantrag der klagenden Partei gemäß § 31 Abs 2 JN den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100NC00009.15B.0309.000

 

Spruch:

Zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache wird anstelle des Landesgerichts Linz das Handelsgericht Wien bestimmt.

Text

Begründung

Die klagende GmbH mit dem Sitz in Wien begehrt von der beklagten GmbH mit dem Sitz in Linz aus dem Titel des Schadenersatzes 174.624,53 EUR sA. Die klagende Partei habe die beklagte Partei bei einem Bauprojekt über die Errichtung von vier Luxuswohnungen in Wien mit bautechnischen Leistungen beauftragt. Die Leistungen der beklagten Partei seien in Bezug auf Trittschallschutz‑Decke und Bodenaufbau Nassräume und Technikräume mangelhaft, wodurch der klagenden Partei (in Form von Sanierungskosten und Mietzinsentgang) ein Schaden in Höhe des Klagsbetrags entstanden sei.

Die beklagte Partei behauptet, dass sie die beauftragten bauphysikalischen Planungsleistungen auftragskonform und ordnungsgemäß erbracht habe.

In dem von der klagenden Partei angenommenen Anbot der beklagten Partei findet sich eine Klausel „Gerichtsstand Freistadt“.

In der Streitverhandlung vom 27. Jänner 2015 beantragte die klagende Partei die Delegierung an das Handelsgericht Wien. Von zwei Ausnahmen abgesehen seien sämtliche einzuvernehmende Personen in Wien oder in der Nähe von Wien aufhältig. Das mangelhafte Objekt befinde sich in Wien, weshalb Sachverständige in Wien Befund aufzunehmen hätten. Auch habe die beklagte Partei eine Geschäftsstelle in Wien. Bei Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung sei nicht vorhersehbar gewesen, dass zahlreiche Personen aus dem Nahebereich von Wien einzuvernehmen seien.

Die beklagte Partei sprach sich gegen den Antrag aus. Ihr Geschäftsführer und ein von ihr beantragter Zeuge seien in Linz wohnhaft; die beiden hätten ihre Untersuchungen vorwiegend in Linz durchgeführt. Darüber hinaus sei zwischen den Streitparteien eine Gerichtsstandsvereinbarung getroffen worden, von der nicht im Wege der Delegation abgegangen werden könne.

Das Erstgericht hält eine Delegierung für zweckmäßig. Die Parteien hätten die Einvernahme von zehn Personen beantragt, von denen lediglich zwei (der Geschäftsführer und ein Mitarbeiter der beklagten Partei) in Linz ansässig seien, die übrigen in Wien und in der Umgebung von Wien. Die Bauarbeiten seien in Wien durchgeführt worden, wo auch ein Ortsaugenschein durchzuführen sei, zu dem zwei Sachverständige beizuziehen seien. Zudem unterhalte die beklagte Partei eine Niederlassung in Wien. Die Durchführung beinahe des gesamten Beweisverfahrens per Videokonferenz könne den Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht wahren.

Rechtliche Beurteilung

Der Delegierungsantrag ist berechtigt.

1. Nach § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Eine Delegierung ist zweckmäßig, wenn die Zuständigkeitsübertragung an das andere Gericht zu einer wesentlichen Verkürzung des Prozesses, zu einer Erleichterung des Gerichtszugangs und der Amtstätigkeit oder zu einer wesentlichen Verbilligung des Rechtsstreits beitragen kann. Dies ist ua dann der Fall, wenn das Beweisverfahren oder der maßgebliche Teil desselben vor dem erkennenden Gericht durchgeführt werden kann, weil die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bedeutsamer erscheint als die Einhaltung der örtlichen Zuständigkeitsordnung (RIS‑Justiz RS0046333 [T3]). Zweckmäßigkeitsgründe in diesem Sinn bilden der Wohnort der Parteien und der zu vernehmenden Zeugen oder die Lage des Augenscheinsgegenstands (RIS‑Justiz RS0046540; RS0053169 [T12]).

2. Nach der Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0046169 [T1]; RS0046172 [T2]; RS0046184 [T7]; RS0046198; siehe auch die Nachweise bei Mayr in Rechberger, ZPO4 § 31 JN Rz 4, und bei Schneider in Fasching/Konecny 3 § 31 JN Rz 15) ist eine Delegation aus Zweckmäßigkeitsgründen dann, wenn die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts durch Parteienvereinbarung begründet wurde, grundsätzlich ausgeschlossen, weil sie dem Zweck der Parteienvereinbarung widerspricht. Im Wesentlichen dann, wenn nachträglich wesentliche, für die Zweckmäßigkeit der Delegierung sprechende Umstände eintreten, auf die die Parteien bei Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht Bedacht nehmen konnten, wird eine Delegation als zulässig angesehen (RIS‑Justiz RS0046198 [T18, T20]).

2.1. Den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bilden zwar keine Hauptleistungsansprüche aus dem Werkvertrag zwischen den Parteien, in dem die Gerichtsstandsvereinbarung getroffen wurde. Allerdings handelt es sich auch bei Streitigkeiten aus Schlechterfüllung um einen typischen Streitfall, der bei Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht unvorhersehbar ist. Damit liegt hier kein Fall vor, der dem zu 4 Nc 15/11k entschiedenen nahekommt. In dieser Entscheidung wurde eine Delegierung ‑ trotz Gerichtsstandsvereinbarung ‑ mit der Begründung bejaht, dass Vertragsparteien bei Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung in einem Werkvertrag über die Reparatur eines Fahrzeugs keine Streitigkeiten vor Augen hätten, die daraus resultieren, dass das zur Reparatur übergebene Fahrzeug beim Werkunternehmer gestohlen wird.

2.2. Die Ansicht von Mayr (Die Delegation im zivilgerichtlichen Verfahren, JBl 1983, 293 [299]; in diesem Sinn auch Schneider in Fasching/Konecny 3 § 31 JN Rz 18), der Vereinbarung des Gerichtsstands oder des Erfüllungsorts sei kein größeres Gewicht beizumessen als der gesetzlichen Zuständigkeit, hat der Oberste Gerichtshof bereits abgelehnt (RIS‑Justiz RS0046198 [T10]).

3. Ungeachtet dieser Rechtsprechung ist zu bedenken, dass bei den eine Delegierung bejahenden Entscheidungen die Beweisnähe und die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Vordergrund stehen (Schneider in Fasching/Konecny 3 § 31 JN Rz 18).

3.1. Der vorliegende Schadenersatzprozess ist dadurch gekennzeichnet, dass hinsichtlich der Beweisaufnahme der Bezug zu Linz (im Vergleich zu Wien) relativ gering ist. Abgesehen vom Sitz der Kanzlei der Beklagtenvertreter hat die beklagte Partei ihren Sitz in Linz, unter dieser Adresse wurde auch die Vernehmung des Geschäftsführers der beklagten Partei und eines Mitarbeiters der beklagten Partei beantragt. Allerdings hat die beklagte Partei auch eine Niederlassung in Wien. Die weiteren acht Personen, deren Vernehmung beantragt wurde, haben ihren Wohnsitz in Wien bzw der Umgebung von Wien (Maria Enzersdorf). Das Objekt, auf das sich der Rechtsstreit bezieht, ist in Wien gelegen, sodass auch ein Ortsaugenschein sowie die Befundaufnahme durch Sachverständige in Wien durchzuführen sind. Ob der Komplexität der Streitthemen und der Vielzahl der zu vernehmenden Personen ist die Durchführung eines Großteils des Beweisverfahrens im Wege einer Videokonferenz aufwändig und nicht unbedingt zielführend.

3.2. Angesichts des Vorliegens doch sehr gewichtiger Gründe, die für die Verfahrensdurchführung in Wien sprechen, erweist sich der Delegierungsantrag trotz bestehender Gerichtsstandsvereinbarung als berechtigt.

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