OGH 6Ob45/14g

OGH6Ob45/14g26.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr.

Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei S*****gmbH, *****, vertreten durch Gheneff ‑ Rami ‑ Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei H***** M*****, vertreten durch Mag. Dr. Irmtraud Oraz, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterlassung und Widerrufs, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 27. Jänner 2014, GZ 4 R 3/14m‑9, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 12. Dezember 2013, GZ 11 Cg 105/13y‑4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts zu lauten hat:

„Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs auf Unterlassung wird dem Beklagten für die Dauer dieses Rechtsstreits aufgetragen, die Verbreitung der wörtlichen und/oder sinngleichen Behauptung, Mitarbeiter der klagenden Partei hätten seiner Mutter schweren körperlichen Schaden zugefügt, indem sie ihr ein Beruhigungsmedikament überdosiert verabreicht hätten, zu unterlassen.“

Die klagende Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig, die beklagte Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin betreibt in P***** ein Seniorenpflegeheim, in dem die Mutter des Beklagten betreut wird. Im Zuge dieser Betreuung wurden ihr auch Medikamente verabreicht.

Am 11. 11. 2013 erschien in der Tageszeitung „K*****“ ein Artikel mit der Überschrift:

„Anzeige gegen Seniorenheim

Sohn einer 74‑jährigen Diabetikerin vermutet schwere Medikamenten‑Überdosis.“

Darunter steht folgender Text:

„Mit schweren Vorwürfen sind Personal und Ärzte des Senioren‑Sozialzentrums der 'S*****'‑Gruppe in P***** in ***** konfrontiert. Dort schaltete der Sohn einer pflegebedürftigen 74‑jährigen Bewohnerin die Staatsanwaltschaft ein. Er und sein Bruder vermuten, dass ihrer Mutter durch ein überdosiertes Beruhigungsmedikament schwerer körperlicher Schaden zugefügt wurde. 'S*****' weist alle Vorwürfe strikt zurück und kündigte eine Verleumdungsklage an. Der geistige und körperliche Verfall von M***** I***** binnen weniger Wochen, in denen sie im P***** Heim war, machte ihren Sohn H***** M***** sehr betroffen. Die Frau war als Diabetikerin wegen der erhofften besseren Betreuung in das Sozialzentrum übersiedelt. Beim Besuch mit einem Freund, der in der Altenbetreuung arbeitet, wurde M***** darauf hingewiesen, dass die Mutter unter schwerem medikamentösen Einfluss steht. Als feststand, dass der Frau ein schwer dämpfendes Medikament verabreicht wurde, schlug M***** Alarm. 'Sie konnte nicht mehr sprechen und sich fast nicht mehr bewegen. Sogar die Schluckfunktion drohte auszufallen. In der Medikamentenbeschreibung wird klar vor Nebenwirkungen bei Diabetikern gewarnt', erzählt er. Das Neuroleptikum wurde abgesetzt. M***** I***** kam ins Spital nach M*****. Innerhalb von zwei Wochen verbesserte sich ihr Zustand etwas. In der Vorwoche wurde sie zurück nach P***** verlegt.

'Unterbesetzung'

M***** hat über die Wiener Anwältin I***** O***** Anzeige wegen des Verdachts der Körperverletzung durch Medikamentenmissbrauch, der Urkundenunterdrückung und Missbrauchs der Amtsgewalt Anzeige erstattet. 'Es scheint, dass chronische personelle Unterbesetzung generell zu höherem Medikamenteneinsatz führt', meint O*****.

Die Behandlung der Bewohnerin mit dem Medikament sei neun Wochen lang nach der von einem Neurologen vorgeschriebenen Dosierung erfolgt, gibt S***** bekannt. Die Frau habe davor unmotiviert laut geschrien und Mitbewohner gestört. Sowohl S***** als auch das Klinikum M***** und Anwältin O***** nahmen Kontakt mit der Patientenanwaltschaft auf.“

Zur Sicherung ihres gleichlautenden, auf § 1330 Abs 1 und Abs 2 ABGB gestützten Unterlassungsbegehrens begehrte die Klägerin, dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten die wörtliche oder sinngleiche Behauptung zu verbreiten, dass ihre Mitarbeiter seiner Mutter schweren körperlichen Schaden zugefügt hätten, indem sie ihr ein Beruhigungsmedikament überdosiert verabreicht hätten. Dem Artikel sei der aus dem Sicherungsbegehren ersichtliche Bedeutungsgehalt beizumessen. Diese Behauptung sei unwahr, weil die für die Mutter des Beklagten zuständigen Mitarbeiter der Klägerin dieser lediglich Medikamente in den von den behandelnden Ärzten verschriebenen Dosen verabreichten. Den Link zu diesem Artikel habe der Beklagte an mehrere Gemeinderäte der Gemeinde P***** versandt.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags. Seine Vermutung beruhe auf wahren Tatsachen. Die Verabreichung des Medikaments Risperdal an seine Mutter und deren schlechter Gesundheitszustand seien ebenso objektiviert wie dessen Besserung nach Absetzung der Medikation, was von der Klägerin auch in einem Interview gegenüber den N***** zugestanden werde. Er werfe dem Heim vor, dass das Personal - „diplomierte Krankenschwester sowie Pflegehelfer“ - nichts unternommen habe, als seine Mutter starke Nebenwirkungen gezeigt habe. Das Personal habe erst etwas unternommen, „als es sah, es könnte etwas eng werden für sie“. Das Medikament sei auf Anordnung der Ärzte Dr. J***** oder Dr. R***** verabreicht worden.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Der inkriminierte Artikel sei nicht in dem Sinn zu verstehen, dass die Klägerin der Mutter des Beklagten definitiv überdosierte Schmerzmittel verabreicht hätte. Vielmehr werde bloß über einen entsprechenden Verdacht des Beklagten berichtet. Den Lesern würden demnach nur Auffassungsunterschiede über die Ursachen des schlechten Gesundheitszustands der Mutter des Beklagten vermittelt. Über diese wahre Tatsache dürfe aber berichtet werden. Im Übrigen sei diese Tatsachenmitteilung dem Beklagten nicht zuzurechnen, weil er gegenüber dem „K*****“ bloß Vermutungen geäußert habe. Die Äußerung einer solchen Vermutung sei vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Schließlich könne dem Artikel nicht der Vorwurf entnommen werden, dass sich die Mitarbeiter der Klägerin nicht an die ärztliche Medikamentendosierung gehalten hätten.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge. Der Schilderung des Zustands der Mutter des Beklagten in dem inkriminierten Artikel sei zu entnehmen, dass diese unter „schwerem medikamentösen Einfluss“ gestanden und ihr ein „schwer dämpfendes Medikament“ verabreicht worden sei. Darüber hinaus sei von der in der Medikamentenbeschreibung enthaltenen Warnung vor Nebenwirkungen bei Diabetikern die Rede. Nach Absetzung des Neuroleptikums habe sich ihr Zustand wieder gebessert. Die vom Beklagten in dem Artikel erhobenen Anschuldigungen enthielten daher im Kern den Vorwurf, dass seiner Mutter durch ein „überdosiertes Beruhigungsmedikament“ von Mitarbeitern der Klägerin ein „schwerer körperlicher Schaden“ zugefügt worden sei. Der bloße Vorwurf der fehlerhaften Überdosierung eines Medikaments sei weder beleidigend noch herabsetzend und damit nicht ehrenrührig, sondern nur kreditschädigend. Die inkriminierte Äußerung sei daher nur nach § 1330 Abs 2 ABGB zu beurteilen. Es wäre an der Klägerin gewesen, die Unwahrheit der Behauptungen zu beweisen. Diesen Beweis habe sie jedoch gar nicht angetreten. Sie habe vorgebracht, die Behauptungen des Beklagten seien unwahr, „weil ihre Mitarbeiter lediglich Medikamente in den von den behandelnden Ärzten verschriebenen Dosen verabreicht hätten“. Damit stelle sie den Kern der Anschuldigungen des Beklagten gar nicht in Abrede, nämlich dass die „ärztliche“ Dosis ‑ insbesondere im Hinblick auf die Diabetes der Patientin ‑ zu hoch gewesen oder die vom Beklagten angesprochenen Wirkungen bzw Nebenwirkungen nicht erkannt worden seien. Dass eine ärztliche Überdosierung und deren fehlende Erkennung außerhalb ihres Verantwortungsbereichs liege, behaupte sie weder in ihrem Sicherungsantrag noch in ihrem Rekurs. Insofern beruhten die Äußerungen des Beklagten auf einem unstrittig wahren Tatsachenkern.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil das Rekursgericht den Bedeutungsgehalt der Äußerungen des Beklagten unzutreffend ermittelte; er ist auch berechtigt.

Der Beklagte hat eine Revisionsrekursbeantwortung nicht erstattet.

Bei Ansprüchen sowohl nach § 1330 Abs 1 ABGB als auch nach § 1330 Abs 2 ABGB ist derjenige aktiv legitimiert, der von den ehrenrührigen (kreditschädigenden) Behauptungen betroffen ist. Das kann auch eine juristische Person ‑ wie eine Gesellschaft mbH ‑ sein, weil auch juristische Personen sowohl einen wirtschaftlichen Ruf haben als auch passiv beleidigungsfähig sind (4 Ob 171/93 mwN; vgl RIS-Justiz RS0031845; RS0008985). Eine Gefährdung des Rufs einer juristischen Person kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die über die eine physische Person verbreiteten Tatsachen mit dem Betrieb des Unternehmens in einem unmittelbaren Zusammenhang und daher auch auf das Unternehmen selbst bezogen werden können. Das gleiche gilt bei ehrenrührigen Behauptungen; auch hier ist die juristische Person als Betroffene aktiv legitimiert, wenn der eben erwähnte Zusammenhang besteht und die Behauptungen daher auch auf das Unternehmen selbst bezogen werden können (4 Ob 171/93).

Noch zutreffend hat das Rekursgericht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Obersten Gerichthofs zum Begriff der Tatsachen im Sinn des § 1330 Abs 2 ABGB (RIS-Justiz RS0032212; in Vermutungs- oder Verdachtsform: RIS-Justiz RS0031816; RS0032494) und zur Ermittlung des Bedeutungsgehalts einer Äußerung (RIS-Justiz RS0115084; RS0031883; RS0032489) erkannt, dass die dem Zeitungsartikel zu entnehmenden Aussagen des Beklagten, die er nicht bestritten hat, bedeuten, dass dieser die Tatsache behauptet, dass Mitarbeiter der Klägerin seiner Mutter durch Verabreichung eines überdosierten Beruhigungsmedikaments schweren körperlichen Schaden zufügten. Unzutreffend ist aber die Beurteilung des Rekursgerichts, der Beklagte behaupte bloß eine „fehlerhafte“ Überdosierung. Sie vernachlässigt, dass der Beklagte auch mitteilte, über seine Rechtsanwältin wegen dieses Sachverhalts Anzeige wegen Verdachts der „Körperverletzung durch Medikamentenmissbrauch“ bei der Staatsanwaltschaft erstattet zu haben. Er erhebt nach dem Bezugszusammenhang seiner Äußerungen den Vorwurf, Personal der Klägerin habe seiner Mutter ein schwer dämpfendes Medikament bewusst überdosiert verabreicht, worin der Medikamentenmissbrauch liegt, und dadurch zumindest fahrlässig schweren körperlichen Schaden zugefügt. Dieser strafrechtliche Vorwurf ist nicht nur kreditschädigend, sondern auch eine Ehrenbeleidigung (§ 1330 Abs 1 ABGB), beeinträchtigt es doch die soziale Wertschätzung (vgl 6 Ob 37/95 SZ 69/12; Reischauer in Rummel , ABGB³ § 1330 Rz 1) des Betreibers eines Pflegeheims erheblich, wenn seinem Personal Medikamentenmissbrauch durch bewusste Überdosierung unterstellt wird.

Ist die Rufschädigung (§ 1330 Abs 2 ABGB) gleichzeitig Ehrenbeleidigung, so trifft den Beklagten die Beweislast für die Wahrheit der beanstandeten Behauptung (RIS‑Justiz RS0031798). Den Beweis einer bewussten Überdosierung hat der Beklagte nicht angetreten.

Der verschuldensunabhängige Anspruch der Klägerin auf Unterlassung der herabsetzenden Äußerung (RIS-Justiz RS0031682) kann durch einstweilige Verfügung gesichert werden, ohne dass es einer gesonderten Gefahrenbescheinigung nach § 381 Z 2 EO bedurfte (vgl RIS‑Justiz RS0011399).

Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten des Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 Abs 1 ZPO.

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