OGH 10Ob34/13t

OGH10Ob34/13t4.11.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenientin F***** AG in Abwicklung, *****, vertreten durch Neumayer, Walter & Haslinger, Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei M***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 33.366,07 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. Mai 2013, GZ 1 R 25/13y‑31, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag der Nebenintervenientin auf Zuspruch der Kosten ihrer Eingabe vom 15. 7. 2013 wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof hat zur Frage der Zurechnung eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens (WPDLU) zur ausführenden Bank bereits in der Entscheidung 4 Ob 129/12t Stellung genommen:

1.1. Wird ein Vermögensberater von einem anderen Wertpapierdienstleister ständig mit der Vermittlung von bestimmten Anlageprodukten betraut, so entsteht dadurch ein wirtschaftliches Naheverhältnis, das es (ungeachtet einer eigenen vertraglichen Verpflichtung des Beraters gegenüber dem Kunden) rechtfertigt, ein Verschulden des Beraters nach § 1313a ABGB der Bank zuzurechnen. Denn diese ständige Betrauung begründet zusammen mit der regelmäßig produkt- und umsatzabhängigen Provision die Gefahr, dass der Vermittler nicht mehr ausschließlich oder doch überwiegend im Interesse des Kunden tätig wird, sondern auch andere Erwägungen ‑ insbesondere die Maximierung des eigenen Gewinns ‑ in seine Tätigkeit einfließen lässt. Dies erfolgt im Interesse der Bank, die den Vertrieb ihrer Produkte vertraglich auslagert und so die Vorteile der Arbeitsteilung für sich in Anspruch nimmt. Zwar kann eine Bank im Allgemeinen darauf vertrauen, dass ein vom Kunden beigezogener Berater den Kunden ausreichend berät, sodass sie insofern keine eigenen Pflichten treffen und ihr (daher) auch ein allfälliges Verschulden des Beraters nicht zuzurechnen ist. Das gilt aber nur dann, wenn sie auf eine objektive Beratung vertrauen darf. Letzteres trifft nicht zu, wenn der Berater mit der Bank in einer ständigen Geschäftsbeziehung steht („Vertriebspartner“), sein wirtschaftlicher Erfolg somit (auch) vom Ausmaß der Vermittlung ihrer Produkte abhängt und daher sein Interesse an der Vermittlung der Verträge grundsätzlich mit jenem der Bank an deren Abschluss parallel läuft. Ist ein Berater derart in die Interessenverfolgung der Bank eingebunden, bleiben deren Beratungspflichten mangels legitimen Vertrauens auf eine objektive Beratung durch einen Dritten aufrecht. Damit ist der Berater der Bank aber nicht nur irrtumsrechtlich zuzurechnen, sondern die Bank haftet auch für Schäden aufgrund von dessen Verhalten bei der Vermittlung der Anlage (so auch Graf, Bank haftet für ständig betrauten Vertriebspartner, ecolex 2013, 762 ff [765], wo er aus der zitierten Entscheidung Folgendes ableitet: „Besteht die Gefahr, dass der vorgeschaltete Rechtsträger den Kunden nicht objektiv berät, bleibt die nachgeschaltete Bank beratungspflichtig und haftet für ein Verschulden des Beraters“).

1.2. Diese Rechtsansicht wurde in 8 Ob 104/12w (P 2.1. der Begründung) bestätigt. In der Entscheidung 2 Ob 24/13p, die kritische Stellungnahmen der Lehre zu diesem Thema aufzeigt, wurde eine Zurechnung des Wertpapierberaters zur beklagten Bank auf Grundlage der eben zitierten beiden Vorentscheidungen (wenn auch ‑ unter Berücksichtigung der konkreten Fallgestaltung ‑ nicht bloß auf die Vertriebspartnerschaft zwischen Bank und dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen gestützt) ebenfalls bejaht.

2. Auch das Berufungsgericht hat auf diese Rechtsprechung (4 Ob 129/12t) verwiesen. Die Frage, ob die erforderliche wirtschaftliche Nahebeziehung zwischen dem WPDLU und der Depotbank aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls als gegeben anzusehen ist, stellt aber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar.

3. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass sich eine ausreichende Grundlage für eine solche Zurechnung im Sinn der jüngeren Rechtsprechung schon aus den unbekämpften Feststellungen des Ersturteils (zum Vertrieb der MEL-Zertifikate über Vertriebspartner der 100%igen Vertriebstochter der beklagten Bank) ergebe ‑ und zwar auch bei einer „Zurechnungs-Staffel“ ‑ ist zumindest vertretbar. Entgegen der Ansicht der Beklagten wird in den oben erwähnten Entscheidungen nämlich kein „Auftragsverhältnis“ zwischen dem WPDLU und der Bank vorausgesetzt.

4. Im vorliegenden Fall hat die (unmittelbare) Vertriebspartnerin der Beklagten (nämlich ihre ‑ zwecks Vertriebs von MEL-Zertifikaten gegründete ‑ 100%ige Tochter) mit anderen konzessionierten WPDLU selbständige Vertriebspartnerverträge abgeschlossen. Einer der „vier großen Vertriebspartner“ der 100%igen Vertriebstochter der beklagten Bank war die F***** AG; ‑ unter deren „Haftungsdach“ war (auch) die a***** gesmbH, eine Vertriebspartnerin der 100%igen Vertriebstochter der beklagten Bank.

4.1. Die Finanzberatung des Klägers erfolgte durch den Vertreter dieser (mittelbaren) Vertriebspartnerin. Die Beurteilung, dass die (Fehl-)Beratung durch dieses WPDLU der Beklagten zuzurechnen sei (das Berufungsgericht spricht hier von einer „Zurechnungs-Staffel“), ist vertretbar und nicht korrekturbedürftig: War doch dieses WPDLU in die Interessenverfolgung der Beklagten eingebunden, wobei die unmittelbare Vertriebspartnerin der Beklagten als Bindeglied zwischen der Beklagten und den mittelbaren Vertriebspartnern fungierte.

5. Davon abgesehen ist die Beurteilung der Beratungs- und Aufklärungspflichten von Banken schon grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls. Gegenteiliges gilt ‑ nach ständiger Rechtsprechung ‑ nur dann, wenn eine grobe Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (RIS-Justiz RS0106373; zuletzt 9 Ob 16/13p; 9 Ob 50/12m mwN). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

5.1. Nach den ‑ im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbaren ‑ Feststellungen wurde der Kläger von seinem Berater anhand der Informationen auf den Veranstaltungen der 100%igen Vertriebstochter der Beklagten aufgeklärt, wo die Darstellung des Produkts ‑ jeweils ohne Eingehen auf die Risiken ‑ im Vordergrund stand. Außerdem erfolgte die Entlohnung des Beraters aufgrund der ständigen Vertriebspartnerschaft zwischen der Vertriebstochter der Beklagten und der F***** AG (unter deren „Haftungsdach“ die a***** gesmbH tätig war) auch nicht unabhängig von den vermittelten Produkten. Der wirtschaftliche Erfolg der a***** gesmbH war also (auch) vom Ausmaß der Vermittlung von MEL-Zertifikaten abhängig, wodurch das Interesse des Beraters an der Vermittlung der Verträge grundsätzlich mit jenem der Bank an deren Abschluss parallel lief. Die Beklagte durfte daher (eben) nicht auf eine objektive Beratung vertrauen, sondern musste erkennen, dass die Beratung der Kunden ‑ nach der erteilten Information ‑ (systematisch) irreführend erfolgen werde. Dass diese Umstände ‑ im Sinn eines von der Beklagten (bewusst) herbeigeführten Beratungsfehlers ‑ auch Einfluss auf die Anlageentscheidung des Klägers hatten, ist evident. Ihre Haftung aus der Verletzung der Beratungspflicht ist also schon deshalb zu bejahen, weil die Beklagte aufgrund der Vertriebskonstruktion ‑ mit vehementem Eigeninteresse der Vertriebspartner am Bestand des Naheverhältnisses zur Beklagten ‑ zumindest Anhaltspunkte dafür hatte, dass die WPDLU ihre Pflichten nicht erfüllen (RIS-Justiz RS0128476; RS0026135 [T34]; RS0029601 [T28]).

6. Inwieweit sich ein Anleger ein Mitverschulden am Scheitern seiner Veranlagung anrechnen lassen muss, etwa weil er Risikohinweise nicht beachtet hat, oder eine grobe Pflichtverletzung des Beraters dieses in den Hintergrund treten lässt, ist ebenfalls aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und begründet daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0102779 [T8]; RS0078931). Auch die Verneinung eines Mitverschuldens durch die Vorinstanzen begegnet im vorliegenden Einzelfall keinen Bedenken. Es stellt eine vertretbare Beurteilung des Berufungsgerichts dar, dass dem Kläger (aufgrund der Unerfahrenheit bei Veranlagungen und der mündlichen Zusicherungen des Beraters über die Sicherheit des Investments) nicht als Mitverschulden anzurechnen ist, dass er die ganz klein gedruckten Risikohinweise im Beratungsprotokoll nicht gelesen hat (RIS-Justiz RS0102779 [T11]).

7. Die Behauptungs- und Beweislast für die Wahl und Entwicklung einer hypothetischen Alternativanlage trifft den klagenden Anleger unter der Voraussetzung, dass er bei korrekter Beratung überhaupt veranlagt hätte, wovon bei einem vorgefassten Anlageentschluss auszugehen ist (RIS‑Justiz RS0022862 [T5]). An diesen Nachweis sind aber keine zu strengen Anforderungen zu richten (RIS-Justiz RS0022862 [T6]). Demgemäß genügt ‑ entgegen der Rechtsansicht der Beklagten ‑ die Feststellung, eine Alternativanlage hätte dem Kläger zumindest das Kapital erhalten, den Anforderungen an den Beweis des hypothetischen Kausalverlaufs. Den Nachweis, dass ein anderer Verlauf wahrscheinlicher sei, hat die Beklagte nicht erbracht (vgl 4 Ob 67/12z).

Die außerordentliche Revision ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

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