OGH 1Ob117/13g

OGH1Ob117/13g17.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr.

Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L***** W*****, vertreten durch GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer Rechtsanwälte OG in Linz, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 3. April 2013, GZ 15 R 77/13v‑63, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 4. Jänner 2013, GZ 38 Pu 260/12v‑52, teils bestätigt, teils aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0010OB00117.13G.1017.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Vaters auf Zuspruch von Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Vater verpflichtete sich gegenüber dem Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Kindes in Unterhaltssachen am 14. 8. 2003 zu einem monatlichen Unterhalt von 160 EUR ab 22. 1. 2003. Am 27. 3. 2007 beantragte die Mutter als gesetzliche Vertreterin des Kindes, den Vater ab 1. 8. 2004 zu einer angemessenen erhöhten Unterhaltsleistung zu verpflichten. Der Vater berief sich in seiner Stellungnahme zu diesem Antrag insbesondere auf die Leistung von Unterhaltsvorauszahlungen.

Das Erstgericht erhöhte mit Beschluss vom 18. 10. 2007 die monatliche Unterhaltsleistung ab 1. 8. 2004 gestaffelt auf 165 EUR bis zuletzt 176 EUR ab 1. 7. 2007.

Im August/September 2012 beantragte der Minderjährige die Erhöhung des monatlichen Unterhalts auf 360 EUR ab 1. 9. 2012. In seiner Äußerung behauptete der Vater neuerlich, Unterhaltsvorauszahlungen von insgesamt 34.560 EUR geleistet zu haben, weshalb der Minderjährige über ein hinreichendes Vermögen oder ein eigenes Einkommen von zumindest 50 EUR verfüge. Die mit Beschluss vom 18. 10. 2007 festgelegte Unterhalts-verpflichtung von 176 EUR monatlich habe er durch die gesonderte Überweisung des Differenzbetrags von jeweils 16 EUR pünktlich bezahlt.

Am 3. 1. 2013 stellte der Minderjährige den Antrag, den monatlichen Unterhaltsbetrag auf 237 EUR (2010), 238 EUR (2011), 252 EUR (2012) sowie 280 EUR ab 1. 2. 2013 zu erhöhen und ihm 4 % aus dem Rückstand zuzusprechen. Der Vater verwies auf seine bisherigen Stellungnahmen sowie neuerlich auf geleistete Unterhaltsvorauszahlungen, die er mit 40.320 EUR bezifferte. Damit sei ein monatlicher Unterhaltsbetrag von 160 EUR bis einschließlich Dezember 2024 gedeckt worden. Der Minderjährige habe aus seinem Vermögen einen Ertrag von 100 EUR monatlich.

Das Erstgericht gab dem Unterhaltserhöhungsantrag des Kindes zur Gänze statt. Es verpflichtete im Leistungsbefehl den Vater, dem Kind die festgesetzten Unterhaltsbeträge jeweils am Ersten eines Monats im Voraus sowie die bereits fällig gewordenen Beträge zuzüglich 4 % Zinsen für den Rückstand vom jeweiligen Fälligkeitstag binnen 14 Tagen ab Zustellung dieses Beschlusses zu Handen der Mutter zu zahlen. In seiner rechtlichen Beurteilung führte es zu der (im Revisionsrekursverfahren ausschließlich strittigen Unterhaltsvorauszahlung) aus, diese sei nicht relevant. Bereits der bisherige Unterhaltsbetrag von 176 EUR übersteige eine allfällig geleistete monatliche Unterhaltsvorauszahlung.

Der Vater bekämpfte die ausgesprochene Erhöhung seiner Unterhaltsverpflichtung, soweit diese 215 EUR (2010), 220 EUR (2011), 230 EUR (1. 1. 2012 bis 31. 1. 2013) und 225 EUR ab 1. 2. 2013 überstieg. Gegen den Leistungsbefehl wendete er seine angeblich geleisteten Unterhalts‑(Voraus‑)zahlungen ein.

Das Rekursgericht gab seinem Rekurs teilweise Folge. Es bestätigte den angefochtenen Beschluss in der Festsetzung der monatlichen Unterhaltsverpflichtung und hob ihn ausschließlich im Leistungsbefehl zur Verfahrensergänzung durch das Erstgericht auf. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nur gegen den aufhebenden Teil seiner Entscheidung zulässig sei. Zu der Frage, ob die Entgegennahme einer Unterhaltsvorauszahlung auch für einen längeren Zeitraum als Akt der außerordentlichen Vermögensverwaltung vom Pflegschaftsgericht genehmigt werden müsse, existiere keine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichtete Revisionsrekurs des Kindes ist entgegen dem nach § 71 Abs 1 AußStrG nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

1. Der Vater hat als Unterhaltsschuldner im Hinblick auf § 35 EO Anspruch darauf, dass die zum Grund des Anspruchs gehörende Frage geklärt wird, in welchem Ausmaß er die ihm auferlegte Leistung bereits erbracht hat und ob bestimmte Zahlungen als Erfüllung der auferlegten Unterhaltsverpflichtung zu berücksichtigen sind (RIS‑Justiz RS0000588 [T2]). Wenn Zahlungen vor Schaffung des Titels geleistet wurden, darf ihm grundsätzlich keine höhere Unterhaltsverpflichtung auferlegt werden, als sie sich unter Berücksichtigung dieser Zahlungen ergibt, zumal im Exekutionsverfahren gemäß § 35 Abs 1 EO diese in der Vergangenheit geleisteten Zahlungen nicht mit Einwendungen gegen den Anspruch geltend gemacht werden können (aaO [T3]).

2. Wie schon das Rekursgericht zutreffend dargelegt hat, muss daher geklärt werden, welche Unterhalts‑(voraus‑)zahlungen der Vater mit schuldbefreiender Wirkung an die Mutter des Minderjährigen, die unstrittig dessen gesetzliche Vertreterin ist, geleistet hat.

3. Nach der durch das KindRÄG 2001, BGBl I 2001/135, neu gefassten Bestimmung des § 234 ABGB (nunmehr in der Fassung des KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15: § 224 ABGB) kann der gesetzliche Vertreter 10.000 EUR übersteigende Zahlungen an das minderjährige Kind nur entgegennehmen und darüber quittieren, wenn er dazu vom Gericht im Einzelfall oder allgemein ermächtigt wurde. Fehlt eine solche Ermächtigung, so wird der Schuldner durch Zahlung an den Vertreter von seiner Schuld nur befreit, wenn das Gezahlte noch im Vermögen des minderjährigen Kindes vorhanden ist oder für seine Zwecke verwendet wurde.

4. Der 7. Senat des Obersten Gerichtshofs hat mehrfach ausgesprochen, dass § 234 ABGB auch für obsorgeberechtigte Eltern eines minderjährigen Kindes gilt (7 Ob 24/08t = SZ 2008/45 [dazu krit Holzner , Pflegschaftsgerichtliche Genehmigung für Leistungen an die Eltern des minderjährigen Gläubigers?; JBl 2009, 63; Schmaranzer , Schuldbefreiende Leistung an minderjährige Gläubiger auch ohne pflegschaftsgerichtliche Ermächtigung? Zak 2012/623, 323; Geroldinger in der Glosse zu 2 Ob 3/12y, JBl 2013, 314]; 7 Ob 156/11h). Gegenteilig entschied der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 3/12y. Dieser zu RIS‑Justiz RS0123501 dokumentierten Judikaturkontroverse kommt aber im konkreten Fall aufgrund des Vorbringens des zahlungspflichtigen Vaters keine Bedeutung zu.

5. Diesem ist nicht zu entnehmen, dass er tatsächlich eine oder mehrere Einmalzahlung(en) in einem 10.000 EUR übersteigenden Betrag geleistet hat, sprach er doch wiederholt davon, monatliche Unterhaltsbeträge von 160 EUR über insgesamt 34.060 EUR vorausbezahlt zu haben. Signifikant ist es, dass er zum Nachweis dieser angeblichen Vorauszahlungen für jeden Monat Einzelbestätigungen vorlegte, mit denen für den jeweiligen Fälligkeitsmonat der Erhalt eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 160 EUR quittiert wurde. Sollte sein Vorbringen einer anderen Interpretation in Richtung Leistung einer Einmalzahlung von 34.560 EUR zugänglich sein, so stünden seine eigenen Behauptungen zur Vermögensbildung durch Anlage dieses Geldbetrags zugunsten des Minderjährigen einer Anwendung des § 234 (§ 224 in der geltenden Fassung) ABGB entgegen. Nach dem zweiten Satz der zitierten Bestimmung sind Zahlungen an den gesetzlichen Vertreter nämlich auch ohne pflegschaftsgerichtliche Genehmigung schuldbefreiend, wenn der gezahlte Betrag noch im Vermögen des minderjährigen Kindes vorhanden ist oder für seine Zwecke verwendet wurde. Die aufgezeigte Judikaturdivergenz ist demnach schon angesichts des Vorbringens des unterhaltspflichtigen Vaters von nur theoretischer Bedeutung. Es ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs, abstrakte Rechtsfragen zu klären (RIS‑Justiz RS0111271).

6. Auch wenn § 234 ABGB auf die Entgegennahme und Quittierung von Zahlungen durch obsorgeberechtigte Eltern nicht anzuwenden wäre, müsste an sich überprüft werden, ob die Entgegennahme von Unterhaltsvorauszahlungen eine Maßnahme der außerordentlichen Verwaltung (hier durch die allein obsorgeberechtigte Mutter) ist, die im Sinn des § 154 Abs 3 (seit dem KindNamRÄG 2013: § 167 Abs 3) ABGB jedenfalls einer Genehmigung durch das Pflegschaftsgericht bedarf, um schuldbefreiend zu wirken.

7. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 3 Ob 204/02z (= RIS‑Justiz RS0000166 [T4]) ausgesprochen, dass eine (angeblich 1984 erfolgte) Unterhaltsvorauszahlung des unterhaltspflichtigen Vaters mangels pflegschaftsbehördlicher Genehmigung nicht als Zahlung an das Kind beurteilt werden könne, dies jedoch ohne Begründung. Die gegenteilige Auffassung findet sich in zweitinstanzlichen Entscheidungen des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien (EFSlg 45.796; EFSlg 56.716; EFSlg 99.899). Nademleinsky (in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 154 ABGB Rz 18) zitiert die ersten beiden Entscheidungen als Fälle der ordentlichen Verwaltung.

8. Vereinbarungen zwischen den Eltern über den gesetzlichen Unterhaltsanspruch eines minderjährigen Kindes bedürfen zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Unterhaltsberechtigten der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung (stRsp RIS‑Justiz RS0047552 [T7]; RS0047342; Zur Unterscheidung zu Vereinbarungen über die interne Verteilung der Unterhaltslast, die mangels Genehmigung nur die Eltern als Vertragsparteien binden: vgl 2 Ob 234/07m mwN; Weitzenböck in Schwimann , ABGB‑TaKomm² § 140 ABGB Rz 4 f).

9. Die Zahlung des festgesetzten monatlichen Unterhaltsbetrags zum Fälligkeitstermin an einen zur Entgegennahme berechtigten gesetzlichen Vertreter des Unterhaltsberechtigten (§ 1424 Satz 1 ABGB) ist die Erfüllung einer Verbindlichkeit. Die Erfüllungshandlung ist kein Rechtsgeschäft, bei dem Erfüllung angeboten und angenommen wird (RIS‑Justiz RS0033273; 2 Ob 12/10v = SZ 2011/9; vgl Heidinger in Schwimann/Kodek 4 , § 1412 ABGB Rz 1 ff; Koziol in KBB³ § 1412 ABGB Rz 2 je mwN). Ein Gläubiger ist zwar nach § 1413 ABGB nicht verpflichtet, Zahlungen vor dem Fälligkeitstermin anzunehmen (1 Ob 658, 660/78 = SZ 51/103; Heidinger aaO, § 1413 ABGB Rz 1). Im Fall der Annahme wirkt die Zahlung jedoch schuldbefreiend.

10. Es ist zu bezweifeln, dass die Entgegennahme der Zahlung noch nicht fälliger monatlicher Unterhaltsbeträge durch den gesetzlichen Vertreter des minderjährigen Kindes, als Vereinbarung zwischen den Eltern über den gesetzlichen Unterhaltsanspruch des Kindes anzusehen wäre, deren Wirksamkeit für das Kind im Sinne der zitierten Rechtssprechung (Punkt 8) die Erteilung einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung voraussetzt, wenn sie den gesetzlichen Unterhaltsanspruch des Kindes nicht beeinflusst.

11. Die Frage, ob die Entgegennahme von Unterhaltsvorauszahlungen als nicht dem ordentlichen Wirtschaftsbetrieb zuzuordnende Vermögensangelegenheit anzusehen wäre, die nach § 154 Abs 3 ABGB idF vor dem KindNamRÄG 2013 einer Genehmigung durch das Pflegschaftsgericht bedurft hätte, muss im konkreten Fall angesichts des unbestimmt gehaltenen Vorbringens des Vaters zu seinen angeblichen Zahlungen derzeit nicht abschließend beantwortet werden. Die Zuordnung einer Angelegenheit zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb richtet sich grundsätzlich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (6 Ob 240/10b = RIS‑Justiz RS0048151 [T6], vgl Weitzenböck in Schwimann , ABGB‑TaKomm² § 154 ABGB Rz 12 f). Zunächst muss geklärt werden, welche, für die Unterhaltsfestsetzung ab 1. 1. 2010 relevanten Zahlungen der Vater (zu welchem Zeitpunkt) tatsächlich an die obsorgeberechtigte Mutter geleistet hat. Dazu dient die vom Rekursgericht angeordnete Verfahrensergänzung.

12. Aus derzeitiger Sicht sind demnach keine konkreten Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung zu beantworten, weshalb der Revisionsrekurs des Minderjährigen zurückzuweisen ist.

13. Nach § 101 Abs 2 AußStrG findet im Verfahren über Unterhaltsansprüche eines minderjährigen Kindes ein Kostenersatz nicht statt. Der Antrag des Vaters auf Zuspruch von Kosten für den Revisionsrekurs ist deshalb zurückzuweisen.

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