OGH 9ObA43/13h

OGH9ObA43/13h27.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Mag. Ernst Bassler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** F*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung eines aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 2013, GZ 9 Ra 90/12i‑27, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils abgeändert.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 2.745,36 EUR (darin 457,56 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.976,94 EUR (darin 329,49 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit ihrer am 17. 12. 2010 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Feststellung eines aufrechten Dienstverhältnisses zur Beklagten über den 31. 3. 2011 hinaus, hilfsweise, die am 22. 10. 2010 erklärte Kündigung der Klägerin für rechtsunwirksam zu erklären. Sie sei seit 4. 7. 1994 als Arbeiterin bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Sie habe die Prüfung zur Straßenbahnfahrerin absolviert und sei als solche auch eingesetzt worden, seit 3. 8. 2009 aufgrund ihrer chronischen Darmerkrankung jedoch als Bürohelferin im Innendienst der Beklagten tätig gewesen. Ihr sei ein Grad der Behinderung von 30 % durch das Bundessozialamt zuerkannt worden. Als Vertragsbedienstete verfüge sie über den Kündigungsschutz der Vertragsbedienstetenordnung 1995 (VBO 1995). Der von der Beklagten behauptete Kündigungsgrund der Dienstunfähigkeit liege nicht vor, weil sie weiterhin in der Lage sei, ihre Dienstpflichten als Bürohelferin zu verüben. Diese Tätigkeit sei nicht als bloß vorübergehend anzusehen, sondern habe eine klare Versetzung bzw Konkretisierung ihrer Vertragspflichten dargestellt, mit der sie auch einverstanden gewesen sei. Die Beklagte sei nach den Grundsätzen der sozialen Gestaltungspflichten auch verpflichtet, eine adäquate Beschäftigungsmöglichkeit für sie bereitzustellen. Die Beklagte beschäftige rund 60.000 Mitarbeiter in den verschiedensten Bereichen der öffentlichen Verwaltung sowie im Bereich der ausgelagerten Betriebe, sodass die Weiterbeschäftigung der Klägerin jedenfalls möglich sei. Die Kündigung widerspreche aufgrund ihrer Erkrankung auch der Diskriminierungsschutzbestimmung des § 4a VBO 1995.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ‑ soweit revisionsgegenständlich ‑ ein, die Klägerin sei als Straßenbahnfahrerin verwendet worden und könne die damit verbundenen Pflichten nicht mehr erfüllen. Mit dem Einsatz als Bürohelferin sei keine Verwendungsänderung verbunden gewesen. Fahrdienstbeschäftigte Mitarbeiter, die vorübergehend nicht fahrtauglich, aber dienstfähig seien, würden für die Dauer ihrer Fahruntauglichkeit als Bürohelfer eingesetzt. Die Verwendung der Klägerin als Bürohelferin sei bloß vorübergehend erfolgt. Der Kündigungsgrund des § 42 Abs 2 Z 2 VBO sei daher erfüllt. Die behauptete Diskriminierung liege nicht vor.

Das Erstgericht stellte den aufrechten Bestand des Dienstverhältnisses der Klägerin zur Beklagten über den 31. 3. 2011 hinaus fest. Dem legte es zusammengefasst folgenden Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin füllte Anfang 1994 im damaligen Personalbüro der Wiener Linien einen Personalfragebogen aus. Der zuständige Sachbearbeiter teilte ihr mit, dass aktuell kein Personalbedarf bestünde. Anlässlich dieses Gesprächs wurde nicht darüber gesprochen, welche Tätigkeiten die Klägerin bei den Wiener Linien ausüben könnte. Einige Zeit später wurde sie von der Beklagten gefragt, ob sie zur Ausbildung zur Straßenbahnfahrerin bereit sei. Nach Absolvierung eines medizinischen Eignungstests unterfertigte sie am 4. 7. 1994 einen Dienstvertrag, der auszugsweise lautete:

„Der/die Dienstnehmer/in wird als Arbeiter/in in das Schema III, Verwendungsgruppe 4, Dienstklasse der Besoldungsordnung 1967 in der für die Vertragsbediensteten geltenden Fassung eingereiht und erhält den Gehalt der Gehaltsstufe 1 mit Vorrückungsstichtag 4. 7. 1994.“

Nach Absolvierung der notwendigen Ausbildungskurse wurde die Klägerin bei der Beklagten als Straßenbahnfahrerin beschäftigt. Im Oktober 1994 wurde sie im Schema 3 der Besoldungsordnung 1967 „als Straßenbahnfahrerin in die Verwendungsgruppe 2“ überstellt. In der Folge arbeitete sie bis Mai 2009 mit Ausnahme einer schwangerschafts- und karenzbedingten Unterbrechung als Straßenbahnfahrerin. Mit Schreiben vom 23. 10. 2007 und 1. 9. 2009 wurde der Klägerin von der Beklagten mitgeteilt, dass ihre Krankenstände überhöht seien. Die Klägerin litt seit längerer Zeit an einer Reizdarmsymptomatik und immer wieder an Durchfall. Da sich ihr Gesundheitszustand im Jahr 2009 verschlechterte und die Ursache trotz Untersuchungen im Krankenhaus nicht gefunden werden konnte, gelangte die Direktionsärztin der Beklagten am 29. 7. 2009 zur Einschätzung, dass die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen im Leichtdienst (nur Innendienst mit der Möglichkeit, jederzeit eine Toilette aufzusuchen), aktuell jedoch nicht als Straßenbahnfahrerin einsetzbar sei. Dies teilte sie der Personalabteilung mit dem weiteren Vermerk „Wiedervorstellung Bekanntgabe (bis 10. 8. 2009) des weiteren Therapieverlaufs“ mit.

Die Klägerin war ab 3. 8. 2009 an ihrer Dienststelle als Bürohelferin im Innendienst tätig. Weder die Vorgesetzten an der Dienststelle noch ein Mitarbeiter der Personalabteilung besprachen mit ihr, wie lange die Verwendung als Bürohelferin dauern sollte. An der Dienststelle der Klägerin waren in der Regel bis zu drei oder vier Mitarbeiter im sogenannten Leichtdienst tätig, die Anzahl variierte. Es handelte sich dabei um Mitarbeiter, die aus gesundheitlichen oder disziplinären Gründen vorübergehend nicht über eine Fahrberechtigung verfügten. An der Dienststelle der Klägerin war mehrere Jahre hindurch ein begünstigt behinderter Mitarbeiter dauerhaft als Bürohelfer eingesetzt, der auch Botengänge verrichtete. Am 20. 8. 2009, 27. 10. 2009 und 26. 1. 2010 hatte die Klägerin jeweils Termine bei der Direktionsärztin. Der Klägerin war bewusst, dass diese Termine den Zweck hatten, ihre Fahrtauglichkeit zu beurteilen. Die Direktionsärztin kam jeweils zum Ergebnis, dass die Klägerin weiterhin nur für den Leichtdienst mit der Möglichkeit, jederzeit eine Toilette aufsuchen zu können, geeignet sei und teilte dies der Personalabteilung mit.

Nach weiteren Terminen am 18. 3. 2010 und am 5. 5. 2010, die zur selben Einschätzung der Direktionsärztin führten, leitete die Personalabteilung im Mai 2010 ein Kündigungsverfahren ein. Die Personalvertretung widersprach der beabsichtigten Kündigung und ersuchte, den Behandlungsverlauf abzuwarten und gegebenenfalls die Klägerin auf einem geeigneten Arbeitsplatz einzuschulen. Die Kündigung wurde nicht weiter verfolgt. Mit Bescheid vom 16. 6. 2010 sprach das Bundessozialamt aus, dass der Grad der Behinderung der Klägerin 30 % betrage.

Nach zwei weiteren Untersuchungen am 11. 6. 2010 und am 2. 9. 2010, die keine Änderungen in der Einschätzung der Einsetzbarkeit der Klägerin brachten, leitete die Beklagte neuerlich ein Kündigungsverfahren ein, das wiederum von der Personalvertretung beeinsprucht wurde. Daher fragte eine Mitarbeiterin der Personalabteilung der Beklagten bei der Abteilung Interne Dienste an, ob es für die Klägerin in dieser Abteilung eine Einsatzmöglichkeit gebe. Das wurde von der zuständigen Bearbeiterin für Bürohelfer verneint. Die Abteilung Interne Dienste ist der Direktion der Beklagten zugeordnet. Diese Abteilung hat ca. 50 Mitarbeiter im Bürodienst, die in verschiedene Abteilungen entsendet werden. Weitere Einsatzmöglichkeiten der Klägerin bei der Beklagten wurden nicht geprüft. Mit Schreiben vom 22. 10. 2010 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis gemäß § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 zum 31. 3. 2011 mit der Begründung, dass die Klägerin für die Erfüllung ihrer Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet sei.

Außer Streit steht, dass der Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Tätigkeit als Straßenbahnfahrerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht möglich war, ihr die Tätigkeit als Bürokraft jedoch unter der Voraussetzung möglich ist, dass sie jederzeit eine Toilette aufsuchen kann.

Im Hinblick auf die Frage der Dienstunfähigkeit führte das Erstgericht aus, aufgrund des Zeitpunkts der Kündigung sei die Klägerin seit mehr als einem Jahr nicht mehr als Straßenbahnfahrerin tätig gewesen, sondern für Bürohelfertätigkeiten herangezogen worden. Es könne nicht mehr von einer „vorübergehenden“ Besorgung anderer Geschäfte ausgegangen werden. Vielmehr liege in der von der Beklagten angeordneten und von der Klägerin vorbehaltlos akzeptierten Verwendungsänderung eine zeitlich unbefristete Änderung der Verwendung vor. Gegenüber der Klägerin sei auch nicht zum Ausdruck gebracht worden, dass die Verwendungsänderung unter einem ‑ und allenfalls welchem - Vorbehalt stünde. Der Einwand der Beklagten, dass an Bürohelfern kein Bedarf bestehe, gehe ins Leere. Die Beklagte habe die Klägerin über ein Jahr als Bürohelferin tatsächlich verwendet. Darauf, dass die Kündigung ausgesprochen worden sei, weil aufgrund einer Änderung des Arbeitsumfangs, der Arbeitsbedingungen oder der Organisation des Dienstes im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung kein Bedarf mehr bestanden habe, habe sich die Beklagte nicht berufen. Sie sei im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht verhalten, der Klägerin unter Zuhilfenahme organisatorischer Maßnahmen auch leichtere Arbeiten zuzuweisen. Der Kündigungsgrund des § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 sei nicht verwirklicht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Haupt‑ und das Eventualbegehren ab. Für den zitierten Kündigungsgrund sei der Umfang der Dienstpflicht der Klägerin wesentlich, die aufgrund der Ausbildung der Klägerin, ihrer Überstellung als Straßenbahnfahrerin in die Verwendungsgruppe II und ihrer tatsächlichen Tätigkeit als Straßenbahnfahrerin bis 2009 das Fahren von Straßenbahnen umfasst habe. Bei der Verwendung der Klägerin als Bürohelferin sei nicht mehr von einer vorübergehenden Verwendung auszugehen, jedoch könne aus der bloßen Tatsache einer längeren Verwendung eines Arbeitnehmers an einem bestimmten Arbeitsplatz noch nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass sich der Aufgabenkreis nunmehr auf diese Arbeiten beschränkt hätte. Der Klägerin sei bewusst gewesen, dass die zahlreichen Untersuchungen bei der Direktionsärztin den Zweck gehabt hätten, ihre Fahrtauglichkeit zu beurteilen. Zudem sei ihr bekannt gewesen, dass es sich bei den Mitarbeitern in der Dienststelle im sogenannten Leichtdienst um solche gehandelt habe, die aus gesundheitlichen oder disziplinären Gründen vorübergehend nicht über eine Fahrberechtigung verfügten. Daraus habe aber nicht zweifelsfrei auf die vorbehaltlose Verwendung der Klägerin als Bürogehilfin und einer damit verbundene Änderung ihrer ursprünglich vereinbarten Dienstpflicht als Straßenbahnfahrerin geschlossen werden können, wären doch diesfalls die ärztlichen Untersuchungen zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit der Klägerin sinnentleert gewesen. Der Arbeitgeber sei aus seiner Fürsorgepflicht heraus nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer eine außerhalb der vertraglichen Vereinbarung liegende Tätigkeit zuzuweisen oder anzubieten. Da nicht bloß eine partielle Dienstunfähigkeit vorliege, brauche auf die Frage der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung der Klägerin nicht eingegangen werden. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung sei die Klägerin nicht in der Lage gewesen, ihre Dienstpflicht als Straßenbahnfahrerin zu erfüllen. Damit sei in absehbarer Zeit auch nicht zu rechnen. Im Hinblick auf das Eventualbegehren (Behindertendiskriminierung) führte das Berufungsgericht aus, dass die Klägerin ausschließlich wegen ihrer Krankheit gekündigt worden sei, weshalb sie nicht vom Schutzbereich der Richtlinie RL 2000/78/EG umfasst sei.

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Gemäß § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 liegt ein Grund, der zur Kündigung berechtigt, insbesondere vor, wenn der Vertragsbedienstete für die Erfüllung seiner Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet ist.

In ihrer Revision ist die Klägerin weiterhin der Ansicht, dass ihre Dienstpflichten nicht auf das Fahren von Straßenbahnen beschränkt gewesen seien.

Zutreffend hat das Berufungsgericht hervorgehoben, dass für den Umfang der Dienstpflichten grundsätzlich der Arbeitsvertrag maßgeblich ist. Er umschreibt die Gattung der Arbeit allgemein und steckt damit einen weiteren oder engeren Rahmen der vom Arbeitnehmer nach Bedarf auszuführenden Tätigkeit ab. Andere als die so vereinbarten Dienste braucht der Arbeitnehmer regelmäßig nicht zu leisten (RIS‑Justiz RS0021472). Diese Grenzen sind für die arbeitsvertragliche Beurteilung einer Versetzung beachtlich (RIS‑Justiz RS0021472 [T3]). Sie sind auch für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit eines Arbeitnehmers maßgeblich:

In der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 9 ObA 157/87 wurde zu einer früheren Dienstordnung für ÖBB‑Bedienstete, die sie zum Versehen jedes ihnen zugewiesenen Dienstpostens verpflichtete, eine zur Versetzung in den dauernden Ruhestand berechtigende Dienstunfähigkeit „wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen, die ihn zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig machen“, dahin ausgelegt, dass der Beamte die Dienstpflichten an einem ihm verliehenen Dienstposten nicht erfüllen kann, nicht aber dahin, dass er für jeden Dienst bei den ÖBB untauglich ist (s RIS‑Justiz RS0054609).

Zu 8 ObA 222/95 wurde ausgesprochen, dass der klare Wortlaut der Bestimmung des § 37 Abs 2 Z 2 Wiener VBO ‑ dem nun § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1955 entspricht ‑ nur dahin zu verstehen ist, dass es auf die Erfüllung der dem Vertragsbediensteten übertragenen Dienstpflichten und nicht auf die Möglichkeit einer Arbeitsleistung auf irgendeinem anderen Dienstposten des Dienstgebers ankommt.

Zuletzt wurde auch in der Entscheidung 9 ObA 127/12k (mwN) festgehalten, dass Dienstunfähigkeit iSd § 27 Z 2 AngG bzw Arbeitsunfähigkeit iSd § 82 lit b GewO 1859 bereits dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer zur Erbringung der vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung gänzlich unfähig und daher für diese schlechthin unverwendbar ist. Der Arbeitgeber ist dann auch im Rahmen seiner Fürsorgepflicht grundsätzlich nicht verpflichtet, den dauernd dienstunfähigen Arbeitnehmer in einer anderen als der arbeitsvertraglich geschuldeten Verwendung zu beschäftigen.

Im vorliegenden Fall wurde die Klägerin nach ihrem Dienstvertrag als Arbeiterin eingestellt, ohne dass darin eine Beschränkung ihrer Einsetzbarkeit auf die Tätigkeit einer Straßenbahnfahrerin enthalten wäre. Mit Schreiben der Beklagten vom 26. 9. 1994 wurde sie „als Straßenbahnfahrerin in die Verwendungsgruppe II“ überstellt. Infolge ihres Gesundheitszustands wurde ihr ab 3. 8. 2009 die Arbeit einer Bürohelferin im Innendienst zugewiesen.

Erfolgt die Dienstzuweisung auf Dauer, so liegt eine Versetzung, erfolgt sie nur vorübergehend, so liegt eine Dienstzuteilung vor (§ 10 Abs 1 VBO 1995). Der Beklagten kann zugestanden werden, dass die Dienstzuweisung der Klägerin ungeachtet dessen, dass keine konkrete Befristung vereinbart wurde, nur vorübergehend unter Beobachtung ihres Gesundheitszustands erfolgen sollte. Hervorzuheben ist hier insbesondere die Erwägung, dass die Klägerin schon deshalb nicht annehmen konnte, dauerhaft dem Bürohilfsdienst zugewiesen worden zu sein, weil sich sonst die engmaschigen direktionsärztlichen Untersuchungen erübrigt hätten. Sie konnten von der Klägerin auch nicht anders verstanden werden, als dass die Beklagte weiterhin Interesse an der Tätigkeit der Klägerin als Straßenbahnfahrerin hatte.

Zur Beurteilung der Frage, ob die Klägerin im Kündigungszeitpunkt zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten gesundheitlich ungeeignet war, spielt es aber keine Rolle, für welche Dauer die Dienstzuweisung gedacht war. Denn gleich, ob man annimmt, dass ihre Tätigkeit im Bürohilfsdienst ohnehin noch vom ursprünglichen Arbeitsvertrag (Beschäftigung als „Arbeiterin“) gedeckt war und daher innerhalb der Diskretionsgewalt der Beklagten lag oder ob man davon ausgeht, dass ihre vertragliche Verwendung als Straßenbahnfahrerin einer (vorübergehenden) Vertragsänderung unterlag: In jedem Fall hat die Klägerin auch mit ihrer Tätigkeit im Bürohilfsdienst ‑ allenfalls vorübergehende - Dienstpflichten erfüllt. Danach kann aber nur eine partielle Dienstunfähigkeit der Klägerin angenommen werden, weil sie zwar nicht mehr im Straßenbahnfahrdienst einsetzbar ist, jedoch Bürohilfsdienste versehen kann.

Für den Fall partieller Dienstunfähigkeit geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Dienstgeber im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht verhalten ist, dem Dienstnehmer auch leichtere Arbeit zuzuweisen (RIS‑Justiz RS0082303 [insb T2]). Er ist aber nicht verpflichtet, seine Arbeitsorganisation umzustrukturieren oder gar nicht existierende Arbeitsplätze neu zu schaffen, nur um der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Vertragsbediensteten gerecht zu werden (RIS-Justiz RS0082303 [T4, T7] ua). Die Obliegenheit, dem Arbeitnehmer tunlichst leichtere Arbeiten zuzuweisen, besteht vor allem dann, wenn das Dienstverhältnis bereits lange Zeit gedauert hat und wenn der Personalstand des Dienstgebers groß ist (8 ObA 79/02d). Denn je größer dieser ist, umso eher kann eine entsprechende Verwendung gefunden werden (RIS‑Justiz RS0082305).

Die Klägerin war im Zeitpunkt des Ausspruchs ihrer Kündigung bereits seit 16 Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Festgestellt wurde, dass die Personalabteilung der Beklagten in der Abteilung Interne Dienste nach einer Einsatzmöglichkeit für die Klägerin fragte, weitere Einsatzmöglichkeiten für die von der Klägerin bereits ausgeübte Tätigkeit im Bürohilfsdienst jedoch nicht prüfte. Aufgrund der Größe und der sehr vielfältigen Tätigkeitsbereiche der Beklagten ‑ deren Personalstand nicht auf die Wiener Linien beschränkt ist ‑ wäre dies aber geboten gewesen. Dass bei ihr keine weitere Verwendbarkeit für die Klägerin bestanden hätte oder mangels offener Planstellen eine solche Besetzung nicht möglich wäre, wurde von der Beklagten nicht vorgebracht. Die dahingehende Behauptungs- und Beweislast dafür trifft aber den Arbeitgeber, ist doch der maßgebende Sachverhalt für den einzelnen Vetragsbediensteten gar nicht überblickbar (8 ObA 43/09w ua).

Da sohin nicht feststeht, dass sich die Beklagte in ausreichendem Maß um alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für die Klägerin bemüht hat, ist ihr die Berufung auf den Kündigungsgrund des § 42 Abs 2 Z 2 VBO 1995 versagt, ohne dass es noch auf die Berechtigung der Revisionsausführungen zum Schutz Behinderter (§ 4a Abs 1 VBO 1995) ankäme.

Der Revision der Klägerin ist daher Folge zu geben und das Ersturteil im Sinn einer Stattgebung des Hauptbegehrens wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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