OGH 14Os6/12g

OGH14Os6/12g3.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. April 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Cavit K***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Geschworenengericht vom 11. September 2011, GZ 24 Hv 74/11i-142, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Cavit K***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 7. November 2010 in Lustenau Muhammet Ü***** unter Verwendung einer Faustfeuerwaffe des Kalibers 9 mm vorsätzlich zu töten versucht, indem er diesem sieben bis zehn Mal hinterher schoss, das Opfer von einem Querschläger getroffen wurde und das Projektil in dessen Rücken ein- und im Brustbereich austrat, wodurch es zu lebensgefährlichen Verletzungen von Niere, Leber, Magen, Zwerchfell und Wirbelsäule kam.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus dem Grund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde schlägt fehl.

Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn aktenkundige Beweismittel vorliegen, die nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, also intersubjektiv, gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen, eine unerträgliche Fehleinschätzung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen wird dadurch nicht ermöglicht (RIS-Justiz RS0119583).

Indem der Beschwerdeführer auf Grund eigener Beweiswerterwägungen aus den Aussagen der Zeugen Mehmet A*****, Muhammet Ü*****, Harald P*****, Fabrizia R***** und Faruk D***** sowie aus den Ausführungen des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Walter Ra***** für ihn günstige Schlüsse zieht und damit die Annahme, er habe mit Tötungsvorsatz dem Opfer (gezielt) „hinterher geschossen“, in Frage stellt, verlässt er den oben dargestellten Anfechtungsrahmen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes und bekämpft das Urteil nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung. Die genaue Anzahl der von ihm abgegebenen Schüsse stellt zudem keine entscheidende Tatsache dar (vgl RIS-Justiz RS0118780).

Aus dem Inhalt der in § 331 Abs 3 StPO bezeichneten Niederschrift der Geschworenen können - wie der Beschwerdeführer selbst einräumt - keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten entscheidenden Tatsachen abgeleitet werden, weil die Niederschrift nicht im Sinn des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zu „den Akten“ zählt (RIS-Justiz RS0115549).

Soweit nach Art einer Aufklärungsrüge das Fehlen einer Tatrekonstruktion und eines ballistischen Gutachtens sowie „unvollständige Tatorterhebungen“ eingewendet wird, fehlt die gebotene Darlegung, wodurch der Beschwerdeführer insoweit an sachgerechter Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert war (RIS-Justiz RS0115823). Die das Rechtsmittelvorbringen ergänzende Vorlage einer „Skizze über den Tatort“ verstößt gegen das im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren geltende Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0098978).

Die unter dem Punkt „Sonstiges“ geäußerte Kritik an der Verhandlungsführung des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs, dem insbesondere unrichtige Vorhalte im Rahmen der Vernehmung des Beschwerdeführers (§§ 245, 308 Abs 1 StPO) vorgeworfen werden, sowie am Umfang der geleisteten Übersetzungshilfe lässt die deutliche und bestimmte Bezugnahme auf einen Nichtigkeitsgrund vermissen (vgl §§ 285a Z 2, 344 StPO). Auf derartige Vorhalte, die nicht zu den in der Hauptverhandlung vorgeführten Beweismitteln (§§ 246 ff, 308 Abs 1 StPO) zählen, könnte eine Tatsachenrüge die Behauptung erheblicher Bedenken ohnehin nicht stützen (RIS-Justiz RS0114277; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 12 f). Unter dem Blickwinkel einer - allenfalls gemeinten - Verfahrensrüge (Z 5) fehlt es an der Bezugnahme auf einen entsprechenden Antrag oder Widerspruch in der Hauptverhandlung (RIS-Justiz RS0099112). Im Übrigen gewährt das Gesetz (§ 56 Abs 1 StPO) entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers keinen Anspruch auf „Simultandolmetschung, allenfalls in Form des so genannten ‚Flüsterdolmetschers'“ (gemeint offenbar: des gesamten Verhandlungsgeschehens; vgl Bachner-Foregger, WK-StPO § 56 Rz 22 mwN).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§§ 285i, 344 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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