OGH 9ObA58/11m

OGH9ObA58/11m29.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Dr. Peter Schnöller in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** T*****, vertreten durch Dr. Clemens Gärner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Austrian Airlines AG, *****, vertreten durch Mag. Judith Morgenstern, Rechtsanwältin in Wien, wegen Feststellung (40.000 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. März 2011, GZ 8 Ra 136/10v‑12, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 30. Juli 2010, GZ 34 Cga 48/10f‑7, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.971,51 EUR (darin 328,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 3. 8. 1998 als Seniorflugbegleiterin in einem aufrechten Dienstverhältnis angestellt. Auf das Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für das Bordpersonal der Austrian Airlines AG und der Lauda Air GmbH anzuwenden. Dieser sieht in Anhang XI unter Pkt 2.1 vor, dass jeder unbefristet beschäftigte Flugbegleiter ein Senioritätsdatum erhält, das für seine Einreihung im Rahmen der Senioritätsregelung maßgebend ist. Grundlage für das Senioritätsdatum ist das Datum des Beginns der Anstellung im Kollektivvertrag‑Bord.

Nach der Geburt ihres Kindes befand sich die Klägerin bis 24. 8. 2006 in Mutterschutz. Vom 29. 9. 2006 bis 1. 6. 2008 nahm sie Karenz gemäß § 15 MSchG in Anspruch. Nach Rückkehr der Klägerin aus der Karenz wurde ihr Senioritätsdatum unter Anwendung der kollektivvertraglichen Bestimmungen mit 6. 1. 2000 neu festgelegt.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr Senioritätsdatum ohne Abzug für Karenzzeiten nach § 15 MSchG zu berechnen sei. Pkt 2.4 des Anhangs XI des Kollektivvertrags sehe vor, dass bei einer drei Monate übersteigenden Mutterschutzkarenzzeit die Zahl der Abwesenheitstage über drei Monate zum ursprünglichen Senioritätsdatum hinzugerechnet werde, was bei ihr 549 Tage gewesen seien. Vom Abzug der Karenzzeiten beim Senioritätsdatum seien ausschließlich Frauen betroffen, die deshalb gegenüber männlichen Flugbegleitern benachteiligt seien, zumal in der kollektivvertraglichen Bestimmung die Karenzurlaube der Väter nicht erwähnt seien. Im Wesentlichen regle die Senioritätsliste die Reihenfolge der Beförderung und die Reihenfolge bei der Kündigung bei Personalüberschuss, werde von der Beklagten aber auch bei anderen Gelegenheiten, wie zB der Vergabe von Urlaub gemäß Urlaubsgesetz angewendet. Flugbegleiter, die ein zeitlich älteres Senioritätsdatum aufwiesen, würden vor Flugbegleitern mit einem zeitlich jüngeren Senioritätsdatum befördert und erhielten ihren Urlaub vorher. Bei personalüberschussbedingten Kündigungen würden Flugbegleiter, die ein zeitlich jüngeres Senioritätsdatum aufwiesen, vor jenen mit einem zeitlich älteren Senioritätsdatum gekündigt. Mit den Bestimmungen der Punkte 2.3 und 2.4 Anhang XI des KV würde gegen § 4f GlBG verstoßen. Sie seien, sofern sie Karenzurlaube gemäß § 15 MSchG beträfen, nicht anzuwenden.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wandte ein, die kollektivvertragliche Senioritätsregel sei geschlechtsneutral formuliert, gelte für Männer wie Frauen gleichermaßen und erfasse nicht nur die Eltern‑, sondern etwa auch die Bildungskarenz. Es seien nicht die männlichen und weiblichen Flugbegleiter miteinander zu vergleichen, sondern jene Flugbegleiter, die Elternkarenzurlaub in Anspruch nähmen, mit jenen, die im selben Zeitraum weiter im Betrieb arbeiteten. Auch im MSchG werde die Nichtanrechnung der gesetzlichen Karenz für dienstzeitabhängige Ansprüche anerkannt. Die kollektivvertragliche Bestimmung sei daher gesetzeskonform. Die Regelung sei auch sachlich gerechtfertigt, weil das Senioritätsdatum die tatsächliche Flugstundenerfahrung des Flugbegleiters widerspiegle, die luftfahrtrechtlich das Kriterium für den Zugang zur Ausbildung und die Ernennung auf die nächst höhere Position sei. Aufgrund saisonaler Schwankungen bedürfe die Urlaubsvergabe eines gleichförmigen Systems, das durch Abstellen auf Seniorität gegeben sei. Die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen „nach Seniorität“ (infolge Personalüberschuss) folge den gesetzlichen Wertungen im allgemeinen Kündigungsschutz, wonach die an Berufserfahrung „älteren“ Arbeitnehmer nach den weniger erfahrenen gekündigt würden. Eine mittelbare Diskriminierung liege nicht vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die kollektivvertragliche Regelung komme für Frauen und Männer, die Karenz von über drei Monaten in Anspruch nehmen, gleichermaßen zur Anwendung. Eine Ungleichbehandlung liege nicht vor. Die Nichtanrechnung von Karenzzeiten finde sich auch im Gesetz und gelte für Mütter wie Väter gleichermaßen (§ 15f Abs 1 MSchG, § 7c VKG).

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Zwar sei in Punkt 2.4 des Anhangs XI nur von „Karenzurlauben, Mutterschutzkarenzurlauben und verlängerten Mutterschutzkarenzurlauben“ die Rede, ohne dass Väterkarenzurlaube erwähnt würden. Die Bestimmung sei aber im Zusammenhang mit der vorhergehenden Bestimmung 2.3 zu lesen, aus der hervorgehe, dass ein Karenzurlaub den Mutterschutzkarenzurlaub einschließe. Das Gleiche müsse für die in Punkt 2.4 erwähnten Karenzurlaube gelten, sodass von den Bestimmungen 2.3 und 2.4 des Anhangs XI alle Karenzurlaube, die drei Monate übersteigen würden, betroffen seien. Damit liege keine Diskriminierung nach dem Geschlecht vor. Soweit die Beklagte auf § 4 GlBG verweise, sei ihr § 15f Abs 1 MSchG entgegenzuhalten, wonach, „soweit nichts anderes vereinbart ist, die Zeit der Karenz bei Rechtsansprüchen der Dienstnehmerin, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, außer Betracht bleibt“. Durch den Verweis des § 7c VKG gelte die Bestimmung sowohl für Väter als auch Mütter, die Elternkarenz in Anspruch nehmen. Durch die Punkte 2.3 und 2.4 KV würden männliche und weibliche Dienstnehmer gegenüber der gesetzlichen Bestimmung des § 15f Abs 1 MSchG und § 7c Abs 1 VKG bevorzugt, weil ausdrücklich eine Anrechnung von drei Monaten auf Rechtsansprüche, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richteten, angeordnet werde. Auch nach Meinung des EuGH, Rechtssache C‑220/02, dürfe in dem bloßen Umstand, dass eine Regelung einen wesentlich höheren Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer treffe, noch keine mittelbare Diskriminierung bzw ein Verstoß gegen Art 141 EG gesehen werden.

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgebung.

Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Auslegung des Kollektivvertrags eine Vielzahl von Dienstverhältnissen betreffen kann. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Die dem normativen Teil eines Kollektivvertrags angehörenden Bestimmungen sind nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (RIS‑Justiz RS0008782; RS0008807). Den Kollektivvertragsparteien darf dabei grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, sodass bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS‑Justiz RS0008828; RS0008897). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS‑Justiz RS0010088).

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Anhangs XI ‑ Senioritätsregelung Flugbegleiter des Kollektivvertrags für das Bordpersonal der Austrian Airlines und Lauda Air lauten:

2.3 Zeiten von Karenzurlauben einschließlich Mutterschutzkarenzurlaub bis zu einem Höchstausmaß von drei Monaten, Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz, Dienstfreistellungen gemäß Punkt 6.1 Anhang V („Teilzeit zur Kinderbetreuung bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres des Kindes“) und Tätigkeit im Bodendienst nach der Geburt eines Kindes gemäß Punkt 6.8.2 zum Anhang V KV‑Bord haben keinen Einfluss auf das Senioritätsdatum.

2.4 Bei Karenzurlauben, Mutterschutzkarenz- urlauben und verlängerten Mutterschutzkarenzurlauben, die drei Monate, gerechnet ab dem Ende der Schutzfrist nach dem Mutterschutzgesetz, übersteigen, wird bei Wiederantritt des Dienstes ein neues Senioritätsdatum ermittelt. Dazu wird zum ursprünglichen Datum die Zahl der Abwesenheitstage über drei Monate hinzugerechnet.

6.2.2 Kündigungen von Flugbegleitern mit unbefristeten Verträgen erfolgen in der absteigenden Reihenfolge der Senioritätsnummern.

8.3 Auswahl und Schulung … Bei gleicher Qualifikation wird in aufsteigender Reihenfolge der Senioritätsnummern ausgewählt.

3. Die Revisionswerberin ist der Ansicht, Karenzurlaube und (verlängerte) Mutterschutzkarenzurlaube würden nur Mütter, nicht aber Väter erfassen, woraus sie auf eine Diskriminierung weiblicher Flugbegleiter schließt: Mütter würden nach der Entbindung zunächst in die Zeit des Mutterschutzes fallen, für Väter beginne der Karenzurlaub frühestens nach Ende des Mutterschutzes. Nehme ein männlicher Flugbegleiter etwa eine viermonatige Karenz in Anspruch, verschiebe sich sein Senioritätsdatum im Ausmaß von einem Monat, während sich bei einer Flugbegleiterin, die sich acht Wochen im Mutterschutz und vier Monate in Karenz befunden habe, das Senioritätsdatum um einen Monat und acht Wochen nach hinten verschiebe.

4. Punkt 2.3 Anhang XI des KV unterscheidet klar zwischen Zeiten von Karenzurlauben einschließlich Mutterschaftskarenzurlauben einerseits und Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz andererseits und legt nur für Karenzurlaube ein Höchstausmaß fest, bis zu dem ein Karenzurlaub ohne Einfluss auf das Senioritätsdatum ist. Da der Begriff der Karenzurlaube in Punkt 2.3 Anhang XI des KV keinerlei Einschränkungen enthält und auch der Beifügung „einschließlich Mutterschutzkarenzurlaub“ nur klarstellender, nicht aber einschränkender Charakter beigemessen werden kann, ist nicht zweifelhaft, dass die in Abzug zu bringende Karenzzeit alle Karenzurlaube - seien es Bildungs‑, Mütter‑, Väter‑ oder andere Karenzen - erfasst. Dagegen haben Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung keinen Einfluss auf das Senioritätsdatum. Dass diese Auslegung auch für das Verständnis von Punkt 2.4 maßgeblich ist, wurde bereits vom Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt. Die insoweit von der Klägerin befürchtete Diskriminierung ist daraus nicht ableitbar.

5. Sie beruft sich weiter auf eine Diskriminierung nach (wohl:) § 3 GlBG, insbesondere nach den Z 5, 6 und 7.

Zutreffend ist, dass gemäß der mit BGBl I Nr 66/2004 eingeführten Bestimmung des § 3 GlBG niemand aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe‑ oder Familienstand, im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden darf, insbesondere nicht …

5. beim beruflichen Aufstieg, insbesondere bei Beförderungen,

6. bei den sonstigen Arbeitsbedingungen,

7. bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Die Argumentation der Klägerin verkennt jedoch, dass speziell für den Fall der Karenz ‑ sei es eine Mütter‑ oder eine Väterkarenz ‑ § 15f Abs 1 dritter Satz MSchG bzw § 7c VKG idF BGBl I Nr 103/2001 (davor: § 15e Abs 2 dritter Satz MSchG idF BGBl I Nr 153/1999) anordnet, dass, soweit nichts anderes vereinbart ist, die Zeit der Karenz bei Rechtsansprüchen der Dienstnehmerin (des Dienstnehmers), die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, außer Betracht bleibt.

Nach der Rechtsprechung (9 ObA 83/09k mwN) werden ältere Spezialvorschriften durch jüngere generelle Normen im Zweifel nur dann materiell derogiert, wenn sich die Neuregelung als Kodifikation darstellt, die eine vollständige und abschließende Kodifikation eines Rechtsbereichs beabsichtigt. Dafür, dass § 15f dritter Satz MSchG bzw § 7c VKG durch das Gleichbehandlungsgesetz, insbesondere § 3 GlBG, derogiert werden sollte, bestehen aber keine Hinweise.

6. Entgegen der Ansicht der Klägerin ergeben sie sich auch nicht aus dem Gemeinschaftsrecht:

Soweit sie sich auf eine Diskriminierung iSd Art 141 Abs 1 EGV (ex Art 119 EWG‑Vertrag; nun Art 157 AEUV) beruft, so enthält Art 157 Abs 1 AEUV den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit und gehört als solcher zu den Grundlagen der Gemeinschaft. Er spricht eine geschlechterspezifische Diskriminierung bei Entgelt, nicht aber bei den sonstigen Arbeitsbedingungen an. In diesem Sinn hat der EuGH bereits im Urteil vom 15. 6. 1977, RS 149/77 Defrenne III, ausgesprochen, dass die (Vorläufer‑)Regelung des Art 119 EWG‑Vertrags an genaue Voraussetzungen geknüpft sei und nicht dahin ausgelegt werden könne, dass er über die Gleichheit des Arbeitsentgelts hinaus auch die Gleichheit der sonstigen Arbeitsbedingungen für männliche und weibliche Arbeitnehmer gebiete.

7. Dass mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts nicht die Frage einer Diskriminierung bei der Reihenfolge der Bekanntgabe von Urlaubswünschen oder bei der Kündigung von Mitarbeitern bei Personalüberschüssen angesprochen wird, ist unzweifelhaft. Ein Entgeltaspekt wird von der Klägerin aber insoweit ins Treffen geführt, als sie meint, an die Seniorität knüpfe sich ihre Aufstiegsmöglichkeit zum Purser und damit naturgemäß auch ein höheres Entgelt, wodurch sie bei Nichtanrechnung der Karenzzeiten im Ergebnis geringeres Entgelt für eine gleichwertige Arbeit erhielte.

8. Dieser Erwägung steht jedoch die Entscheidung des EuGH vom 2. 10. 1997, C‑1/95 Gerster, entgegen, in der zu beurteilen war, ob die Besetzung von Beförderungsdienstposten auf der Grundlage der Leistung und des Dienstalters eines Beamten wegen Nichtberücksichtigung von Zeiten einer Teilzeitbeschäftigung gegen Art 119 EWG‑Vertrag verstieß. Anders als in dem der Entscheidung des EuGH vom 7. 2. 1991, C‑184/89 Nimz, zugrunde liegenden Sachverhalt erfolgte der Aufstieg nicht automatisch. Der Beamte, der nach Maßgabe ua seines Dienstalters in die Beförderungsliste aufgenommen wurde, hatte keinen Anspruch auf Beförderung in ein höheres Amt und somit auf eine höhere Vergütung, sondern nur eine von verschiedenen Faktoren abhängige Möglichkeit zur tatsächlichen Beförderung. Der EuGH sah das Ziel der bekämpften Regelung in erster Linie darin, den Zugang des Beamten zur Beförderungsliste und somit zu einem höheren Amt unter dem Gesichtspunkt des Dienstalters zu regeln, wodurch sie sich nur mittelbar auf die Höhe des Entgelts auswirke, auf das der Betroffene nach Abschluss des Beförderungsverfahrens Anspruch habe. Sie betreffe aber den Zugang zum beruflichen Aufstieg. Eine solche Ungleichbehandlung falle nicht unter Art 119 des Vertrags und die LohngleichheitsRL 75/117 .

9. Nichts anderes kann im vorliegenden Fall gelten, weil mit Punkt 8.3. Anhang XI des KV („Bei gleicher Qualifikation wird in aufsteigender Reihenfolge der Senioritätsnummern gewählt.“) ebenfalls nur der Zugang zum beruflichen Aufstieg festgelegt wird. Auswirkungen auf die Entgelthöhe zeigen sich folglich auch hier nur mittelbar, nämlich im Falle der erfolgreichen Beförderung.

10. Auch aus der zur Auslegung des Art 141 EGV ergangenen Entscheidung des EuGH vom 3. 10. 2006, C‑17/05 Cadman, ist kein anderes Ergebnis zu gewinnen, weil nach dem ihr zugrundeliegenden Sachverhalt ein System der dienstaltersabhängigen Entgeltfestlegung als solche zu beurteilen war.

11. Schließlich wurde in der Entscheidung des EuGH vom 8. 6. 2004, C‑220/02 ÖGB‑WKO, auf den freiwilligen Charakter des Karenzurlaubs hingewiesen und daraus abgeleitet, dass Art 141 EGV und die RL 75/117/EWG dem nicht entgegenstehen, dass bei der Berechnung der Abfertigung die Dauer des zumeist von Frauen genommenen Karenzurlaubs ‑ anders als ein hauptsächlich von Männern geleisteter Militär‑ oder Zivildienst - nicht als Dienstzeit berücksichtigt werde (s dazu etwa Aubauer/Kaszantis, Keine mittelbare Diskriminierung durch Nichtanrechnung der Elternkarenz bei dienstzeitabhängigen Ansprüchen, ASoK 2004, 250; B. W. Gruber, Einheitliche Entlohnungssysteme für Industriearbeiter und ‑angestellte - Kernpunkte und Gleichbehandlungsfragen, ecolex 2005, 225; Dorninger/Gleißner, Keine Diskriminierung durch nur teilweise Anrechnung von Elternkarenzzeiten, ecolex 2011, 733; krit Mazal, Dienstalter, Elternkarenz und geschlechtsspezifische Entgeltdiskriminierung, ecolex 2011, 250).

Die Klägerin kann sich für ihr Begehren damit nicht erfolgreich auf Art 141 EGV (Art 157 AEUV) berufen.

12. Entgegen ihrer Ansicht und der von ihr zitierten Literaturmeinung (Radlingmayr, Nichtanrechnung der Karenzzeit bei dienstzeitabhängigen Ansprüchen widerspricht Gemeinschaftsrecht, ecolex 2008, 345), verstößt § 15f MSchG bzw § 7c VKG auch nicht gegen die Bestimmungen der Richtlinie 2002/73/EG :

Nach Art 2 Abs 7 RL 2002/73/EG sowie nun nach Art 15 RL 2006/54/EG haben Frauen im Mutterschaftsurlaub nach Ablauf des Mutterschaftsurlaubs ua Anspruch darauf, dass ihnen auch alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten, zugute kommen.

Gemeinschaftsrechtlich sind unter Mutterschaftsurlaub die 14 Wochen vor und/oder nach der Entbindung zu verstehen, die der Mutter als Arbeitsbefreiung zu gewähren sind (Art 8 RL 92/85/EWG ). Dieser Urlaub bezweckt den Schutz der körperlichen Verfassung der Frau während und nach der Schwangerschaft sowie der besonderen Beziehung von Mutter und Kind während der Zeit unmittelbar nach der Entbindung (EuGH 14. 4. 2005, C‑519/03 Kommission/Luxemburg), wie er auch von den Schutzfristen des MSchG verfolgt wird. Nach Punkt 2.3 Anhang XI des KV wird diese Schutzfrist bei der Ermittlung des Senioritätsdatums aber ohnedies zur Gänze berücksichtigt und ist auch nicht weiter verfahrensgegenständlich.

13. Auch ein Vergleich mit der Regelung des Vaterschaftsurlaubs (Art 2 Abs 7 Unterabs 4 letzter Satz RL 76/207/EWG bzw Art 16 RL 2006/54/EG ) ergibt nichts anderes:

Wenn Mitgliedstaaten, die eigene Rechte auf Vaterschaftsurlaub (und/oder Adoptionsurlaub) anerkennen, zu gewährleisten haben, dass auch männlichen Arbeitnehmern nach Ablauf des Vaterschaftsurlaubs alle Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, auf die sie während ihrer Abwesenheit Anspruch gehabt hätten, zugute kommen, so handelt es sich dabei um einen mit dem Mutterschaftsurlaub korrespondierenden kurzen Urlaub für Väter zur Zeit der Geburt (Adoption) eines Kindes (Punkt 3.1 der Mitteilung der Kommission vom 3. 10. 2008 an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts‑ und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen ‑ Bessere Work‑Life‑Balance). Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 10. 2. 2010 zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Europäischen Union unter Punkt 23 zwar die Notwendigkeit unterstrichen, die Frage des Vaterschaftsurlaubs „anzugehen“ und die Kommission ersucht, jeden Vorstoß zu unterstützen, der dazu dient, einen Vaterschaftsurlaub auf europäischer Ebene einzuführen. Das ist de lege lata aber noch nicht der Fall. Vielmehr werden in Art 2 Abs 7 Unterabs 4 RL 76/207/EWG bzw Art 16 RL 2006/54/EG lediglich bestehende nationale Regelungen anerkannt.

14. Vom Mutter‑ und Vaterschaftsurlaub zu unterscheiden ist die hier alleine verfahrensrelevante Zeit des ‑ unionsrechtlich seit langem anerkannten ‑ Elternurlaubs (Karenzurlaubs), der die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Förderung der Chancengleichheit und die Gleichbehandlung von Männern und Frauen bezweckt (vgl die Präambel der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub in der überarbeiteten Fassung vom 18. Juni 2009 im Anhang der Richtlinie 2010/18/EU des Rates vom 8. März 2010 zur Durchführung der von BUSINESSEUROPE, UEAPME, CEEP und EGB geschlossenen überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub und zur Aufhebung der Richtlinie 96/34/EG) und bis zu einem Alter des Kindes von acht Jahren genommen werden kann (Paragraf 2 der genannten Rahmenvereinbarung).

15. Paragraf 5 („Arbeitnehmerrechte und Nichtdiskriminierung“) sieht auch in der überarbeiteten Fassung der Rahmenvereinbarung in Z 2 lediglich vor, dass die Rechte, die der Arbeitnehmer zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen bleiben. Im Anschluss an den Elternurlaub finden diese Rechte mit den Änderungen Anwendung, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen und/oder Gepflogenheiten ergeben.

Ein Anspruch auf die Anrechnung von Zeiten des Elternurlaubs (Karenzurlaubs) auf dienstzeitabhängige Ansprüche ergibt sich sohin auch aus der überarbeiteten Rahmenvereinbarung über Elternurlaub nicht.

16. Dementsprechend nennt Art 9 lit g der RL 2006/54/EG unter den Beispielen für Diskriminierungen nur die Unterbrechung der Aufrechterhaltung oder des Erwerbs von Ansprüchen während eines gesetzlich oder tarifvertraglich festgelegten Mutterschaftsurlaubs oder Urlaubs aus familiären Gründen, der vom Arbeitgeber bezahlt wird, nicht aber Zeiten des ‑ unbezahlten ‑ Elternurlaubs im Sinne der genannten Rahmenvereinbarung.

17. Nicht zuletzt würde es einen massiven Widerspruch darstellen, wenn nach der Gleichbehandlungsrichtlinie die Richtlinien zum Elternurlaub und Mutterschutz unberührt bleiben sollen (Art 2 Abs 7 Unterabs 4 erster Satz RL 76/207/EWG bzw Art 28 Abs 2 RL 2006/54/EG ), sie aber gleichzeitig dahin zu verstehen wäre, dass für Karenzurlaub beanspruchende Eltern weit darüber hinausgehende Ansprüche vorzusehen seien.

Die Klägerin ist daher zu Unrecht der Ansicht, dass ihr Begehren bereits im Gemeinschaftsrecht begründet sei und deshalb sowohl Punkt 2.4 des Anhangs XI des KV als auch § 15f MSchG keine Anwendung finden dürften.

18. Nach all dem sind die Vorinstanzen zu Recht zum Ergebnis gekommen, dass die Festsetzung des Senioritätsdatums der Klägerin unter Außerachtlassung einer drei Monate übersteigenden Karenzzeit weder gemeinschaftswidrig ist noch innerstaatlichem Recht widerspricht.

Der Revision ist daher keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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