OGH 9ObA50/11k

OGH9ObA50/11k25.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.‑Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Mag. Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dipl.‑Ing. R***** L*****, vertreten durch Dr. Karl‑Heinz Plankel ua, Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch die Kraft & Winternitz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Rechnungslegung (Streitwert 21.000 EUR) und Leistung (Streitwert 21.000 EUR; Stufenklage gemäß Art XLII EGZPO), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 21.000 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 20. Jänner 2011, GZ 7 Ra 99/10w‑10, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 4. März 2010, GZ 1 Cga 24/10w‑6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie als Teilurteil zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen über die ihr zustehende Mandaten‑Bonifikation für 2008 Rechnung zu legen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.437,96 EUR (darin 466,16 EUR USt und 641 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz und die mit 2.735,06 EUR (darin 291,51 EUR USt und 986 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.493,64 EUR (darin 209,94 EUR USt und 1.234 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 1. 9. 2003 bis 31. 12. 2008 auf Basis eines Agentenvertrags für die Beklagte selbständig tätig und vermittelte Wertpapier- und Finanzdienstleistungen. Die „Vergütungsordnung“ der Beklagten war integrierender Bestandteil des Agentenvertrags. Nach Punkt VII. der Vergütungsordnung haben Agenten unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine näher konkretisierte Mandanten-Bonifikation. Diese Bestimmung lautet auszugsweise wie folgt:

„2. Die Mandanten‑Bonifikation gebührt denjenigen Agenten, die laut Vergütungsstufen- und Karriereplan bis zum letzten Tag des A*****‑Produktionsjahres zum Wirtschaftsberater befördert wurden und zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Auszahlung (im darauffolgenden Jahr) in einem ungekündigten Vertragsverhältnis zu A***** stehen.

6. Die für ein betreffendes Kalenderjahr berechnete Mandanten‑Bonifikation ist bis längstens 31. August des Folgejahres zur Auszahlung fällig.“

Der Kläger kündigte mit Schreiben vom 26. 9. 2008 das Vertragsverhältnis zum 31. 12. 2008 auf. Die Mandanten‑Bonifikation für das Jahr 2008 erhielt er nicht ausbezahlt.

Mit der vorliegenden Stufenklage gemäß Art XLII EGZPO begehrt der Kläger Rechnungslegung über die ihm zustehende Mandanten‑Bonifikation für das Jahr 2008 sowie die Zahlung des sich aufgrund der Rechnungslegung ergebenden Guthabensbetrags. Er habe sich bei der Beklagten in arbeitnehmerähnlicher Stellung befunden. Im Rahmen seiner Tätigkeit für die Beklagte habe er umsatzabhängige Vermittlungsprovisionen erzielt. Da er als Wirtschaftsberater fungiert habe, gebühre ihm nach Punkt VII. der Vergütungsordnung eine Mandanten‑Bonifikation. Die vereinbarte Auszahlungsvoraussetzung, dass sich das Vertragsverhältnis zu den jeweiligen Auszahlungszeitpunkten in einem ungekündigten Zustand befinden müsse, sei gemäß § 879 Abs 3 ABGB sittenwidrig.

Die Beklagte beantragte die Klageabweisung und wendete ein, dass es sich bei der Mandanten‑Bonifikation um eine freiwillige Sonderzahlung handle. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch für das Jahr 2008 sei nach den Bestimmungen der Vergütungsordnung nicht entstanden, weil das Vertragsverhältnis zum Stichtag 31. 8. 2009 nicht mehr aufrecht gewesen sei. Die Bedingungen der Bonifikation seien weder grob benachteiligend noch sonst sittenwidrig. Die Bonifikation solle es der Beklagten ermöglichen, ihre Agenten möglichst lange an das Unternehmen zu binden. Mit der herkömmlichen Provision des Agenten habe diese Leistung nichts zu tun. Der Kläger habe von sich aus das Vertragsverhältnis beendet und sei danach für ein Konkurrenzunternehmen tätig geworden. Das Verrechnungskonto des Klägers weise per 21. 2. 2010 einen negativen Saldo aus. Der Kläger schulde der Beklagten aus Vertragsstorni und der Rückforderung von Vorauszahlungen einen Betrag von mindestens 2.000 EUR, der als Gegenforderung aufrechnungsweise eingewendet werde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren unter Zugrundelegung des vorstehend wiedergegebenen Sachverhalts ab. Auf das Rechtsverhältnis des Klägers gelangten die Bestimmungen des HVertrG 1993 (und nicht des AngG) zur Anwendung. Die vertragliche Regelung über das Auszahlungserfordernis des ungekündigten Vertragsverhältnisses sei mangels grober Äquivalenzstörung nicht sittenwidrig, weil der Kläger das Vertragsverhältnis von sich aus beendet habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Abgesehen davon, dass es grundsätzlich den legitimen wirtschaftlichen Interessen jedes Unternehmers entspreche, Gewinn aus den Leistungen der Mitarbeiter zu ziehen, dürfe der von der Beklagten erhobene Einwand, dass mit der Mandanten‑Bonifikation auch die Betriebstreue belohnt werden solle, nicht außer Acht gelassen werden. Anhaltspunkte für eine Schädigungsabsicht der Beklagten oder ein krasses Missverhältnis iSd § 879 ABGB seien nicht ersichtlich. Zu berücksichtigen sei zudem, dass das arbeitsrechtliche Schutzprinzip nicht zum Tragen komme und auch keine Kündigung durch die Beklagte vorliege. Im Übrigen mache auch im Arbeitsrecht nicht jede Ungleichheit der beiderseitigen Leistungen einen Vertrag sittenwidrig. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass die Frage der Zulässigkeit der Vertragsklausel über die Mandanten‑Bonifikation in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit der er die Stattgebung des Rechnungslegungsbegehrens im Rahmen eines Teilurteils anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat zur Rechtswirksamkeit einer vergleichbaren Stichtagsregelung in der ebenfalls einen Agentenvertrag mit der Beklagten betreffenden Entscheidung 9 ObA 107/10s ausgesprochen, dass eine Regelung, die den Anspruch des Agenten auf Auszahlung einer Mandanten‑Bonifikation für das vorangegangene Jahr an ein aufrechtes Vertragsverhältnis zum Auszahlungsstichtag im Folgejahr bindet, sittenwidrig und daher unzulässig ist. Dieses Ergebnis wurde mit weiteren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs bestätigt (8 ObA 62/10s; 8 ObA 85/10y; 8 ObA 19/11v; 8 ObA 34/11z; 9 ObA 31/11s; 9 ObA 32/11p ua). Das Sittenwidrigkeitsurteil besteht darin, dass aufgrund der beanstandeten Vereinbarung bereits „erdientes“ Entgelt im Fall der Beendigung des Vertragsverhältnisses wieder wegfällt und der Handelsvertreter damit erheblich in seinen Möglichkeiten beeinträchtigt wird, das Vertragsverhältnis zu beenden.

Die Mandanten‑Bonifikation ist für das jeweilige Kalenderjahr zu berechnen. Mit dem durch Punkt VII. 2 der Vergütungsordnung angedrohten erheblichen Entgeltverlust, mit dem selbst Ansprüche für das schon abgelaufene Kalenderjahr nachträglich aberkannt werden sollen, wenn der Agent zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Auszahlung nicht mehr in einem ungekündigten Vertragsverhältnis zur Beklagten steht, ist eine erhebliche Beschränkung der Entscheidungsfreiheit des Agenten verbunden, das Vertragsverhältnis zur Beklagten aufzulösen. Bei der dadurch beabsichtigten Bindung des Agenten an die Beklagte handelt es sich um eine unsachliche Knebelung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Mandanten‑Bonifikation als Provision oder als anderes Entgelt iSd § 8 Abs 1 HVertrG 1993 qualifiziert wird. Dem Kläger ist auch darin zuzustimmen, dass der Hinweis des Berufungsgerichts auf den Verlust des Ausgleichsanspruchs nach § 24 Abs 3 Z 1 HVertrG 1993 (Eigenkündigung des Handelsvertreters) für die hier zu beurteilende Rechtsfrage ohne Bedeutung bleibt. Zufolge Sittenwidrigkeit steht die von der Beklagten ins Treffen geführte vertragliche Regelung der Vergütungsordnung der vom Kläger geltend gemachten Mandanten‑Bonifikation 2008 nicht entgegen. Der Anspruch ist daher im Grundsatz zu bejahen.

Aus 9 ObA 20/10x ist für den Standpunkt der Revisionsgegnerin nichts zu gewinnen. Diese Vorentscheidung betraf nur die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision, bei der mangels entsprechenden Vorbringens auf die hier relevanten Fragen nicht einzugehen war (9 ObA 107/10s). Das Vorbringen der Revisionsgegnerin bezüglich des nachvertraglichen Verhaltens des Klägers ist widersprüchlich. Zum einen spricht die Revisionsgegnerin davon, dass es der wirtschaftlichen Freiheit des Klägers entsprach, im Anschluss an die Tätigkeit für die Beklagte für ein Konkurrenzunternehmen tätig zu sein; zum anderen schwingt im diesbezüglichen Vorbringen ein Vorwurf gegen den Kläger mit. Beides ist nicht entscheidend für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Bedingungen der Mandanten-Bonifikation.

Zweck der Rechnungslegungspflicht ist es, den Berechtigten in die Lage zu versetzen, Leistungsansprüche gegen den Rechnungslegungspflichtigen festzustellen und geltend zu machen (RIS‑Justiz RS0034907, RS0106851 ua). Zu Gunsten eines Handelsvertreters oder provisionsberechtigten Vermittlers ist der Anspruch auf Rechnungslegung anerkannt (RIS‑Justiz RS0035140 ua). Inhalt und Umfang der Rechnungslegung richten sich nach dem Verkehrsüblichen bzw nach der im Einzelfall getroffenen Vereinbarung (vgl Konecny in Fasching/Konecny² II/1 Art XLII EGZPO Rz 27 und 37 ua). Die Rechnungslegung muss detailliert sein und kann sich nicht nur in der bloßen Angabe von Endziffern oder in der Überlassung von Belegen erschöpfen (8 ObA 34/11z ua).

Bei einer Stufenklage ist zuerst das Verfahren über das Rechnungslegungsbegehren durchzuführen und darüber mit Teilurteil zu entscheiden (RIS‑Justiz RS0035069; RS0108687 ua). Über das Leistungsbegehren ‑ sowie auch über die von der Beklagten im vorliegenden Verfahren eingewendete Gegenforderung ‑ ist im Endurteil zu entscheiden (vgl Konecny in Fasching/Konecny² II/1 Art XLII EGZPO Rz 121 ff, 127 ua).

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Weil das Teilurteil über den Rechnungslegungsanspruch insoweit einem Endurteil entspricht, sind dem obsiegenden Revisionswerber die auf das Rechnungslegungsbegehren entfallenden Verfahrenskosten aller drei Instanzen zuzusprechen (vgl Konecny in Fasching/Konecny² II/1 Art XLII EGZPO Rz 129; 6 Ob 234/06i; RIS‑Justiz RS0121609 ua).

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