OGH 8ObA19/11v

OGH8ObA19/11v29.6.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helwig Aubauer und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** L*****, vertreten durch König Ermacora Lässer & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Kraft & Winternitz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Stufenklage gemäß Art XLII EGZPO (Streitwert 21.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Dezember 2010, GZ 15 Ra 120/10z-27, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. August 2010, GZ 43 Cga 52/10s-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin war vom 26. 9. 1996 bis 17. 10. 2007 auf Basis eines Agentenvertrags für die Beklagte selbständig tätig und vermittelte als Untervertreterin Wertpapier- und Finanzdienstleistungen. Im zugrunde liegenden Zeitraum (2007) fungierte sie als „Wirtschaftsberaterin“. Die „Vergütungsordnung“ war integrierender Bestandteil des Agentenvertrags. Danach haben die Agenten, denen im Bewertungszeitraum der Status als „Wirtschaftsberater“ zukommt, Anspruch auf einen (näher konkretisierten) „WB-Bonus“ (Wirtschaftsberater-Bonus bzw Wirtschaftsberater-Bonifikation), der von der Zahl der produzierten, umsatzabhängigen „Einheiten“ bestimmt ist. Die Vergütungsordnung enthält dazu folgende wesentlichen Bestimmungen:

„In allen Fällen ist ein ungekündigtes Vertragsverhältnis zum Zeitpunkt der Bewertung und Auszahlung Voraussetzung.

Auszahlung:

50 % Akontozahlung mit der Jännerabrechnung unter Voraussetzung eines ungekündigten Vertragsverhältnisses.

Anfang Juli - Tag nach der Junirangliste - nochmalige Überprüfung der Karriere - Einheiten - Eigenumsatz als Wirtschaftsberater im Bewertungszeitraum. Restauszahlung mit der Juliabrechnung unter Voraussetzung eines ungekündigten Vertragsverhältnisses.“

Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 27. 9. 2007 eine ordentliche Kündigung des Vertragsverhältnisses vorgenommen hatte, erklärte sie mit Schreiben vom 17. 10. 2007 die sofortige Auflösung aus wichtigem Grund.

Im September 2007 leistete die Beklagte an die Klägerin auf deren Ersuchen einen Vorschuss auf den WB-Bonus 2007. Aufgrund der Auflösung des Vertragsverhältnisses durch die Klägerin forderte die (hier) Beklagte im (Vor-)Verfahren zu 4 Cga 157/07x des ASG Wien unter Berufung auf das Erfordernis des ungekündigten Vertragsverhältnisses die Vorschussleistung zurück. Mit Teilurteil vom 3. 2. 2009 gab das ASG Wien diesem Rückforderungsbegehren (im zweiten Rechtsgang) statt und erkannte die Klägerin (des hier vorliegenden Verfahrens) schuldig, der (hier) Beklagten 21.875,83 EUR samt 4 % Zinsen ab 6. 10. 2007 zu zahlen. Die Entscheidung über die Kompensandoforderungen und die Kostenentscheidung wurden dem Endurteil vorbehalten. Mit Urteil des OLG Wien vom 25. 11. 2009, 7 Ra 97/09z-27, wurde diese Entscheidung bestätigt. Mit Beschluss vom 24. 3. 2010, 9 ObA 20/10x-30, wies der Oberste Gerichtshof die außerordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurück.

Mit der vorliegenden Stufenklage begehrte die Klägerin Rechnungslegung über den ihr zustehenden WB-Bonus für das Jahr 2007 sowie die Zahlung des sich daraus ergebenden Guthabensbetrags. Im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Beklagte habe sie umsatzabhängige Vermittlungsprovisionen erzielt. Auf Basis des Agentenvertrags und des Vergütungspakets stehe ihr auch der (aliquote) WB-Bonus 2007 zu. Die Klausel, wonach das Vertragsverhältnis zum jeweiligen Auszahlungszeitpunkt ungekündigt aufrecht sein müsse, sei sittenwidrig. Der Hinweis der Beklagten auf das rechtskräftige Urteil des Vorprozesses sei unberechtigt, weil bisher nicht über den WB-Bonus, sondern nur über einen Vorschuss entschieden worden sei.

Die Beklagte entgegnete, dass Auszahlungsvoraussetzung für den WB-Bonus 2007 nicht nur das Erreichen bestimmter Umsätze sei, sondern dass darüber hinaus das Vertragsverhältnis zu den jeweiligen Auszahlungszeitpunkten auch ungekündigt aufrecht sein müsse. Diese Bedingung sei nicht gegeben. Die zugrunde liegende Vertragsklausel sei weder grob benachteiligend noch sittenwidrig. Zudem liege zwischen den Parteien ein rechtskräftiges Urteil vor, mit dem festgestellt worden sei, dass die Klägerin zu Unrecht eine Akontierung auf den WB-Bonus 2007 erhalten habe, weil die Voraussetzung des ungekündigten Vertragsverhältnisses zum Auszahlungsstichtag nicht gegeben gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Stufenklagebegehren ab. Die Klausel, wonach zum Auszahlungszeitpunkt ein ungekündigtes Vertragsverhältnis vorliegen müsse, zwinge den Agenten, das Vertragsverhältnis jeweils bis in die zweite Jahreshälfte aufrecht zu erhalten, um nicht die Bonifikation aus dem Vorjahr zu verlieren. Da der Agent den Vertrag zu keinem Zeitpunkt ohne erhebliche Einbußen kündigen könne, liege eine gravierende Ungleichgewichtslage in den Rechtspositionen vor. Die Vertragsklausel erweise sich daher als sittenwidrig. Allerdings sei der Hinweis der Beklagten auf das rechtskräftige Urteil im Vorprozess berechtigt. Im Vorverfahren sei nämlich bereits ausgesprochen worden, dass die Klägerin kein Recht auf den im Jahr 2007 erwirtschafteten WB-Bonus habe. Eine neuerliche Beurteilung dieser Frage würde dem Zweck der materiellen Rechtskraft widersprechen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Urteils sei zu bejahen, wenn die Parteien und der rechtserzeugende Sachverhalt identisch seien und beide Prozesse in einem so engen inhaltlichen Zusammenhang stünden, dass die Gebote der Rechtssicherheit und der Entscheidungsharmonie eine widersprechende Beantwortung derselben Rechtsfrage nicht gestatteten. Die Bindungswirkung sei daher insoweit gegeben, als im Vorprozess ein vertraglicher Anspruch der Klägerin auf die WB-Bonifikation 2007 verneint worden sei. Auch die Frage der Sittenwidrigkeit der Vertragsklausel sei von der Präklusionswirkung erfasst.

Gegen diese Entscheidung richtet sich das als außerordentliche Revision zu behandelnde Rechtsmittel der Klägerin (vgl RIS-Justiz RS0123405), mit der sie eine gänzliche Stattgebung der Klage anstrebt.

Mit ihrer - durch den Obersten Gerichtshof freigestellten - Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil zur Frage der Bindungswirkung sowie deren Reichweite eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Die Revision ist im Sinn des subsidiären Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.1 Unstrittig ist, dass die Urteilsbegehren im Vorprozess und im vorliegenden Verfahren nicht identisch sind und es sich auch nicht um das kontradiktorische Gegenteil handelt. Während im Vorprozess über einen Bereicherungsanspruch aufgrund irrtümlicher Zahlung einer Nichtschuld entschieden wurde, betrifft der hier zu entscheidende Streit einen vertraglichen Erfüllungsanspruch (vgl Fasching/Klicka in Fasching/Konecny 2 § 411 ZPO Rz 53). Die Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft kommt damit nicht in Betracht (vgl Fasching/Klicka aaO Rz 43 und 50).

1.2 Es stellt sich aber die Frage nach der objektiven sachlichen Grenze der materiellen Rechtskraft bzw nach der Reichweite der Bindungswirkung. Die Bindungswirkung schließt die neuerliche inhaltliche Prüfung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs aus (Fasching/Klicka aaO Rz 16). Es gilt daher, den Anspruch, über den rechtskräftig entschieden wurde, also den Rechtskraftgegenstand zu bestimmen. Da der gerichtliche Ausspruch eine rechtliche Individualisierung des Anspruchs voraussetzt, sind zur Auslegung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs auch die Entscheidungsgründe, konkret die rechtserzeugenden, anspruchsbegründenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss, heranzuziehen (RIS-Justiz RS0041331; Fasching/Klicka aaO Rz 60 und 74).

Bindungswirkung im Sinn der Präjudizialität der rechtskräftigen Entscheidung ist nach Lehre und Rechtsprechung dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene (und vom Kläger geltend gemachte) Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet (RIS-Justiz RS0041251; RS0039843; Fasching/Klicka aaO Rz 53, 59 und 64). Maßgebend sind die entscheidungserheblichen rechtserzeugenden Tatsachen, die zur Individualisierung des herangezogenen Rechtsgrundes erforderlich sind. Die in der rechtskräftigen Entscheidung enthaltene Beurteilung von Vorfragen des entschiedenen Anspruchs erwächst demgegenüber nicht in Rechtskraft (RIS-Justiz RS0041157 [T13 und T15]; zuletzt 8 Ob 13/10k; Fasching/Klicka aaO Rz 68).

1.3 Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sowie nach der Lehre sind materiell rechtliche Nahebeziehungen über die echte Präjudizialität hinaus allein kein hinreichender Grund für eine Erweiterung der Rechtskraftwirkungen. Die Bindungswirkung der Rechtskraft ist daher nicht auf „bestimmte Sinnzusammenhänge zwischen den Feststellungen zum Gegenstand des Vorprozesses“ oder auf „im Sinnzusammenhang stehende Rechtsverhältnisse“ zu erstrecken. Auch „das Gebot der Entscheidungsharmonie“ oder „das Bedürfnis der Rechtssicherheit“ sind keine Argumente dafür, die Rechtskraft eines Urteils „als Sonderfall der Präjudizialität“ über den entschiedenen Anspruch hinaus auf Vorfragen desselben zu erweitern (RIS-Justiz RS0041572; Fasching/Klicka aaO Rz 56; Rechberger in Rechberger 3 § 411 ZPO Rz 11).

1.4 Als Teil der Bindungswirkung ist die Präklusionswirkung anerkannt. Dementsprechend wird durch die Rechtskraft der Entscheidung auch das Vorbringen aller Tatsachen ausgeschlossen, die zur Begründung oder Widerlegung des entschiedenen Anspruchs rechtlich erforderlich waren und schon bei Schluss der mündlichen Verhandlung bestanden haben (RIS-Justiz RS0041321; Fasching/Klicka aaO Rz 89). Innerhalb desselben Anspruchs wird der Kläger somit mit allen Tatsachen präkludiert, auf die er den konkreten, geltend gemachten Anspruch noch hätte stützen können. Für den Beklagten schließt die Präklusionswirkung die Geltendmachung bereits vorhandener Gestaltungsrechte und Gegenrechte aus (vgl Fasching/Klicka aaO Rz 91 f).

2.1 Die Ansicht, dass es im Prozess über die Frage der ungerechtfertigten Bereicherung eine Vorfrage sei, ob das Vermögen des Klägers ohne Rechtsgrund verwendet wurde bzw der Gegner einen Anspruch auf die Vermögensverschiebung hatte, wäre verkürzt. Auch kann nicht gesagt werden, dass bei einem Begehren auf eine Vorschussleistung diese vollkommen isoliert vom Hauptanspruch zu betrachten sei. Schließlich ginge die absolute Aussage zu weit, dass die Bejahung oder Verneinung der Ungültigkeit oder Sittenwidrigkeit des Vertrags die selbständige Geltendmachung der aus dem Vertrag abgeleiteten Ansprüche nicht hindere. Selbst wenn die Entscheidung über eine Einwendung selbst nicht in Rechtskraft erwächst (Fasching/Klicka aaO Rz 71), ist bei Identität der Ansprüche die Geltendmachung von Gegenrechten in einem Folgeprozess dennoch präkludiert.

Bei richtiger Betrachtung ist jeweils im Einzelfall konkret zu prüfen, worüber im Vorprozess als Hauptfrage entschieden wurde. Zur Individualisierung des Hauptgegenstands sind auch die rechtserzeugenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss heranzuziehen.

2.2 Im Vorverfahren hat die hier Beklagte ihren Rückforderungsanspruch darauf gestützt, dass durch die Auflösung des Agentenvertrags durch die Klägerin die vertragliche Anspruchsgrundlage für den WB-Bonus 2007, nämlich ein ungekündigt aufrechtes Vertragsverhältnis zum Fälligkeits- und Auszahlungszeitpunkt (Jänner und Juli 2008 jeweils für das Vorjahr), weggefallen sei, sodass auch keine Rechtsgrundlage für den geleisteten Vorschuss bestehe.

Das Erstgericht im Vorprozess folgte dieser Argumentation und stützte den bejahten Rückzahlungsanspruch der hier Beklagten auf die in Rede stehende Vertragsklausel. Erstmals im Berufungsverfahren wendete die Klägerin (des vorliegenden Verfahrens) ein, dass die Vereinbarung, wonach ein ungekündigtes Vertragsverhältnis Voraussetzung der Bonifikationszahlung sei, nach § 879 ABGB sittenwidrig sei und gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße. Das Berufungsgericht beurteilte diesen Einwand als nicht berechtigt. Richtig ist, dass das Berufungsgericht seine Beurteilung auf die Verneinung eines Rechtsmissbrauchs stützte. Es sah allerdings keine Veranlassung, die ausdrücklich thematisierte Sittenwidrigkeit aufzugreifen. Im erstinstanzlichen Verfahren des Vorprozesses hat die Klägerin (des hier vorliegenden Verfahrens) keinen Sittenwidrigkeitseinwand erhoben.

Die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs der Klägerin auf den WB-Bonus 2007 auf Basis der Vertragslage und damit auch die Wirksamkeit der fraglichen Vertragsklausel war somit das zentrale Thema und dementsprechend der rechtserzeugende Sachverhalt des Vorprozesses. Im vorliegenden Verfahren wäre der Einwand der Sittenwidrigkeit gegen diese Vertragsklausel daher präkludiert. Dies gilt umso mehr, als das Argument der Sittenwidrigkeit der Vertragsklausel zumindest im Berufungsverfahren im Vorprozess thematisiert wurde.

2.3 Systematisch betrachtet handelte es sich bei dem im Vorprozess zurückgeforderten Vorschuss um einen vorweg ausgezahlten Teil des WB-Bonus 2007. Die hier Beklagte machte einen Anspruch wegen irrtümlicher Zahlung einer Nichtschuld geltend. Die Frage des Vorliegens einer Nichtschuld betraf zweifellos die Hauptfrage. Eine Nichtschuld besteht dann, wenn Vermögen ohne Rechtsgrund zugunsten des Gegners verwendet wurde und daher eine ungerechtfertigte Vermögensverschiebung stattgefunden hat. Diese Frage ist gleichbedeutend mit jener, ob der Gegner einen Anspruch auf die Vermögensverschiebung hatte. Das Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs auf den WB-Bonus 2007 nach Maßgabe der Vertragslage gehörte somit zur Hauptfrage des Vorprozesses. Die Ansprüche in beiden Verfahren sind damit identisch, weshalb die Bindungswirkung im Sinn der Präjudizialität einschließlich der Präklusionswirkung zu bejahen ist.

Im Grundsatz sind die Vorinstanzen daher zu Recht von einer Bindungswirkung ausgegangen.

2.4 Die Bindungswirkung kann allerdings nicht auf den gesamten Anspruch des geltend gemachten WB-Bonus 2007 erstreckt werden.

Bei einer Teileinklagung erfasst die Rechtskraft nur den geltend gemachten Anspruchsteil, soweit über ihn spruchgemäß entschieden wurde (Fasching/Klicka aaO Rz 66). Das Gleiche gilt für den Fall, dass im Vorprozess nur über einen - hier als Vorschuss ausgezahlten - Teil des zugrundeliegenden Hauptanspruchs entschieden wird. Die Rechtskraft bezieht sich demnach nur auf den entschiedenen Anspruchsteil. Gleichermaßen ist die Bindungswirkung auf diesen Teil beschränkt. Aus diesem Grund kann sich die Bindungswirkung hier nur auf die Verneinung eines Anspruchs der Klägerin auf den WB-Bonus 2007 im Betrag von 21.875,83 EUR sA beziehen. Auf das darüber hinausgehende Begehren erstreckt sich die Reichweite der Bindungswirkung jedoch nicht.

Im gegebenen Zusammenhang ist anzumerken, dass die Klägerin (des hier vorliegenden Verfahrens) im Vorprozess den Restanspruch aus der „verdienten WB-Bonifikation 2007“ vorsorglich als Gegenforderung eingewendet hat. Über diese und die weiteren von ihr geltend gemachten Gegenforderungen wurde bisher allerdings nicht entschieden, sodass sich insoweit auch die Frage nach der Rechtskraftwirkung nicht stellt.

3. Zur Rechtswirksamkeit der hier fraglichen Vertragsklausel hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst in der ebenfalls einen Agentenvertrag mit der Beklagten betreffenden Entscheidung 9 Ob 107/10s (ihr folgend auch 8 ObA 62/10s und 8 ObA 85/10y) ausgesprochen, dass eine Stichtagsregelung, die den Anspruch des Agenten auf Auszahlung eines Bonus für das vorangegangene Jahr an ein aufrechtes Vertragsverhältnis zum Auszahlungsstichtag im Folgejahr bindet, sittenwidrig und daher unzulässig ist. Das Sittenwidrigkeitsurteil besteht darin, dass aufgrund der beanstandeten Vereinbarung verdientes Entgelt im Fall der Beendigung des Vertragsverhältnisses wieder wegfällt und der Handelsvertreter damit erheblich in seinen Möglichkeiten beeinträchtigt wird, von sich aus das Vertragsverhältnis zu beenden.

Zufolge Sittenwidrigkeit hindert die von der Beklagten ins Treffen geführte Vertragsklausel den von der Klägerin geltend gemachten WB-Bonus 2007 somit nicht, soweit sich die Beklagte nicht auf die Bindungswirkung der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess berufen kann.

4.1 Zweck der Rechnungslegungspflicht ist es, den Berechtigten in die Lage zu versetzen, Leistungsansprüche gegen den Rechnungslegungspflichtigen festzustellen und geltend zu machen (RIS-Justiz RS0106851; RS0034907). Zugunsten eines Handelsvertreters oder provisionsberechtigten Vermittlers ist der Anspruch auf Rechnungslegung anerkannt (RIS-Justiz RS0035140).

Inhalt und Umfang der Rechnungslegung richtet sich nach dem Verkehrsüblichen bzw nach der im Einzelfall getroffenen Vereinbarung (Konecny in Fasching/Konecny 2 Art XLII EGZPO Rz 27 und 37). Sie muss detailliert sein und kann sich nicht nur in der bloßen Angabe von Endziffern oder in der Überlassung von Belegen erschöpfen. Der Rechnungslegungspflichtige kann auch zur Eidesleistung verhalten werden. Dabei handelt es sich jedoch um ein fakultatives Begehren, weshalb der Berechtigte davon auch Abstand nehmen kann (Konecny aaO Rz 98 und 118).

4.2 Das von der Klägerin formulierte Begehren bezieht sich nur allgemein auf die Pflicht zur „Rechnungslegung über die ihr zustehende Wirtschaftsberater-Bonifikation für den Zeitraum vom 1. 1. 2007 bis 17. 10. 2007“. Auf die Vertragsgrundlage und die konkreten Abrechnungsmodalitäten wird darin nicht Bezug genommen. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung muss die Frage der ausreichenden Bestimmtheit des Rechnungslegungsbegehrens mit der Klägerin erörtert werden (vgl zum Begehren etwa 8 ObA 62/10s). Über das Rechnungslegungsbegehren kann daher noch nicht entschieden werden.

5. Bei einer Stufenklage ist zuerst das Verfahren über das Rechnungslegungsbegehren durchzuführen und darüber mit Teilurteil zu entscheiden (RIS-Justiz RS0108687; RS0035069). Über das Leistungsbegehren - sowie auch über die von der Beklagten im vorliegenden Verfahren eingewendete Gegenforderung - ist im Endurteil zu entscheiden.

Ein ausreichend bestimmtes Rechnungslegungsbegehren wäre berechtigt. Über den Leistungsanspruch kann erst nach Bezifferung des Zahlungsbegehrens entschieden werden. Ein auf Leistung des WB-Bonus 2007 gerichtetes Zahlungsbegehren wäre bis zum Betrag von 21.875,83 EUR sA zufolge Bindungswirkung abzuweisen. Außerhalb der Bindungswirkung stünde der Klägerin ein allfälliger Guthabensbetrag zu. Das auf § 49a ASGG gegründete Zinsenmehrbegehren wäre ebenfalls abzuweisen, weil der Zahlungsverzug der Beklagten angesichts der Entscheidung im Vorprozess auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruhte. Da ein Ausspruch über das noch unbestimmte Zahlungsbegehren vor der Rechnungslegung nicht erfolgen kann, wären die Kosten im Teilurteil gemäß § 392 Abs 2 iVm §§ 50, 52 Abs 2 ZPO dem Endurteil vorzubehalten (17 Ob 5/07w).

Zusammenfassend ergibt sich:

Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung ist dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet. Maßgebend sind die rechtserzeugenden Tatsachen, die zur Individualisierung des herangezogenen Rechtsgrundes erforderlich sind. Wird im Vorprozess nur über einen Teil des zugrundeliegenden Hauptanspruchs entschieden, so erfasst die Rechtskraft nur diesen Anspruchsteil.

Da aufgrund des Erörterungsbedarfs auch über das Rechnungslegungsbegehren noch nicht entschieden werden kann, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen in Stattgebung der Revision aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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