OGH 7Ob176/11z

OGH7Ob176/11z28.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** AG *****, vertreten durch Dr. Alma Steger, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei M*****gesellschaft mit beschränkter Haftung, *****, vertreten durch Masser & Partner Rechtsanwälte in Wien, und die Nebenintervenientin E***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 161.379 EUR (sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Juni 2011, GZ 1 R 109/11y‑39, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Im Revisionsverfahren ist allein noch strittig, ob der Schaden von der Beklagten, wie die Klägerin weiterhin behauptet, im Sinn des Art 29 Abs 1 CMR grob fahrlässig herbeigeführt wurde oder ob, wie das Berufungsgericht und die Beklagte meinen, das dieser zuzurechnende Verhalten der LKW‑Fahrer der Nebenintervenientin im Zusammenhalt mit der Organisation der Abläufe durch die Beklagte die Kriterien grober Fahrlässigkeit nicht erfüllt.

Ob eine Fehlhandlung wegen ihres besonderen Gewichts oder einzelne, für sich genommen nicht grob fahrlässige Handlungen in ihrer Gesamtheit und Häufung die Annahme grober Fahrlässigkeit rechtfertigen, bildet bei Vertretbarkeit der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilung grundsätzlich keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0044262; vgl auch RS0087606). Die Revision ist nur dann zulässig, wenn der Sachverhalt auch bei weitester Auslegung den von der Judikatur für die Annahme oder die Verneinung grober Fahrlässigkeit aufgestellten Kriterien nicht entspricht (7 Ob 121/03z; 7 Ob 11/06b; 7 Ob 20/08d uva). Die Revisionswerberin räumt dies ohnehin ausdrücklich ein, meint aber, dem Berufungsgericht sei im Zusammenhang mit den für die Beurteilung des Verschuldensgrades maßgeblichen Gesichtspunkten eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen, die im Interesse der Rechtssicherheit und der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsse. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts habe die Beklagte nämlich nicht nur zu vertreten, dass zwei falsch eingeordnete Eingabescheine nicht bemerkt worden seien, sondern es wäre auch die (mangelhafte) Organisation im Betrieb der Beklagten rund um das Zuordnungsprozedere zu berücksichtigen gewesen. Auch habe das Berufungsgericht nicht bedacht, dass der Sorgfaltsmaßstab bei der Obhutshaftung des Frachtführers gegenüber jenem nach § 429 UGB verschärft sei; dem Frachtführer werde die äußerste, nach den Umständen des Falls mögliche und zumutbare Sorgfalt abverlangt.

Mit diesen Ausführungen vermag die Revisionswerberin keinen tauglichen Grund für die Zulassung ihres außerordentlichen Rechtsmittels aufzuzeigen:

Grob fahrlässig handelt, wer im täglichen Leben die erforderliche Sorgfalt gröblich, in hohem Grad, aus Unbekümmertheit oder Leichtfertigkeit außer Acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste; grobe Fahrlässigkeit ist gegeben bei schlechthin unentschuldbaren Pflichtverletzungen, die das gewöhnliche Maß an nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens ganz erheblich übersteigen (RIS‑Justiz RS0030303). Zur Annahme grober Fahrlässigkeit ist es erforderlich, dass bei Vorliegen eines objektiv groben Verstoßes dem Täter dieser auch subjektiv schwer vorwerfbar sein muss (7 Ob 121/03z mwN uva). Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im Einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanpassung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht (7 Ob 207/09f mwN ua).

Mit diesen, in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen steht die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagten sei kein grob fahrlässiges Verhalten im Sinn des Art 29 Abs 1 CMR vorzuwerfen (vgl RIS‑Justiz RS0073961), im Einklang. Dass die LKW‑Fahrer aus den in den Staplerfahrzeugen gelagerten Mappen die der jeweiligen Container‑Ladung entsprechenden Lieferscheine herausnehmen und einen der jeweiligen Sinter‑Art entsprechenden Eingabeschein beilegen mussten, hat nach den Feststellungen des Erstgerichts über zehn Jahre hindurch in etwa 20.000 Fällen geklappt, ohne dass es zu einem einzigen Schadensfall gekommen wäre. Die Beklagte hat diese Feststellungen zwar bekämpft, aber eingeräumt, dass jedenfalls vier Jahre lang und daher in entsprechend weniger Fällen (demnach etwa 8.000) dieses System funktioniert hat und die Beförderungsmaschinen der Versicherungsnehmerin ohne Ausnahme mit richtigen Informationen versorgt wurden. Auch wenn man (nur) von diesem, von der Klägerin zugestandenen, Sachverhalt ausgeht (das Berufungsgericht hat die betreffende Tatsachenrüge nicht als entscheidungsrelevant angesehen und daher nicht behandelt), steht also fest, dass die Belieferung in tausenden Fällen fehlerlos vorgenommen wurde. Dieser Umstand und der daraus gewonnene Erfahrungswert stehen der Ansicht der Revisionswerberin entgegen, das Berufungsgericht habe übersehen, dass die Beklagte auch einen gravierenden organisatorischen Mangel zu vertreten habe. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls keine grobe Fahrlässigkeit im Sinn des Art 29 Abs 1 CMR vorzuwerfen sei, ist daher zumindest vertretbar. Eine Korrektur der angefochtenen Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof hat daher zu unterbleiben.

Richtig ist, dass an die Sorgfalt des Frachtführers ein strenger Maßstab anzulegen und die äußerste zumutbare Sorgfalt zu verlangen ist (RIS‑Justiz RS0073798). Dies ändert allerdings nichts daran, dass alle für die Haftung des Frachtführers maßgeblichen gesetzlichen Regelungen (insbesondere CMR, HGB [nunmehr UGB], AÖSp) einen einheitlichen Begriff des groben Verschuldens unterstellen (5 Ob 74/99i mwN ua). Auch in diesem Zusammenhang wird von der Revision daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

Mangels einer solchen ist das außerordentliche Rechtsmittel der Klägerin als unzulässig zurückzuweisen. Dies bedarf nach § 510 Abs 3 ZPO keiner weiteren Begründung.

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