OGH 7Ob20/08d

OGH7Ob20/08d7.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Susanne B*****, vertreten durch Baier Böhm Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Weilguni, Rechtsanwalt in Wien, wegen 45.708 EUR sA und Feststellung, über die Revision (richtig Revision und Rekurs) der Beklagten gegen das Teilurteil und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. November 2007, GZ 4 R 186/07p-24, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 10. Juli 2007, GZ 40 Cg 42/05k-20, infolge Berufung der Klägerin mit Teilurteil teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision und der Rekurs werden zurückgewiesen.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 1.818,72 EUR (darin enthalten 303,12 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist bei der Beklagten hinsichtlich ihres Einfamilienhauses feuerversichert. Am 11. 1. 2005 kam es im Haus der Klägerin infolge eines Christbaumbrands zu einem Feuerschaden, dessen Deckung von der Beklagten abgelehnt wird, weil die Klägerin den Versicherungsfall im Sinn des § 61 VersVG grob fahrlässig herbeigeführt habe.

Das Erstgericht erachtete diesen Einwand (auch) im zweiten Rechtsgang als berechtigt und wies das auf Zahlung von 45.708 EUR sA und Feststellung des Deckungsschutzes für alle weiteren, derzeit noch nicht konkretisierbaren Schäden, insbesondere die Wiederbeschaffung des Inventars, gerichtete Klagebegehren daher ab. Nach seinen (vom Berufungsgericht gebilligten) Feststellungen stellte die Klägerin den Christbaum, der ihr am 23. 12. 2004 gebracht worden war, in einem weniger als das übrige Haus geheizten Wohnzimmer mit Küchenbereich auf. Am 11. 1. 2005 entzündete sie erstmals die Kerzen am Christbaum, der noch keine Nadeln fallen ließ. Es handelte sich um „normale, neue Kerzen, die gerade in ..... Klipps festgesteckt" waren. Nachdem die Kerzen etwa sieben Minuten lang gebrannt hatten, ging die Klägerin in den - im selben Raum befindlichen - Küchenbereich, um sich ein Glas Wasser zu holen. Sie nahm ein Glas, drehte das Wasser auf und befüllte es. Dabei hatte sie dem Christbaum den Rücken zugedreht. Als sie den Wasserhahn abdrehte, hörte sie ein Geräusch und stellte fest, dass sich ein Zweig des Christbaums entzündet hatte. Ein Löschversuch mit einem Topf Wasser aus dem Küchenbereich scheiterte. Da ihr Telefonapparat in der Nähe des brennenden Christbaums stand, alarmierte die Klägerin bei einer Nachbarin die Feuerwehr, die den Brand schließlich löschte.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es dem Leistungsbegehren mit Teilurteil stattgab, das Ersturteil hinsichtlich des Feststellungsbegehrens aufhob und die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwies. Entgegen dessen Ansicht sei der Versicherungsfall von der Klägerin nicht grob fahrlässig herbeigeführt worden. Mangels Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 61 VersVG habe diese der Klägerin daher versicherungsvertragsgemäße Deckung zu gewähren. Ohne (Sicherstellung) der Wiederbeschaffung gebühre der Klägerin bloß der Zeitwert der beschädigten Gegenstände. Da dieser Aspekt unbeachtet geblieben sei und die Klägerin den Neuwert fordere, sei hinsichtlich des Feststellungsbegehrens das Urteil aufzuheben und die Rechtssache an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass Revision und Rekurs gegen seine Entscheidung zulässig seien. Ungeachtet der Einzelfallbezogenheit der Abgrenzung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit seien durch einen Christbaum ausgelöste Zimmerbrände häufige, geradezu typische Schadensereignisse, sodass eine Konkretisierung der Sorgfaltspflichten im Rahmen des Versicherungvertragsrechts von erheblicher Bedeutung sei.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen diesem Ausspruch, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), ist die Revision (richtig Revision und Rekurs) der Beklagten mangels eines tauglichen Zulassungsgrundes unzulässig.

Nach § 61 VersVG ist der Versicherer leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Es handelt sich dabei um einen sekundären Risikoausschluss (7 Ob 121/03z; 7 Ob 12/04x ua). Grobe Fahrlässigkeit im Sinn der zitierten Gesetzesstelle liegt vor, wenn sich das Verhalten des Schädigers aus der Menge der sich auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit heraushebt (RIS-Justiz RS0030477, RS0030359 und RS0031127). Dabei wird ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Handelnde wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, den Eintritt eines Schadens zu fördern. Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahe liegt, zur Vermeidung eines Schadens ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen (RIS-Justiz RS0030272 und RS0031127). Zur Annahme grober Fahrlässigkeit ist es erforderlich, dass bei Vorliegen eines objektiv groben Verstoßes dem Täter dieser auch subjektiv schwer vorwerfbar sein muss (7 Ob 121/03z mwN ua). Als brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im Einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanpassung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht (7 Ob 301/99m; 7 Ob 74/02m ua). In diesem Sinn ist es für das Versicherungsvertragsrecht anerkannt, dass grobe Fahrlässigkeit dann gegeben ist, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (RIS-Justiz RS0030331 und RS0080371).

Ob eine Fehlhandlung die Annahme grober Fahrlässigkeit rechtfertigt, bildet bei Vertretbarkeit der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilung nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0044262). Die Revision (und ebenso der Rekurs an den Obersten Gerichtshof) ist daher nur dann zulässig, wenn der Sachverhalt auch bei weitester Auslegung den von der Judikatur für die Annahme oder die Verneinung grober Fahrlässigkeit aufgestellten Kriterien nicht entspricht (7 Ob 12/04x uva).

Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Indem es das Verhalten der Klägerin unter Berücksichtigung der - soweit möglich - exakt festgestellten Gesamtsituation als nur leicht fahrlässig beurteilte, hat das Berufungsgericht im Rahmen der von der Rechtsprechung festgelegten Grenzen entschieden. Wann und unter welchen Umständen das Entzünden von Kerzen auf einem Christbaum als grob fahrlässig anzusehen ist, hängt von den konkreten, speziellen Gegebenheiten des Einzelfalls ab und lässt sich daher nicht generell, sondern nur einzelfallbezogen beantworten. Dass Christbaumbrände relativ häufig vorkommen, kann die Zulassung der Revision oder des Rekurses an den Obersten Gerichtshof allein nicht rechtfertigen.

Mangels eines tauglichen Zulassungsgrundes ist das Rechtsmittel der Beklagten daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40 und 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO hingewiesen.

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