OGH 7Ob108/11z

OGH7Ob108/11z6.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. R***** P*****, vertreten durch Deschka Klein Daum Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei U*****versicherung AG, *****, vertreten durch Prof. Dr. Wolfgang Völkl und Dr. Clemens Völkl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 39.485,28 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 36.336,42 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Februar 2011, GZ 4 R 255/10i-23, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. Juli 2010, GZ 10 Cg 183/09f-19, teilweise hinsichtlich des Zinsenbegehrens abgeändert und im Übrigen bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.961,64 EUR (darin enthalten 326,94 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen der Rechtsanwältin Dr. I***** H***** (im Folgenden: Rechtsanwältin/Versicherungsnehmerin) und der Beklagten bestand 1999 ein aufrechter Haftpflichtversicherungsvertrag (§ 21a RAO). Der Kläger wurde anlässlich eines Liegenschaftsverkaufs in diesem Jahr von der Rechtsanwältin vertreten. Auf Grund ihrer Falschberatung traf ihn gegenüber der Käuferin die Haftung für die Richtigkeit aller vorgeschriebenen Mietzinse, weshalb er in der Folge von dieser zu ***** des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien in Anspruch genommen wurde. In diesem Rechtsstreit verkündete er der Rechtsanwältin mit Schriftsatz vom 23. 8. 2004 den Streit. Mit rechtskräftigem Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 29. 9. 2005, *****, wurde er zur Zahlung von 3.971,72 EUR sA verurteilt. Weiters wurde seine Haftung für sämtliche Schäden festgestellt, die der Liegenschaftskäuferin im Zuge des Abschlusses des Kaufvertrags aus unrichtigen Erklärungen des Klägers hinsichtlich der Höhe der zulässigen Hauptmietzinse entstehen.

Mit Schreiben vom 30. 11. 2005 regte der Kläger bei der Rechtsanwältin an, ihrer Haftpflichtversicherung eine Vorsichtsmeldung zu übermitteln und bat um Übersendung einer Kopie derselben.

Mit rechtskräftigem Versäumungsurteil des Landesgerichts St. Pölten vom 11. 10. 2007, *****, wurde die Rechtsanwältin schuldig erkannt, dem Kläger 31.777,77 EUR samt 4 % Zinsen seit 3. 7. 2007 und 2.885,40 EUR an Kosten zu zahlen. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Rechtsanwältin dem Kläger für sämtliche Schäden haftet, welche diesem auf Grund des rechtskräftigen Urteils im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien in Form von Schadenersatzansprüchen der dort klagenden Liegenschaftskäuferin entstehen.

Mangels Zahlung der Titelschuld führte der Kläger gegen die Rechtsanwältin zu ***** des Bezirksgerichts Purkersdorf Forderungsexekution durch Pfändung und Überweisung der der Rechtsanwältin gegen die beklagte Haftpflichtversicherung auf Grund der Berufshaftpflichtversicherung zustehenden Forderung. Die Kosten des Exekutionsantrags wurden mit 919,80 EUR bestimmt. In der Drittschuldnererklärung vom 12. 12. 2008 bestritt die Beklagte das Bestehen einer Forderung der Rechtsanwältin gegen sie. Die Rechtsanwältin habe niemals eine Schadensmeldung erstattet, weshalb Verjährung eingetreten sei.

Der Kläger begehrte mit der am 13. 10. 2009 eingebrachten Drittschuldnerklage zuletzt die Zahlung von 39.485,28 EUR sA. Die Rechtsanwältin habe eine Schadensmeldung erstattet, wodurch eine Hemmung der Verjährung nach § 12 Abs 2 VersVG eingetreten sei. Der Verjährungseinwand der Beklagten scheitere an § 158c Abs 1 VersVG, wonach der Versicherer dem Geschädigten allfällige Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers nicht entgegenhalten könne. Für den Kläger beginne die Verjährungsfrist erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab welchem er auf Grund eines vollstreckbaren Titels gegen die Rechtsanwältin als Versicherungsnehmerin deren Befreiungsanspruch habe pfänden und sich überweisen lassen können. Ihm sei erst mit Schreiben der Rechtsanwaltskammer Wien vom 4. 3. 2008 die Beklagte als Haftpflichtversicherung der Rechtsanwältin bekannt gegeben worden, weshalb es ihm vor diesem Zeitpunkt nicht möglich gewesen sei, an die Beklagte heranzutreten.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete Verjährung ein. Die Rechtsanwältin sei zum Zeitpunkt ihres Beratungsfehlers nur mit der damals gültigen Mindestversicherungssumme von 500.000 ATS (= 36.336,42 EUR) gemäß § 21a RAO haftpflichtversichert gewesen. Eine über diesen Betrag hinausgehende Zahlungspflicht bestehe nicht (§ 158c Abs 3 VersVG). Die Rechtsanwältin habe keine Schadensmeldung an die Beklagte erstattet. Sie hätte spätestens nach der Streitverkündung im Verfahren des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien eine Schadensmeldung vornehmen müssen. § 158c Abs 1 VersVG normiere nur das Weiterbestehen von Ansprüchen geschädigter Dritter im Fall des Eintretens einer Leistungsfreiheit aufgrund eines gesetzlich normierten oder vereinbarten Deckungsausschlusses, nicht aber bei Verjährung. Aus exekutionsrechtlichen Überlegungen folge, dass eine gegenüber der Beklagten bereits verjährte und damit untergegangene Forderung der Versicherungsnehmerin (Rechtsanwältin) im Zuge der vom Kläger betriebenen Forderungsexekution durch deren Pfändung und Überweisung nicht wieder aufleben könne.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 36.366,42 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren unbekämpft ab. Neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte es noch fest, dass die Rechtsanwältin keine Schadensmeldung an die Beklagte erstattet und die Höhe der Mindestversicherung im Zeitpunkt des Beratungsfehlers 36.336,42 EUR betragen habe. Rechtlich führte es aus, der Rechtsschutzanspruch des Versicherungsnehmers werde mit der Erhebung von Ansprüchen durch Dritte fällig, die vom Risiko der abgeschlossenen Haftpflichtversicherung umfasst seien, worunter die Streitverkündung an die Rechtsanwältin vom 23. 8. 2004 nicht falle. Zum Zeitpunkt der Streitverkündung sei noch nicht geklärt gewesen, ob und wenn ja, in welcher Höhe überhaupt ein Anspruch des Klägers gegen die Versicherungsnehmerin bestehe. Die Verjährungsfrist habe frühestens mit dem an die Rechtsanwältin gerichteten Anspruchsschreiben des Klägers vom 30. 11. 2005 ausgelöst werden können. Da die Verjährungsfrist erst „mit Schluss des Jahres 2005“ zu laufen begonnen habe, sei die Forderung zum Zeitpunkt der Drittschuldnererklärung der Beklagten vom 12. 12. 2008 noch nicht verjährt gewesen. Die Pfändung des der Versicherungsnehmerin zustehenden Befreiungsanspruchs wandle diesen in einen Leistungsanspruch um. Das Klagebegehren sei bis zur Höhe der Versicherungssumme durch die Exekutionsbewilligung des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 3. 12. 2008 gedeckt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil mit Ausnahme eines Zinsenmehrbegehrens, das es unbekämpft abwies. Rechtlich führte es aus, zwar könne sich nach der Rechtsprechung des BGH (VersR 2003, 900) aus der Streitverkündungsschrift ein ernsthaftes Geltendmachen eines Anspruchs gegen den Versicherungsnehmer mit den Folgen für die Verjährung nach § 12 Abs 1 VersVG ergeben, jedoch könne in der Streitverkündung vom 30. 8. 2004, die der Rechtsanwältin am 1. 9. 2004 zugestellt worden sei, keine solche ernsthafte Anspruchserhebung erblickt werden. Darin lege der Kläger nur dar, ihm stünden im Fall des Prozessverlusts Schadenersatzansprüche gegen die Rechtsanwältin zu, aber noch nicht, dass er diese „tatsächlich gegebenenfalls“ auch durchsetzen werde. Die ernstliche Geltendmachung von Ansprüchen des Klägers sei erst durch das Anspruchsschreiben vom 30. 11. 2005 erfolgt, sodass die Verjährungsfrist erst „mit Ablauf des Jahres 2005“ zu laufen begonnen habe. Der Anspruch gegen die Beklagte sei mit der auf die Forderung gegen die Beklagte gerichteten Exekution geltend gemacht worden. Zum Zeitpunkt der Abgabe der Drittschuldnererklärung vom 12. 12. 2008 wäre die Forderung noch innerhalb der Dreijahresfrist geltend gemacht worden. Eine endgültige Klärung dieser Frage könne jedoch aus nachstehenden Gründen dahinstehen:

Beim zu beurteilenden Versicherungsvertrag handle es sich um eine gemäß § 21a RAO gesetzlich vorgeschriebene Pflichtverletzung gemäß § 158b VersVG. Der geschädigte Dritte habe - auch nach Feststellung des Haftpflichtanspruchs - keinen eigenen unmittelbaren Anspruch gegen den Versicherer (§ 158c Abs 5 VersVG), sodass er darauf angewiesen sei, die Ansprüche des Versicherungsnehmers zu pfänden und sich überweisen zu lassen. Soweit es zur Befriedigung des Dritten erforderlich sei, werde das Versicherungsverhältnis und mit ihm der Befreiungsanspruch des Versicherungsnehmers als ohne die unter § 158c Abs 1 und 2 VersVG fallenden Einwendungen bestehend oder weiterbestehend fingiert. Auf Grund dieser Fiktion stünden auch keine aus exekutionsrechtlichen Überlegungen herrührenden Hindernisse entgegen, wonach der Dritte als betreibender Gläubiger gegenüber dem Drittschuldner keine Forderungen erheben könne, die dem Verpflichteten gegenüber letzterem nicht mehr zustünden. Nach der Rechtsprechung des BGH bleibe die Verpflichtung des Versicherers zur Leistung in Ansehung des Dritten in der Pflichtversicherung auch dann bestehen, wenn der Versicherungsnehmer den Anspruch auf die Versicherungsleistung gemäß § 12 Abs 1 dVVG aF (= § 12 Abs 1 VersVG) verjähren lasse. Diese Grundsätze hätten auch für die österreichische Rechtslage Bedeutung: Dass das Erheben einer Feststellungsklage durch den geschädigten Dritten gegen die Versicherung des Schädigers nicht nur möglich, sondern sogar geboten sei, wenn ihm der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt - etwa durch Verjährung oder Ablauf der Frist des § 12 Abs 3 VersVG - entzogen zu werden drohe, spreche nicht gegen eine analoge Anwendung des § 158c Abs 1 VersVG. Hier habe der Kläger unter Vorlage des Ablehnungsschreibens der Rechtsanwaltskammer Wien (vom 9. 11. 2006) behauptet, als geschädigter Dritter keine Kenntnis davon gehabt zu haben, bei welcher Versicherung die Schädigerin versichert sei, sodass er gar keine Feststellungsklage erheben habe können. Außerdem spreche kein Argument dafür, Fälle des § 12 Abs 3 VersVG gegenüber § 12 Abs 1 VersVG zu bevorzugen. Die Beklagte könne sich wegen § 158c Abs 1 VersVG gegenüber dem Kläger nicht auf den Eintritt der Verjährung der Ansprüche ihrer Versicherungsnehmerin (Rechtsanwältin) berufen. Die Verjährung des Anspruchs des Dritten nach § 158c beginne im Hinblick auf § 12 Abs 1 VersVG erst „mit Schluss des Jahres“ zu laufen, in dem er aufgrund eines vollstreckbaren Titels gegen den Versicherungsnehmer dessen Befreiungsanspruch pfänden und sich überweisen lassen oder einen vollstreckbaren Titel gegen den Versicherungsnehmer hätte erwirken können. Dem geltend gemachten Anspruch könne die Beklagte nicht die Verjährungseinrede entgegenhalten, weil der Titel des Klägers gegen die Rechtsanwältin (Versäumungsurteil vom 11. 10. 2007) „im Laufe des Jahres 2007“ in Rechtskraft erwachsen sei. Nach § 158c Abs 3 VersVG hafte der Versicherer nur im Rahmen der amtlich festgesetzten Mindestvertragssummen. Ausgehend von der festgestellten, damals vorgeschriebenen Mindestversicherungssumme von 500.000 ATS (= 36.336,42 EUR) sei dem Erstgericht im Zuspruch dieses Betrags kein Rechtsirrtum unterlaufen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur analogen Anwendung des § 158c VersVG auf Fälle des § 12 Abs 1 VersVG und zum Charakter einen Streitverkündung als Geltendmachung eines Anspruchs vorliege.

Gegen den klagsstattgebenden Teil des Berufungsurteils richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Voranzustellen ist, dass weder die Höhe noch - mit Ausnahme der Frage der Verjährung - der Grund der Haftpflicht der Beklagten im Revisionsverfahren strittig sind.

2. Der geschädigte Dritte hat - abgesehen von wenigen Ausnahmen (zB Kfz-Haftpflichtversicherung) - gegen den Versicherer keinen direkten Anspruch, sondern ist auf einen Schadenersatzanspruch gegen den Versicherungsnehmer beschränkt. Er kann aber zur Hereinbringung der Schadenersatzforderung im Exektionsverfahren den Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer pfänden und sich überweisen lassen. Dieser wandelt sich dadurch jedenfalls in einen Geldanspruch um. Der Geschädigte kann dann vom Versicherer unmittelbar Ersatz verlangen. Er tritt dabei in die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers ein (Schauer, Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3 410 mwN; 7 Ob 241/10g).

3.1 Der Kläger macht keine eigene Forderung, sondern die exekutiv zu seinen Gunsten gepfändete und ihm zur Einziehung überwiesene Forderung der Rechtsanwältin als Versicherungsnehmerin gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer und Drittschuldnerin geltend. Für diese Haftpflichtversicherung, zu deren Abschluss gemäß § 21a RAO für die Rechtsanwältin eine gesetzliche Verpflichtung bestand (und besteht), gilt - wie vom Berufungsgericht zutreffend hervorgehoben - gemäß § 158b VersVG unter anderem die Bestimmung des § 158c VersVG.

In der obligatorischen Haftpflichtversicherung genießt der Geschädigte zusätzlichen Schutz. Hier ist ihm der Versicherer im Rahmen des versicherten Risikos auch dann haftpflichtig, wenn im Verhältnis zum Versicherungsnehmer Leistungsfreiheit besteht (§ 158c VersVG). Zwar hat auch der Geschädigte in diesem Fall keinen unmittelbaren Ersatzanspruch gegen den Versicherer (§ 158c Abs 5 VersVG); er kann aber zur Hereinbringung seiner Schadenersatzforderung im Exekutionsverfahren den - nur fingierten - Anspruch des Versicherungsnehmers pfänden lassen und dann direkt gegen den Versicherer vorgehen. Der besondere Schutz des Geschädigten besteht allerdings nur im Rahmen der obligatorischen Mindestversicherungssumme (§ 158c Abs 3 VersVG; Schauer aaO 412); diese betrug nach den erstgerichtlichen Feststellungen zum Zeitpunkt des Beratungsfehlers 36.336,42 EUR.

3.2 Nach § 158c Abs 1 VersVG bleibt die Verpflichtung des Versicherers in Ansehung des Dritten auch dann bestehen, wenn der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei ist. Der (geschädigte) Dritte soll nach der Absicht des Gesetzgebers in seinem berechtigten Vertrauen auf den Bestand eines Versicherungsvertrags geschützt und sein Ersatzanspruch soll im Deckungsprozess von den Zufälligkeiten der oft verworrenen Versicherungsrechtsbeziehungen des Versicherers zum Versicherungsnehmer unabhängig gemacht werden (1 Ob 960/52 = SZ 26/93; 7 Ob 37/81 = VersRdsch 1984, 179).

„Leistungsfreiheit“ des Versicherers bedeutet allgemein seine einseitige Befreiung von seiner Einstandspflicht für einen Versicherungsfall. Gemäß § 158c Abs 1 VersVG wird ungeachtet der Leistungsfreiheit des Versicherers im Verhältnis zum Versicherungsnehmer oder Mitversicherten im Verhältnis zwischen Versicherer und geschädigtem Dritten das Bestehen eines Versicherungsanspruchs des Versicherungsnehmers oder Mitversicherten fingiert (7 Ob 130/99i mwN = SZ 72/104 zum wortgleichen § 24 Abs 1 KHVG 1994).

Als Fälle der Leistungsfreiheit nach § 158c Abs 1 VersVG, die dem geschädigten Dritten nicht entgegengehalten werden können, sind bisher in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs anerkannt (Nachweise bei Gruber, Kfz-Zulassung - Amtshaftung bei Leistungsfreiheit des Haftpflichtversicherers, ZVR 1991, 33 [36]): Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer oder einen Mitversicherten (7 Ob 37/81 = VersRdsch 1984, 179); Ablauf der Klagefrist nach § 12 Abs 3 VersVG (7 Ob 44/67 = EvBl 1968/42 = ZVR 1968/188, 300); Leistungsfreiheit wegen Gefahrerhöhung (7 Ob 37/81 = VersRdsch 1984, 179); Leistungsfreiheit beim Prämienzahlungsverzug (1 Ob 960/52 = SZ 26/93; 7 Ob 221/70 = SZ 43/215).

In der Entscheidung 7 Ob 125/98b, die eine Berufshaftpflichtversicherung, aber keine Pflichtversicherung betraf, hat der Oberste Gerichtshof die Frage des Verjährungsbeginns für den Geschädigten im Geltungsbereich des § 158c VersVG offen gelassen.

3.3 § 158c Abs 1 dVVG aF (nunmehr: § 117 Abs 1 dVVG) war wortgleich mit § 158c Abs 1 VersVG. Nach der Rechtsprechung des BGH (20. 1. 1971, IV ZR 1134/68 = VersR 1971, 333 = NJW 1971, 657 = RIS-Justiz RS0103943; zuletzt 19. 3. 2003, IV ZR 233/01 = VersR 2003, 635) und der herrschenden deutschen Lehre (Bruck/Möller/Sieg/Johannsen, Versicherungsvertragsgesetz V8 Anm B43; Knappmann in Prölss/Martin, VVG27 Rn 5, 28; Beckmann in Honsell, Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, § 158c Rn 10, 58; Brügge in Veith/Gräfe, Der Versicherungsprozess § 12 Rn 753; zweifelnd und teilweise anderer Ansicht Langheid in Römer/Langheid, VVG2 § 158c Rn 3, 37) kann in einer Pflichtversicherung gemäß § 158b dVVG aF bei einem gestörten Versicherungsverhältnis dem Geschädigten die Verjährung des Deckungsanspruchs des Versicherungsnehmers in analoger Anwendung von § 158c Abs 1 dVVG nicht entgegengehalten werden. Vielmehr ist für den zugunsten des Geschädigten fingierten Deckungsanspruch ein eigener Verjährungsbeginn maßgeblich. Begründet wird diese Rechtsansicht mit der Besonderheit der Pflichtversicherung gegenüber der allgemeinen Haftpflichtversicherung, dem Dritten einen umfassenden Schutz gegen ihm nachteilige Handlungen oder Unterlassungen des Versicherungsnehmers zu gewähren, gegen die er sich sonst überhaupt nicht oder doch nur schwer schützen kann. Dabei einen kleinlichen Maßstab anzulegen, würde dem Schutzgedanken des § 158c dVVG aF widersprechen. Eine unmittelbare Anwendung des § 158c Abs 1 dVVG aF auf die Einrede der Verjährung sei allerdings ausgeschlossen, weil es sich im Fall der Verjährung nach § 12 Abs 1 dVVG aF um kein „Freiwerden“ des Versicherers handle (BGH VersR 1971, 333).

Gruber (aaO 36) schließt sich der herrschenden deutschen Ansicht an und führt aus, dass im Fall der Verjährung des Versicherungsanspruchs (§ 12 Abs 1 VersVG) § 158c Abs 1 VersVG zumindest analog gelte. Ausgehend vom Schutzzweck des § 158c VersVG ist die Rechtsansicht des BGH überzeugend und infolge vergleichbarer österreichischer Rechtslage auf den vorliegenden Fall übertragbar.

3.4 Diese Gesetzesanalogie hält die Beklagte für unzulässig, weil § 12 Abs 1 VersVG - anders als § 12 Abs 1 dVVG aF (entsprach § 12 Abs 1 VersVG idF vor BGBl Nr 509/1994) - eine Differenzierung zwischen der Verjährung von Ansprüchen des Versicherungsnehmers und solchen bestimmter Dritter gegen den Versicherer vorsehe. Somit liege keine außerplanmäßige Lücke vor.

Gemäß § 12 Abs 1 VersVG verjähren die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in drei Jahren. Steht der Anspruch einem Dritten zu, so beginnt die Verjährung zu laufen, sobald diesem sein Recht auf die Leistung des Versicherers bekannt gegeben worden ist; ist dem Dritten dieses Recht nicht bekannt gegeben worden, so verjähren seine Ansprüche erst nach 10 Jahren.

Durch die Ausweitung auf alle Dritte mit Ansprüchen gegen den Versicherer soll klargestellt werden, dass der zweite Satz des § 12 Abs 1 VersVG in all jenen Fällen gilt, in denen die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag einer vom Versicherungsnehmer (also dem Vertragspartner des Versicherten) verschiedenen Person zustehen (Bericht des Justizausschusses, 1722 BlgNR XVIII. GP, 4). Der geschädigte Kläger ist aber - jedenfalls bis zur Pfändung und Überweisung des Anspruchs der Rechtsanwältin als Versicherungsnehmerin gegenüber der beklagten Haftpflichtversicherung - kein selbständig anspruchsberechtigter Versicherter im Sinn des § 12 Abs 1 zweiter Satz VersVG. Die Differenzierung des Fristenlaufs des Verjährungsbeginns zwischen Versicherungsnehmern und selbständig anspruchsberechtigten Versicherten spricht somit nicht gegen die Gesetzesanalogie, weil der geschädigte Kläger dadurch nicht geschützt ist. Für geschädigte Dritte, die im Rahmen der obligatorischen Haftpflichtversicherung geschützt sind und denen - wie hier - keine unmittelbaren Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer zustehen (§ 158c Abs 5 VersVG), enthält § 12 Abs 1 VersVG keine Verjährungsregelung.

3.5 Die Parteien führen im Revisionsverfahren übereinstimmend aus, dass die zuständige Rechtsanwaltskammer mit Schreiben vom 9. 11. 2006 dem Kläger „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ die Haftpflichtversicherung der Rechtsanwältin nicht bekannt gab. Mangels Kenntnis des Haftpflichtversicherers hätte daher der Kläger die beklagte Haftpflichtversicherung - bis zu deren Bekanntgabe mit nachfolgendem Schreiben der Rechtsanwaltskammer vom 4. 3. 2008 (so die Behauptung des Klägers) - gar nicht auf Feststellung der Deckungspflicht klagen können.

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (7 Ob 29/06z = SZ 2006/33; 7 Ob 196/07k) kann der geschädigte Dritte gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers die Klage auf Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers erheben, sofern er ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung hat, wobei das Klagebegehren auf den Versicherungsnehmer zu beziehen ist. Ein solches Feststellungsinteresse besteht vor allem dann, wenn dem geschädigten Dritten der Deckungsanspruch als Befriedigungsobjekt entzogen zu werden droht, etwa durch Verjährung oder durch Ablauf der Frist des § 12 Abs 3 VersVG, die auch durch Klage des Dritten gewahrt werden kann, oder wenn der Versicherer seine Eintrittspflicht verneint und der Versicherungsnehmer nichts unternimmt. In diesen Entscheidungen ging es weder um eine Pflichtversicherung noch um ein gestörtes Versicherungsverhältnis und damit auch nicht um einen zugunsten des Geschädigten fingierten Deckungsanspruch. Bei einem gestörten Versicherungsverhältnis in der Pflichtversicherung liegt eine andere Konstellation vor. Wenn feststeht, dass der Versicherungsanspruch gegenüber dem Versicherungsnehmer verjährt ist (§ 12 Abs 1 VersVG), hilft dem Geschädigten eine auf die Leistungspflicht des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer gerichtete Feststellungsklage nicht weiter (vgl BGH 19. 3. 2003, IV ZR 233/01 = VersR 2003, 635 zum Fall der Leistungsfreiheit infolge Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers). Da an der Feststellung eines verjährten Rechts kein rechtliches Interesse bestünde (7 Ob 91/10y; RIS-Justiz RS0034403 [T1]), wäre die Klage des Geschädigten abzuweisen. Ein derart sinnloses Vorgehen ist dem Geschädigten nicht zuzumuten.

3.6 Die Verjährung des nach § 158c Abs 1 VersVG zum Schutz des Dritten (Kläger) fingierten Deckungsanspruchs beginnt im Regelfall (mit hier nicht behaupteten Ausnahmen) erst nach Pfändung und Überweisung der fingierten Haftpflichtversicherungsforderung. Die Verjährung richtet sich nach § 12 Abs 1 VersVG (vgl Gruber aaO 36 FN 27; Bruck/Möller/Sieg/Johannsen aaO; Knappmann aaO § 158c Rn 28). Der Kläger hat sich zur Hereinbringung seiner Schadenersatzforderung gegenüber der Rechtsanwältin im Dezember 2008 im Exekutionsverfahren deren fingierte Haftpflichtforderung pfänden und überweisen lassen, wodurch sich - wie vorstehend dargelegt - dieser Anspruch jedenfalls in einen Geldanspruch umwandelte, sodass der Kläger von der beklagten Haftpflichtversicherung unmittelbar Ersatz verlangen kann. Der Kläger ist ab diesem Zeitpunkt selbständig anspruchsberechtigter Versicherter und damit Dritter im Sinn des § 12 Abs 1 zweiter Satz VersVG. Im Hinblick auf die Einbringung der Klage am 13. 10. 2009 ist daher der fingierte Klagsanspruch des Klägers noch nicht verjährt.

4. Da in der Pflichtversicherung gemäß § 158b VersVG aus den angeführten Gründen dem Geschädigten die Verjährung des Deckungsanspruchs des Versicherungsnehmers nicht entgegengehalten werden kann, muss auf den Charakter der Streitverkündung des Klägers als Geltendmachung seines Anspruchs gegenüber der Versicherungsnehmerin (Rechtsanwältin) nicht eingegangen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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