OGH 8Ob128/10x

OGH8Ob128/10x23.11.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, *****, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M***** G*****, vertreten durch die Sachwalterin M***** G*****, diese vertreten durch Dr. Werner Mosing, Rechtsanwalt in Feldkirchen in Kärnten, wegen 36.045 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 22. September 2010, GZ 2 R 99/10h-102, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Ausführungen der Klägerin zur behaupteten Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit vermögen keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

Auch wenn sich (wie hier) nur eine der beiden Parteien im Text des gerichtlichen Vergleichs dessen Widerruf innerhalb einer bestimmten Frist vorbehalten hat, handelt es sich zweifellos um einen bedingten Vergleich. Bei den weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts zum Inhalt des in der Verhandlung vom 10. 7. 2008 (bedingt) abgeschlossenen Vergleichs und zu den im Zusammenhang damit abgegebenen Erklärungen handelt es sich eindeutig erkennbar um die Darlegung des Verfahrensgangs anhand des Gerichtsakts, insbesondere des Verhandlungsprotokolls (ON 65). Auch in dieser Hinsicht liegt keine Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage vor, die eine mündliche Berufungsverhandlung vorausgesetzt hätte. Die im gegebenen Zusammenhang als Aktenwidrigkeit (vgl dazu RIS-Justiz RS0043350) geltend gemachte Abweichung vom Akteninhalt liegt ebenfalls nicht vor. Die Klägerin gesteht in der außerordentlichen Revision selbst zu, dass das Protokoll über die Verhandlung vom 10. 7. 2008 den Hinweis über das Erfordernis der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung des (bedingt) abgeschlossenen Vergleichs enthält (ON 65, 12). Entgegen der Ansicht der Klägerin beziehen sich die von ihr kritisierten Ausführungen des Berufungsgerichts nicht nur auf den Vergleichstext.

Der Hinweis des Berufungsgerichts auf die fehlenden Behauptungen und Beweisergebnisse zur Frage der emotionalen Abhängigkeit der Beklagten von ihrem Sohn bedeutet ebenfalls keine Abweichung vom festgestellten Sachverhalt. Vielmehr wird damit die entsprechende Negativfeststellung des Erstgerichts als unzulässige überschießende Feststellung beurteilt (vgl RIS-Justiz RS0040318). Dass die Beklagte ihrem Sohn durch die Übernahme der Bürgschaft helfen wollte, hat das Erstgericht ausdrücklich festgestellt.

Zum Erfordernis der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung des Vergleichs hat das Berufungsgericht keineswegs nur auf die Begründung in seinem Beschluss vom 25. 3. 2009 (ON 75: Abweisung des Antrags auf Bestätigung der Rechtswirksamkeit und Vollstreckbarkeit des Vergleichs) verwiesen, sondern dazu unter Hinweis auf Klicka (in Fasching/Konecny 2 §§ 204 - 206 ZPO Rz 23) auch das dieser Entscheidung zugrunde liegende Hauptargument wiederholt. Außerdem bezieht sich der Verweis des Berufungsgerichts klar erkennbar nur auf rechtliche Erwägungen. Dadurch wird die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung keineswegs unmöglich gemacht oder erschwert. Warum die weiteren Verfahrensergebnisse nach der Rekursentscheidung 2 R 5/09h die Beurteilung zur Rechtswirksamkeit des Prozessvergleichs beeinflusst haben sollen, vermag auch die außerordentliche Revision nicht näher zu begründen.

2.1 In materiell-rechtlicher Hinsicht kann sich die Klägerin entgegen den Ausführungen in der außerordentlichen Revision nicht auf die Entscheidungen 5 Ob 557/80 und 9 Ob 714/91 (= RIS-Justiz RS0049178) stützen. Darin wurde lediglich ausgesprochen, dass der Prozessvergleich, der vom (vor dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit) wirksam mit Prozessvollmacht ausgestatteten Rechtsanwalt abgeschlossen wird, im Fall der nachträglichen Handlungsunfähigkeit der Partei keiner pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf. Die nachträgliche Geschäftsunfähigkeit (und Prozessunfähigkeit) hindert die Partei also nicht, durch einen vor dem Verlust der Geschäftsfähigkeit gültig bestellten Vertreter vor Gericht zu (ver-)handeln (9 Ob 714/91 = EvBl 1992/76). Dieses Ergebnis ist konsequent, weil durch die nachträgliche Handlungsunfähigkeit des Machtgebers die wirksam erteilte Vollmacht nicht erlischt (RIS-Justiz RS0019873). Demgegenüber bedarf aber ein durch den gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen oder durch einen Sachwalter abgeschlossener Vertrag zu seiner Wirksamkeit der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung (6 Ob 158/05m). Nach vollkommen gesicherter Rechtsprechung ist die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung Wirksamkeitsvoraussetzung im Verhältnis zum Pflegebefohlenen, aber nicht Bestandteil des Vertrags. Die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung ergänzt die fehlende volle Verpflichtungsfähigkeit des Geschäftsunfähigen bzw die Vertretungsmacht der für ihn handelnden Person. Durch die Versagung der Genehmigung wird das Rechtsgeschäft im Verhältnis zum Geschäftsunfähigen unwirksam (RIS-Justiz RS0049181; vgl auch RS0048220; RS0053275).

Dass ein gerichtlicher Vergleich (außer eine Prozesshandlung auch) einen zivilrechtlichen Vertrag darstellt, entspricht der ständigen Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0032587; RS0024972; 1 Ob 98/99i).

2.2 Die Klägerin kann sich auch nicht etwa auf die herrschende Lehre berufen. Gitschthaler (in Rechberger 3 §§ 204 - 206 ZPO Rz 16) vertritt klar die Ansicht, dass ohne pflegschaftsbehördliche Genehmigung keine Prozessfähigkeit gegeben und jeder genehmigungspflichtige Vergleich ex lege suspensiv bedingt sei, auch wenn die Bedingung der Genehmigung nicht beigesetzt worden sei. Die Auffassung, der Vergleich wäre auch ohne Genehmigung wirksam, wenn er nicht bedingt abgeschlossen worden sei, sei abzulehnen, weil sie nicht auf den Grundsatz Bedacht nehme, dass nur eine prozessfähige Partei rechtsgültig einen Vergleich abschließen könne. Klicka (aaO Rz 23) vertritt dieselbe Meinung.

2.3 Nachdem der Beklagten schon vor Einleitung des vorliegenden Verfahrens eine Sachwalterin für alle Angelegenheiten bestellt (s auch den Hinweis auf die Sachwalterin in den Einwendungen ON 6) und dem Vergleich vom 10. 7. 2008 die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung versagt worden war, vermag die Klägerin mit ihren Ausführungen zur angeblichen Wirksamkeit des Vergleichs somit keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Das Gleiche gilt für den behaupteten Feststellungsmangel zum Vergleichsabschluss „durch den unbeschränkt bevollmächtigten Prozessvertreter der Beklagten“.

3. Die von den Vorinstanzen dargelegten Grundsätze zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Haftung als Bürge und Zahler gemäß § 1357 ABGB „wechselmäßig unterlegt“ wird und daher die Übernahme einer Wechselbürgschaft auch eine Haftung nach bürgerlichem Recht begründen kann, die den Bürgen (ausnahmsweise) zu Einwendungen aus dem bürgerlichen Recht gegen den Wechselzahlungsauftrag berechtigt (8 Ob 31/05z), zieht die Klägerin nicht in Zweifel. Der Hinweis in der außerordentlichen Revision, dass im konkreten Fall keine wechselmäßig unterlegte Bürgschaft nach § 1357 ABGB vorliege, legt den Einzelfallbezug selbst offen. Ob über die unstrittige Bürgenhaftung nach § 1357 ABGB und die Wechselbürgenhaftung getrennte Vereinbarungen geschlossen wurden, bleibt unerheblich. Maßgebend ist vielmehr, ob aufgrund eines inneren Sachzusammenhangs die Vereinbarungen als Einheit zu betrachten sind. Die Ansicht der Klägerin, die Beklagte habe die Krediturkunden nur als Wechselbürgin unterzeichnet, weshalb sie auch nur die Mithaftung als Wechselbürgin übernommen habe, stellt ein bloßes Formalargument dar. Außerdem übersieht die Klägerin, dass nach den Feststellungen schon im Text des Kreditvertrags vom 25. 8. 1998 (Beilage ./H) festgehalten wurde, dass die Beklagte die Wechselbürgschaft durch Mitunterfertigung des Rektaakzepts und die Bürge- und Zahlerhaftung gemäß § 1357 ABGB (laut gesonderter Vereinbarung) übernimmt. Dies gilt im Übrigen auch für den - unstrittigen (vgl RIS-Justiz RS0121557) - Kreditvertrag vom 22. 7. 1997 (Beilage ./E).

4. Schließlich haben die Vorinstanzen auch die in der Judikatur entwickelten Grundsätze zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit von Bürgschaften naher Angehöriger, die mit der KSchG-Novelle 1996, BGBl I 1997/6, in das richterliche Mäßigungsrecht nach § 25d KSchG Eingang gefunden haben (Kathrein in KBB3 § 25d KSchG Rz 2), zutreffend dargestellt. Demnach sind die Haftungserklärungen auch volljähriger Familienangehöriger wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wenn zwischen Haftungsumfang und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Angehörigen ein krasses Missverhältnis besteht. Zudem müssen die Umstände des Zustandekommens des Interzessionsvertrags verpönt sein und eine entsprechende Kenntnis bzw fahrlässige Unkenntnis dieser Faktoren durch den Kreditgeber vorliegen (RIS-Justiz RS0048300; 8 Ob 43/04p). Die Bejahung des Vorliegens dieser Faktoren durch die Vorinstanzen ist vor allem mit Rücksicht auf den Haftungsumfang und die Leistungsfähigkeit der Beklagten, ihre Persönlichkeitsstruktur und intellektuellen Fähigkeiten, ihre geschäftliche Unerfahrenheit, weiters das fehlende Eigeninteresse und die unterbliebene Aufklärung über das Risiko, insbesondere die Gefährdung der Wohnmöglichkeit, und schließlich den festgestellten Kenntnisstand der Klägerin nicht korrekturbedürftig.

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten der nicht freigestellten und daher nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Revisionsbeantwortung gründet sich auf § 508a Abs 2 ZPO.

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