OGH 9ObA121/09y

OGH9ObA121/09y22.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gillinger und Dr. Gerda Höhrhan‑Weiguni als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. H***** M*****, Fliesenleger, *****, 2. M***** S*****, Angestellte, *****, 3. W***** V*****, Bauleiter, *****, alle vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei F*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Paul Herzog, Rechtsanwalt in Mittersill, wegen 4.449,66 EUR brutto sA, 3.303,21 EUR brutto sA und 53.396,33 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. Juli 2009, GZ 8 Ra 136/08s-36, womit das Zwischenurteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 28. Jänner 2008, GZ 30 Cga 35/07x‑27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:009OBA00121.09Y.1022.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Berufungsentscheidung wird dahin abgeändert, dass das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs‑ und des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Der „F*****‑Gruppe“ gehören mehrere Unternehmen der Fliesen-Branche an, unter anderem die D***** F***** Gesellschaft mbH, die F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH, die F***** Fliesenhandelsgesellschaft mbH und die F*****gesellschaft mbH. Letztere ist die Beklagte im vorliegenden Verfahren. Bei der zweitgenannten Gesellschaft waren die Kläger vormals beschäftigt, und zwar der Erstkläger als Fliesenleger seit 7. 1. 1992, die Zweitklägerin als kaufmännische Angestellte seit 16. 8. 1999 und der Drittkläger als Bauleiter seit 1. 9. 1997. Die D***** F***** GmbH, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer Dkfm. A***** W***** ist, ist Alleingesellschafterin der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH. Dkfm W***** hatte das Fliesenverlegungsunternehmen „F*****“ im Jahr 1989 im Zuge eines Managementaufkaufs erworben. Sämtliche Unternehmen der „F*****‑Gruppe“ sind an der Adresse *****, angesiedelt.

Die Geschäfte der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH gingen im Jahr 2006 schon seit geraumer Zeit nicht mehr gut, weshalb es bei Dkfm. W***** mehrfach Überlegungen gab, das Unternehmen zu schließen. Von einer Schließung sah er aber zunächst noch ab, weil er befürchtete, dass dadurch das Schwesterunternehmen, die F***** Fliesenhandelsgesellschaft mbH, bei der die F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH einkaufte, in Schwierigkeiten kommen könnte. Im Mai 2006 spitzte sich allerdings die wirtschaftliche Lage zu, als mangels Einigung mit der Hausbank am 15. 5. 2006 die Konten der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH gesperrt und die Kredite zum 6. 6. 2006 gekündigt wurden.

Dkfm. W***** hatte die Absicht, die Fliesenverlegung im Rahmen der F*****‑Gruppe jedenfalls weiterzuführen. Am 21. 5. 2006 wurde zwischen der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH und der D***** F***** GmbH vereinbart, dass letztere im Wege des „Personalleasing“ die bei der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH beschäftigten Fliesenleger und Helfer für Verfliesungsarbeiten auf bestimmten Baustellen der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH miete. Am 23. 5. 2006 wurde bei der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH beschlossen, einen Konkursantrag zu stellen. Vorher wurde allerdings noch der Firmenwortlaut auf „A***** Fliesenverlegegesellschaft mbH“ geändert, um den Namen „F*****“ durch das Insolvenzverfahren nicht negativ zu belasten. Ende Mai 2006 gingen im Auftrag des Dkfm. W***** Schreiben der D***** F***** GmbH mit dem Logo der „F*****‑Gruppe“ an die Mehrheit der Auftraggeber der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH, deren Aufträge noch nicht erfüllt worden waren. Darin wurden die Auftraggeber unter Hinweis auf eine Umstrukturierung der Geschäftstätigkeit der „F*****‑Gruppe“ darüber informiert, dass die beauftragten Fliesenverlegungsarbeiten von der „F***** Verfliesungsgesellschaft“ nicht fertiggestellt werden können. Gleichzeitig wurde aber den Auftraggebern angeboten, die Leistungen zu denselben Bedingungen in der gleichen Qualität zu übernehmen, und die Auftraggeber ersucht, der Übertragung der Aufträge zuzustimmen. Fast alle Auftraggeber stimmten der „Abtretung“ zu. Diese Aufträge wurden in der Folge von der D***** F***** GmbH unter Verwendung der im Wege des „Personalleasing“ beschäftigten Mitarbeiter der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH erledigt. Das Material wurde von der D***** F***** GmbH zur Verfügung gestellt. Einige Aufträge wurden auch noch von der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH selbst fertiggestellt.

Mit Gesellschaftsvertrag vom 1. 6. 2006 wurde die Beklagte gegründet und am 8. 6. 2006 im Firmenbuch eingetragen. Geschäftsführer ist Dkfm. W*****. Gesellschafter sind die D***** F***** GmbH und die F***** Fliesenhandelsgesellschaft mbH.

Mit

 

Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 13. 6. 2006, *****, wurde über das Vermögen der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH der Konkurs eröffnet. Rechtsanwalt Dr. A***** S***** wurde zum Masseverwalter bestellt. Mit Beschluss des Konkursgerichts vom 20. 6. 2006 wurde die Schließung des Unternehmens der Gemeinschuldnerin genehmigt. Dkfm. W***** war schon vorher klar gewesen, dass aufgrund der finanziellen Situation der Gemeinschuldnerin und mangels Materials keine Betriebsfortführung durch den Masseverwalter in Frage komme. Er wandte sich auch nie an den Masseverwalter hinsichtlich der allfälligen Möglichkeit des Erwerbs von Kundenbeziehungen, Aufträgen oder der Fortführung des Unternehmens durch eine „Auffanggesellschaft“. Das Anlagevermögen der Gemeinschuldnerin inklusive zweier Fahrzeuge wurde im Konkurs auf den Betrag von 1.010 EUR geschätzt. Ein Fahrzeug wurde von der D***** F***** GmbH erworben.

Bei einer Betriebsversammlung vom 23. 6. 2006 wurden die Arbeitnehmer von der Betriebsschließung und der Möglichkeit des Austritts aus dem Arbeitsverhältnis informiert. Davon machten alle Arbeitnehmer ‑ zwanzig Arbeiter und fünf Angestellte ‑ Gebrauch. Nach der Betriebsversammlung wurde allen Arbeitnehmern von Dkfm. W***** angeboten, ab 26. 6. 2006 für die „neue Firma“, die Beklagte, unter den gleichen Bedingungen wie bisher weiterzuarbeiten. Von dieser Möglichkeit ‑ ein Teil der Belegschaft hatte schon vorher von der Gründung einer neuen Gesellschaft gehört ‑ machten die meisten Arbeitnehmer Gebrauch, und zwar in der Woche vom 26. 6. bis 30. 6. 2006 zwölf Arbeiter und vier Angestellte und in der Zeit vom 3. 7. bis 17. 7. 2006 noch vier weitere Arbeiter. Zwei der drei ehemaligen Bauleiter waren weiterhin für die Beklagte tätig. Der dritte Bauleiter, der Drittkläger, beließ es hingegen beim vorzeitigen Austritt und machte sich ab August 2006 selbständig.

Die Kunden der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH setzten sich aus bauleiterbezogenen, F*****‑bezogenen und marktbezogenen Kunden zusammen. Die Beklagte übernahm die bauleiterbezogenen Kunden der beiden bei ihr beschäftigten Bauleiter der Gemeinschuldnerin sowie die F*****‑bezogenen Kunden. Die Beklagte nahm am 26. 6. 2006 ihre Geschäftstätigkeit auf. Der Betriebsgegenstand der Beklagten, nämlich die Fliesen- und Plattenverlegung, ist mit jenem der Gemeinschuldnerin ident. Die Beklagte ist in den gleichen Geschäftsräumlichkeiten wie die Gemeinschuldnerin ansässig. Sie ist wie die Beklagte Untermieterin der D***** F***** GmbH. Die Beklagte stellte auch ehemalige Aufträge der Gemeinschuldnerin fertig, wobei allerdings das konkrete Ausmaß nicht feststellbar war. Die Beklagte bezieht wie die Gemeinschuldnerin das Material bei der F***** Fliesenhandels GmbH.

Die Kläger begehren von der Beklagten Entgelt‑ und Sonderzahlungen aus der Zeit der Beschäftigung bei der Gemeinschuldnerin, und zwar der Erstkläger für den Zeitraum 1. 5. bis 23. 6. 2006, die Zweitklägerin und der Drittkläger für den Zeitraum 1. 6. bis 23. 6. 2006. Der Drittkläger begehrt überdies aus der Beschäftigung bei der Gemeinschuldnerin eine Kündigungsentschädigung bis 31. 12. 2006, anteilige Sonderzahlungen zur Kündigungsentschädigung, eine Urlaubsersatzleistung, eine Abfertigung und restliche Kilometergelder. Das Klagebegehren des Erstklägers beläuft sich auf 4.449,66 EUR brutto sA (30 Cga 35/07x), jenes der Zweitklägerin auf 3.303,21 EUR brutto sA (6 Cga 35/07w) und jenes des Drittklägers auf 53.396,33 EUR brutto sA (6 Cga 34/07y). Alle drei Kläger machen einen Betriebsübergang nach § 3 Abs 1 AVRAG geltend, und zwar zunächst auf die D***** F***** GmbH und sodann auf die Beklagte. Damit seien die Arbeitsverhältnisse auf die Beklagte übergegangen. Diese könne sich nicht auf das Konkursprivileg nach § 3 Abs 2 AVRAG berufen, weil der Betrieb bereits vor der Konkurseröffnung übergegangen sei. Die Beklagte habe im Zusammenwirken mit der D***** F***** GmbH versucht, sich der Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmern über den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds zu entledigen. Die Geschäftsbeziehungen der Gemeinschuldnerin und offenen Aufträge sollten durch die D***** F***** GmbH überbrückt werden.

Die Beklagte bestritt die Klagebegehren, beantragte deren Abweisung und wendete ein, dass der von den Klägern behauptete Betriebsübergang ein bloßes „Phantasiekonstrukt“ sei. Die Beklagte habe erst am 26. 6. 2006 ihren Betrieb aufgenommen. Zur F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH habe es keine geschäftliche Beziehung gegeben; es sei auch kein Betriebssubstrat übertragen worden. Auf die Beklagte seien keine Arbeitsverhältnisse und daher auch keine Lohnrückstände der Gemeinschuldnerin übergegangen. Der Geschäftsführer der Beklagten habe den Austritt der Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin weder veranlasst noch daran mitgewirkt. Erst nach dem Austritt habe er diejenigen Arbeitnehmer, die daran interessiert gewesen seien, zur Bewerbung bei der Beklagten eingeladen. Der Umsatz der Beklagten mit Stammkunden der Gemeinschuldnerin habe im zweiten Halbjahr 2006 nur 16 % ausgemacht. Der Drittkläger habe nie für die Beklagte gearbeitet und auch keine Arbeitsbereitschaft bekundet. Seine Absicht sei nach dem Austritt bei der Gemeinschuldnerin darauf gerichtet gewesen, sich selbständig zu machen.

Das Erstgericht verband die drei Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung; führend ist das Verfahren des Erstklägers. In der Sache erkannte das Erstgericht mit Zwischenurteil, dass die Klagebegehren des Erstklägers, der Zweitklägerin und des Drittklägers dem Grunde nach zu Recht bestehen; die Entscheidung über die Höhe der Klagebegehren und die Prozesskosten wurde der Endentscheidung vorbehalten. Unter Zugrundelegung des oben wiedergegebenen Sachverhalts bejahte das Erstgericht in Anwendung der einschlägigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs das Vorliegen eines Betriebsübergangs auf die Beklagte gemäß § 3 Abs 1 AVRAG. Neben den eingangs wiedergegebenen Feststellungen traf das Erstgericht auch noch weitere, in der Berufung der Beklagten bekämpfte Feststellungen. Diese können allerdings mangels rechtlicher Erheblichkeit dahingestellt bleiben. In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass es sich ‑ vergleiche man die Gemeinschuldnerin mit der Beklagten ‑ in Bezug auf den Firmenwortlaut, die Eigentümerverhältnisse, den Betriebsgegenstand, den Standort, den Großteil der Belegschaft und Teile des Kundenstocks um nahezu idente Unternehmen handle. Es sei daher nicht zu bezweifeln, dass es zu einem Übergang der wirtschaftlichen Einheit auf die Beklagte gekommen sei. Auf unmittelbare vertragliche Beziehungen komme es nicht an; es genüge ein faktischer Übergang.

Das Berufungsgericht gab der gegen das Ersturteil erhobenen Berufung der Beklagten Folge und änderte es in eine Abweisung der drei Klagebegehren ab. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen, weil keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO genannten Qualität vorliege. Das Berufungsgericht bejahte die vom Erstgericht dargelegten allgemeinen Voraussetzungen für einen Betriebsübergang gemäß § 3 Abs 1 AVRAG, verneinte aber deren Vorliegen im konkreten Fall. Die Kläger seien von einem zweistufigen Betriebsübergang ‑ zunächst auf die D***** F***** GmbH und sodann auf die Beklagte ‑ ausgegangen. Den ersten Übergang haben sie in der Fertigstellung begonnener Arbeiten und im Personalleasing durch die D***** F***** GmbH gesehen. Daraus könne jedoch mangels Übergangs einer wirtschaftlichen Einheit auf keinen Betriebsübergang geschlossen werden. Es brauche deshalb gar nicht geprüft zu werden, ob anschließend ein Betriebsübergang von der D***** F***** GmbH auf die Beklagte stattgefunden habe. Es habe aber auch kein unmittelbarer Betriebsübergang von der Gemeinschuldnerin auf die Beklagte stattgefunden. Die Beklagte habe ihren Betrieb erst nach der Konkurseröffnung vom 13. 6. 2006 aufgenommen. Allenfalls für die Annahme eines Betriebsübergangs relevante Schritte durch die Beklagte (zB Übernahme von Arbeitnehmern, des Kundenstocks, der Betriebsmittel und der Betriebsräumlichkeiten) seien erst nach der Konkurseröffnung erfolgt. Der Beklagten komme daher der Ausnahmetatbestand des § 3 Abs 2 AVRAG zugute.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Berufungsurteil dahin abzuändern, dass das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederhergestellt werde.

Die Beklagte beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision der Kläger zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Kläger ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig; sie ist auch berechtigt.

Zwischen den Parteien ist strittig, ob es zwischen der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH und der Beklagten ‑ mit oder ohne Zwischenschaltung eines Betriebsübergangs auf die D***** F***** GmbH ‑ zu einem Betriebsübergang gekommen ist, aufgrund dessen die Arbeitsverhältnisse der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH gemäß § 3 Abs 1 AVRAG auf die Beklagte übergingen. Ein derartiger Betriebsübergang setzt voraus, dass ein Unternehmen, Betrieb oder zumindest Betriebsteil auf einen anderen Inhaber übergeht. Die Rechtsgrundlage des Betriebsübergangs spielt dabei keine Rolle; es genügt der faktische Vorgang. Entscheidend ist der Inhaberwechsel (9 ObA 94/07z; RIS‑Justiz RS0110344 ua). Der Begriff des „Veräußerers“ und des „Erwerbers“ ist in diesem Zusammenhang weit zu ziehen. Für die Erfüllung der geforderten Merkmale sind keine Veräußerung und kein Eigentumswechsel erforderlich (RIS‑Justiz RS0119396 ua). Es wird schlicht an den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit angeknüpft (RIS‑Justiz RS0110832 ua). Der Zweck des § 3 AVRAG, der in Umsetzung der BetriebsübergangsRL 77/187/EWG erlassen wurde ( Gahleitner in ZellKomm § 3 AVRAG Rz 1 ua), besteht darin, die Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Unternehmensinhabers so weit wie möglich zu gewährleisten, indem den Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt wird, ihr Arbeitsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu denselben Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren (RIS‑Justiz RS0108458 ua). Ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist aufgrund der den betreffenden Vorgang kennzeichnenden tatsächlichen Umstände zu beurteilen (9 ObA 154/05w; RIS‑Justiz RS0082749 ua). Dabei ist im Sinn eines beweglichen Systems eine Gesamtbewertung der einzelnen Umstände vorzunehmen, zumal der Betriebsübergang in einem sehr weiten Sinn zu verstehen ist. Derartige Umstände sind beispielsweise die Übernahme der materiellen und immateriellen Betriebsmittel und des Großteils der Belegschaft, die allfällige Ähnlichkeit der vor und nach der Übernahme verrichteten Tätigkeit, der Übergang der Kundschaft und die Fortführung der wirtschaftlichen Einheit (9 ObA 55/98y; RIS‑Justiz RS0082749 ua).

Für die Berechtigung der Klagebegehren ist somit entscheidend, ob es zu einem Betriebsübergang auf die Beklagte gekommen ist. Der Überlegung der Kläger, dass es vor dem Übergang auf die Beklagte auch noch zu einem Betriebsübergang auf die D***** F***** GmbH gekommen sei, kann nicht beigetreten werden. Die Zweifel des Berufungsgerichts bezüglich eines Übergangs auf die D***** F***** GmbH sind berechtigt. Die vorübergehende „Personalmiete“ durch die D***** F***** GmbH schließt zwar einen allfälligen Betriebsübergang nicht aus, weil dieser ‑ wenn die Voraussetzungen vorliegen ‑ unabhängig vom Wollen der Beteiligten eintritt (RIS‑Justiz RS0119347 ua). Die „Personalmiete“ ist aber kein Indiz, das für einen Betriebsübergang spricht (vgl RIS‑Justiz RS0122202 ua). Wäre ein Betriebsübergang auf die D***** F***** GmbH erfolgt, dann hätte es nicht der „Personalmiete“ bedurft; die Arbeitnehmer wären diesfalls auf die D***** F***** GmbH übergegangen und hätten nicht erst „gemietet“ werden müssen.

Die „Personalmiete“ ist entgegen der Annahme der Kläger auch kein überzeugendes Argument für den Vorwurf einer Gesetzesumgehung auf Beklagtenseite. Dkfm. W*****, dem Geschäftsführer der D***** F***** GmbH, der Alleingesellschafterin der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH, ist durchaus zuzubilligen, dass er, nachdem die F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in der Lage war, alle übernommenen Aufträge zu erfüllen, und der Konkurs bevorstand, versuchte, durch die provisorische Maßnahme einer „Personalmiete“ zumindest die laufenden Aufträge zu einem Abschluss zu bringen. Dabei ging es offensichtlich um die ganze „F*****‑Gruppe“, die erkennbar auch in Zukunft dafür stehen sollte, übernommene Aufträge mit der erwarteten Qualität zu einem gedeihlichen Abschluss zu bringen. Es bedarf keiner besonderen Erörterung, dass der erfolgreiche Betrieb von Fliesenhandel und ‑verlegung mit mehreren Gesellschaften unter einem einheitlichen wirtschaftlichen Dach neben der Nutzung von Synergien vor allem auf der Erfahrungstatsache beruht, dass der Kunde im Fliesenhandel ein potentieller Kunde für die Fliesenverlegung ist, und umgekehrt. Störungen bei der Fliesenverlegung können daher negative Rückwirkungen auf den Fliesenhandel haben. Nach dem vorliegenden Sachverhalt war das Tätigwerden der D***** F***** GmbH sichtlich nur ein Provisorium, um sich mehrere Optionen für den bevorstehenden Konkurs offen und den wirtschaftlichen Schaden für die F*****‑Gruppe infolge unzufriedener Auftraggeber gering zu halten. Für dieses Provisorium bedurfte es keines Betriebsübergangs. Die D***** F***** GmbH „mietete“ kurzerhand die benötigten Arbeitnehmer vorübergehend bei der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH, beschaffte sich das erforderliche Material bei der F***** Fliesenhandelsgesellschaft mbH und war damit in der Lage, eine Reihe von Aufträgen zu beenden und die betroffenen Kunden der F*****‑Gruppe zufrieden zu stellen. Ein Betriebsübergang auf die D***** F***** GmbH fand nicht statt. Das bloße Intermezzo der D***** F***** GmbH kann daher im Folgenden ausgeblendet werden.

Entscheidend ist die Frage, ob der Betrieb der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH auf die Beklagte übergegangen ist. Dabei ist der Inhaberwechsel kein besonderes Problem. Dass die Fliesenverlegung im Rahmen der F*****‑Gruppe zunächst von der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH und sodann von der Beklagten ausgeübt wurde, stellt niemand in Frage. Strittig ist jedoch, ob und was von der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH auf die Beklagte überging. Bevor auf diese Frage näher eingegangen wird, ist noch der Umstand zu beleuchten, dass im vorliegenden Fall zwar alle Gesellschaften rechtlich selbständige Unternehmen sind, jedoch ‑ nicht weiter strittig ‑ zu wirtschaftlichen Zwecken unter der einheitlichen Leitung des Dkfm. W***** als „F*****‑Gruppe“ zusammengefasst sind. Man kann insoweit von einem Konzern und der Existenz mehrerer Konzernunternehmen ausgehen (vgl § 115 Abs 1 GmbHG, § 15 Abs 1 AktG). Diese Situation muss bei Prüfung des Vorliegens eines Betriebsübergangs berücksichtigt werden, soll nicht der Zweck des § 3 Abs 1 AVRAG auf der Strecke bleiben. Dieser besteht, wie schon ausgeführt, darin, die Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Unternehmensinhabers so weit wie möglich zu gewährleisten, indem den Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt wird, ihr Arbeitsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu denselben Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren (RIS‑Justiz RS0108458 ua).

Die Vorgangsweise des Dkfm. W***** war darauf ausgerichtet, die F*****‑Gruppe ‑ insbesondere auch den Namen „F*****“ ‑ möglichst unbeschadet durch den Konkurs über das Vermögen der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH zu bringen. Die Übernahme offener Gehaltsforderungen der Arbeitnehmer der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH hatte dabei sichtlich keine Priorität. Dkfm. W***** konnte bei seinem Rettungsplan für die „F*****‑Gruppe“ die Vorteile des Konzerns nutzen, indem er in Anbetracht des bevorstehenden Konkurses der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH und gravierender Stockungen bei der Fertigstellung laufender Aufträge kurzfristig mit der Fliesenverlegung auf ein anderes Konzernunternehmen auswich, um die Aufträge zu erfüllen und die Kunden nicht zu vergrämen sowie den Schaden für alle Beteiligten, einschließlich die Gemeinschuldnerin und deren Gläubiger, möglichst gering zu halten. Eine neu gegründete Gesellschaft der „F*****‑Gruppe“ stand bereit, in Hinkunft im Rahmen der „F*****‑Gruppe“ die Fliesenverlegung zu übernehmen. Die wirtschaftliche Einheit der Gemeinschuldnerin bestand im vorliegenden Fall nicht aus umfangreichen Anlagen ‑ wie schon erwähnt, wurde der Wert des Anlagevermögens der Gemeinschuldnerin inklusive zweier Fahrzeuge auf bloße 1.010 EUR geschätzt ‑ sondern vor allem aus dem Namen „F*****“, dem Know‑how der Belegschaft, den Kundenbeziehungen und der Möglichkeit, im Konzern an Betriebsräumlichkeiten zu partizipieren und das Material von einem anderen Konzernunternehmen zu beziehen.

Wie ebenfalls schon erwähnt, spielt die Rechtsgrundlage des Betriebsübergangs keine besondere Rolle; es genügt der faktische Vorgang (vgl RIS‑Justiz RS0110344 ua). Für die Erfüllung der geforderten Merkmale sind keine Veräußerung und kein Eigentumswechsel erforderlich (RIS‑Justiz RS0119396 ua). Es wird an den Übergang einer wirtschaftlichen Einheit angeknüpft (RIS‑Justiz RS0110832 ua). Nimmt man nun eine Gesamtbewertung der hier vorliegenden tatsächlichen Umstände vor, dann kann im Sinne des zu beachtenden beweglichen Systems kein Zweifel daran bestehen, dass die wirtschaftliche Einheit der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH faktisch auf die Beklagte überging und von dieser fortgeführt wird. Zutreffend hob das Erstgericht hervor, dass es sich ‑ vergleicht man die Gemeinschuldnerin mit der Beklagten ‑ in Bezug auf den Firmenwortlaut, die Eigentümerverhältnisse, den Betriebsgegenstand, den Standort, den Großteil der Belegschaft und Teile des Kundenstocks um nahezu idente Unternehmen handelt. Von einem Betriebsübergang gemäß § 3 Abs 1 AVRAG auf die Beklagte ist daher auszugehen.

Da ein Übergang auf die Beklagte vor der Konkurseröffnung nicht eindeutig feststellbar war, bleibt noch die Prüfung des Einwands der Beklagten, dass § 3 Abs 1 AVRAG gemäß der Ausnahme des § 3 Abs 2 AVRAG (in der hier noch anzuwendenden Stammfassung der Bestimmung [BGBl 1993/459] vor der Änderung durch das IRÄG 2010, BGBl I 2010/29) nicht im Fall des Konkurses des Veräußerers gilt. Wie der Oberste Gerichtshof zu 8 Ob 15/95 (DRdA 1997/12 [ Kirschbaum ]) betont hat, ist § 3 Abs 2 AVRAG in einem insbesondere Umgehungen von BetriebsübergangsRL und Gesetz weitgehend ausschließenden Sinn zu verstehen und anzuwenden. In dieser Entscheidung ging es um zwei Unternehmen ‑ ein Transportunternehmen und ein zweites Unternehmen, das Fuhrpark, Betriebsliegenschaft und Geschäftsausstattung zur Verfügung stellte ‑ die einen einheitlichen Betrieb führten. In zeitlicher Annäherung an den Konkurs über das Vermögen des Transportunternehmens wurde ein drittes Unternehmen gegründet, das den in der Firma der Gemeinschuldnerin enthaltenen Familiennamen als Firmenbestandteil weiterführte. Das dritte Unternehmen erwarb nach dem Konkurs den Fuhrpark und stellte die meisten ehemaligen Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin ein. Der Oberste Gerichtshof erkannte, dass es nicht zur Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 3 Abs 2 AVRAG komme, wenn von zwei Unternehmen ein einheitlicher Betrieb geführt werde, von denen nur eines in Konkurs falle, weil dann beide Unternehmen als Veräußerer iSd § 3 Abs 2 AVRAG anzusehen seien (8 Ob 15/95).

Die Überlegungen in 8 Ob 15/95 können auch im vorliegenden Fall nutzbar gemacht werden. Durch § 3 Abs 1 AVRAG soll sichergestellt werden, dass den durch den Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern ihre Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erhalten bleiben. Dieser Zweck darf weder durch zwei Unternehmen, die einen einheitlichen Betrieb führen, noch durch das Zusammenwirken mehrerer Unternehmen im Rahmen eines Konzerns umgangen werden. Das vorliegende Verfahren zeigte, wie die „F*****‑Gruppe“ den Konkurs der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH durch geschicktes Konzernmanagement bewältigte. Das Anlagevermögen der Gemeinschuldnerin wurde im Konkurs auf gerade einmal 1.010 EUR geschätzt. Ihr eigentliches, vom Konkurs nur wenig betroffenes Kapital waren vor allem der Name „F*****“, die eingearbeitete Belegschaft und die Einbettung des Betriebs in den Konzern mit der Möglichkeit, beispielsweise über die F***** Fliesenhandelsgesellschaft mbH Kunden für die Fliesenverlegung zugeführt zu bekommen und die Betriebsräumlichkeiten zu benützen. Der Übergang auf die neu gegründete Beklagte war nur die Frage eines geschickten Zeitplans. Vergleichbar 8 Ob 15/95 wurde auch hier vor Konkurseröffnung die wirtschaftliche Substanz aus der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH herausgenommen und nach Konkurseröffnung in die Beklagte eingefügt. Der Zweck des § 3 Abs 2 AVRAG liegt vor allem darin, den Erwerber der wirtschaftlichen Einheit eines Gemeinschuldners nach Konkurseröffnung nicht durch den ex‑lege‑Übergang aller Beschäftigten von der Weiterführung des Geschäfts abzuhalten. Damit würde nämlich der Schutzzweck des § 3 AVRAG, wenigstens einen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten, konterkariert werden ( Kirschbaum in DRdA 1997/12, 121 ua). Natürlich wäre auch im Konzern die Nichtübernahme der Altlasten aus den früheren Arbeitsverhältnissen ein willkommener Nebeneffekt gewesen; dieser Motivation bedurfte es hier aber nicht. Die Beklagte musste nicht erst überredet werden, das Unternehmen der Gemeinschuldnerin fortzuführen. Sie stieß nicht bloß (mehr oder weniger zufällig) auf eine von der Gemeinschuldnerin hinterlassene „Marktlücke“, wie in der Revisionsbeantwortung behauptet. Es war vielmehr nach Lage des Falls ihre Aufgabe und Bestimmung im Konzern der F*****‑Gruppe ‑ nach dem wirtschaftlichen Scheitern der F***** Fliesenverlegegesellschaft mbH ‑ die Fliesenverlegung unter dem Namen „F*****“ weiterzuführen. In einem derartigen Fall würde die Anwendung des Konkursprivilegs ihren Zweck verfehlen. Bei der hier gegebenen Herausnahme der wirtschaftlichen Substanz vor Konkurseröffnung und Einfügung in die zum Zweck der Nachfolge gegründete Beklagte liefe die Anwendung des § 3 Abs 2 AVRAG auf eine Gesetzesumgehung hinaus (vgl Lengauer , Kündigung wegen Betriebsübergang, ecolex 1996, 471 [472 f] ua). Die Ausnahme nach § 3 Abs 2 AVRAG kann daher nicht zum Tragen kommen.

Zutreffend ging somit das Erstgericht nicht nur von einem Betriebsübergang gemäß § 3 Abs 1 AVRAG auf die Beklagte, sondern auch davon aus, dass die Beklagte für die Verpflichtungen der Gemeinschuldnerin aus den Arbeitsverhältnissen der Kläger mit der Gemeinschuldnerin haftet. Hinsichtlich des Erstklägers und der Zweitklägerin folgt dies aus dem Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die Beklagte. Die vorzeitigen Austritte des Erstklägers und der Zweitklägerin bei der Gemeinschuldnerin im zeitlichen Naheverhältnis zum Betriebsübergang dienten im Hinblick auf die praktisch nahtlose „Neueinstellung“ bei der Beklagten nur der Überwälzung der Verpflichtungen auf den Insolvenz‑Ausfallgeld‑Fonds. Die Austritte waren daher rechtsunwirksam (vgl Gahleitner in ZellKomm § 3 AVRAG Rz 69; 8 Ob 15/95 ua). Anders war die Lage beim Drittkläger, der nicht zur Beklagten wechselte und für diese arbeitete, sondern sich selbständig machte. Bei ihm ging es nicht um die Umgehung des Betriebsübergangs. Der Arbeitnehmer kann nicht verhalten sein, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht gewählt hat (vgl 9 ObA 272/00s ua). Sein vorzeitiger Austritt war wirksam, sein Arbeitsverhältnis ging nicht auf die Beklagte über. Für die Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis zur Gemeinschuldnerin, die vor dem Zeitpunkt des Übergangs begründet wurden, haften Veräußerer und Erwerber zur ungeteilten Hand (§ 6 Abs 1 AVRAG; 9 ObA 213/99k; 8 ObS 187/00h; RIS‑Justiz RS0112978 ua). Die Bestimmung des § 1409 ABGB wurde in diesem Zusammenhang von den Parteien nicht besonders thematisiert. Das Thema eines Teilübergangs auf den Drittkläger wird von der Beklagten zu Recht nicht mehr verfolgt und in der Revisionsbeantwortung zutreffend als „illusorische Rechtsposition“ qualifiziert.

Der Kostenvorbehalt beruht auf den §§ 52 Abs 2, 393 Abs 4 ZPO.

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