OGH 4Ob44/10i

OGH4Ob44/10i5.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers Mag. F***** H*****, vertreten durch Dr. Elisabeth Rech, Rechtsanwältin in Wien, wider die Antragsgegnerin H***** H*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Mag. Norbert Marschall, Rechtsanwälte OG in Wien, wegen §§ 81 ff EheG, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. November 2009, GZ 43 R 666/09y-52, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 5. Juli 2009, GZ 4 C 37/07k-46, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Antragsteller begehrt die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse.

Die Antragsgegnerin wendete unter anderem die Verfristung des Antrags ein. Die Ehe der Streitteile sei mit Urteil des Erstgerichts vom 18. 8. 2005 geschieden worden. Der Antragsteller habe lediglich den Verschuldensausspruch bekämpft, sodass der Ausspruch über die Scheidung der Ehe am 22. 9. 2005 in Rechtskraft erwachsen sei. Nachdem die Einjahresfrist des § 95 EheG ab formeller Rechtskraft laufe, sei der Aufteilungsantrag vom 13. 3. 2007 als verspätet abzuweisen.

Der Antragsteller entgegnete, der Vertreter der Antragsgegnerin habe in den zwischen den Streitteilen anhängigen weiteren Gerichtsverfahren im Oktober und im November 2005 behauptet, dass das Scheidungsurteil noch nicht rechtskräftig sei und die Streitteile noch aufrecht verheiratet seien. Auch das Erstgericht habe im Urteil vom 11. 8. 2006 zu 4 C 121/05k festgestellt, es sei unbestritten, dass die Streitteile noch verheiratet seien, weil das Scheidungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Dazu komme, dass „die ganze Zeit über“ Vergleichsgespräche gepflogen worden seien und Vergleichsangebote auch während der Verhandlungen vor Gericht erfolgt seien.

Das Erstgericht erachtete den Aufteilungsantrag als rechtzeitig und traf eine Sachentscheidung.

Das Rekursgericht wies den Aufteilungsantrag wegen Verfristung ab und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs zur „Problematik des Wiederauflebens der bereits abgelaufenen Frist nach Treu und Glauben“ für zulässig. Der Scheidungsausspruch könne in Rechtskraft erwachsen, ohne dass bereits rechtskräftig über das Verschulden entschieden worden sei. Da das Scheidungsurteil von der nunmehrigen Antragsgegnerin (gemeint wohl: vom Antragsteller) nur hinsichtlich des Verschuldensausspruchs angefochten worden sei, sei der Ausspruch über die Scheidung noch im September 2005 rechtskräftig geworden. Der Aufteilungsantrag vom März 2007 liege daher außerhalb der Einjahresfrist des § 95 EheG. Ein Verhalten der Frau, welches - als gegen Treu und Glauben verstoßend - im Sinn einer Nichtbeachtlichkeit der Fallfrist ausgelegt werden müsste, sei nicht zu erkennen. Vergleichsgespräche im Oppositionsverfahren zu 4 C 121/05k im Sinne eines „Gesamtpakets“ hätten am 6. 10. 2005 stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Frist des § 95 EheG bereits abgelaufen gewesen. Eine nähere Beurteilung dieses Gesprächs in inhaltlicher Richtung erübrige sich daher.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, dem Aufteilungsantrag Folge zu geben; in eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt. Aktenwidrig sei die Feststellung, dass am 6. 10. 2005 die Frist des § 95 EheG bereits abgelaufen sei, sowie dass die Frau das Scheidungsurteil nicht bekämpft habe. Das Rekursgericht hätte bei richtiger rechtlicher Beurteilung davon ausgehen müssen, dass die genannte Frist durch zahlreiche intensive Vergleichsgespräche in den verschiedensten Prozessen gehemmt worden sei und der Antragsteller den Aufteilungsantrag sofort nach Erkennen, dass eine einvernehmliche Lösung in absehbarer Zeit nicht zustande kommen werde, gestellt habe. Der Antrag sei daher nicht verfristet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Die Frist des § 95 EheG ist eine materiellrechtliche Fallfrist, deren Nichteinhaltung zum Anspruchsverlust führt, ohne dass auch nur eine Naturalobligation bestehen bleibt. Dies bedeutet, dass die Geltendmachung eines der nachehelichen Aufteilung unterliegenden Anspruchs nach Ablauf der Frist nicht zur Zurückweisung der Klage, sondern zu einer Abweisung der Klage aus materiellrechtlichen Gründen führt (RIS-Justiz RS0110013).

2.1. Wurde die Ehe durch Teilurteil aufgelöst und die Verschuldensfrage dem Endurteil vorbehalten, so wird die Frist für den Aufteilungsantrag mit Eintritt der Rechtskraft des Teilurteils in Lauf gesetzt. Gleiches gilt, wenn das erstinstanzliche Urteil mangels Anfechtung des Ausspruchs über die Scheidung in diesem Umfang in Rechtskraft erwächst (RIS-Justiz RS0057735 [T2]; RS0041294).

2.2. Im vorliegenden Fall richtete sich die Berufung des Antragstellers im Scheidungsverfahren - die Antragsgegnerin hat kein Rechtsmittel gegen das Scheidungsurteil erhoben - ausdrücklich nur gegen den Verschuldensausspruch, sodass das erstinstanzliche Urteil im Scheidungsausspruch bereits Ende September 2005 in Rechtskraft erwuchs. Zur Wahrung der Antragsfrist hätte der Aufteilungsantrag daher grundsätzlich spätestens im September 2006 eingebracht werden müssen. Tatsächlich wurde er im März 2007 eingebracht.

3.1. Der durch den Ablauf einer Präklusivfrist Begünstigte muss die Ausübung des Rechts auch nach verstrichener Frist dann noch zulassen oder das bereits erloschene Recht als bestehend hinnehmen, wenn seine Berufung auf diese Ausschlussfrist gegen Treu und Glauben verstößt (RIS-Justiz RS0116131). Dies ist der Fall, wenn die Unterlassung rechtzeitiger Antragstellung durch sein Verhalten veranlasst wurde, zB wenn er beim anderen nach objektiven Maßstäben den Eindruck erweckte, er würde dessen Ansprüche auf gemeinsames Vermögen und Ersparnisse auch ohne gerichtliches Aufteilungsverfahren befriedigen, oder wenn er das Vorhandensein von Vermögenswerten verheimlicht. Die Berufung auf den Ablauf der Ausschlussfrist verstößt aber nicht schon dann gegen Treu und Glauben, wenn die Frist unverschuldet oder deshalb versäumt wurde, weil sich der Antragsteller wegen allfälliger Äußerungen der Erstrichterin in einem Irrtum befand. Erforderlich ist vielmehr ein Verhalten des Anspruchsgegners, das den Anspruchsberechtigten veranlasste, seine Forderung nicht fristgerecht geltend zu machen (RIS-Justiz RS0016824). Der Schuldner muss nicht wirklich arglistig gehandelt haben; es reicht aus, wenn er den Gläubiger (unbewusst) veranlasste, den Anspruch nicht innerhalb der Verjährungsfrist einzuklagen (Perner in Schwimann, ABGB-TaKomm, § 1501 Rz 3 mwN). Die Gegeneinrede muss nicht ausdrücklich erhoben werden, Vorbringen der sie begründenden Tatsachen in erster Instanz reicht aus.

3.2. Vergleichsgespräche vor Einleitung des Aufteilungsverfahrens bewirken eine Hemmung des Ablaufs der Präklusivfrist des § 95 EheG, sofern nur der Aufteilungsantrag nach Abbruch der Vergleichsverhandlungen ohne unnötigen Aufschub eingebracht wird (6 Ob 209/07i = RIS-Justiz RS0057759 [T1]). Nach einhelliger Rechtsprechung und Lehre reicht es für die Annahme von Vergleichsverhandlungen aus, dass der Gläubiger seine Ansprüche anmeldet und der Schuldner eine Stellungnahme abgibt, in der er den Anspruch nicht vollständig ablehnt. Nach der älteren Rechtsprechung rechtfertigen Vergleichsverhandlungen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist oder darüber hinaus gegenüber der Verjährungseinrede die Replik der Arglist. Nach neuerer Rechtsprechung liegt ein Hemmungsgrund eigener Art vor; der Ablauf der Verjährungsfrist wird hinausgeschoben. Verjährung tritt nicht ein, wenn der Anspruch nach Abbruch der Vergleichsverhandlungen unverzüglich (in angemessener Frist) gerichtlich geltend gemacht wird. Der Zeitpunkt, zu welchem Vergleichsverhandlungen als abgebrochen anzusehen sind, richtet sich danach, wann bei objektiver Beurteilung des Verhaltens des Gegners zu erkennen ist, dass weitere Vergleichsversuche aussichtslos sind (3 Ob 205/08f mwN; M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 1501 Rz 2a).

3.3. Im vorliegenden Fall haben beide Parteien (ebenso wie die Erstrichterin) zunächst über den Beginn der Frist geirrt und waren der Meinung, diese ende erst am 3. 11. 2007. Der Antragsteller stützt sich darauf, dass „die ganze Zeit“ Vergleichsverhandlungen geführt wurden. War dies tatsächlich der Fall, so lag ein Verhalten der Antragsgegnerin vor, aufgrund dessen der Antragsteller nach objektiven Maßstäben der Auffassung sein konnte, sein Anspruch werde entweder ohne Rechtsstreit befriedigt oder nur mit sachlichen Einwendungen bekämpft (vgl 1 Ob 2/93).

4.1. Der Revisionsrekurswerber macht zutreffend geltend, dass zum Zeitpunkt der (behaupteten) Vergleichsgespräche zwischen den Parteien im Oppositionsverfahren zu 4 C 121/05k des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien am 6. 10. 2005 die Frist des § 95 EheG noch nicht abgelaufen war, hatte sie doch erst im September 2005 zu laufen begonnen. Der Beurteilung dieser Gespräche in inhaltlicher Richtung kommt daher Relevanz zu.

4.2. Die Vorinstanzen haben keine Feststellungen getroffen, ob tatsächlich - etwa im Zuge der Oppositionsverfahren - ernsthafte Vergleichsgespräche über den Aufteilungsanspruch geführt und wann diese abgebrochen wurden. Diese Feststellungen sind aber erforderlich, um beurteilen zu können, ob der gegenständliche Aufteilungsantrag rechtzeitig erfolgte oder nicht. Das Erstgericht wird daher diese Thematik mit den Parteien zu erörtern und nach allfälliger Verfahrensergänzung neuerlich zu entscheiden haben.

5. Dem Revisionsrekurs des Antragstellers war Folge zu geben, die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und die Familienrechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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