OGH 6Ob121/10b

OGH6Ob121/10b1.9.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** O*****, vertreten durch Dr. Manfred Trentinaglia und Dr. Clemens Winkler, Rechtsanwälte in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei Dipl.-Ing. P***** H*****, vertreten durch Dr. Georg Peterlunger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 246.637,56 EUR sA, über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 29. September 2009, GZ 1 R 153/09y-68, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28. April 2009, GZ 41 Cg 208/05i-63, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Der Rekurs der Klägerin wird hinsichtlich eines Teilbetrags von 17.892,01 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. 12. 2003 zurückgewiesen.

II. Im Übrigen werden beide Rekurse mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO (§ 519 Abs 2 Satz 1 ZPO) zurückgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 2.481,14 EUR (darin 413,14 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

I. Das Erstgericht hat ein Teilbegehren der Klägerin von 17.892,01 EUR (Gesamtklagebegehren: 246.637,56 EUR) samt 4 % Zinsen seit 10. 12. 2003 abgewiesen. Diese Abweisung ist infolge Nichtanfechtung durch die Klägerin in Rechtskraft erwachsen. Die Klägerin strebt nunmehr in ihrem Rekurs (wiederum) die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung von 246.637,56 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. 12. 2003 an. Hinsichtlich des rechtskräftig abgewiesenen Teilbegehrens ist ihr Rekurs damit unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

II. Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (vgl § 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, wann eine rechtlich oder faktisch vorliegende Umwidmungsmöglichkeit (von den Bestimmungen des Tiroler Höfegesetzes unterliegenden Liegenschaften) so weit Gestalt angenommen hat, dass diese im Rahmen der (Verkehrs-)Wertermittlung der Liegenschaften zu berücksichtigen ist.

Im vorliegenden Verfahren macht die Klägerin als Tochter der am 9. 12. 2002 verstorbenen Erblasserin und Noterbin gegenüber ihrem Bruder, dem Beklagten und allein erbserklärten Erben, Pflichtteilsergänzungsansprüche im Zusammenhang mit zwei dem Beklagten von der Erblasserin geschenkten Liegenschaften (Schenkungspflichtteil) geltend. Eine dieser beiden Liegenschaften ist als geschlossener Hof gemäß § 1 TirHöfeG in der Höfeabteilung des Hauptbuches des Grundbuchs eingetragen.

1. Zu beiden Rekursen:

1.1. Als geschlossener Hof gilt gemäß § 1 TirHöfeG jede landwirtschaftlich mit einem Wohnhaus versehene Besitzung, deren Grundbuchseinlage sich in der Höfeabteilung des Hauptbuches befindet. Gekennzeichnet wird dies mit Einlagezahlen ab 90.000 (vgl § 18 GUG, § 69 AllgGAG; Eccher in Schwimann, ABGB³ Bd 3 [2006] § 1 TirHöfeG FN 2). Auf die Größe des geschlossenen Hofes oder dessen Ertragswert kommt es nicht an (Eccher aaO Rz 1).

War der Hof im Zeitpunkt des Todes des Erblassers ein geschlossener, so finden die besonderen Erbteilungsvorschriften Anwendung, auch wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Eintragung als geschlossener Hof an sich nicht mehr gegeben wären (RIS-Justiz RS0063719; vgl auch RIS-Justiz RS0063713). Die Eigenschaft der Liegenschaft als geschlossener Hof geht nicht von selbst verloren (RIS-Justiz RS0063716, RS0063726).

1.2. Die Höhe des Übernahmswerts richtet sich nach § 21 TirHöfeG; dieser Wert gilt auch für die Ermittlung des Pflichtteils (6 Ob 108/97v; 6 Ob 292/03i). Nach dieser Bestimmung ist der Wert des geschlossenen Hofes nach billigem Ermessen so festzusetzen, dass der Übernehmer wohl bestehen kann; dabei ist der Ertragswert des Hofes angemessen zu berücksichtigen. Dieser ist allerdings nicht einzige Richtschnur, sollen doch die Miterben (bzw Pflichtteilsberechtigten) nicht leer ausgehen (RIS-Justiz RS0063847, RS0063876).

Da die Ermittlung des Übernahmswerts eine Ermessensentscheidung ist, stellt die Frage, inwieweit Ertragswert- und Verkehrswertkomponenten ihren Niederschlag im Übernahmswert finden sollen, regelmäßig eine solche des Einzelfalls dar (6 Ob 181/00m; 7 Ob 236/06s; 6 Ob 171/08b).

1.3. Im vorliegenden Verfahren ist aufgrund der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen ein lediglich formalrechtlich bestehender geschlossener, tatsächlich aber nicht existierender Hof zu berücksichtigen. Der Oberste Gerichtshof hat für einen solchen Fall bereits klargestellt, dass zwar die Nichtbeachtung der höferechtlichen Bestimmungen nicht in Frage kommt, bei der Ermittlung des Übernahmswerts aber der Umstand von erheblicher Bedeutung ist, dass der Gesetzeszweck, nämlich die Erhaltung eines lebensfähigen bäuerlichen Betriebs, keinesfalls erreicht werden kann; in einem solchen Fall ist der Übernahmswert nach den Umständen des Einzelfalls zwischen dem Ertragswert und dem Verkehrswert festzusetzen (6 Ob 181/00m; 6 Ob 292/03i). Soweit daher die Klägerin die ausschließliche Berücksichtigung des Verkehrswerts, der Beklagte hingegen eine solche des Ertragswerts anstreben, widersprechen ihre Standpunkte dieser Rechtslage.

2. Zum Rekurs der Klägerin:

2.1. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen sind die der Liegenschaft EZ 90***** inneliegenden Grundstücke im Flächenwidmungsplan als Freiland ausgewiesen, im Raumordnungskonzept der Stadt K***** jedoch als Gewerbegebiet vorgesehen. Darüber hinaus handelt es sich um „Bauerwartungsland“. Das Erstgericht ist daher davon ausgegangen, dass die rechtlichen Voraussetzungen für deren Umwidmung in Gewerbegebiet gegeben seien, weshalb bei der Ermittlung des Übernahmswerts ein Mischwert zwischen Ertragswert und Verkehrswert als Gewerbegebiet anzunehmen sei. Demgegenüber meinte das Berufungsgericht unter Darstellung zahlreicher einer Umwidmung entgegenstehender Rechtsvorschriften, die Umwidmung habe nicht so konkret Gestalt angenommen, dass sie im Rahmen der Verkehrswertermittlung zu berücksichtigen wäre; es sei daher bei der Ermittlung des Übernahmswerts von einem Mischwert zwischen Ertragswert und Verkehrswert als land- und forstwirtschaftlich genutztes Gebiet auszugehen.

2.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrmals klargestellt, dass bei der Ausmittlung des Pflichtteils bei Grundstücken mit tatsächlicher oder rechtlich durchsetzbarer Möglichkeit, eine Umwidmung in Bauland zu erreichen, eine höhere Bewertung anhand des Verkehrswerts von Bauland vorzunehmen ist, wenn eine künftige Verbaubarkeit so konkret Gestalt angenommen hat, dass sie nach der Verkehrsauffassung bereits als zusätzliches werterhöhendes Moment anzusehen ist (1 Ob 701/85 SZ 59/6; 7 Ob 238/97v). Für die Wertung als Bauland muss die bevorstehende Parzellierung und Aufschließung nicht nur rechtlich und tatsächlich möglich, sondern darüber hinaus auch aufgrund besonderer Umstände in naher Zukunft wahrscheinlich sein (RIS-Justiz RS0057977; vgl zu Enteignungsverfahren ähnlich RIS-Justiz RS0058043, RS0057981).

Die Anwendung dieser in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auch auf die Ermittlung des anerbenrechtlichen Übernahmswerts und im Fall einer (möglichen) Umwidmung land- und forstwirtschaftlich genutzter Grundstücke in Gewerbegebiet durch das Berufungsgericht begegnet keinen Bedenken.

2.3. Auch nach dem Tiroler Höferecht hat sich die Schätzung eines Hofes nach dem Wert zu richten, den der Hof im Zeitpunkt des Todes des Erblassers hatte (1 Ob 631/56 JBl 1957, 591; 5 Ob 127/64 SZ 37/139). Dieser Grundsatz gilt auch für die Ausmittlung des Schenkungspflichtteils; auch hier kommt es auf den Todeszeitpunkt an (vgl RIS-Justiz RS0010080, RS0012973). Maßgeblich ist demnach die angemessene Berücksichtigung des Verkehrswerts zu diesem Zeitpunkt (6 Ob 12/76 SZ 49/118), ebenso die Frage der tatsächlichen oder rechtlich durchsetzbaren Möglichkeit einer Umwidmung von Grundstücken (vgl auch 6 Ob 647/84). Die Erblasserin ist im vorliegenden Fall im Jahr 2002 verstorben.

2.4. Besteht für die Wertermittlung durch einen Sachverständigen keine gesetzlich vorgeschriebene Methode (die Frage, nach welchen Grundsätzen im allgemeinen land- und forstwirtschaftlich genutzte Liegenschaften zur Bemessung des Pflichtteils zu bewerten sind, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt [RIS-Justiz RS0099283]), so unterliegt das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil es um eine Tatfrage geht (RIS-Justiz RS0118604). Die Frage, ob die verfahrensgegenständlichen Grundstücke als land- und forstwirtschaftlich genutztes Freiland, Bauland oder als Gewerbegebiet anzusehen und dementsprechend zu bewerten sind, ist jedoch - entgegen der von der Klägerin in ihrem Rekurs vertretenen Ansicht - eine nicht vom Sachverständigen, sondern aufgrund der gesamten Verfahrensergebnisse vom Gericht zu beantwortende Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0007824; vgl auch 6 Ob 647/84 [die Frage, ob eine konkret bevorstehende Entscheidung über eine Umwidmung der enteigneten Grundflächen als Bau- oder Bauerwartungsland, also eine Erwartung einer solchen Umwidmung in Käuferkreisen bei der Verkehrswertermittlung zu vernachlässigen oder zu beachten sei, gehört in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung]).

Damit ist aber die Vorgangsweise des Berufungsgerichts, trotz der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen über die bestehenden politischen Absichten der Stadt K***** zur Umwidmung der Grundstücke in Gewerbegebiet deren rechtliche Voraussetzungen zu prüfen, durchaus vertretbar. Ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind oder nicht, stellt jedoch keine über dieses Verfahren an Bedeutung hinausgehende Rechtsfrage dar (§ 502 Abs 1 ZPO).

3. Zum Rekurs des Beklagten:

3.1. Der Beklagte meint, das Berufungsgericht sei hinsichtlich des Grundstücks Nr. ***** zu Unrecht von einem Baugrundstück ausgegangen, sei es doch als Freilandfläche gewidmet. Da sich allerdings unbestrittenerweise auf diesem Grundstück die frühere Hofstelle befindet, also ein Gebäude, erscheint es nicht unvertretbar, dieses Grundstück bei der Wertermittlung als Baugrundstück anzusehen (vgl dazu insbesondere § 42 Abs 2 TROG, wonach das Wohngebäude bzw der Wohnteil der Hofstelle auch bei Auflassung als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb weiterhin zu Wohnzwecken verwendet werden und grundsätzlich auch umgebaut werden darf).

3.2. Hinsichtlich der walzenden Liegenschaft EZ ***** ist das Berufungsgericht bei der Ermittlung des Übernahmswerts vom Verkehrswert ausgegangen; der Beklagte will demgegenüber den Ertragswert heranziehen.

Beruht der Wert der Liegenschaft nach der Verkehrsauffassung, insbesondere weil ein wirtschaftlicher und funktioneller Zusammenhang mit einem bestehenden geschlossenen Hof besteht, vor allem auf einem Ertrag oder sonstigem Nutzen, ist der Pflichtteilsberechnung der Ertragswert zugrunde zu legen; besteht kein solcher Zusammenhang mit dem landwirtschaftlichen Grundstück, ist nach dem Verkehrswert zu bewerten (6 Ob 108/97v; vgl auch 6 Ob 292/03i). Da im vorliegenden Fall ein lediglich formalrechtlich bestehender geschlossener, tatsächlich aber nicht existierender Hof zu berücksichtigen ist, bestehen gegen die von den Vorinstanzen vertretene Auffassung, zwischen dem walzenden Grundstück und dem geschlossenen Hof bestehe kein wirtschaftlicher und funktioneller Zusammenhang, keine Bedenken (vgl auch 6 Ob 359/97f; 6 Ob 154/06z).

3.3. Der vom Beklagten behauptete Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens liegt nicht vor (§ 510 ZPO).

4. Da beide Rekurse keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen in der Lage waren, waren sie zurückzuweisen. Ist das Berufungsgericht der Auffassung, dass der Sachverhalt in der von ihm dargestellten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0042179).

5. Die Klägerin hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses des Beklagten nicht hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen. Die Klägerin hat dessen Kosten selbst zu tragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekurses des Beklagten gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Klägerin hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte