OGH 6Ob181/00m

OGH6Ob181/00m13.7.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Hopf als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 3. Dezember 1996 verstorbenen Ing. Sebastian T*****, wegen Festsetzung des Übernahmswertes gemäß § 21 TirHöfeG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Anerbin Sofie T*****, vertreten durch Dr. Peter Greil, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 14. Jänner 2000, GZ 52 R 141/99p-97, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Schwaz vom 28. September 1999, GZ 2 A 359/96w-92, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Erblasser hinterlässt seine jetzt 80-jährige Witwe und einen Sohn. Die Witwe hat zu einem Drittel des Nachlasses eine unbedingte, der Sohn zu zwei Dritteln des Nachlasses eine bedingte Erbserklärung abgegeben. Beide Erbserklärungen wurden zu Gericht angenommen. In den Nachlass fallen ua 23/32-Miteigentumsanteile des Erblassers an einem in der höferechtlichen Abteilung des Grundbuches eingetragenen geschlossenen Hof. Die Witwe ist gemäß § 16 Abs 1 TirHöfeG Anerbin der Hofanteile.

Das Erstgericht setzte gemäß § 21 Abs 1 TirHöfeG den Übernahmswert der in die Verlassenschaft fallenden Hofanteile mit 1,068.900 S fest.

Es ging dabei im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Zum Gutsbestand des geschlossenen Hofes gehören ein 4.458 m2 großes und ein 2.532 m2 großes Grundstück, jeweils als Freiland gewidmet und zwei 1.109 m2 und 333 m2 große Grundstücke in landwirtschaftlichem Mischgebiet, insgesamt daher 8.432 m2. Auf der Liegenschaft befinden sich keine Gebäude, die Fläche der 1977 abgerissenen ehemaligen Hofstelle ist planiert. Mit der Liegenschaft sind Holz- und Streubezugsrechte und diverse Waldweiderechte verbunden. Der Erblasser hatte 1966 18/32-Anteile der Liegenschaft und im Mai 1988, im Juli 1988 und zuletzt im Februar 1990 je 7/48-Anteile zwecks Geldanlage erworben, aber niemals eine Landwirtschaft betrieben. Die Grundstücke waren verpachtet. Eine neue Hofstelle wurde nicht errichtet. Die Kosten für den Bau von Wirtschafts- und Wohngebäuden könnten aus dem Ertrag der Liegenschaft nicht erwirtschaftet werden, ebenso auch nicht der Unterhalt für eine bäuerliche Familie. Bei ortsüblicher Bewirtschaftung wäre es nicht möglich, einen Ertrag zu erzielen, der die Finanzierung und Erhaltung einer Mindestausstattung von Maschinen gewährleisten könnte. Der Ertragswert der in den Nachlass fallenden Hofanteile sei mit Null anzusetzen. Der Verkehrswert der Anteile betrage aber 2,137.800 S.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass gemäß § 21 TirHöfeG das Verlassenschaftsgericht den Wert des Hofes nach billigem Ermessen so festzusetzen habe, dass der Übernehmer wohl bestehen könne. Dabei sei der Ertragswert des Hofes zu berücksichtigen. Nach dem Buchstand handle es sich zwar um einen geschlossenen Hof, die Voraussetzungen hiefür seien aber tatsächlich nicht erfüllt. Es fehle an Wirtschaftsgebäuden und Maschinen. Es gehe also nicht darum, im Sinne der Zweckbestimmung des § 21 TirHöfeG einen zukünftigen Hofübernehmer oder den Bestand einer landwirtschaftlichen Betriebseinheit zu schützen. Deshalb komme bei der Ermittlung des Übernahmswertes dem Verkehrswert der Liegenschaft eine entscheidende Bedeutung zu. Der Übernahmswert sei mit dem arithmetischen Mittel zwischen dem Ertrags- und dem Verkehrswert festzusetzen.

Das Rekursgericht gab den Rekursen der Anerbin und des Sohnes nicht Folge. Für den Standpunkt des weichenden Miterben spreche die materielle Gerechtigkeit. Zum Zeitpunkt des Erbanfalles hätten die Voraussetzungen eines geschlossenen Hofes gefehlt. Seinem Standpunkt könne aber nicht zur Gänze beigepflichtet werden. Es sei zwar unbefriedigend, dass bei lebensunfähigen Höfen die höferechtliche Bindung aufrecht bleibe, dennoch seien die Erbteilungsvorschriften des TirHöfeG anzuwenden, weil das Gesetz nur die Eintragung in die höferechtliche Abteilung des Grundbuchs für die Bejahung der Hofeigenschaft verlange und es auf andere Umstände nicht ankomme. Anlässlich der Novellierung der Erbteilungsvorschriften mit dem BGBl 1989/657 seien die Bestimmungen über die Nachtragserbteilung verschärft worden, der Gesetzgeber sei aber auf die bekannte Kritik gegen den Umstand, dass die sonderrechtlichen Erbteilungsvorschriften auch dann anzuwenden seien, wenn die Höfeeigenschaft nur noch "auf dem Papier" bestehe, nicht eingegangen. Der verbesserte Schutz des Miterben habe nur im § 25 TirHöfeG seinen Niederschlag gefunden. An den Vorschriften über die Ermittlung des Übernahmswertes habe sich nichts geändert. Der Übernahmswert sei nach billigem Ermessen so festzusetzen, dass der Übernehmer wohl bestehen könne. Dabei sei der Ertragswert des Hofes angemessen zu berücksichtigen. Nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles sei von dem eingeräumten billigen Ermessen Gebrauch zu machen. Das Erstgericht habe zutreffend dem (nicht gegebenen) Ertragswert die gleiche Bedeutung beigemessen wie dem Verkehrswert. Der Grundsatz des "Wohlbestehenkönnens" sei durch die vom Erstgericht verfügte Höhe des Übernahmswertes nicht gefährdet, wenn man das weitere Verlassenschaftsvermögen mit einem Verkehrs- und Sachwertanteil von zusammen 2,5 Mio S berücksichtige.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Anerbin die Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen dahin, dass der Übernahmswert der in die Verlassenschaft fallenden Hofanteile mit 200.000 S festgesetzt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichtes zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass nach der aus den §§ 1, 3 und 5 Tiroler Höfegesetz idF BGBl 1989/657 (TirHöfeG) ableitbaren materiellen Begriffsbestimmung kein geschlossener Hof nachgelassen wurde, weil kein Wohnhaus (Hofstelle) existiert und der für eine Eintragung in der Höfeabteilung des Grundbuchs erforderliche Durchschnittsertrag nicht erwirtschaftet werden kann. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass der Ertragswert mit Null anzusetzen sei. Wenn im Revisionsrekurs dagegen ein jährlicher Ertrag von 8.986 S (abzüglich Steuern und Abgaben) behauptet und dazu ein Feststellungsmangel gerügt wird, kommt dem keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu, weil ein derart geringer Ertrag an der rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern vermag.

Die Revisionsrekurswerberin führt für ihren Standpunkt den Grundsatz des Wohlbestehenkönnens ins Treffen. Mit diesem sei der bekämpfte Übernahmswert von 1,068.900 S nicht in Einklang zu bringen, weil die Anerbin die Mittel für den Abfindungsanspruch nur durch eine Grundveräußerung aufbringen könnte. Der Hinweis des Rekursgerichtes auf die Finanzierungsmöglichkeit auf Grund weiterer Erbansprüche der Anerbin an nicht hofgebundenen Liegenschaften sei nicht zulässig.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

Das Tiroler Höferecht regelt nach dem formalen sachenrechtlichen Kriterium der Eintragung des Hofes in der Abteilung I des Hauptbuches des Grundbuches die Frage, ob ein Erbhof vorliegt. Allein durch die bücherliche Eintragung wird die Erbhofeigenschaft ohne Rücksicht auf die Lebensfähigkeit des Hofes bejaht und es finden die besonderen Erbteilungsvorschriften Anwendung, selbst wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für die Eintragung nicht mehr gegeben sind (EvBl 1972/102; 6 Ob 108/97v mwN). Der Gesetzeszweck aller anerbenrechtlichen Bestimmungen besteht in der Erhaltung leistungsfähiger Landwirtschaftsbetriebe mittlerer Größe. Erreicht wird dies durch die Festsetzung eines niedrigeren Übernahmswertes als Grundlage der Abfindungen der weichenden Miterben. Dabei ist grundsätzlich nicht vom Verkehrswert, sondern primär vom Ertragswert als entscheidendem Orientierungspunkt auszugehen (§ 21 Abs 1 Satz 2 TirHöfeG; SZ 45/40; SZ 45/89 uva; Kathrein, Anerbenrecht, Anm 3 zu § 21 TirHöfeG). Der Anerbe soll die Abfindung aus den Erträgnissen bezahlen können. Er soll nicht zu Abverkäufen gezwungen werden. Abverkäufe innerhalb von zehn Jahren nach dem Tod des Erblassers lösen eine Nachtragserbteilung aus (§ 25 TirHöfeG). Bei der Ermittlung des Übernahmspreises ist nach der Entscheidung SZ 45/40 auf das dem Anerben zufallende frei vererbliche Vermögen nicht Bedacht zu nehmen. Nach den dargelegten Grundsätzen könnte mangels eines nennenswerten Ertrages der nur rund 8.500 m2 umfassenden Liegenschaft nur ein extrem niedriger, sich gegen Null nähernder Übernahmspreis festgesetzt werden. Dem stehen jedoch folgende Erwägungen entgegen:

Die Anwendung des Sondererbrechts ist hier nur darauf zurückzuführen, dass die nach der wahren Sachlage gebotene Eliminierung der Grundstücke aus der bücherlichen Höfeabteilung durch die Höfebehörde nur mangels Antragstellung der Eigentümer unterblieb (§ 7 TirHöfeG), also ein nur formalrechtlich bestehender geschlossener, tatsächlich aber nicht existierender Hof abzufinden ist. Die Nichtbeachtung der höferechtlichen Bestimmungen kommt nach der zitierten Rechtsprechung zwar nicht in Frage, bei der Festsetzung des Übernahmspreises ist aber der Umstand von erheblicher Bedeutung, dass der Gesetzeszweck, nämlich die Erhaltung eines lebensfähigen bäuerlichen Betriebs keinesfalls erreicht werden kann, vielmehr die Festsetzung eines ganz geringen Übernahmspreises das Gegenteil bewirkte, nämlich die Erhaltung einer (nahezu) ertragslosen Liegenschaft als fiktive wirtschaftliche Einheit, wodurch es mit den Mitteln des Sondererbrechtes zu einer Perpetuierung einer schon erfolgten Zersplitterung käme. Das Rekursgericht hat zutreffend auf den im § 21 TirHöfeG dem Gericht eingeräumten Ermessensspielraum hingewiesen. Die ausschließliche Heranziehung des Ertragswertes als maßgeblichen Orientierungspunkt hat nur dann ihre Berechtigung, wenn durch die damit bewirkte Begünstigung des Anerben die Existenz eines Betriebes sichergestellt wird. Wenn dies von vorneherein nicht möglich ist, käme die von der Anerbin angestrebte Wahrung des Grundsatzes des Wohlbestehenkönnens ausschließlich einer sachlich nicht gerechtfertigten Enteignung der weichenden Miterben gleich. In der oberstgerichtlichen Rechtsprechung wurde in einem ebenfalls nach dem Tiroler Höferecht zu beurteilenden Fall schon ausgesprochen, dass bei der Wertermittlung der Verkehrswert jedenfalls dann nicht unberücksichtigt bleiben darf, wenn Ertrags- und Verkehrswert weit auseinanderklaffen (6 Ob 108/97v). Im Rahmen des dem Richter eingeräumten Ermessens ist der Übernahmspreis nach den Umständen des Einzelfalles zwischen dem Ertragswert und dem Verkehrswert festzusetzen (Edlbacher, Anerbenrechtliche Miszellen in NZ 1983, 99). Das TirHöfeGgeht nicht in allen Fällen und ausschließich vom Ertragswert aus, es normiert etwa den Verkehrswert als Wertermittlungsfaktor für den besonderen Fall, dass ein nicht landwirtschaftliches Unternehmen zum geschlossenen Hof gehört (§ 21 Abs 2 TirHöfeG), weil es über das Ziel des Anerbenrechts hinaus geht, das Unternehmen nach dem niedrigen Übernahmswert zu veranschlagen (RV BlgNR 859 XVII. GP, 12 f; Kathrein aaO Anm 4 zu § 21 TirHöfeG). Die Erhaltung etwa eines zu einem Landwirtschaftsbetrieb gehörenden Hotelunternehmens ist nicht vom Gesetzeszweck des Tiroler Höferechtes umfasst, das nur die Erhaltung eines lebensfähigen bäuerlichen Betriebes im Auge hat. Da im vorliegenden Fall dieser Gesetzeszweck - wie schon ausgeführt - nicht erreicht werden kann, ist der von den Vorinstanzen ohnehin nur mit der Hälfte des Verkehrswerts festgesetzte Übernahmspreis nicht zu beanstanden.

Eine Überschreitung des richterlichen Ermessensspielraums liegt nicht vor, sodass dem Revisionsrekurs der Anerbin nicht stattzugeben ist.

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