OGH 7Ob24/10w

OGH7Ob24/10w5.5.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen V***** L*****, geboren am *****, derzeit wohnhaft bei der Mutter V***** S***** L*****, diese vertreten durch Mag. Dr. Hannes Rauch, Rechtsanwalt in Sulz, Vater M***** L*****, vertreten durch Dr. Hans Widerin, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen Rückführung des Minderjährigen nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, über den Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 3. Dezember 2009, GZ 3 R 372/09t-28, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 13. Oktober 2009, GZ 26 PS 3/09m-21, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin teilweise abgeändert, dass der Beschluss insgesamt lautet:

Die Rückführung des Minderjährigen V***** L*****, geboren am *****, in das Staatsgebiet von Deutschland wird angeordnet.

Das Mehrbegehren, das Kind dem Vater zu übergeben, wird abgewiesen.

Die Anträge der Parteien auf Zuspruch von Verfahrens- und Rechtsmittelkosten werden abgewiesen.

Text

Begründung

Die Eltern haben nach der Ehescheidung das gemeinsame Sorgerecht inne. Sie schlossen am 12. Februar 2009 vor dem Amtsgericht Biedenkopf die Vereinbarung, dass der Minderjährige für die Zeit seiner Begutachtung weiterhin bei der Mutter leben und die Mutter bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache, sohin im Sorgerechtsverfahren, keinen Umzug mit dem Kind nach Österreich vornehmen wird. Dem Vater wurde ein vierzehntägiges Besuchs- und Kontaktrecht eingeräumt. Nach der Trennung der Eltern lebte das Kind während der Woche bei der Mutter, an den Wochenenden regelmäßig beim Vater. Beide Elternteile sind berufstätig, sodass das Kind teilweise fremdbetreut wird. Beide Elternteile leben mit anderen Partnern und jeweils einem weiteren Kind im gemeinsamen Haushalt.

Am 27. Juli 2009 brachte die Mutter das Kind nach Österreich. Eine Zustimmung des Vaters zum Umzug liegt nicht vor. Mit Beschluss des Amtsgerichts Biedenkopf vom 14. August 2009 wurde durch eine Einstweilige Anordnung dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig übertragen.

Anzeichen dafür, dass das Kind einer schwerwiegenden körperlichen oder seelischen Gefahr in Österreich oder bei einer Rückführung nach Deutschland ausgesetzt wäre, liegen nicht vor.

Der Vater beantragt unter Hinweis auf das ihm zustehende Sorgerecht und das ihm vorläufig übertragene Recht zur Bestimmung des Aufenthalts die Rückgabe des Kindes an ihn durch jederzeit mögliche Abholung.

Die Mutter spricht sich gegen den Antrag aus. Der Vater habe das gemeinsame Sorgerecht nie ausgeübt und es sei zu befürchten, dass das Kind bei seiner Rückverbringung nach Deutschland schwerwiegende seelische Schäden davon tragen werde.

Das Erstgericht ordnete an, dass der Minderjährige an den Vater binnen vierzehn Tagen zu übergeben sei. Der Mutter sei der Nachweis einer schwerwiegenden Gefahr eines seelischen Schadens für das Kind bei Rückkehr nach Deutschland nicht gelungen. Dem Antrag entsprechend sei die Rückgabe an den Vater anzuordnen.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss. Die Gründe, eine Rückgabe des Kindes ablehnen zu können, seien äußerst restriktiv auszulegen. Im Zweifel sei vom Grundgedanken des Haager Kinderentführungsübereinkommen (HKÜ), dass das Kind in seine bisher vertraute Umgebung zurückgestellt werden solle und diese Rückführung grundsätzlich dem Kindeswohl entspreche, auszugehen. Die Mutter habe sich darauf beschränkt auszuführen, dass das Kind durch die Rückführung aus seiner momentanen Umgebung gerissen würde. Es liege keine Gefährdung des Kindeswohls und kein Ausnahmetatbestand vor, um die Rückgabe des Kindes ablehnen zu können.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil sich seine Entscheidung an der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs orientiere und keine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage zu beantworten sei.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit einem Aufhebungsantrag.

Der Vater beantragt in der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch im Sinn einer Abänderung berechtigt. Dass die Mutter lediglich einen Aufhebungsantrag gestellt hat, schadet im Hinblick auf die Revisionsrekursausführungen nicht, die eindeutig eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung anstreben (vgl RIS-Justiz RS0043615, RS0045820, RS0043651).

Der Revisionsrekurs zieht die Verpflichtung der Mutter zur Rückgabe des Kindes nicht mehr in Zweifel. Er wendet sich nur gegen den Ausspruch der Vorinstanzen, dass das Kind dem Vater zu übergeben sei.

Zutreffend verweist der Revisionsrekurs auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Rückgabe des Kindes in das Staatsgebiet anzuordnen ist, aus dem es entführt wurde, weil in Art 12 HKÜ keine bestimmte Form der Rückgabe angeordnet ist (RIS-Justiz RS0119950). Auch wenn das Übereinkommen keine Grundlage dafür bietet, dem „entführenden“ Elternteil die Begleitung des Kindes an den früheren Aufenthaltsort aufzutragen, ist nach dem HKÜ die Rückführung sowohl durch den Antragsteller selbst als auch durch eine von ihm benannte Person als auch durch den „Entführer“ selbst denkbar (3 Ob 89/05t). Mit einer Rückführungsanordnung muss auch nicht notwendigerweise die Trennung des Kindes vom „Entführer“ oder von Geschwistern verbunden sein. Sie bedeutet nicht eine „Rückgabe“ des Kindes an einen Elternteil. Die Entscheidung darüber steht allein dem Pflegschaftsgericht im Obsorgeverfahren zu (2 Ob 103/09z, 1 Ob 176/09b, 5 Ob 47/09m). Eine über die Rückgabe des Kindes getroffene Entscheidung ist nicht als eine Entscheidung über das Sorgerecht anzusehen (RIS-Justiz RS0108469).

In diesem Sinn hat der Beschluss des Amtsgerichts Biedenkopf, mit dem dem Vater im Obsorgeverfahren das vorläufige Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wurde, keinen Einfluss auf die Rückgabemodalitäten. Das Verfahren nach dem HKÜ soll nicht der Durchsetzung von obsorgerechtlichen Entscheidungen dienen, sondern die Rückführung des Kindes sichern. Das Verfahren nach dem HKÜ ist vom Obsorgeverfahren getrennt zu sehen. Es ist daher nur die Rückführung in das Staatsgebiet von Deutschland, wo das Kind vor seiner Entführung seinen Aufenthalt hatte, anzuordnen.

Nach Art 26 Abs 4 HKÜ ist ein Kostenersatzanspruch für den obsiegenden Antragsteller vorgesehen, soweit dies „angezeigt“ ist. Auch wenn das Verfahren nach dem HKÜ kein Obsorgeverfahren ist, weist es damit doch Ähnlichkeiten auf, sodass § 107 Abs 3 AußStrG, wonach im Verfahren über die Obsorge und über die Ausübung des Rechts auf persönlichen Verkehr ein Kostenersatz nicht stattfindet, analog anzuwenden ist (1 Ob 163/09s). Insoweit ist also ein Kostenersatz nicht „angezeigt“. Dies entspricht der hier noch nicht anzuwendenden Rechtslage nach § 111a AußStrG idF des FamRÄG 2009 BGBl 2009/75 (gilt für Anträge, die nach dem 31. Dezember 2009 bei Gericht einlangen [§ 207e leg cit]).

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