European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:E93920
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Die Vorinstanzen haben die vom Kläger wegen unleidlichen Verhaltens gemäß § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG ausgesprochene Kündigung für rechtswirksam erklärt. In der Revision wird im Wesentlichen geltend gemacht, die wegen der psychischen Erkrankung der Beklagten vorzunehmende Interessenabwägung bei der Beurteilung des Kündigungsgrundes habe das Alter der Beklagten von 74 Jahren, in dem die Gefahr der Obdachlosigkeit, aber auch der Wechsel der Wohnung mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer erheblichen gesundheitlichen Belastung und Beeinträchtigung verbunden sei, nicht ausreichend berücksichtigt. Rein verbale Beschimpfungen und auch anderen Verhaltensweisen, die nicht in den strafrechtlichen Bereich hineinreichen, würden hinter dem massiven Einschnitt in das Leben der Beklagten zurücktreten, und seien von den Beleidigten „nicht persönlich zu nehmen“.
Rechtliche Beurteilung
Mit diesen Ausführungen macht die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage geltend:
1. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt regelmäßig kein Verschulden des Mieters voraus (RIS‑Justiz RS0070243), vielmehr kommt es darauf an, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als ein grob ungehöriges, das Zusammenwohnen verleidendes angesehen werden muss, auch wenn es etwa auf eine geistige Erkrankung zurückzuführen ist (RIS-Justiz RS0067733). Grundsätzlich ist also weder das Alter des Mieters (RIS-Justiz RS0067759) noch auch Geisteskrankheit ein Freibrief für unleidliches Verhalten (RIS-Justiz RS0020957 [T1]). Bei gewissen Verhaltensweisen muss aber der Umstand der Unzurechnungsfähigkeit zumindest in der Weise berücksichtigt werden, dass das Verhalten einer geisteskranken Person nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich, also für die Mitbewohner unerträglich ist, wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person (RIS-Justiz RS0020957). Dies ist jedoch nicht dahin zu verstehen, dass die Mitbewohner jedwedes Verhalten einer geistig behinderten Person in Kauf zu nehmen hätten, auch wenn dadurch ihre Lebensqualität in gravierender Weise beeinträchtigt wird. Vielmehr hat in solchen Fällen eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist (RIS-Justiz RS0067733 [T4]). Die Interessenabwägung ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die als typische Einzelfallbeurteilung in der Regel nicht revisibel ist (RIS‑Justiz RS0020957 [T4]; RIS-Justiz RS0042984 [T11]).
2. Nach den vorliegenden Feststellungen gipfelt das unleidliche Verhalten der unter anderem an einer paranoiden Persönlichkeits- und einer chronisch wahnhaften Störung (Messiesyndrom) leidenden Beklagten gegenüber Mitbewohnern in ihrem Vorgehen gegen die aus Polen stammende Hausbesorgerin und deren minderjährige Tochter, die sie seit 2006 immer wieder regelmäßig wiederkehrend wegen ihrer Herkunft auf das Gröblichste beschimpft und dadurch geradezu verfolgt, dass sie unter anderem das Haus wiederholt verunreinigt (Verschmieren von Obst, Ablegen toter Mäuse), um sie zu sekkieren, einen Wasserkübel über ihrem Kopf ausleerte und sie mit „gröberem Dreck“ bewarf; sie läutet auch immer wieder in der Nacht an der Wohnungstür der Hausbesorgerin, um darauf sofort wieder in ihrer Nachbarwohnung zu verschwinden.
3. Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen nach der erforderlichen Gesamtschau (RIS-Justiz RS0070321, RS0067669) den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG trotz der psychischen Erkrankung der Beklagten als gegeben annahmen, dann liegt darin jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende, unvertretbare Fehlbeurteilung des vorliegenden Einzelfalls. Gerade die häufig erfolgten Beeinträchtigungen der Nachtruhe stellen eine jedenfalls unzumutbare Belastung des Zusammenlebens (auch mit Rücksicht auf die schulpflichtige Tochter) der Hausbesorgerin dar (vgl 5 Ob 226/09k), die über bloße Verbalattacken weit hinausgehen und auf Dauer ausgeübt die (psychische) Gesundheit beeinträchtigen (können). Sie müssen daher keinesfalls zwingend wegen der durch den Vollzug der Kündigung beeinträchtigten Interessen der Beklagten hingenommen werden.
Die außerordentliche Revision war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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