OGH 1Ob239/09t

OGH1Ob239/09t29.1.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers Jörg Z*****, vertreten durch Dr. Harald Christandl, Rechtsanwalt in Graz, wider den Antragsgegner Josef Z*****, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 5. August 2009, GZ 2 R 162/09x-44, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leibnitz vom 29. Mai 2009, GZ 8 FAM 43/07f-38, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit seinem am 29. Oktober 2007 eingelangten Antrag begehrte der (damals unvertretene) Antragsteller, den Antragsgegner (seinen Vater) rückwirkend ab 1. Mai 2007 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von 510 EUR zu verpflichten. Er habe ab dem Wintersemester 2007 an der Technischen Universität Graz das Bachelorstudium Maschinenbau begonnen und sei deshalb nicht selbsterhaltungsfähig. Im Rahmen der Tagsatzung vom 13. Dezember 2007 einigten sich die Parteien "vorerst" auf eine monatliche Unterhaltsleistung von 300 EUR ab Dezember 2007 und vereinbarten Ruhen des Verfahrens. Am 18. März 2008 begehrte der Antragsteller die Fortsetzung des Verfahrens und gleichzeitig einen erhöhten monatlichen Unterhalt von 600 EUR, rückwirkend ab 1. Mai 2007.

Auf die dritte Aufforderung zur Erbringung von Studienerfolgsnachweisen hin teilte der Antragsteller dem Erstgericht mit, er könne die geforderten Nachweise erst Ende November 2008 erbringen. Das Erstgericht holte darauf hin von Amts wegen eine Auskunft der Technischen Universität Graz ein. Diese erbrachte, dass der Antragsteller lediglich eine Prüfung über eine Einführungslehrveranstaltung im Ausmaß von 2 Semesterstunden positiv abgelegt hatte (ON 22). Das Erstgericht stellte diese Auskunft dem Antragsteller zur Äußerung gemäß § 17 AußStrG zu (ON 26). Dieser äußerte sich insoweit, als er eine offensichtliche Unrichtigkeit der "zumindest halbamtlichen Bestätigungen" nicht erkennen könne (ON 28).

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 29. Mai 2009 den Unterhaltsantrag ab. Wegen mangelnden Studienerfolgs seien die Voraussetzungen für das Bestehen einer Unterhaltspflicht rückblickend vom Beginn des Studiums an nicht gegeben. Der Antragsteller habe nicht nachgewiesen, das Studium ernsthaft und zielstrebig zu betreiben.

In seinem Rekurs brachte der Antragsteller unter Vorlage entsprechender Bestätigungen vor, er habe aufgrund der Komplexität des Maschinenbaustudiums mit Wintersemester 2008/2009 die Studienrichtung gewechselt und habe nunmehr an der Universität Graz das Bachelorstudium Umweltsystemwissenschaften inskribiert. Er habe bereits zwei Prüfungen (über eine Einführungsvorlesung und über eine weitere Lehrveranstaltung) erfolgreich abgelegt. Außerdem studiere er auch Sprachwissenschaften; auch im Zuge dieses Bachelorstudiums habe er bereits zwei Prüfungen (am 3. März 2008 und am 14. Jänner 2009, jeweils in Japanisch) bestanden.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung auf Leistung von "vorerst" 300 EUR ab 1. Dezember 2007 bilde keinen Unterhaltstitel und auch keine bindende vertragliche Grundlage für einen Unterhaltszuspruch. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz liege nicht vor, weil der Antragsteller wiederholt erfolglos angeleitet worden sei, entsprechende Nachweise über seinen Studienerfolg zu erbringen. Auf das erstmals im Rekurs erstattete Tatsachenvorbringen eines Studienwechsels sei im Hinblick auf das Neuerungsverbot nicht einzugehen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Rekursgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

1. Eine Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Gemäß § 51 Abs 2 Z 24 Universitätsgesetz 2002 ist ein "Curriculum" eine Verordnung, mit der das Qualifikationsprofil, der Inhalt und der Aufbau eines Studiums und die Prüfungsordnung festgelegt werden. Gemäß § 51 Abs 2 Z 26 leg cit ist der Umfang der Studien (mit Ausnahme der Doktoratsstudien) im Sinne des Europäischen Systems zur Anrechnung von Studienleistungen (European Credit Transfer System - ECTS, 253/2000/EG , Amtsblatt Nr L 28 vom 3. Februar 2000) in ECTS-Anrechnungspunkten anzugeben, wobei das Arbeitspensum eines Jahres 1.500 Echtstunden zu betragen hat und diesem Arbeitspensum 60 Anrechnungspunkte zugeteilt werden. Wenn das Rekursgericht aus § 5 des Curriculums für das Bachelorstudium Maschinenbau der Technischen Universität Graz entnommen hat, dass der vom Antragsteller dort (einzig) positiv absolvierten Prüfung über eine Einführungslehrveranstaltung im Ausmaß von zwei Semesterstunden zwei ECTS-Punkte zugeordnet sind, handelt es sich dabei nicht um eine aktenwidrige Feststellung, vielmehr um die Wiedergabe eines Verordnungsinhalts.

2. Die bereits vom Rekursgericht im Hinblick auf die wiederholte Aufforderung zur Vorlage der Studienerfolgsnachweise verneinte Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens kann keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS-Justiz RS0050037).

3. Ob die erstmalige Aufnahme eines Hochschul- oder Fachhochschulstudiums die Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes hinausschiebt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dies wird grundsätzlich bejaht, solange die Ausbildung ernsthaft und zielstrebig verfolgt wird (1 Ob 49/02s; 3 Ob 116/02h uva). Liegt eine zielstrebige Betreibung eines Studiums nicht vor, ist ein Antragsteller als selbsterhaltungsfähig anzusehen. Bei dieser Beurteilung ist der tatsächliche Studienfortgang ex post zu betrachten (6 Ob 141/07i; 3 Ob 139/07y). Für jene Abschnitte, in denen das Kind das Studium nicht ernsthaft und zielstrebig fortgeführt hat, muss der Unterhaltspflichtige keinen Unterhalt leisten (6 Ob 122/06v; 7 Ob 625/95).

3.1. Bei Studien, die in Studienabschnitte gegliedert sind, wird Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit im Allgemeinen dann angenommen, wenn die im § 2 Abs 1 lit b FamLAG angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Nach diesen ist grundsätzlich die Ablegung von Prüfungen im Umfang von mindestens 16 ECTS-Punkten pro Studienjahr vorgesehen. Dass (lediglich) die Aufnahme als ordentlicher Hörer gemäß § 2 Abs 1 lit b FamLAG Voraussetzung für einen Anspruch auf Familienbeihilfe im ersten Studienjahr ist, bedeutet nicht, dass in diesem Zeitraum jedenfalls Unterhalt geschuldet wird. Die Erfüllung der Voraussetzungen für die Gewährung von Familienbeihilfe ist nur ein Indiz bzw eine grobe Orientierung für die entscheidende Frage, ob ein Studium zielstrebig und ernsthaft betrieben wird (6 Ob 122/06v).

3.2. Bei nicht in Studienabschnitte gegliederten Studien muss die erforderliche Kontrolle des periodischen Studienfortgangs durch eigenständige Beurteilung der vom Unterhaltswerber erbrachten Leistungen erfolgen. Eine Überprüfung des angemessenen Studienfortgangs auch während des Studiums ist nötig, weil man dem Unterhaltsberechtigten ansonsten einen Freibrief zu Lasten des Unterhaltspflichtigen ausstellen wollte (6 Ob 122/06v; 6 Ob 141/07i). Diese Rechtsprechung ist auf Fachhochschullehrgänge und Bakkalaureatsstudien anzuwenden, bei denen eine Unterteilung in Studienabschnitte fehlt.

3.3. Nach ständiger Rechtsprechung verliert ein Kind nicht schon deshalb seinen Unterhaltsanspruch, weil es aus subjektiven oder objektiven Gründen ein Studium - etwa aufgrund eines entschuldbaren Irrtums über seine persönlichen Voraussetzungen oder über die mangelnden Berufsaussichten - wechselt, weil einerseits für die Wahl eines den Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Studiums eine gewisse Überlegungszeit (im Allgemeinen höchstens ein Jahr) nötig ist und andererseits sich erst im späteren Verlauf des Studiums die Unrichtigkeit der zunächst getroffenen Studienwahl herausstellen kann (3 Ob 4/92; RIS-Justiz RS0047617). Ein erstmaliger Studienwechsel ist aber nur dann als entschuldbare Fehleinschätzung zu werten, wenn das neue Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird. Letzteres ist entscheidende Voraussetzung für die Fortdauer bzw das Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs nach einem Studienwechsel. Ist diese Voraussetzung erfüllt, schadet es auch nicht, wenn das erste Studium nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben wurde, weil gerade ein mangelnder Studienfortgang sehr oft den Grund für den Wechsel der Studienrichtung bildet.

3.4. Ein Unterhaltsanspruch für die Dauer der Studienzeit wurde auch dann bejaht, wenn ein Antragsteller das begonnene Studium nach einem Semester aufgibt (ohne dass Anhaltspunkte dafür vorlagen, er habe es nicht zielstrebig und ernsthaft betrieben) und keinen anderen Ausbildungsweg beschreitet, sondern eine Beschäftigung annimmt, die zu seiner Selbsterhaltungsfähigkeit führt (2 Ob 39/08m).

4. Die Beurteilung der Vorinstanzen, es stehe dem Antragsteller kein Unterhaltsanspruch zu, weicht von der eben wiedergegebenen Rechtsprechung nicht ab. Das vom Antragsteller vorerst betriebene Studium Maschinenbau ist laut § 4 des Curriculums in zwei Studienabschnitte gegliedert, wobei der erste Studienabschnitt ("Orientierungsjahr") Lehrveranstaltungen mit einführendem Charakter umfasst und vorwiegend aus den Lehrveranstaltungen des 1. und 2. Semesters besteht. Gemäß § 3 des Curriculums beträgt das Arbeitspensum eines Studienjahres 60 ECTS-Punkte, von denen der Antragsteller in seinem ersten Studienjahr nur zwei erreicht hat. Die Beurteilung des Rekursgerichts, der Antragsteller habe das Maschinenbaustudium nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben, ist demnach jedenfalls keine Fehlbeurteilung.

5. Sein erstmals im Rekurs erstattetes und im Revisionsrekurs wiederholtes Vorbringen, er habe einen Studienwechsel vorgenommen und in den neuen Studienzweigen den geforderten Studienerfolg erreicht, konnte vom Rekursgericht nicht berücksichtigt werden. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass es einem Beteiligten verwehrt ist, dem Sachverhaltsbild, von dem das Gericht bei seiner Entscheidung ausging, in einem Rekurs neue Tatsachen hinzuzufügen, sofern er nach § 17 AußStrG zur Äußerung aufgefordert wurde und dieser Aufforderung nicht entsprechend nachgekommen ist (RIS-Justiz RS0006783; Fucik/Kloiber, AußStrG § 17 Rz 4). Im vorliegenden Fall stand es dem Antragsteller bereits im Oktober 2008 im Rahmen der ihm freigestellten Äußerung zur Auskunft der Technischen Universität Graz offen, unter anderem von seinem Studienwechsel an die Universität Graz Mitteilung zu machen. Noch vor der erstinstanzlichen Beschlussfassung hätte er auch die in den beiden neuen Studienzweigen erfolgreich abgelegten Prüfungen bekanntgeben können. Zutreffend hat daher das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz schon vorhandene Tatsachen und Beweismittel nicht zu berücksichtigen sind, sofern sie von der Partei schon vor Erlassung des Beschlusses vorgebracht hätten werden können (§ 49 Abs 2 AußStrG). Dass der Antragsteller die Mitteilung des Studienwechsels und seines Studienerfolgs in den neuen Studienrichtungen nur aufgrund einer entschuldbaren Fehlleistung unterlassen habe bzw Umstände vorgelegen wären, die ihn an der Bekanntgabe gehindert hätten, wird auch im Revisionsrekurs nicht behauptet (RIS-Justiz RS0120290).

Im Übrigen erreichen auch die im zweiten Studienjahr nach dem Revisionsrekursvorbringen - in beiden neuen Studien insgesamt - erbrachten 8 ECTS-Punkte das im § 51 Abs 2 Z 26 Universitätsgesetz 2002 festgesetzte Arbeitspensum von 60 ECTS-Punkten bzw das von § 2 Abs 1 lit b FamLAG geforderte Ausmaß von 16 ECTS-Punkten pro Studienjahr bei weitem nicht. Selbst bei Berücksichtigung des Rekurs- bzw Revisionsrekursvorbringens müsste daher davon ausgegangen werden, der Antragsteller habe nach dem Studienwechsel seine beiden derzeitigen Studien nicht ernsthaft und zielstrebig betrieben.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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