European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2008:0020OB00139.08T.0904.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Die Klägerin kam am 2. 11. 2005 kurz nach 6 Uhr morgens bei Finsternis und Nebel auf der Rückseite des Bahnhofs Breitenschützing auf dem Weg zum Fahrkartenautomaten wegen einer im Asphalt befindlichen kraterförmigen Vertiefung von 7 - 8,5 cm zu Sturz und verletzte sich am rechten Sprungbein. Die Nebenintervenientin ist Betreiberin der Verkehrsstation Breitenschützing und für die Erhaltung der Flächen im Bereich des Bahnhofs zuständig. Zweimal jährlich wird dort eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt, in deren Rahmen der seit 11. 12. 2006 zuständige Bedienstete die unfallsgegenständliche Vertiefung bemerkte. Er ließ das Loch mit einem „Haberkorn‑Hütchen" absichern, weil im Winter keine Asphaltierungen vorgenommen werden.
Die Klägerin begehrt 10.000 EUR Schmerzengeld, sowie 154,40 EUR an Fahrtkosten und Spesen mit dem Vorbringen, sie sei im Begriff gewesen mit der Erstbeklagten einen Beförderungsvertrag abzuschließen, weshalb diese aufgrund Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten durch Schaffung bzw Bestehenlassen einer Gefahrenquelle im Zugangsbereich des Bahnhofs hafte. Die Zweitbeklagte sei die Liegenschaftseigentümerin, die die Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB treffe.
Die Erstbeklagte wandte dagegen ein, bei dem von der Klägerin behaupteten Loch handle es sich nur um eine geringfügige Absenkung des Asphalts von 2 ‑ 3 cm in der Größe einer Handfläche. Die Vertiefung sei für jedermann gut erkennbar gewesen, ein grobes Verschulden auf Seiten der Erstbeklagten liege nicht vor, vielmehr ein Alleinverschulden der Klägerin. Diese habe den Unfall auch nicht gemeldet und damit der Erstbeklagten die Möglichkeit genommen, zu ihrer Entlastung führende Beweismittel zu sammeln. Die Instandhaltung der Bahnhofsflächen sei durch § 26 Bundesbahngesetz (BBG) ausschließlich der Nebenintervenientin zugewiesen.
Auch die Zweitbeklagte verwies auf § 26 BBG. Die in Rede stehende Eisenbahnanlage werde von der Nebenintervenientin betrieben. Die Zweitbeklagte sei zwar Grundstückseigentümerin, aufgrund der Regelungen des BBG treffe sie aber keine Mithaltereigenschaft und damit auch keine Verkehrssicherungspflicht. Im Übrigen handle es sich beim Unfallbereich um kein Loch, sondern um eine geringfügige Asphaltabsenkung, die auch gut ausgeleuchtet gewesen sei, weshalb die Klägerin das Alleinverschulden am Vorfall treffe.
Die Nebenintervenientin schloss sich diesem Vorbringen an.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Zwar liege grundsätzlich ein vorvertragliches Schuldverhältnis zwischen der Klägerin und der Erstbeklagten vor, es hätten sich aber keine Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Erstbeklagten von der Asphaltvertiefung ergeben und daher keine Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten. Auch eine deliktische Haftung der beklagten Parteien nach § 1319a ABGB sei zu verneinen, weil diese nur den Halter eines Wegs treffe, was im Hinblick auf die Bestimmungen des BBG, insbesondere §§ 6, 26 und 31 sowohl für die erst- als auch für die zweitbeklagte Partei zu verneinen sei. Aus den Feststellungen ergebe sich, dass im konkreten Fall Betreiberin der Verkehrsstation Breitenschützing die Nebenintervenientin sei. Dieser komme daher auch Haltereigenschaft zu. Im Übrigen sei auch die außergewöhnliche oder auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht zu verneinen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung hinsichtlich der Zweitbeklagten und hob das Verfahren gegen die erstbeklagte Partei zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Unter Hinweis auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs bejahte es vorvertragliche Schutz- und Verkehrssicherungspflichten der Erstbeklagten. Ob die Nebenintervenientin als Erfüllungsgehilfin der Erstbeklagten anzusehen sei, könne dahingestellt bleiben, weil der Erstbeklagten gemäß § 1298 ABGB der Beweis obliege, dass die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen ergriffen worden seien. Dies sei von der Erstbeklagten aber nicht einmal behauptet, sondern lediglich der Standpunkt vertreten worden, alleine die Nebenintervenientin sei zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit verpflichtet. Nach den Feststellungen des Erstgerichts sei die Beschaffenheit und Qualität der Wegfläche im Zugangsbereich als für den Fußgängerverkehr bestimmte Verkehrsfläche objektiv nicht mehr als ordnungsgemäß anzusehen. Das Erstgericht habe daher im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zur Erkennbarkeit der Asphaltabsenkung für die Klägerin zur Unfallszeit zu treffen und die Erstbeklagte nach § 182a ZPO anzuleiten, entsprechendes Vorbringen zum ihr obliegenden Beweis nach § 1298 ABGB zu erstatten.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Erstbeklagten gegen die aufhebende Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene, von diesem mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 26 BBG zugelassene Rekurs an den Obersten Gerichtshof ist zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Nach der Judikatur betrifft die Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB nur Fälle der Deliktshaftung. Bei Benützung eines Wegs gegen Entgelt beurteilt sich die Haftung dagegen nach Vertragsrecht (RIS‑Justiz RS0023714; Danzl in KBB2 § 1319a ABGB Rz 2).
2. Bei einem Beförderungsvertrag gilt die Verpflichtung, das körperliche Wohlbefinden des Beförderten nicht zu verletzen, als vertragliche Nebenverpflichtung (RIS‑Justiz RS0021735). Zu den Nebenpflichten des Beförderungsvertrags gehört es daher auch, Zugänge bzw Abgänge in einem Zustand zu erhalten, der das gefahrlose Einsteigen und Aussteigen der Fahrgäste gewährleistet. Dies gilt insbesondere für jene Teile einer Verkehrsfläche, von denen aus die Fahrgäste die Verkehrsmittel betreten bzw auf die sie beim Aussteigen gelangen (RIS‑Justiz RS0021735 [T27]; 2 Ob 35/97d).
Nicht nur mit dem Abschluss von Beförderungsverträgen entsteht für den Betreiber die vertragliche Verpflichtung, die Sicherheit von Fahrgästen zu gewährleisten. In diese Verpflichtung sind nach dem Sinn des Grundsatzes auch schon jene Fahrgäste eingebunden, die erst in das Beförderungsmittel zusteigen, um sich dort eine Fahrkarte zu kaufen, weil das Einsteigen in das Beförderungsmittel ein wesentliches Element der Personenbeförderung ist (RIS‑Justiz RS0023575; 2 Ob 32/92).
Darüber hinaus bestehen vorvertragliche Pflichten gegen jedermann, mit dem der Handelnde künftig in geschäftlichen Kontakt treten will. Unter „jedermann" ist zwar nicht jede beliebige Person, aber immerhin jeder potentielle Vertragspartner zu verstehen (RIS‑Justiz RS0016402). Bereits mit der Aufnahme privaten rechtsgeschäftlichen Kontakts entstehen umfassende Schutz- und Sorgfaltspflichten (1 Ob 5/91; RIS‑Justiz RS0016402 [T9]).
3. Diese Schutzpflichten werden nicht dadurch obsolet, dass andere Personen die gesetzliche Verpflichtung nach § 1319a ABGB trifft. Bei der Haftung nach Vertragsgrundsätzen kommt es weiters auf die Eigentumsverhältnisse nicht an (2 Ob 158/06h). Bei Schadenersatzansprüchen aus Verletzung von vor- bzw nachvertraglichen Schutzpflichten ist auch die Frage der Haltereigenschaft für den Weg, auf dem der Unfall geschah, nicht maßgeblich (3 Ob 160/04g; RIS‑Justiz RS0119484). Aus der die Verkehrsunternehmen treffenden Verkehrssicherungspflicht resultiert zB auch die Aufgabe, im Bereich von Haltestellen entsprechende Maßnahmen zur Beseitigung von für die Fahrgäste erwachsene Gefahren zu treffen. Diese Verpflichtung tritt nicht an die Stelle, sondern neben die Verpflichtung zB des Anliegers auf Räumung eines Gehsteigs (RIS‑Justiz RS0023578; 2 Ob 32/92).
4. Eine derartige vorvertragliche Verpflichtung ist auch für den mit der Personenbeförderung beschäftigten Betreiber einer Eisenbahn anzunehmen und zwar nicht nur für das Beförderungsmittel selbst, sondern auch den gefahrlosen Zugang zu diesem, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen oder der Haltereigenschaft.
5. Die Bestimmungen des Bundesbahn‑Strukturgesetzes 2003 und die damit erfolgten Änderungen des Bundesbahngesetzes 1992 vermögen daran nichts zu ändern. Damit wurden die ÖBB in Form einer Holdinggesellschaft mit mehreren Tochtergesellschaften strukturiert. Eine dieser Tochtergesellschaften ist die Erstbeklagte, deren Aufgabe nach § 6 BBG die Beförderung von Personen sowie die Herstellung und das Betreiben aller hiezu notwendigen Einrichtungen und die Besorgung aller damit zusammenhängenden oder dadurch veranlassten Geschäfte ist.
Daneben wurde die ÖBB‑Immobilien Management GmbH eingerichtet, deren Aufgabe nach § 24 BBG, die Bewirtschaftung und Verwertung aller Liegenschaften der Zweitbeklagten mit Ausnahme jener der Schieneninfrastruktur, die für den Eisenbahnbetrieb und für den Eisenbahnverkehr benötigt werden, darstellt.
Aufgabe der Nebenintervenientin ist es nach § 26 BBG die bedarfsgerechte und sichere Schieneninfrastruktur bereitzustellen, zu betreiben und zu erhalten (Wartung, Inspektion und Instandsetzung) sowie die Betriebsplanung und der Verschub als Eisenbahninfrastrukturunternehmen.
Letztlich wurde die Zweitbeklagte eingerichtet und mit dem nach den davor angeordneten Spaltungsmaßnahmen bleibenden Restvermögen der vormaligen ÖBB ausgestattet. Hier verblieben unter anderem alle Liegenschaften, soweit sie nicht für die abgespaltenen Teilbetriebe betriebsnotwendig sind (§ 29 BBG). Ihre Aufgabe ist insbesondere die Planung und der Bau von Schieneninfrastruktur und damit in Zusammenhang stehenden Projekten (§ 31 BBG). Die Zweitbeklagte hat nach § 35 BBG ihre Schieneninfrastruktur samt Anlagen und Einrichtungen für das Bereitstellen solcher Leistungen vertraglich der Nebenintervenientin zur Nutzung zur Verfügung zu stellen, soweit sie diese für die Erfüllung ihrer Aufgaben als Eisenbahninfrastrukturunternehmen benötigt.
Nach der Regierungsvorlage (311 der BlgNR 22. GP 7) betreibt die Nebenintervenientin das Schienennetz der ÖBB und erhält von den Absatzgesellschaften ein Infrastrukturbenützungsentgelt für ihre Leistungen im Rahmen der Bereitstellung (einschließlich des Betriebs) der Schieneninfrastruktur. Die Absatzgesellschaften dagegen betreiben den Güter- bzw Personenverkehr der ÖBB. Jene Liegenschaften der Absatzgesellschaften und der Zweitbeklagten, die nicht unmittelbar betrieblich notwendig sind und nicht betrieblich genutzt werden, sollen durch die eigene Immobilienmanagementgesellschaft genützt und verwertet werden.
Nach der genannten RV 9, sind die Aufgabenbereiche der neuen Gesellschaften jeweils demonstrativ aufgezählt und schließen die Wahrnehmung anderer zugehöriger Tätigkeiten nicht aus. Die Nebenintervenientin ist in ihren operativen Aufgaben unabhängig von den Gesellschaften für die Erbringung der Personen- und Güterverkehrsleistungen organisiert und fungiert als Zuweisungsstelle für den Zugang zur Schieneninfrastruktur.
6. Entgegen dem Vorbringen im Rekurs ergibt sich somit weder direkt aus dem BBG, insbesondere dessen § 26, noch aus der RV, dass die Wartung, Inspektion und Instandsetzung der Schieneninfrastruktur auch Straßenanlagen und Bahnhofsvorplätze beinhaltet und daher gesetzlich ausschließlich in den Aufgabenbereich der Nebenintervenientin fällt bzw fallen sollte. Dies wurde hier allerdings vom Erstgericht in dieser Form festgestellt (S 6 des Ersturteils).
7. Aus diesen vom Erstgericht festgestellten tatsächlichen Verhältnissen kann aber entgegen dem Rechtsmittel nicht der rechtliche Schluss gezogen werden, dass mit § 26 BBG eine lex specialis zu den allgemeinen Haftungsregeln des ABGB geschaffen und eine sondergesetzliche Regelung des Pflichtenkreises der erstbeklagten Partei als Personenbeförderungsunternehmen in der Weise getroffen worden wäre, dass sich (vor‑)vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten den Fahrgästen gegenüber nicht auch auf die Zugangs- und Abgangsbereiche zu den Beförderungsmitteln beziehen würden.
Auch im Anwendungsbereich des BBG hat es daher bei der dargestellten allgemeinen Judikatur zu verbleiben und ist davon auszugehen, dass vertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten nicht dadurch obsolet werden, dass andere Personen daneben eine Halterhaftung nach § 1319a ABGB trifft bzw treffen könnte.
8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.
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